Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 4: Bis zum Tode König Friedrich Wilhelms III. Leipzig, 1889.

Bild:
<< vorherige Seite

IV. 9. Der welfische Staatsstreich.
rungen der Zeit doch nicht ganz versagte. Die für so lange Jahre folgen-
reiche Wiedererhebung der Torys im Jahre 1807 war zum guten Theile
Cumberland's Werk und blieb ihm bei den geschlagenen Whigs unver-
gessen. In den folgenden Jahren bekämpfte er hartnäckig jeden Reform-
vorschlag, am heftigsten die Emancipation der Katholiken; denn ganz so
buchstabengläubig wie sein Vater hielt er es für einen Eidbruch, wenn
die verfassungsmäßigen Vorrechte der anglikanischen Kirche auf verfassungs-
mäßigem Wege beschränkt würden. Er wurde Großmeister des reaktionären
Geheimbundes der Orangelogen, der unter dem Banner "Thron und Kirche"
höchst verdächtige Zwecke verfolgte und schon durch seine Heimlichkeit allen
guten altenglischen Ueberlieferungen widersprach; manche Heißsporne unter
den Verschworenen hofften im Ernst, den reformfreundlichen König Wil-
helm zu beseitigen und Cumberland auf den Thron zu erheben. Als die
Wühlerei im Parlamente zur Sprache kam und der Herzog sich genöthigt
sah die Logen aufzulösen (1836), da betheuerte er heilig, vielleicht mit
Recht, von solchen Plänen nichts gehört zu haben. Doch wer sollte ihm
Glauben schenken, wenn er, der Feldmarschall und Großmeister, dann auch
noch behauptete, ganz ohne sein Wissen seien Offiziere in die Logen ein-
getreten?

Die Briten kannten ihn schon. Aufrichtig war er nur, sobald er unter
Kameraden gemeine Witze riß oder seine Gegner mit schmutzigen Schimpf-
reden überfluthete. Seine geschmacklosen Ausschweifungen und seine tolle
Verschwendung hätte man ihm gern verziehen, wenn sich in dem wüsten
Treiben auch nur ein Zug menschenfreundlichen Humors gezeigt hätte.
Er aber fand seine Lust daran, den Freund gegen den Freund, den Gatten
gegen die Gattin, die Geliebte gegen den Liebhaber aufzustacheln. Das
eine kurzsichtige Auge, das ihm noch geblieben war, bemerkte jede Unord-
nung, jede Schwäche, jede Lächerlichkeit, und feige, unritterlich den Vor-
theil seiner hohen Stellung mißbrauchend, hechelte er dann mit seiner
feinen Stimme seine Opfer durch; schlagfertige Erwiderungen, wie sie der
große Friedrich und alle wahrhaft witzigen Spötter liebten, donnerte er
mit einem Fluche nieder. Jedem Menschen trat er auf die Hühneraugen,
so sagten seine eigenen Brüder. Wenn er einen gebrechlichen greisen Herrn
recht lange stehen ließ oder einen Feinschmecker durch eine plötzliche Ein-
ladung vom leckeren Mahle hinwegscheuchte oder an einer hellgekleideten
alten Dame sich den Rücken wärmte, als ob er sie für einen weißen
Ofen hielte, dann fühlte er sich behaglich; und sein getreuer Reverend
Wilkinson, den er nachher als Hofkaplan nach Hannover berief, bewun-
derte diese brutalen Witze mit so bedientenhafter Freude, daß die Deutschen
glauben mußten, nach englischer Anschauung bestehe der Lebensberuf des
Fürsten wirklich im Zertreten von Leichdörnern. Eine stattliche Erschei-
nung, wenn der starke große Herzog mit dem meisterhaft gewichsten grauen
Schnurr- und Backenbarte auf seinem edlen Rosse dahergeritten kam;

IV. 9. Der welfiſche Staatsſtreich.
rungen der Zeit doch nicht ganz verſagte. Die für ſo lange Jahre folgen-
reiche Wiedererhebung der Torys im Jahre 1807 war zum guten Theile
Cumberland’s Werk und blieb ihm bei den geſchlagenen Whigs unver-
geſſen. In den folgenden Jahren bekämpfte er hartnäckig jeden Reform-
vorſchlag, am heftigſten die Emancipation der Katholiken; denn ganz ſo
buchſtabengläubig wie ſein Vater hielt er es für einen Eidbruch, wenn
die verfaſſungsmäßigen Vorrechte der anglikaniſchen Kirche auf verfaſſungs-
mäßigem Wege beſchränkt würden. Er wurde Großmeiſter des reaktionären
Geheimbundes der Orangelogen, der unter dem Banner „Thron und Kirche“
höchſt verdächtige Zwecke verfolgte und ſchon durch ſeine Heimlichkeit allen
guten altengliſchen Ueberlieferungen widerſprach; manche Heißſporne unter
den Verſchworenen hofften im Ernſt, den reformfreundlichen König Wil-
helm zu beſeitigen und Cumberland auf den Thron zu erheben. Als die
Wühlerei im Parlamente zur Sprache kam und der Herzog ſich genöthigt
ſah die Logen aufzulöſen (1836), da betheuerte er heilig, vielleicht mit
Recht, von ſolchen Plänen nichts gehört zu haben. Doch wer ſollte ihm
Glauben ſchenken, wenn er, der Feldmarſchall und Großmeiſter, dann auch
noch behauptete, ganz ohne ſein Wiſſen ſeien Offiziere in die Logen ein-
getreten?

Die Briten kannten ihn ſchon. Aufrichtig war er nur, ſobald er unter
Kameraden gemeine Witze riß oder ſeine Gegner mit ſchmutzigen Schimpf-
reden überfluthete. Seine geſchmackloſen Ausſchweifungen und ſeine tolle
Verſchwendung hätte man ihm gern verziehen, wenn ſich in dem wüſten
Treiben auch nur ein Zug menſchenfreundlichen Humors gezeigt hätte.
Er aber fand ſeine Luſt daran, den Freund gegen den Freund, den Gatten
gegen die Gattin, die Geliebte gegen den Liebhaber aufzuſtacheln. Das
eine kurzſichtige Auge, das ihm noch geblieben war, bemerkte jede Unord-
nung, jede Schwäche, jede Lächerlichkeit, und feige, unritterlich den Vor-
theil ſeiner hohen Stellung mißbrauchend, hechelte er dann mit ſeiner
feinen Stimme ſeine Opfer durch; ſchlagfertige Erwiderungen, wie ſie der
große Friedrich und alle wahrhaft witzigen Spötter liebten, donnerte er
mit einem Fluche nieder. Jedem Menſchen trat er auf die Hühneraugen,
ſo ſagten ſeine eigenen Brüder. Wenn er einen gebrechlichen greiſen Herrn
recht lange ſtehen ließ oder einen Feinſchmecker durch eine plötzliche Ein-
ladung vom leckeren Mahle hinwegſcheuchte oder an einer hellgekleideten
alten Dame ſich den Rücken wärmte, als ob er ſie für einen weißen
Ofen hielte, dann fühlte er ſich behaglich; und ſein getreuer Reverend
Wilkinſon, den er nachher als Hofkaplan nach Hannover berief, bewun-
derte dieſe brutalen Witze mit ſo bedientenhafter Freude, daß die Deutſchen
glauben mußten, nach engliſcher Anſchauung beſtehe der Lebensberuf des
Fürſten wirklich im Zertreten von Leichdörnern. Eine ſtattliche Erſchei-
nung, wenn der ſtarke große Herzog mit dem meiſterhaft gewichſten grauen
Schnurr- und Backenbarte auf ſeinem edlen Roſſe dahergeritten kam;

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0660" n="646"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#aq">IV.</hi> 9. Der welfi&#x017F;che Staats&#x017F;treich.</fw><lb/>
rungen der Zeit doch nicht ganz ver&#x017F;agte. Die für &#x017F;o lange Jahre folgen-<lb/>
reiche Wiedererhebung der Torys im Jahre 1807 war zum guten Theile<lb/>
Cumberland&#x2019;s Werk und blieb ihm bei den ge&#x017F;chlagenen Whigs unver-<lb/>
ge&#x017F;&#x017F;en. In den folgenden Jahren bekämpfte er hartnäckig jeden Reform-<lb/>
vor&#x017F;chlag, am heftig&#x017F;ten die Emancipation der Katholiken; denn ganz &#x017F;o<lb/>
buch&#x017F;tabengläubig wie &#x017F;ein Vater hielt er es für einen Eidbruch, wenn<lb/>
die verfa&#x017F;&#x017F;ungsmäßigen Vorrechte der anglikani&#x017F;chen Kirche auf verfa&#x017F;&#x017F;ungs-<lb/>
mäßigem Wege be&#x017F;chränkt würden. Er wurde Großmei&#x017F;ter des reaktionären<lb/>
Geheimbundes der Orangelogen, der unter dem Banner &#x201E;Thron und Kirche&#x201C;<lb/>
höch&#x017F;t verdächtige Zwecke verfolgte und &#x017F;chon durch &#x017F;eine Heimlichkeit allen<lb/>
guten altengli&#x017F;chen Ueberlieferungen wider&#x017F;prach; manche Heiß&#x017F;porne unter<lb/>
den Ver&#x017F;chworenen hofften im Ern&#x017F;t, den reformfreundlichen König Wil-<lb/>
helm zu be&#x017F;eitigen und Cumberland auf den Thron zu erheben. Als die<lb/>
Wühlerei im Parlamente zur Sprache kam und der Herzog &#x017F;ich genöthigt<lb/>
&#x017F;ah die Logen aufzulö&#x017F;en (1836), da betheuerte er heilig, vielleicht mit<lb/>
Recht, von &#x017F;olchen Plänen nichts gehört zu haben. Doch wer &#x017F;ollte ihm<lb/>
Glauben &#x017F;chenken, wenn er, der Feldmar&#x017F;chall und Großmei&#x017F;ter, dann auch<lb/>
noch behauptete, ganz ohne &#x017F;ein Wi&#x017F;&#x017F;en &#x017F;eien Offiziere in die Logen ein-<lb/>
getreten?</p><lb/>
          <p>Die Briten kannten ihn &#x017F;chon. Aufrichtig war er nur, &#x017F;obald er unter<lb/>
Kameraden gemeine Witze riß oder &#x017F;eine Gegner mit &#x017F;chmutzigen Schimpf-<lb/>
reden überfluthete. Seine ge&#x017F;chmacklo&#x017F;en Aus&#x017F;chweifungen und &#x017F;eine tolle<lb/>
Ver&#x017F;chwendung hätte man ihm gern verziehen, wenn &#x017F;ich in dem wü&#x017F;ten<lb/>
Treiben auch nur ein Zug men&#x017F;chenfreundlichen Humors gezeigt hätte.<lb/>
Er aber fand &#x017F;eine Lu&#x017F;t daran, den Freund gegen den Freund, den Gatten<lb/>
gegen die Gattin, die Geliebte gegen den Liebhaber aufzu&#x017F;tacheln. Das<lb/>
eine kurz&#x017F;ichtige Auge, das ihm noch geblieben war, bemerkte jede Unord-<lb/>
nung, jede Schwäche, jede Lächerlichkeit, und feige, unritterlich den Vor-<lb/>
theil &#x017F;einer hohen Stellung mißbrauchend, hechelte er dann mit &#x017F;einer<lb/>
feinen Stimme &#x017F;eine Opfer durch; &#x017F;chlagfertige Erwiderungen, wie &#x017F;ie der<lb/>
große Friedrich und alle wahrhaft witzigen Spötter liebten, donnerte er<lb/>
mit einem Fluche nieder. Jedem Men&#x017F;chen trat er auf die Hühneraugen,<lb/>
&#x017F;o &#x017F;agten &#x017F;eine eigenen Brüder. Wenn er einen gebrechlichen grei&#x017F;en Herrn<lb/>
recht lange &#x017F;tehen ließ oder einen Fein&#x017F;chmecker durch eine plötzliche Ein-<lb/>
ladung vom leckeren Mahle hinweg&#x017F;cheuchte oder an einer hellgekleideten<lb/>
alten Dame &#x017F;ich den Rücken wärmte, als ob er &#x017F;ie für einen weißen<lb/>
Ofen hielte, dann fühlte er &#x017F;ich behaglich; und &#x017F;ein getreuer Reverend<lb/>
Wilkin&#x017F;on, den er nachher als Hofkaplan nach Hannover berief, bewun-<lb/>
derte die&#x017F;e brutalen Witze mit &#x017F;o bedientenhafter Freude, daß die Deut&#x017F;chen<lb/>
glauben mußten, nach engli&#x017F;cher An&#x017F;chauung be&#x017F;tehe der Lebensberuf des<lb/>
Für&#x017F;ten wirklich im Zertreten von Leichdörnern. Eine &#x017F;tattliche Er&#x017F;chei-<lb/>
nung, wenn der &#x017F;tarke große Herzog mit dem mei&#x017F;terhaft gewich&#x017F;ten grauen<lb/>
Schnurr- und Backenbarte auf &#x017F;einem edlen Ro&#x017F;&#x017F;e dahergeritten kam;<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[646/0660] IV. 9. Der welfiſche Staatsſtreich. rungen der Zeit doch nicht ganz verſagte. Die für ſo lange Jahre folgen- reiche Wiedererhebung der Torys im Jahre 1807 war zum guten Theile Cumberland’s Werk und blieb ihm bei den geſchlagenen Whigs unver- geſſen. In den folgenden Jahren bekämpfte er hartnäckig jeden Reform- vorſchlag, am heftigſten die Emancipation der Katholiken; denn ganz ſo buchſtabengläubig wie ſein Vater hielt er es für einen Eidbruch, wenn die verfaſſungsmäßigen Vorrechte der anglikaniſchen Kirche auf verfaſſungs- mäßigem Wege beſchränkt würden. Er wurde Großmeiſter des reaktionären Geheimbundes der Orangelogen, der unter dem Banner „Thron und Kirche“ höchſt verdächtige Zwecke verfolgte und ſchon durch ſeine Heimlichkeit allen guten altengliſchen Ueberlieferungen widerſprach; manche Heißſporne unter den Verſchworenen hofften im Ernſt, den reformfreundlichen König Wil- helm zu beſeitigen und Cumberland auf den Thron zu erheben. Als die Wühlerei im Parlamente zur Sprache kam und der Herzog ſich genöthigt ſah die Logen aufzulöſen (1836), da betheuerte er heilig, vielleicht mit Recht, von ſolchen Plänen nichts gehört zu haben. Doch wer ſollte ihm Glauben ſchenken, wenn er, der Feldmarſchall und Großmeiſter, dann auch noch behauptete, ganz ohne ſein Wiſſen ſeien Offiziere in die Logen ein- getreten? Die Briten kannten ihn ſchon. Aufrichtig war er nur, ſobald er unter Kameraden gemeine Witze riß oder ſeine Gegner mit ſchmutzigen Schimpf- reden überfluthete. Seine geſchmackloſen Ausſchweifungen und ſeine tolle Verſchwendung hätte man ihm gern verziehen, wenn ſich in dem wüſten Treiben auch nur ein Zug menſchenfreundlichen Humors gezeigt hätte. Er aber fand ſeine Luſt daran, den Freund gegen den Freund, den Gatten gegen die Gattin, die Geliebte gegen den Liebhaber aufzuſtacheln. Das eine kurzſichtige Auge, das ihm noch geblieben war, bemerkte jede Unord- nung, jede Schwäche, jede Lächerlichkeit, und feige, unritterlich den Vor- theil ſeiner hohen Stellung mißbrauchend, hechelte er dann mit ſeiner feinen Stimme ſeine Opfer durch; ſchlagfertige Erwiderungen, wie ſie der große Friedrich und alle wahrhaft witzigen Spötter liebten, donnerte er mit einem Fluche nieder. Jedem Menſchen trat er auf die Hühneraugen, ſo ſagten ſeine eigenen Brüder. Wenn er einen gebrechlichen greiſen Herrn recht lange ſtehen ließ oder einen Feinſchmecker durch eine plötzliche Ein- ladung vom leckeren Mahle hinwegſcheuchte oder an einer hellgekleideten alten Dame ſich den Rücken wärmte, als ob er ſie für einen weißen Ofen hielte, dann fühlte er ſich behaglich; und ſein getreuer Reverend Wilkinſon, den er nachher als Hofkaplan nach Hannover berief, bewun- derte dieſe brutalen Witze mit ſo bedientenhafter Freude, daß die Deutſchen glauben mußten, nach engliſcher Anſchauung beſtehe der Lebensberuf des Fürſten wirklich im Zertreten von Leichdörnern. Eine ſtattliche Erſchei- nung, wenn der ſtarke große Herzog mit dem meiſterhaft gewichſten grauen Schnurr- und Backenbarte auf ſeinem edlen Roſſe dahergeritten kam;

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte04_1889
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte04_1889/660
Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 4: Bis zum Tode König Friedrich Wilhelms III. Leipzig, 1889, S. 646. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte04_1889/660>, abgerufen am 27.04.2024.