Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 4: Bis zum Tode König Friedrich Wilhelms III. Leipzig, 1889.IV. 9. Der welfische Staatsstreich. Kirche nur dem Papste, in der evangelischen Keinem zusteht. Auf einensolchen Frevel war trotz Allem was geschehen Niemand gefaßt. An jeden einzelnen Beamten trat jetzt die Frage heran, ob er sein Gewissen der Gewalt unterwerfen, den neuen Diensteid schwören und damit den alten brechen dürfe. Während das Land unter dem Schlage noch wie betäubt lag, unterzeichneten am 18. November sieben der namhaftesten Göttinger Professoren eine Vorstellung an das Universitätscuratorium, worin sie ein- fach erklärten, daß sie sich auch jetzt noch an ihren Verfassungseid gebun- den hielten: "Das ganze Gelingen unserer Wirksamkeit beruht nicht sicherer auf dem wissenschaftlichen Werthe unserer Lehren als auf unserer persön- lichen Unbescholtenheit. Sobald wir vor der studirenden Jugend als Männer erscheinen, die mit ihren Eiden ein leichtfertiges Spiel treiben, ebenso bald ist der Segen unserer Wirksamkeit dahin. Und was würde Sr. Maj. dem Könige der Eid unserer Treue und Huldigung bedeuten, wenn er von Männern ausginge, die eben erst ihre eidliche Versicherung freventlich verletzt haben?" E. Albrecht, der als Lehrer unvergleichliche, als Schriftsteller leider wenig fruchtbare Jurist, hatte den Gedanken zu- erst bei Dahlmann angeregt*), und Dahlmann darauf die Erklärung auf- gesetzt, die unverkennbar den Ausdruck eines tiefen sittlichen Leidens trug. Es war, wie ihr Verfasser sagte, eine Protestation des Gewissens, nur durch den Gegenstand ein politischer Protest. Nachher unterzeichneten noch die Gebrüder Grimm, Wilhelm Weber, Ewald und der junge Gervinus. Von allen den Sieben hatten bisher nur Dahlmann und Gervinus am politischen Kampfe theilgenommen, und auch sie standen bei den Liberalen der Rotteck-Welcker'schen Schule im Rufe übertriebener Mäßigung. Der alte Welfe gerieth in furchtbare Wuth, als er von dieser That *) So erzählte Albrecht sehr bestimmt, nachdem er die etwas abweichende Dar- stellung von Springer (Dahlmann I. 430) gelesen hatte. **) K. Ernst August an Schele. 28. Nov. 1837, s. Beilage 24.
IV. 9. Der welfiſche Staatsſtreich. Kirche nur dem Papſte, in der evangeliſchen Keinem zuſteht. Auf einenſolchen Frevel war trotz Allem was geſchehen Niemand gefaßt. An jeden einzelnen Beamten trat jetzt die Frage heran, ob er ſein Gewiſſen der Gewalt unterwerfen, den neuen Dienſteid ſchwören und damit den alten brechen dürfe. Während das Land unter dem Schlage noch wie betäubt lag, unterzeichneten am 18. November ſieben der namhafteſten Göttinger Profeſſoren eine Vorſtellung an das Univerſitätscuratorium, worin ſie ein- fach erklärten, daß ſie ſich auch jetzt noch an ihren Verfaſſungseid gebun- den hielten: „Das ganze Gelingen unſerer Wirkſamkeit beruht nicht ſicherer auf dem wiſſenſchaftlichen Werthe unſerer Lehren als auf unſerer perſön- lichen Unbeſcholtenheit. Sobald wir vor der ſtudirenden Jugend als Männer erſcheinen, die mit ihren Eiden ein leichtfertiges Spiel treiben, ebenſo bald iſt der Segen unſerer Wirkſamkeit dahin. Und was würde Sr. Maj. dem Könige der Eid unſerer Treue und Huldigung bedeuten, wenn er von Männern ausginge, die eben erſt ihre eidliche Verſicherung freventlich verletzt haben?“ E. Albrecht, der als Lehrer unvergleichliche, als Schriftſteller leider wenig fruchtbare Juriſt, hatte den Gedanken zu- erſt bei Dahlmann angeregt*), und Dahlmann darauf die Erklärung auf- geſetzt, die unverkennbar den Ausdruck eines tiefen ſittlichen Leidens trug. Es war, wie ihr Verfaſſer ſagte, eine Proteſtation des Gewiſſens, nur durch den Gegenſtand ein politiſcher Proteſt. Nachher unterzeichneten noch die Gebrüder Grimm, Wilhelm Weber, Ewald und der junge Gervinus. Von allen den Sieben hatten bisher nur Dahlmann und Gervinus am politiſchen Kampfe theilgenommen, und auch ſie ſtanden bei den Liberalen der Rotteck-Welcker’ſchen Schule im Rufe übertriebener Mäßigung. Der alte Welfe gerieth in furchtbare Wuth, als er von dieſer That *) So erzählte Albrecht ſehr beſtimmt, nachdem er die etwas abweichende Dar- ſtellung von Springer (Dahlmann I. 430) geleſen hatte. **) K. Ernſt Auguſt an Schele. 28. Nov. 1837, ſ. Beilage 24.
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IV. 9. Der welfiſche Staatsſtreich.
Kirche nur dem Papſte, in der evangeliſchen Keinem zuſteht. Auf einen
ſolchen Frevel war trotz Allem was geſchehen Niemand gefaßt. An jeden
einzelnen Beamten trat jetzt die Frage heran, ob er ſein Gewiſſen der
Gewalt unterwerfen, den neuen Dienſteid ſchwören und damit den alten
brechen dürfe. Während das Land unter dem Schlage noch wie betäubt
lag, unterzeichneten am 18. November ſieben der namhafteſten Göttinger
Profeſſoren eine Vorſtellung an das Univerſitätscuratorium, worin ſie ein-
fach erklärten, daß ſie ſich auch jetzt noch an ihren Verfaſſungseid gebun-
den hielten: „Das ganze Gelingen unſerer Wirkſamkeit beruht nicht ſicherer
auf dem wiſſenſchaftlichen Werthe unſerer Lehren als auf unſerer perſön-
lichen Unbeſcholtenheit. Sobald wir vor der ſtudirenden Jugend als
Männer erſcheinen, die mit ihren Eiden ein leichtfertiges Spiel treiben,
ebenſo bald iſt der Segen unſerer Wirkſamkeit dahin. Und was würde
Sr. Maj. dem Könige der Eid unſerer Treue und Huldigung bedeuten,
wenn er von Männern ausginge, die eben erſt ihre eidliche Verſicherung
freventlich verletzt haben?“ E. Albrecht, der als Lehrer unvergleichliche,
als Schriftſteller leider wenig fruchtbare Juriſt, hatte den Gedanken zu-
erſt bei Dahlmann angeregt *), und Dahlmann darauf die Erklärung auf-
geſetzt, die unverkennbar den Ausdruck eines tiefen ſittlichen Leidens trug.
Es war, wie ihr Verfaſſer ſagte, eine Proteſtation des Gewiſſens, nur
durch den Gegenſtand ein politiſcher Proteſt. Nachher unterzeichneten noch
die Gebrüder Grimm, Wilhelm Weber, Ewald und der junge Gervinus.
Von allen den Sieben hatten bisher nur Dahlmann und Gervinus am
politiſchen Kampfe theilgenommen, und auch ſie ſtanden bei den Liberalen
der Rotteck-Welcker’ſchen Schule im Rufe übertriebener Mäßigung.
Der alte Welfe gerieth in furchtbare Wuth, als er von dieſer That
erfuhr, die doch nicht einmal offene Widerſetzlichkeit war; ihm fehlte jedes
menſchliche Verſtändniß für den Edelſinn der Gegner. Er ſelbſt hatte
fünf Monate lang geſchwankt und erſt zwei andere Pläne verworfen, be-
vor er die Verfaſſung umſtieß; aber ſobald ſeine Entſcheidung gefallen
war, meinte er Alles erledigt und forderte ſchweigenden Gehorſam. So
faßte er ſeine königliche Machtvollkommenheit auf. Alsbald verfügte er
(28. Nov.) eigenhändig in ſeinen rohen Schriftzügen: er habe vernommen,
wie „ſich die Profeſſoren nach erfolgter Aufhebung des Staatsgrundgeſetzes
daſſelbe gewiſſermaßen noch als giltig zu betrachten und aufrecht zu er-
halten herausnehmen“, und erſehe daraus, daß ſie „augenfällig eine revo-
lutionäre, hochverrätheriſche Tendenz verfolgen, welche ſie perſönlich ver-
antwortlich macht: ſie ſcheinen daher der Macht des peinlichen Richters
verfallen“; demnach ſollten die Behörden „dieſem verbrecheriſchen Beginnen“
ſteuern und die Schuldigen zur Strafe ziehen. **) Schele ſtimmte freudig
*) So erzählte Albrecht ſehr beſtimmt, nachdem er die etwas abweichende Dar-
ſtellung von Springer (Dahlmann I. 430) geleſen hatte.
**) K. Ernſt Auguſt an Schele. 28. Nov. 1837, ſ. Beilage 24.
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