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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 4: Bis zum Tode König Friedrich Wilhelms III. Leipzig, 1889.

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IV. 9. Der welfische Staatsstreich.
liebte den Gottesdienst, nicht blos aus englischer Gewohnheit; nur mußte
die Predigt kurz sein, kräftig, ohne Prunk und Salbung. Er fühlte in
seiner Weise sehr lebhaft seine Verantwortlichkeit vor Gott, er betete still
bevor er einen schweren politischen Entschluß faßte und erlangte dann
stets die tröstliche Gewißheit, daß die Wege Gottes mit den Rathschlüssen
des Welfenhauses genau zusammenträfen.

So war der seltsame Sterbliche, der jetzt einen friedlichen, ihm fast
ganz unbekannten deutschen Kleinstaat regieren sollte, ein geborener Tyrann,
gewohnt, sich selber Alles, Anderen nichts zu erlauben. Suscipere et
finire
hieß sein Wahlspruch. Den Deutschen war er schon darum ein
furchtbarer Gegner, weil sie diesen sonderbar gemischten, durchaus eng-
lischen Charakter nicht sogleich durchschauten. In Deutschland ist die
Grobheit fast immer ehrlich. Dem polternden alten Husaren traute Nie-
mand eine Falschheit zu; darum konnte er auch die hannöverschen Minister
so leicht überlisten, als er einst die Annahme des Staatsgrundgesetzes zu-
sagte und dann wieder hinausschob.*) Erst nachdem das Lügenspiel voll-
endet war, erkannte unser Volk, wie viel durchtriebene Arglist sich hinter den
rohen Formen des Briten versteckte, und der preußische Gesandte Oberst
Canitz merkte dann auch bald, daß der Welfe selbst seine Wuthausbrüche
zuweilen erkünstelte um Andere einzuschüchtern.

Gleich nach dem Tode seines Bruders huldigte Ernst August knieend
der neuen Königin; sonst hätte er seine Prinzenrechte und die Apanage
von 21,000 L verloren. Dann reiste er ab, und die große Mehrzahl
der englischen Zeitungen geleitete ihn mit dem Segenswunsche: hoffentlich
würde man einander niemals wiedersehen. Er war jetzt englischer Thron-
folger und so lange Victoria kinderlos blieb, hielt er eigensinnig die Hoff-
nung fest, ihr plötzlicher Tod könnte ihm doch noch die englische Königs-
würde verschaffen**); hatte doch das Parlament für diesen Fall schon durch
ein Gesetz Vorsorge getroffen. Die kleinere Krone aber, die ihm vorläufig
genügen mußte, sollte ganz selbständig dastehen: unabhängig nach außen
-- darum nannte er sich fortan mit Stolz einen souveränen deutschen
Fürsten, obgleich er den englischen Sitten treu blieb und immer nur ein
gebrochenes Deutsch sprach -- unabhängig auch im Innern. Bei seinen
gelegentlichen Besuchen in Hannover hatte er das bequeme alte Beamten-
regiment, "das Reich der Sekretäre" oft mit ätzendem Spotte übergossen.
Er wußte, daß diesem Lande vornehmlich eine starke monarchische Gewalt
noth that, und er dachte sie ihm zu bringen; er dachte ihm eine andere
Verfassung zu geben und dann nach dieser treulich zu regieren. Dies
nannte er Ordnung, und betheuerte: "Regierungswillkür war mir immer
verhaßt!"

*) S. o. IV. 165 ff.
**) Frankenberg's Bericht, 1. März 1838.

IV. 9. Der welfiſche Staatsſtreich.
liebte den Gottesdienſt, nicht blos aus engliſcher Gewohnheit; nur mußte
die Predigt kurz ſein, kräftig, ohne Prunk und Salbung. Er fühlte in
ſeiner Weiſe ſehr lebhaft ſeine Verantwortlichkeit vor Gott, er betete ſtill
bevor er einen ſchweren politiſchen Entſchluß faßte und erlangte dann
ſtets die tröſtliche Gewißheit, daß die Wege Gottes mit den Rathſchlüſſen
des Welfenhauſes genau zuſammenträfen.

So war der ſeltſame Sterbliche, der jetzt einen friedlichen, ihm faſt
ganz unbekannten deutſchen Kleinſtaat regieren ſollte, ein geborener Tyrann,
gewohnt, ſich ſelber Alles, Anderen nichts zu erlauben. Suscipere et
finire
hieß ſein Wahlſpruch. Den Deutſchen war er ſchon darum ein
furchtbarer Gegner, weil ſie dieſen ſonderbar gemiſchten, durchaus eng-
liſchen Charakter nicht ſogleich durchſchauten. In Deutſchland iſt die
Grobheit faſt immer ehrlich. Dem polternden alten Huſaren traute Nie-
mand eine Falſchheit zu; darum konnte er auch die hannöverſchen Miniſter
ſo leicht überliſten, als er einſt die Annahme des Staatsgrundgeſetzes zu-
ſagte und dann wieder hinausſchob.*) Erſt nachdem das Lügenſpiel voll-
endet war, erkannte unſer Volk, wie viel durchtriebene Argliſt ſich hinter den
rohen Formen des Briten verſteckte, und der preußiſche Geſandte Oberſt
Canitz merkte dann auch bald, daß der Welfe ſelbſt ſeine Wuthausbrüche
zuweilen erkünſtelte um Andere einzuſchüchtern.

Gleich nach dem Tode ſeines Bruders huldigte Ernſt Auguſt knieend
der neuen Königin; ſonſt hätte er ſeine Prinzenrechte und die Apanage
von 21,000 ₤ verloren. Dann reiſte er ab, und die große Mehrzahl
der engliſchen Zeitungen geleitete ihn mit dem Segenswunſche: hoffentlich
würde man einander niemals wiederſehen. Er war jetzt engliſcher Thron-
folger und ſo lange Victoria kinderlos blieb, hielt er eigenſinnig die Hoff-
nung feſt, ihr plötzlicher Tod könnte ihm doch noch die engliſche Königs-
würde verſchaffen**); hatte doch das Parlament für dieſen Fall ſchon durch
ein Geſetz Vorſorge getroffen. Die kleinere Krone aber, die ihm vorläufig
genügen mußte, ſollte ganz ſelbſtändig daſtehen: unabhängig nach außen
— darum nannte er ſich fortan mit Stolz einen ſouveränen deutſchen
Fürſten, obgleich er den engliſchen Sitten treu blieb und immer nur ein
gebrochenes Deutſch ſprach — unabhängig auch im Innern. Bei ſeinen
gelegentlichen Beſuchen in Hannover hatte er das bequeme alte Beamten-
regiment, „das Reich der Sekretäre“ oft mit ätzendem Spotte übergoſſen.
Er wußte, daß dieſem Lande vornehmlich eine ſtarke monarchiſche Gewalt
noth that, und er dachte ſie ihm zu bringen; er dachte ihm eine andere
Verfaſſung zu geben und dann nach dieſer treulich zu regieren. Dies
nannte er Ordnung, und betheuerte: „Regierungswillkür war mir immer
verhaßt!“

*) S. o. IV. 165 ff.
**) Frankenberg’s Bericht, 1. März 1838.
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[648/0662] IV. 9. Der welfiſche Staatsſtreich. liebte den Gottesdienſt, nicht blos aus engliſcher Gewohnheit; nur mußte die Predigt kurz ſein, kräftig, ohne Prunk und Salbung. Er fühlte in ſeiner Weiſe ſehr lebhaft ſeine Verantwortlichkeit vor Gott, er betete ſtill bevor er einen ſchweren politiſchen Entſchluß faßte und erlangte dann ſtets die tröſtliche Gewißheit, daß die Wege Gottes mit den Rathſchlüſſen des Welfenhauſes genau zuſammenträfen. So war der ſeltſame Sterbliche, der jetzt einen friedlichen, ihm faſt ganz unbekannten deutſchen Kleinſtaat regieren ſollte, ein geborener Tyrann, gewohnt, ſich ſelber Alles, Anderen nichts zu erlauben. Suscipere et finire hieß ſein Wahlſpruch. Den Deutſchen war er ſchon darum ein furchtbarer Gegner, weil ſie dieſen ſonderbar gemiſchten, durchaus eng- liſchen Charakter nicht ſogleich durchſchauten. In Deutſchland iſt die Grobheit faſt immer ehrlich. Dem polternden alten Huſaren traute Nie- mand eine Falſchheit zu; darum konnte er auch die hannöverſchen Miniſter ſo leicht überliſten, als er einſt die Annahme des Staatsgrundgeſetzes zu- ſagte und dann wieder hinausſchob. *) Erſt nachdem das Lügenſpiel voll- endet war, erkannte unſer Volk, wie viel durchtriebene Argliſt ſich hinter den rohen Formen des Briten verſteckte, und der preußiſche Geſandte Oberſt Canitz merkte dann auch bald, daß der Welfe ſelbſt ſeine Wuthausbrüche zuweilen erkünſtelte um Andere einzuſchüchtern. Gleich nach dem Tode ſeines Bruders huldigte Ernſt Auguſt knieend der neuen Königin; ſonſt hätte er ſeine Prinzenrechte und die Apanage von 21,000 ₤ verloren. Dann reiſte er ab, und die große Mehrzahl der engliſchen Zeitungen geleitete ihn mit dem Segenswunſche: hoffentlich würde man einander niemals wiederſehen. Er war jetzt engliſcher Thron- folger und ſo lange Victoria kinderlos blieb, hielt er eigenſinnig die Hoff- nung feſt, ihr plötzlicher Tod könnte ihm doch noch die engliſche Königs- würde verſchaffen **); hatte doch das Parlament für dieſen Fall ſchon durch ein Geſetz Vorſorge getroffen. Die kleinere Krone aber, die ihm vorläufig genügen mußte, ſollte ganz ſelbſtändig daſtehen: unabhängig nach außen — darum nannte er ſich fortan mit Stolz einen ſouveränen deutſchen Fürſten, obgleich er den engliſchen Sitten treu blieb und immer nur ein gebrochenes Deutſch ſprach — unabhängig auch im Innern. Bei ſeinen gelegentlichen Beſuchen in Hannover hatte er das bequeme alte Beamten- regiment, „das Reich der Sekretäre“ oft mit ätzendem Spotte übergoſſen. Er wußte, daß dieſem Lande vornehmlich eine ſtarke monarchiſche Gewalt noth that, und er dachte ſie ihm zu bringen; er dachte ihm eine andere Verfaſſung zu geben und dann nach dieſer treulich zu regieren. Dies nannte er Ordnung, und betheuerte: „Regierungswillkür war mir immer verhaßt!“ *) S. o. IV. 165 ff. **) Frankenberg’s Bericht, 1. März 1838.

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Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 4: Bis zum Tode König Friedrich Wilhelms III. Leipzig, 1889, S. 648. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte04_1889/662>, abgerufen am 28.04.2024.