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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 4: Bis zum Tode König Friedrich Wilhelms III. Leipzig, 1889.

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IV. 9. Der welfische Staatsstreich.
Rathschlag durfte er nicht ertheilen, weil man in Berlin den Eigensinn
Ernst August's kannte. So ward er dem Welfen nur immer unangenehmer;
"dies, meinte der badische Gesandte, begegnet Jedem, der Sr. Majestät
Vernunft redet."*)

Und wie unmöglich blieb es doch, von einem Fürsten, dessen ganze
Haltung man verdammen mußte, Mäßigung im offenbaren Unrecht zu
verlangen. Auch für Ernst August galten die schönen Worte, welche
Dahlmann der Opposition zurief: "Alle Mäßigung beruht auf der nicht
vollen Anwendung einer Kraft, die man ohne Rechtsverletzung auch ganz
gebrauchen dürfte. Sobald man die Kraft der Landesverfassungen schließlich
in bloße Redensarten auflöst, verliert die Rede von Mäßigung ihren
Sinn." An den kleinen Höfen war die Bestürzung allgemein. Sogar der
holsteinische Gesandte Pechlin, der eifrigste Reaktionär des Bundestags,
beschwor den Welfen, mit seinem Landtage schleunigst abzuschließen, sonst
könne der Bund nicht länger schweigen.**) Von allen Fürsten Europas
lobten nur zwei den Staatsstreich: der Kurprinz von Hessen, der seelen-
vergnügt zu Canitz sagte: "jetzt will ich meine Verfassung auch ändern,"
aber von dem Preußen sogleich zur Ruhe verwiesen wurde***) -- und
Kaiser Nikolaus. Der Czar traf mit Ernst August im Sommer 1838
auf den preußischen Manövern zusammen und überhäufte ihn mit Dank-
sagungen. Wirklichen Einfluß gewann auch er nicht; wer hätte den alten
Herrn in seinem unermeßlichen Welfendünkel stören können?

Nun war der Handel trotz allen Verzögerungen doch noch vor den
Bundestag gelangt, und über die Rechtsfrage konnten ehrliche Männer
kaum streiten. Daß die Verfassung von 1833 in anerkannter Wirksamkeit
bestanden hatte, ließ sich nicht leugnen; folglich war der Bund nach Art. 56
der Schlußakte verpflichtet sie zu schützen. Wie nachdrücklich hatte die
preußische Regierung einst gegen Karl von Braunschweig den Satz ver-
fochten, daß der Thronfolger an die rechtmäßigen Handlungen des Vor-
gängers gebunden sei. Durfte sie sich jetzt selber ins Gesicht schlagen?
Staatsrechtlich betrachtet war Ernst August weit schuldiger als Karl; er
hatte den Staatsstreich, welchen dieser nur plante, wirklich vollführt, und
auch die menschliche Niedertracht des welterfahrenen alten Parlamentariers
wog schwerer als die halbnärrischen Bubenstreiche seines Neffen. Dennoch
schwankte König Friedrich Wilhelm. Er wollte seinen Schwager nicht
eigentlich unterstützen -- das erlaubte sein Gewissen nicht -- aber um
jeden Preis schonen, und Minister Werther fand, trotz seiner besseren Ein-
sicht, nicht den Muth gradeswegs zu widersprechen.

Unzweifelhaft wirkten bei dem verhängnißvollen Entschlusse des
Königs persönliche Rücksichten mit. Er liebte den Welfen wenig, doch seine

*) Frankenberg's Bericht, 28. Aug. 1838.
**) Canitz's Bericht, 2. Aug. 1838.
***) Canitz's Bericht, 23. Juli 1838.

IV. 9. Der welfiſche Staatsſtreich.
Rathſchlag durfte er nicht ertheilen, weil man in Berlin den Eigenſinn
Ernſt Auguſt’s kannte. So ward er dem Welfen nur immer unangenehmer;
„dies, meinte der badiſche Geſandte, begegnet Jedem, der Sr. Majeſtät
Vernunft redet.“*)

Und wie unmöglich blieb es doch, von einem Fürſten, deſſen ganze
Haltung man verdammen mußte, Mäßigung im offenbaren Unrecht zu
verlangen. Auch für Ernſt Auguſt galten die ſchönen Worte, welche
Dahlmann der Oppoſition zurief: „Alle Mäßigung beruht auf der nicht
vollen Anwendung einer Kraft, die man ohne Rechtsverletzung auch ganz
gebrauchen dürfte. Sobald man die Kraft der Landesverfaſſungen ſchließlich
in bloße Redensarten auflöſt, verliert die Rede von Mäßigung ihren
Sinn.“ An den kleinen Höfen war die Beſtürzung allgemein. Sogar der
holſteiniſche Geſandte Pechlin, der eifrigſte Reaktionär des Bundestags,
beſchwor den Welfen, mit ſeinem Landtage ſchleunigſt abzuſchließen, ſonſt
könne der Bund nicht länger ſchweigen.**) Von allen Fürſten Europas
lobten nur zwei den Staatsſtreich: der Kurprinz von Heſſen, der ſeelen-
vergnügt zu Canitz ſagte: „jetzt will ich meine Verfaſſung auch ändern,“
aber von dem Preußen ſogleich zur Ruhe verwieſen wurde***) — und
Kaiſer Nikolaus. Der Czar traf mit Ernſt Auguſt im Sommer 1838
auf den preußiſchen Manövern zuſammen und überhäufte ihn mit Dank-
ſagungen. Wirklichen Einfluß gewann auch er nicht; wer hätte den alten
Herrn in ſeinem unermeßlichen Welfendünkel ſtören können?

Nun war der Handel trotz allen Verzögerungen doch noch vor den
Bundestag gelangt, und über die Rechtsfrage konnten ehrliche Männer
kaum ſtreiten. Daß die Verfaſſung von 1833 in anerkannter Wirkſamkeit
beſtanden hatte, ließ ſich nicht leugnen; folglich war der Bund nach Art. 56
der Schlußakte verpflichtet ſie zu ſchützen. Wie nachdrücklich hatte die
preußiſche Regierung einſt gegen Karl von Braunſchweig den Satz ver-
fochten, daß der Thronfolger an die rechtmäßigen Handlungen des Vor-
gängers gebunden ſei. Durfte ſie ſich jetzt ſelber ins Geſicht ſchlagen?
Staatsrechtlich betrachtet war Ernſt Auguſt weit ſchuldiger als Karl; er
hatte den Staatsſtreich, welchen dieſer nur plante, wirklich vollführt, und
auch die menſchliche Niedertracht des welterfahrenen alten Parlamentariers
wog ſchwerer als die halbnärriſchen Bubenſtreiche ſeines Neffen. Dennoch
ſchwankte König Friedrich Wilhelm. Er wollte ſeinen Schwager nicht
eigentlich unterſtützen — das erlaubte ſein Gewiſſen nicht — aber um
jeden Preis ſchonen, und Miniſter Werther fand, trotz ſeiner beſſeren Ein-
ſicht, nicht den Muth gradeswegs zu widerſprechen.

Unzweifelhaft wirkten bei dem verhängnißvollen Entſchluſſe des
Königs perſönliche Rückſichten mit. Er liebte den Welfen wenig, doch ſeine

*) Frankenberg’s Bericht, 28. Aug. 1838.
**) Canitz’s Bericht, 2. Aug. 1838.
***) Canitz’s Bericht, 23. Juli 1838.
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[674/0688] IV. 9. Der welfiſche Staatsſtreich. Rathſchlag durfte er nicht ertheilen, weil man in Berlin den Eigenſinn Ernſt Auguſt’s kannte. So ward er dem Welfen nur immer unangenehmer; „dies, meinte der badiſche Geſandte, begegnet Jedem, der Sr. Majeſtät Vernunft redet.“ *) Und wie unmöglich blieb es doch, von einem Fürſten, deſſen ganze Haltung man verdammen mußte, Mäßigung im offenbaren Unrecht zu verlangen. Auch für Ernſt Auguſt galten die ſchönen Worte, welche Dahlmann der Oppoſition zurief: „Alle Mäßigung beruht auf der nicht vollen Anwendung einer Kraft, die man ohne Rechtsverletzung auch ganz gebrauchen dürfte. Sobald man die Kraft der Landesverfaſſungen ſchließlich in bloße Redensarten auflöſt, verliert die Rede von Mäßigung ihren Sinn.“ An den kleinen Höfen war die Beſtürzung allgemein. Sogar der holſteiniſche Geſandte Pechlin, der eifrigſte Reaktionär des Bundestags, beſchwor den Welfen, mit ſeinem Landtage ſchleunigſt abzuſchließen, ſonſt könne der Bund nicht länger ſchweigen. **) Von allen Fürſten Europas lobten nur zwei den Staatsſtreich: der Kurprinz von Heſſen, der ſeelen- vergnügt zu Canitz ſagte: „jetzt will ich meine Verfaſſung auch ändern,“ aber von dem Preußen ſogleich zur Ruhe verwieſen wurde ***) — und Kaiſer Nikolaus. Der Czar traf mit Ernſt Auguſt im Sommer 1838 auf den preußiſchen Manövern zuſammen und überhäufte ihn mit Dank- ſagungen. Wirklichen Einfluß gewann auch er nicht; wer hätte den alten Herrn in ſeinem unermeßlichen Welfendünkel ſtören können? Nun war der Handel trotz allen Verzögerungen doch noch vor den Bundestag gelangt, und über die Rechtsfrage konnten ehrliche Männer kaum ſtreiten. Daß die Verfaſſung von 1833 in anerkannter Wirkſamkeit beſtanden hatte, ließ ſich nicht leugnen; folglich war der Bund nach Art. 56 der Schlußakte verpflichtet ſie zu ſchützen. Wie nachdrücklich hatte die preußiſche Regierung einſt gegen Karl von Braunſchweig den Satz ver- fochten, daß der Thronfolger an die rechtmäßigen Handlungen des Vor- gängers gebunden ſei. Durfte ſie ſich jetzt ſelber ins Geſicht ſchlagen? Staatsrechtlich betrachtet war Ernſt Auguſt weit ſchuldiger als Karl; er hatte den Staatsſtreich, welchen dieſer nur plante, wirklich vollführt, und auch die menſchliche Niedertracht des welterfahrenen alten Parlamentariers wog ſchwerer als die halbnärriſchen Bubenſtreiche ſeines Neffen. Dennoch ſchwankte König Friedrich Wilhelm. Er wollte ſeinen Schwager nicht eigentlich unterſtützen — das erlaubte ſein Gewiſſen nicht — aber um jeden Preis ſchonen, und Miniſter Werther fand, trotz ſeiner beſſeren Ein- ſicht, nicht den Muth gradeswegs zu widerſprechen. Unzweifelhaft wirkten bei dem verhängnißvollen Entſchluſſe des Königs perſönliche Rückſichten mit. Er liebte den Welfen wenig, doch ſeine *) Frankenberg’s Bericht, 28. Aug. 1838. **) Canitz’s Bericht, 2. Aug. 1838. ***) Canitz’s Bericht, 23. Juli 1838.

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Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 4: Bis zum Tode König Friedrich Wilhelms III. Leipzig, 1889, S. 674. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte04_1889/688>, abgerufen am 27.04.2024.