zu: ein abschreckendes Beispiel sei nöthig, damit die Uebelwollenden sich nicht an die Erklärung der Sieben "als an ein Panier" anschlössen; aber statt der aussichtslosen peinlichen Untersuchung empfahl er ein kürzeres Verfahren. Vergeblich baten die Minister Arnswald und Stralenheim als Curatoren der Universität, man möge mindestens die Vorschriften der Bundesgesetze achten und zunächst den Bericht des Regierungsbevollmäch- tigten einfordern.*)
Ein kurzes, von Leist entworfenes Rescript verfügte die sofortige Ent- setzung der Sieben, und der König befahl nachträglich noch selbst, daß ihnen ihr Gehalt nur bis zum Tage der Entlassung ausgezahlt werden dürfe.**) Dahlmann, Jakob Grimm und Gervinus erhielten außerdem die Weisung, das Land binnen drei Tagen zu verlassen, weil sie die Erklärung einigen Freunden mitgetheilt hatten. Die Studenten hatten das Schriftstück längst überall verbreitet, sie nahmen nach dem schönen Vorrechte der Jugend ungescheut Partei für die gute Sache und begrüßten Dahlmann als "den Mann des Wortes und der That"; es kam schon zu Händeln mit der bewaffneten Macht. Nur einige Söhne des hannö- verschen Adels schämten sich nicht den Mißhandelten das Honorar durch den Stiefelputzer abzufordern. In der Nacht, bevor die drei Verbannten, von Kürassieren bewacht, abreisten, wanderten die Burschen in Schaaren hinaus -- denn den Lohnkutschern hatte die Polizeigewalt zu fahren ver- boten -- und drüben in Witzenhausen, auf dem freieren hessischen Boden, nahmen sie Abschied von ihren Lehrern. Als der kleine Sohn im Grenz- wirthshause sich vor Jakob Grimm's majestätischem Kopfe hinter dem Rocke der Wirthin versteckte, sagte die Mutter mitleidig: gieb dem Herrn die Hand, es sind arme Vertriebene.
Mit Alledem war Ernst August's Rachgier noch nicht ersättigt. Kaum erfuhr er, daß Dahlmann's Berufung nach Rostock im Werke sei, so ließ er alsbald nach Schwerin und Strelitz schreiben, was dieser Mecklenburger Alles verbrochen habe: "Se. Maj. haben geglaubt, den großherzoglichen Höfen Kenntniß von den Handlungen eines Mannes geben zu müssen, der in einem Lehramte an einer Universität nur höchst nachtheilig auf die studirende Jugend wirken kann." Die mecklenburgischen Regierungen fürch- teten sich vor der drohenden Sprache des Welfen; sie betheuerten, der Wahrheit zuwider, die Verhandlungen seien längst abgebrochen, und er- klärten, nunmehr könne von der Berufung "natürlich gar nicht die Rede sein".***) Auf die Nachricht, daß Jakob Grimm die Seinigen in Göttingen heimlich besuchen wolle, erging sofort der Befehl, den Verbrecher durch
*) Berichte an den König: von Schele 29. 30. Nov., von dem Universitätscura- torium 8. Dec. 1837.
**) Schele an das Curatorium, 31. Jan. 1838.
***) Schele an die Minister v. Lützow in Schwerin, v. Dewitz in Strelitz, 7. Dec. Die Erwiderungen beide vom 16. Dec. 1837.
42*
Die Göttinger Sieben.
zu: ein abſchreckendes Beiſpiel ſei nöthig, damit die Uebelwollenden ſich nicht an die Erklärung der Sieben „als an ein Panier“ anſchlöſſen; aber ſtatt der ausſichtsloſen peinlichen Unterſuchung empfahl er ein kürzeres Verfahren. Vergeblich baten die Miniſter Arnswald und Stralenheim als Curatoren der Univerſität, man möge mindeſtens die Vorſchriften der Bundesgeſetze achten und zunächſt den Bericht des Regierungsbevollmäch- tigten einfordern.*)
Ein kurzes, von Leiſt entworfenes Reſcript verfügte die ſofortige Ent- ſetzung der Sieben, und der König befahl nachträglich noch ſelbſt, daß ihnen ihr Gehalt nur bis zum Tage der Entlaſſung ausgezahlt werden dürfe.**) Dahlmann, Jakob Grimm und Gervinus erhielten außerdem die Weiſung, das Land binnen drei Tagen zu verlaſſen, weil ſie die Erklärung einigen Freunden mitgetheilt hatten. Die Studenten hatten das Schriftſtück längſt überall verbreitet, ſie nahmen nach dem ſchönen Vorrechte der Jugend ungeſcheut Partei für die gute Sache und begrüßten Dahlmann als „den Mann des Wortes und der That“; es kam ſchon zu Händeln mit der bewaffneten Macht. Nur einige Söhne des hannö- verſchen Adels ſchämten ſich nicht den Mißhandelten das Honorar durch den Stiefelputzer abzufordern. In der Nacht, bevor die drei Verbannten, von Küraſſieren bewacht, abreiſten, wanderten die Burſchen in Schaaren hinaus — denn den Lohnkutſchern hatte die Polizeigewalt zu fahren ver- boten — und drüben in Witzenhauſen, auf dem freieren heſſiſchen Boden, nahmen ſie Abſchied von ihren Lehrern. Als der kleine Sohn im Grenz- wirthshauſe ſich vor Jakob Grimm’s majeſtätiſchem Kopfe hinter dem Rocke der Wirthin verſteckte, ſagte die Mutter mitleidig: gieb dem Herrn die Hand, es ſind arme Vertriebene.
Mit Alledem war Ernſt Auguſt’s Rachgier noch nicht erſättigt. Kaum erfuhr er, daß Dahlmann’s Berufung nach Roſtock im Werke ſei, ſo ließ er alsbald nach Schwerin und Strelitz ſchreiben, was dieſer Mecklenburger Alles verbrochen habe: „Se. Maj. haben geglaubt, den großherzoglichen Höfen Kenntniß von den Handlungen eines Mannes geben zu müſſen, der in einem Lehramte an einer Univerſität nur höchſt nachtheilig auf die ſtudirende Jugend wirken kann.“ Die mecklenburgiſchen Regierungen fürch- teten ſich vor der drohenden Sprache des Welfen; ſie betheuerten, der Wahrheit zuwider, die Verhandlungen ſeien längſt abgebrochen, und er- klärten, nunmehr könne von der Berufung „natürlich gar nicht die Rede ſein“.***) Auf die Nachricht, daß Jakob Grimm die Seinigen in Göttingen heimlich beſuchen wolle, erging ſofort der Befehl, den Verbrecher durch
*) Berichte an den König: von Schele 29. 30. Nov., von dem Univerſitätscura- torium 8. Dec. 1837.
**) Schele an das Curatorium, 31. Jan. 1838.
***) Schele an die Miniſter v. Lützow in Schwerin, v. Dewitz in Strelitz, 7. Dec. Die Erwiderungen beide vom 16. Dec. 1837.
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Die Göttinger Sieben.
zu: ein abſchreckendes Beiſpiel ſei nöthig, damit die Uebelwollenden ſich
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ſtatt der ausſichtsloſen peinlichen Unterſuchung empfahl er ein kürzeres
Verfahren. Vergeblich baten die Miniſter Arnswald und Stralenheim
als Curatoren der Univerſität, man möge mindeſtens die Vorſchriften der
Bundesgeſetze achten und zunächſt den Bericht des Regierungsbevollmäch-
tigten einfordern. *)
Ein kurzes, von Leiſt entworfenes Reſcript verfügte die ſofortige Ent-
ſetzung der Sieben, und der König befahl nachträglich noch ſelbſt, daß
ihnen ihr Gehalt nur bis zum Tage der Entlaſſung ausgezahlt werden
dürfe. **) Dahlmann, Jakob Grimm und Gervinus erhielten außerdem
die Weiſung, das Land binnen drei Tagen zu verlaſſen, weil ſie die
Erklärung einigen Freunden mitgetheilt hatten. Die Studenten hatten
das Schriftſtück längſt überall verbreitet, ſie nahmen nach dem ſchönen
Vorrechte der Jugend ungeſcheut Partei für die gute Sache und begrüßten
Dahlmann als „den Mann des Wortes und der That“; es kam ſchon
zu Händeln mit der bewaffneten Macht. Nur einige Söhne des hannö-
verſchen Adels ſchämten ſich nicht den Mißhandelten das Honorar durch
den Stiefelputzer abzufordern. In der Nacht, bevor die drei Verbannten,
von Küraſſieren bewacht, abreiſten, wanderten die Burſchen in Schaaren
hinaus — denn den Lohnkutſchern hatte die Polizeigewalt zu fahren ver-
boten — und drüben in Witzenhauſen, auf dem freieren heſſiſchen Boden,
nahmen ſie Abſchied von ihren Lehrern. Als der kleine Sohn im Grenz-
wirthshauſe ſich vor Jakob Grimm’s majeſtätiſchem Kopfe hinter dem
Rocke der Wirthin verſteckte, ſagte die Mutter mitleidig: gieb dem Herrn
die Hand, es ſind arme Vertriebene.
Mit Alledem war Ernſt Auguſt’s Rachgier noch nicht erſättigt. Kaum
erfuhr er, daß Dahlmann’s Berufung nach Roſtock im Werke ſei, ſo ließ
er alsbald nach Schwerin und Strelitz ſchreiben, was dieſer Mecklenburger
Alles verbrochen habe: „Se. Maj. haben geglaubt, den großherzoglichen
Höfen Kenntniß von den Handlungen eines Mannes geben zu müſſen,
der in einem Lehramte an einer Univerſität nur höchſt nachtheilig auf die
ſtudirende Jugend wirken kann.“ Die mecklenburgiſchen Regierungen fürch-
teten ſich vor der drohenden Sprache des Welfen; ſie betheuerten, der
Wahrheit zuwider, die Verhandlungen ſeien längſt abgebrochen, und er-
klärten, nunmehr könne von der Berufung „natürlich gar nicht die Rede
ſein“. ***) Auf die Nachricht, daß Jakob Grimm die Seinigen in Göttingen
heimlich beſuchen wolle, erging ſofort der Befehl, den Verbrecher durch
*) Berichte an den König: von Schele 29. 30. Nov., von dem Univerſitätscura-
torium 8. Dec. 1837.
**) Schele an das Curatorium, 31. Jan. 1838.
***) Schele an die Miniſter v. Lützow in Schwerin, v. Dewitz in Strelitz, 7. Dec.
Die Erwiderungen beide vom 16. Dec. 1837.
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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 4: Bis zum Tode König Friedrich Wilhelms III. Leipzig, 1889, S. 659. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte04_1889/673>, abgerufen am 24.11.2024.
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