Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 4: Bis zum Tode König Friedrich Wilhelms III. Leipzig, 1889.

Bild:
<< vorherige Seite

Ernst August und seine Gemahlin.
die Husarenuniform saß ihm wie angegossen, aber in den scharfgeschnit-
tenen soldatischen Gesichtszügen lag ein so widerwärtiger Ausdruck von
Hohn und Härte, daß Viele den unleugbar schönen Mann für abschreckend
häßlich erklärten. Wie oft warnte der Dichter der Whigs, Thomas Moore
die englischen Mädchen vor der bärbeißigen Larve (grim phiz) des öden
galoppirenden Herzogs:

Der edle Prinz, es trifft sich gut,
Gleicht gar so sehr in Fleisch und Blut
Dem Chef des Hauses Belzebub!

Während der letzten Jahre pflegte er bald in Berlin bald in London
Hof zu halten. In Preußen galt er wenig; man erzählte nur beiläufig,
daß er in den reaktionären Kreisen der mecklenburgischen Partei sehr laut
zu reden liebte. In England wurde seine Stellung immer peinlicher seit
die Whigs wieder obenauf kamen. Er haßte den König, der ihn zwang
die Reformbill ohne Widerstand hinzunehmen und ihm bei der Besetzung
der hannöverschen Vicekönigs-Stelle den jüngeren Bruder Cambridge vor-
zog; er haßte noch bitterer seine junge Nichte, die ihm den Weg zum längst
erhofften Throne vertrat; und trotz seiner cynischen Menschenverachtung
wurmte es ihn tief, daß die Londoner Gesellschaft ihm schlechthin Alles
zutraute, gräuliche, längst widerlegte Skandalgeschichten aus seiner Jugend-
zeit immer wieder auftauchten. Die ihn näher kannten wußten wohl, daß
Ernst August auch ungewöhnliche Herrschergaben besaß. Wenn es ihm ernst
war, dann arbeitete er mit eisernem Fleiße, wachsam, sicher, sorgfältig;
sein scharfer natürlicher Geschäftsverstand ersetzte vollauf die mangelnde
Bildung, und wo der Vortheil seines Hauses nicht ins Spiel kam zeigte
er sich sogar gerecht. Selbst sein Gemüth war doch nicht ganz verödet,
wie hätte er sonst seine Gemahlin Friderike so zärtlich lieben können. Die
schöne Schwester der Königin Luise hatte schon zwei Gatten beglückt, den
Prinzen Ludwig von Preußen, nachher den Fürsten von Solms-Braun-
fels, und im Wittwenstande auch noch manche süße Stunde verlebt. In
ihrem leichten, lachenden, liebreichen Wesen lag ein bestrickender Zauber,
dem selbst der sittenstrenge König Friedrich Wilhelm nicht widerstand; wenn
man in früheren Jahren seine muntere Schwägerin bei ihm verklagte,
dann sagte er ärgerlich: Ach was! Andere auch nichts taugen! In den
napoleonischen Zeiten hatte sie sich stets als gute Preußin gezeigt und
mit den Führern der Patrioten fest zusammengehalten. Jetzt war sie längst
gesetzter geworden, streng kirchlich, wohlthätig, eine treue Gattin. Ihre
dritte Ehe wurde durch die Weihe eines großen Schmerzes geadelt. Der
einzige Sohn Prinz Georg konnte von der Wiege an mit dem einen Auge
nicht sehen und verletzte sich dann, als er einen Geldbeutel im Kreise
wirbeln ließ, das gesunde Auge so schwer, daß er rettungslos dem Erb-
leiden der Welfen, der Blindheit zu verfallen schien. Dies Unglück be-
stärkte den Vater in seiner religiösen Empfindung. Der alte Eisenkopf

Ernſt Auguſt und ſeine Gemahlin.
die Huſarenuniform ſaß ihm wie angegoſſen, aber in den ſcharfgeſchnit-
tenen ſoldatiſchen Geſichtszügen lag ein ſo widerwärtiger Ausdruck von
Hohn und Härte, daß Viele den unleugbar ſchönen Mann für abſchreckend
häßlich erklärten. Wie oft warnte der Dichter der Whigs, Thomas Moore
die engliſchen Mädchen vor der bärbeißigen Larve (grim phiz) des öden
galoppirenden Herzogs:

Der edle Prinz, es trifft ſich gut,
Gleicht gar ſo ſehr in Fleiſch und Blut
Dem Chef des Hauſes Belzebub!

Während der letzten Jahre pflegte er bald in Berlin bald in London
Hof zu halten. In Preußen galt er wenig; man erzählte nur beiläufig,
daß er in den reaktionären Kreiſen der mecklenburgiſchen Partei ſehr laut
zu reden liebte. In England wurde ſeine Stellung immer peinlicher ſeit
die Whigs wieder obenauf kamen. Er haßte den König, der ihn zwang
die Reformbill ohne Widerſtand hinzunehmen und ihm bei der Beſetzung
der hannöverſchen Vicekönigs-Stelle den jüngeren Bruder Cambridge vor-
zog; er haßte noch bitterer ſeine junge Nichte, die ihm den Weg zum längſt
erhofften Throne vertrat; und trotz ſeiner cyniſchen Menſchenverachtung
wurmte es ihn tief, daß die Londoner Geſellſchaft ihm ſchlechthin Alles
zutraute, gräuliche, längſt widerlegte Skandalgeſchichten aus ſeiner Jugend-
zeit immer wieder auftauchten. Die ihn näher kannten wußten wohl, daß
Ernſt Auguſt auch ungewöhnliche Herrſchergaben beſaß. Wenn es ihm ernſt
war, dann arbeitete er mit eiſernem Fleiße, wachſam, ſicher, ſorgfältig;
ſein ſcharfer natürlicher Geſchäftsverſtand erſetzte vollauf die mangelnde
Bildung, und wo der Vortheil ſeines Hauſes nicht ins Spiel kam zeigte
er ſich ſogar gerecht. Selbſt ſein Gemüth war doch nicht ganz verödet,
wie hätte er ſonſt ſeine Gemahlin Friderike ſo zärtlich lieben können. Die
ſchöne Schweſter der Königin Luiſe hatte ſchon zwei Gatten beglückt, den
Prinzen Ludwig von Preußen, nachher den Fürſten von Solms-Braun-
fels, und im Wittwenſtande auch noch manche ſüße Stunde verlebt. In
ihrem leichten, lachenden, liebreichen Weſen lag ein beſtrickender Zauber,
dem ſelbſt der ſittenſtrenge König Friedrich Wilhelm nicht widerſtand; wenn
man in früheren Jahren ſeine muntere Schwägerin bei ihm verklagte,
dann ſagte er ärgerlich: Ach was! Andere auch nichts taugen! In den
napoleoniſchen Zeiten hatte ſie ſich ſtets als gute Preußin gezeigt und
mit den Führern der Patrioten feſt zuſammengehalten. Jetzt war ſie längſt
geſetzter geworden, ſtreng kirchlich, wohlthätig, eine treue Gattin. Ihre
dritte Ehe wurde durch die Weihe eines großen Schmerzes geadelt. Der
einzige Sohn Prinz Georg konnte von der Wiege an mit dem einen Auge
nicht ſehen und verletzte ſich dann, als er einen Geldbeutel im Kreiſe
wirbeln ließ, das geſunde Auge ſo ſchwer, daß er rettungslos dem Erb-
leiden der Welfen, der Blindheit zu verfallen ſchien. Dies Unglück be-
ſtärkte den Vater in ſeiner religiöſen Empfindung. Der alte Eiſenkopf

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0661" n="647"/><fw place="top" type="header">Ern&#x017F;t Augu&#x017F;t und &#x017F;eine Gemahlin.</fw><lb/>
die Hu&#x017F;arenuniform &#x017F;aß ihm wie angego&#x017F;&#x017F;en, aber in den &#x017F;charfge&#x017F;chnit-<lb/>
tenen &#x017F;oldati&#x017F;chen Ge&#x017F;ichtszügen lag ein &#x017F;o widerwärtiger Ausdruck von<lb/>
Hohn und Härte, daß Viele den unleugbar &#x017F;chönen Mann für ab&#x017F;chreckend<lb/>
häßlich erklärten. Wie oft warnte der Dichter der Whigs, Thomas Moore<lb/>
die engli&#x017F;chen Mädchen vor der bärbeißigen Larve <hi rendition="#aq">(grim phiz)</hi> des öden<lb/>
galoppirenden Herzogs:</p><lb/>
          <lg type="poem">
            <l>Der edle Prinz, es trifft &#x017F;ich gut,</l><lb/>
            <l>Gleicht gar &#x017F;o &#x017F;ehr in Flei&#x017F;ch und Blut</l><lb/>
            <l>Dem Chef des Hau&#x017F;es Belzebub!</l>
          </lg><lb/>
          <p>Während der letzten Jahre pflegte er bald in Berlin bald in London<lb/>
Hof zu halten. In Preußen galt er wenig; man erzählte nur beiläufig,<lb/>
daß er in den reaktionären Krei&#x017F;en der mecklenburgi&#x017F;chen Partei &#x017F;ehr laut<lb/>
zu reden liebte. In England wurde &#x017F;eine Stellung immer peinlicher &#x017F;eit<lb/>
die Whigs wieder obenauf kamen. Er haßte den König, der ihn zwang<lb/>
die Reformbill ohne Wider&#x017F;tand hinzunehmen und ihm bei der Be&#x017F;etzung<lb/>
der hannöver&#x017F;chen Vicekönigs-Stelle den jüngeren Bruder Cambridge vor-<lb/>
zog; er haßte noch bitterer &#x017F;eine junge Nichte, die ihm den Weg zum läng&#x017F;t<lb/>
erhofften Throne vertrat; und trotz &#x017F;einer cyni&#x017F;chen Men&#x017F;chenverachtung<lb/>
wurmte es ihn tief, daß die Londoner Ge&#x017F;ell&#x017F;chaft ihm &#x017F;chlechthin Alles<lb/>
zutraute, gräuliche, läng&#x017F;t widerlegte Skandalge&#x017F;chichten aus &#x017F;einer Jugend-<lb/>
zeit immer wieder auftauchten. Die ihn näher kannten wußten wohl, daß<lb/>
Ern&#x017F;t Augu&#x017F;t auch ungewöhnliche Herr&#x017F;chergaben be&#x017F;aß. Wenn es ihm ern&#x017F;t<lb/>
war, dann arbeitete er mit ei&#x017F;ernem Fleiße, wach&#x017F;am, &#x017F;icher, &#x017F;orgfältig;<lb/>
&#x017F;ein &#x017F;charfer natürlicher Ge&#x017F;chäftsver&#x017F;tand er&#x017F;etzte vollauf die mangelnde<lb/>
Bildung, und wo der Vortheil &#x017F;eines Hau&#x017F;es nicht ins Spiel kam zeigte<lb/>
er &#x017F;ich &#x017F;ogar gerecht. Selb&#x017F;t &#x017F;ein Gemüth war doch nicht ganz verödet,<lb/>
wie hätte er &#x017F;on&#x017F;t &#x017F;eine Gemahlin Friderike &#x017F;o zärtlich lieben können. Die<lb/>
&#x017F;chöne Schwe&#x017F;ter der Königin Lui&#x017F;e hatte &#x017F;chon zwei Gatten beglückt, den<lb/>
Prinzen Ludwig von Preußen, nachher den Für&#x017F;ten von Solms-Braun-<lb/>
fels, und im Wittwen&#x017F;tande auch noch manche &#x017F;üße Stunde verlebt. In<lb/>
ihrem leichten, lachenden, liebreichen We&#x017F;en lag ein be&#x017F;trickender Zauber,<lb/>
dem &#x017F;elb&#x017F;t der &#x017F;itten&#x017F;trenge König Friedrich Wilhelm nicht wider&#x017F;tand; wenn<lb/>
man in früheren Jahren &#x017F;eine muntere Schwägerin bei ihm verklagte,<lb/>
dann &#x017F;agte er ärgerlich: Ach was! Andere auch nichts taugen! In den<lb/>
napoleoni&#x017F;chen Zeiten hatte &#x017F;ie &#x017F;ich &#x017F;tets als gute Preußin gezeigt und<lb/>
mit den Führern der Patrioten fe&#x017F;t zu&#x017F;ammengehalten. Jetzt war &#x017F;ie läng&#x017F;t<lb/>
ge&#x017F;etzter geworden, &#x017F;treng kirchlich, wohlthätig, eine treue Gattin. Ihre<lb/>
dritte Ehe wurde durch die Weihe eines großen Schmerzes geadelt. Der<lb/>
einzige Sohn Prinz Georg konnte von der Wiege an mit dem einen Auge<lb/>
nicht &#x017F;ehen und verletzte &#x017F;ich dann, als er einen Geldbeutel im Krei&#x017F;e<lb/>
wirbeln ließ, das ge&#x017F;unde Auge &#x017F;o &#x017F;chwer, daß er rettungslos dem Erb-<lb/>
leiden der Welfen, der Blindheit zu verfallen &#x017F;chien. Dies Unglück be-<lb/>
&#x017F;tärkte den Vater in &#x017F;einer religiö&#x017F;en Empfindung. Der alte Ei&#x017F;enkopf<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[647/0661] Ernſt Auguſt und ſeine Gemahlin. die Huſarenuniform ſaß ihm wie angegoſſen, aber in den ſcharfgeſchnit- tenen ſoldatiſchen Geſichtszügen lag ein ſo widerwärtiger Ausdruck von Hohn und Härte, daß Viele den unleugbar ſchönen Mann für abſchreckend häßlich erklärten. Wie oft warnte der Dichter der Whigs, Thomas Moore die engliſchen Mädchen vor der bärbeißigen Larve (grim phiz) des öden galoppirenden Herzogs: Der edle Prinz, es trifft ſich gut, Gleicht gar ſo ſehr in Fleiſch und Blut Dem Chef des Hauſes Belzebub! Während der letzten Jahre pflegte er bald in Berlin bald in London Hof zu halten. In Preußen galt er wenig; man erzählte nur beiläufig, daß er in den reaktionären Kreiſen der mecklenburgiſchen Partei ſehr laut zu reden liebte. In England wurde ſeine Stellung immer peinlicher ſeit die Whigs wieder obenauf kamen. Er haßte den König, der ihn zwang die Reformbill ohne Widerſtand hinzunehmen und ihm bei der Beſetzung der hannöverſchen Vicekönigs-Stelle den jüngeren Bruder Cambridge vor- zog; er haßte noch bitterer ſeine junge Nichte, die ihm den Weg zum längſt erhofften Throne vertrat; und trotz ſeiner cyniſchen Menſchenverachtung wurmte es ihn tief, daß die Londoner Geſellſchaft ihm ſchlechthin Alles zutraute, gräuliche, längſt widerlegte Skandalgeſchichten aus ſeiner Jugend- zeit immer wieder auftauchten. Die ihn näher kannten wußten wohl, daß Ernſt Auguſt auch ungewöhnliche Herrſchergaben beſaß. Wenn es ihm ernſt war, dann arbeitete er mit eiſernem Fleiße, wachſam, ſicher, ſorgfältig; ſein ſcharfer natürlicher Geſchäftsverſtand erſetzte vollauf die mangelnde Bildung, und wo der Vortheil ſeines Hauſes nicht ins Spiel kam zeigte er ſich ſogar gerecht. Selbſt ſein Gemüth war doch nicht ganz verödet, wie hätte er ſonſt ſeine Gemahlin Friderike ſo zärtlich lieben können. Die ſchöne Schweſter der Königin Luiſe hatte ſchon zwei Gatten beglückt, den Prinzen Ludwig von Preußen, nachher den Fürſten von Solms-Braun- fels, und im Wittwenſtande auch noch manche ſüße Stunde verlebt. In ihrem leichten, lachenden, liebreichen Weſen lag ein beſtrickender Zauber, dem ſelbſt der ſittenſtrenge König Friedrich Wilhelm nicht widerſtand; wenn man in früheren Jahren ſeine muntere Schwägerin bei ihm verklagte, dann ſagte er ärgerlich: Ach was! Andere auch nichts taugen! In den napoleoniſchen Zeiten hatte ſie ſich ſtets als gute Preußin gezeigt und mit den Führern der Patrioten feſt zuſammengehalten. Jetzt war ſie längſt geſetzter geworden, ſtreng kirchlich, wohlthätig, eine treue Gattin. Ihre dritte Ehe wurde durch die Weihe eines großen Schmerzes geadelt. Der einzige Sohn Prinz Georg konnte von der Wiege an mit dem einen Auge nicht ſehen und verletzte ſich dann, als er einen Geldbeutel im Kreiſe wirbeln ließ, das geſunde Auge ſo ſchwer, daß er rettungslos dem Erb- leiden der Welfen, der Blindheit zu verfallen ſchien. Dies Unglück be- ſtärkte den Vater in ſeiner religiöſen Empfindung. Der alte Eiſenkopf

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte04_1889
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte04_1889/661
Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 4: Bis zum Tode König Friedrich Wilhelms III. Leipzig, 1889, S. 647. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte04_1889/661>, abgerufen am 27.04.2024.