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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 4: Bis zum Tode König Friedrich Wilhelms III. Leipzig, 1889.

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Gründe für Preußens Verhalten.
theure Schwägerin Friederike dem Verderben preiszugeben war ihm ein
furchtbarer Gedanke; Schele's Schwager, General Müffling und die an-
deren Genossen der mecklenburgischen Partei setzten auch alle Hebel ein.
Den Ausschlag gab indeß eine ernste politische Besorgniß. Wenn der
Bundestag dem hannöverschen Hofe die Wiederherstellung des Staats-
grundgesetzes anbefahl, dann war völlig sicher, daß der alte Welfe sich nicht
fügte, sondern entweder der Bundes-Execution mit den Waffen entgegen-
trat -- den Plan hatte er bereits entworfen -- oder die Krone nieder-
legte und nach England heimkehrte. Was ward dann aus Hannover?
Wer sollte für den unmündigen blinden Thronfolger die Regentschaft
führen? Ganz gewiß keiner der beiden Oheime; denn der Herzog von
Cambridge fürchtete sich vor dem gewaltthätigen Bruder nicht weniger als
der Herzog von Sussex, obgleich beide alte Herren den Staatsstreich miß-
billigten. Ebenso dachte der Herzog von Braunschweig, der ja seines eigenen
Thrones nicht ganz sicher war; er zeigte sich in diesen Händeln ganz als
Welfe und wollte den hannöverschen Oheim unter keinen Umständen preis-
geben.*) Demnach drohten dem hannöverschen Lande unzweifelhaft ernste
Wirren, falls das gute Recht siegte. Und durfte man die Grundlagen
des monarchischen Bundesrechts untergraben, einen souveränen deutschen
König zur Abdankung zwingen? Durfte man deshalb das ausdrücklich ver-
abredete Einvernehmen mit dem Wiener Hofe preisgeben, der die Thaten
des Welfen auch nicht billigte, aber weit milder beurtheilte als der preu-
ßische? Ein Aufruhr, der wie einst der braunschweigische, mit jedem Mittel
gedämpft werden mußte, war in Hannover nicht zu besorgen.

Solche Erwägungen bestimmten den Entschluß Friedrich Wilhelm's.
Wie nichtig erschienen sie neben der unabweisbaren Forderung der Gerech-
tigkeit! Wenn der Bund in dieser sonnenklaren Sache für die nackte Ge-
walt Partei nahm, dann mußte die Nation an ihm verzweifeln; und wenn
der preußische Hof hier das offenbare Unrecht unterstützte, dann verlor er
mit einem Schlage das wohlverdiente Ansehen, das er sich durch die
kluge Politik dieser letzten zehn Jahre erworben hatte. Was er einst für
die Braunschweiger gethan, lag in den Archiven vergraben; diese han-
növerschen Händel aber konnten nicht verborgen bleiben. Durfte er den
noch immer nicht ausgestorbenen Verehrern der deutschen Trias erlauben,
daß sie den alten Sirenensang wieder anstimmten und der Nation ver-
sicherten, nur bei den Mittelstaaten fänden Recht und Freiheit der Deut-
schen ehrlichen Schutz? Ueber die Gesinnung der constitutionellen Höfe
war man in Berlin wohl unterrichtet. Graf Dönhoff berichtete ehrlich,
die Süddeutschen sagten allgemein: in Hannover kämpft der König von
heute mit dem von gestern und das monarchische Princip mit sich selber.**)

*) Canitz's Bericht, 11. Febr. 1838.
**) Dönhoff's Bericht, 4. Februar 1839.
43*

Gründe für Preußens Verhalten.
theure Schwägerin Friederike dem Verderben preiszugeben war ihm ein
furchtbarer Gedanke; Schele’s Schwager, General Müffling und die an-
deren Genoſſen der mecklenburgiſchen Partei ſetzten auch alle Hebel ein.
Den Ausſchlag gab indeß eine ernſte politiſche Beſorgniß. Wenn der
Bundestag dem hannöverſchen Hofe die Wiederherſtellung des Staats-
grundgeſetzes anbefahl, dann war völlig ſicher, daß der alte Welfe ſich nicht
fügte, ſondern entweder der Bundes-Execution mit den Waffen entgegen-
trat — den Plan hatte er bereits entworfen — oder die Krone nieder-
legte und nach England heimkehrte. Was ward dann aus Hannover?
Wer ſollte für den unmündigen blinden Thronfolger die Regentſchaft
führen? Ganz gewiß keiner der beiden Oheime; denn der Herzog von
Cambridge fürchtete ſich vor dem gewaltthätigen Bruder nicht weniger als
der Herzog von Suſſex, obgleich beide alte Herren den Staatsſtreich miß-
billigten. Ebenſo dachte der Herzog von Braunſchweig, der ja ſeines eigenen
Thrones nicht ganz ſicher war; er zeigte ſich in dieſen Händeln ganz als
Welfe und wollte den hannöverſchen Oheim unter keinen Umſtänden preis-
geben.*) Demnach drohten dem hannöverſchen Lande unzweifelhaft ernſte
Wirren, falls das gute Recht ſiegte. Und durfte man die Grundlagen
des monarchiſchen Bundesrechts untergraben, einen ſouveränen deutſchen
König zur Abdankung zwingen? Durfte man deshalb das ausdrücklich ver-
abredete Einvernehmen mit dem Wiener Hofe preisgeben, der die Thaten
des Welfen auch nicht billigte, aber weit milder beurtheilte als der preu-
ßiſche? Ein Aufruhr, der wie einſt der braunſchweigiſche, mit jedem Mittel
gedämpft werden mußte, war in Hannover nicht zu beſorgen.

Solche Erwägungen beſtimmten den Entſchluß Friedrich Wilhelm’s.
Wie nichtig erſchienen ſie neben der unabweisbaren Forderung der Gerech-
tigkeit! Wenn der Bund in dieſer ſonnenklaren Sache für die nackte Ge-
walt Partei nahm, dann mußte die Nation an ihm verzweifeln; und wenn
der preußiſche Hof hier das offenbare Unrecht unterſtützte, dann verlor er
mit einem Schlage das wohlverdiente Anſehen, das er ſich durch die
kluge Politik dieſer letzten zehn Jahre erworben hatte. Was er einſt für
die Braunſchweiger gethan, lag in den Archiven vergraben; dieſe han-
növerſchen Händel aber konnten nicht verborgen bleiben. Durfte er den
noch immer nicht ausgeſtorbenen Verehrern der deutſchen Trias erlauben,
daß ſie den alten Sirenenſang wieder anſtimmten und der Nation ver-
ſicherten, nur bei den Mittelſtaaten fänden Recht und Freiheit der Deut-
ſchen ehrlichen Schutz? Ueber die Geſinnung der conſtitutionellen Höfe
war man in Berlin wohl unterrichtet. Graf Dönhoff berichtete ehrlich,
die Süddeutſchen ſagten allgemein: in Hannover kämpft der König von
heute mit dem von geſtern und das monarchiſche Princip mit ſich ſelber.**)

*) Canitz’s Bericht, 11. Febr. 1838.
**) Dönhoff’s Bericht, 4. Februar 1839.
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[675/0689] Gründe für Preußens Verhalten. theure Schwägerin Friederike dem Verderben preiszugeben war ihm ein furchtbarer Gedanke; Schele’s Schwager, General Müffling und die an- deren Genoſſen der mecklenburgiſchen Partei ſetzten auch alle Hebel ein. Den Ausſchlag gab indeß eine ernſte politiſche Beſorgniß. Wenn der Bundestag dem hannöverſchen Hofe die Wiederherſtellung des Staats- grundgeſetzes anbefahl, dann war völlig ſicher, daß der alte Welfe ſich nicht fügte, ſondern entweder der Bundes-Execution mit den Waffen entgegen- trat — den Plan hatte er bereits entworfen — oder die Krone nieder- legte und nach England heimkehrte. Was ward dann aus Hannover? Wer ſollte für den unmündigen blinden Thronfolger die Regentſchaft führen? Ganz gewiß keiner der beiden Oheime; denn der Herzog von Cambridge fürchtete ſich vor dem gewaltthätigen Bruder nicht weniger als der Herzog von Suſſex, obgleich beide alte Herren den Staatsſtreich miß- billigten. Ebenſo dachte der Herzog von Braunſchweig, der ja ſeines eigenen Thrones nicht ganz ſicher war; er zeigte ſich in dieſen Händeln ganz als Welfe und wollte den hannöverſchen Oheim unter keinen Umſtänden preis- geben. *) Demnach drohten dem hannöverſchen Lande unzweifelhaft ernſte Wirren, falls das gute Recht ſiegte. Und durfte man die Grundlagen des monarchiſchen Bundesrechts untergraben, einen ſouveränen deutſchen König zur Abdankung zwingen? Durfte man deshalb das ausdrücklich ver- abredete Einvernehmen mit dem Wiener Hofe preisgeben, der die Thaten des Welfen auch nicht billigte, aber weit milder beurtheilte als der preu- ßiſche? Ein Aufruhr, der wie einſt der braunſchweigiſche, mit jedem Mittel gedämpft werden mußte, war in Hannover nicht zu beſorgen. Solche Erwägungen beſtimmten den Entſchluß Friedrich Wilhelm’s. Wie nichtig erſchienen ſie neben der unabweisbaren Forderung der Gerech- tigkeit! Wenn der Bund in dieſer ſonnenklaren Sache für die nackte Ge- walt Partei nahm, dann mußte die Nation an ihm verzweifeln; und wenn der preußiſche Hof hier das offenbare Unrecht unterſtützte, dann verlor er mit einem Schlage das wohlverdiente Anſehen, das er ſich durch die kluge Politik dieſer letzten zehn Jahre erworben hatte. Was er einſt für die Braunſchweiger gethan, lag in den Archiven vergraben; dieſe han- növerſchen Händel aber konnten nicht verborgen bleiben. Durfte er den noch immer nicht ausgeſtorbenen Verehrern der deutſchen Trias erlauben, daß ſie den alten Sirenenſang wieder anſtimmten und der Nation ver- ſicherten, nur bei den Mittelſtaaten fänden Recht und Freiheit der Deut- ſchen ehrlichen Schutz? Ueber die Geſinnung der conſtitutionellen Höfe war man in Berlin wohl unterrichtet. Graf Dönhoff berichtete ehrlich, die Süddeutſchen ſagten allgemein: in Hannover kämpft der König von heute mit dem von geſtern und das monarchiſche Princip mit ſich ſelber. **) *) Canitz’s Bericht, 11. Febr. 1838. **) Dönhoff’s Bericht, 4. Februar 1839. 43*

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Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 4: Bis zum Tode König Friedrich Wilhelms III. Leipzig, 1889, S. 675. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte04_1889/689>, abgerufen am 28.04.2024.