Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 4: Bis zum Tode König Friedrich Wilhelms III. Leipzig, 1889.

Bild:
<< vorherige Seite

IV. 8. Stille Jahre.
trachten, dereinst noch die ganze, von hellenischer Cultur beherrschte Süd-
hälfte der Halbinsel an sich zu reißen. Solche Kränze winken nur dem
Helden. Durch das Schwert geschaffen, konnte der junge Staat auch nur
durch das Schwert erhalten werden; und der Stamm seiner nationalen
Wehrkraft bestand bereits in den kampfgewohnten Banden der Palikaren.
Es war ein wildes Kriegsvolk, sehr kunstfertig im Abschneiden von Ohren
und Nasen; die treuen, tapferen Männer wünschten sehnlich, ihrem Basi-
leus um geringen Sold zu dienen, und wenn man sie nicht allzu streng
mit den Reglements der europäischen Exercirplätze plagte, so ließ sich aus
ihnen leicht ein tüchtiges Heer bilden. Die Regentschaft aber fürchtete
sich vor den barbarischen Unholden, König Otto schlug ihnen ihre Bitten
ab, und so wanderten denn 5000 schwerbewaffnete Palikaren zornmuthig
über die türkische Grenze, um dort im Gebirge das alte Klephten-Hand-
werk von Neuem zu ergreifen. Dergestalt wurde das streitbare Land durch
die Aengstlichkeit seiner eigenen Regierung entwaffnet. Ein Corps von
3500 Baiern mußte vorläufig die Ordnung aufrecht halten, und die
Wackeren hatten hart zu arbeiten, bald im Kampfe gegen die Klephten,
bald im Sonnenbrande beim Bau der Piräus-Straße; der giftige Raki-
Schnaps und der schlechte geharzte Wein gaben keinen Ersatz für das edle
heimische Bier. Nach einem Jahre zogen die bairischen Truppen heim.
Nun ward aus Eingeborenen und aus geworbenen Baiern ein winziges
reguläres Heer von zweifelhafter Kriegstüchtigkeit gebildet. Da ein Klein-
staat ohne Geld und Waffen der Tapferkeit keinen Raum mehr bot, so
gelangten die beiden anderen vorherrschenden Triebe des hellenischen Volks-
geistes, der Handelssinn und der Wissensdrang zur alleinigen Herrschaft.
Das Heldenvolk der Türkenbesieger verwandelte sich wunderbar schnell in
eine Nation von Kaufleuten und Gelehrten. Griechenland konnte bei den
Todeszuckungen des türkischen Reichs kein Wort mehr mitsprechen, und
die einzige naturgemäße Lösung der orientalischen Frage, die Wiederher-
stellung des byzantinischen Kaiserthums blieb zum Unheil für die Welt
noch lange völlig aussichtslos.

Währenddem war der Eifer der Baiern längst erkaltet; in München
nannte man das Land der Hellenen die bairische Botany-Bai, denn blos
vom blauen Himmel und von schönen Landschaften vermochten Germanen
nicht zu leben. König Ludwig besuchte noch selbst das geliebte Volk und
legte unter schallenden Zito-Rufen den Grundstein für das athenische Kö-
nigsschloß. Auch König Otto kam einmal in die alte Heimath, gastlich
empfangen von der Muse der Charlotte Birch-Pfeiffer, die ihm ein Fest-
spiel "der Liebe Streit" widmete. Da war es denn sehr rührsam anzu-
hören, wie sich Bavaria und Hellas um ihren unvergleichlichen Otto stritten;
zuletzt fielen die beiden kampflustigen Frauen einander versöhnt in die
Arme. Trotzdem wollte das Feuer nicht wieder aufflammen; wer irgend
konnte von den bairischen Beamten in Hellas, kehrte schleunigst heim. Nach-

IV. 8. Stille Jahre.
trachten, dereinſt noch die ganze, von helleniſcher Cultur beherrſchte Süd-
hälfte der Halbinſel an ſich zu reißen. Solche Kränze winken nur dem
Helden. Durch das Schwert geſchaffen, konnte der junge Staat auch nur
durch das Schwert erhalten werden; und der Stamm ſeiner nationalen
Wehrkraft beſtand bereits in den kampfgewohnten Banden der Palikaren.
Es war ein wildes Kriegsvolk, ſehr kunſtfertig im Abſchneiden von Ohren
und Naſen; die treuen, tapferen Männer wünſchten ſehnlich, ihrem Baſi-
leus um geringen Sold zu dienen, und wenn man ſie nicht allzu ſtreng
mit den Reglements der europäiſchen Exercirplätze plagte, ſo ließ ſich aus
ihnen leicht ein tüchtiges Heer bilden. Die Regentſchaft aber fürchtete
ſich vor den barbariſchen Unholden, König Otto ſchlug ihnen ihre Bitten
ab, und ſo wanderten denn 5000 ſchwerbewaffnete Palikaren zornmuthig
über die türkiſche Grenze, um dort im Gebirge das alte Klephten-Hand-
werk von Neuem zu ergreifen. Dergeſtalt wurde das ſtreitbare Land durch
die Aengſtlichkeit ſeiner eigenen Regierung entwaffnet. Ein Corps von
3500 Baiern mußte vorläufig die Ordnung aufrecht halten, und die
Wackeren hatten hart zu arbeiten, bald im Kampfe gegen die Klephten,
bald im Sonnenbrande beim Bau der Piräus-Straße; der giftige Raki-
Schnaps und der ſchlechte geharzte Wein gaben keinen Erſatz für das edle
heimiſche Bier. Nach einem Jahre zogen die bairiſchen Truppen heim.
Nun ward aus Eingeborenen und aus geworbenen Baiern ein winziges
reguläres Heer von zweifelhafter Kriegstüchtigkeit gebildet. Da ein Klein-
ſtaat ohne Geld und Waffen der Tapferkeit keinen Raum mehr bot, ſo
gelangten die beiden anderen vorherrſchenden Triebe des helleniſchen Volks-
geiſtes, der Handelsſinn und der Wiſſensdrang zur alleinigen Herrſchaft.
Das Heldenvolk der Türkenbeſieger verwandelte ſich wunderbar ſchnell in
eine Nation von Kaufleuten und Gelehrten. Griechenland konnte bei den
Todeszuckungen des türkiſchen Reichs kein Wort mehr mitſprechen, und
die einzige naturgemäße Löſung der orientaliſchen Frage, die Wiederher-
ſtellung des byzantiniſchen Kaiſerthums blieb zum Unheil für die Welt
noch lange völlig ausſichtslos.

Währenddem war der Eifer der Baiern längſt erkaltet; in München
nannte man das Land der Hellenen die bairiſche Botany-Bai, denn blos
vom blauen Himmel und von ſchönen Landſchaften vermochten Germanen
nicht zu leben. König Ludwig beſuchte noch ſelbſt das geliebte Volk und
legte unter ſchallenden Zito-Rufen den Grundſtein für das atheniſche Kö-
nigsſchloß. Auch König Otto kam einmal in die alte Heimath, gaſtlich
empfangen von der Muſe der Charlotte Birch-Pfeiffer, die ihm ein Feſt-
ſpiel „der Liebe Streit“ widmete. Da war es denn ſehr rührſam anzu-
hören, wie ſich Bavaria und Hellas um ihren unvergleichlichen Otto ſtritten;
zuletzt fielen die beiden kampfluſtigen Frauen einander verſöhnt in die
Arme. Trotzdem wollte das Feuer nicht wieder aufflammen; wer irgend
konnte von den bairiſchen Beamten in Hellas, kehrte ſchleunigſt heim. Nach-

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0654" n="640"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#aq">IV.</hi> 8. Stille Jahre.</fw><lb/>
trachten, derein&#x017F;t noch die ganze, von helleni&#x017F;cher Cultur beherr&#x017F;chte Süd-<lb/>
hälfte der Halbin&#x017F;el an &#x017F;ich zu reißen. Solche Kränze winken nur dem<lb/>
Helden. Durch das Schwert ge&#x017F;chaffen, konnte der junge Staat auch nur<lb/>
durch das Schwert erhalten werden; und der Stamm &#x017F;einer nationalen<lb/>
Wehrkraft be&#x017F;tand bereits in den kampfgewohnten Banden der Palikaren.<lb/>
Es war ein wildes Kriegsvolk, &#x017F;ehr kun&#x017F;tfertig im Ab&#x017F;chneiden von Ohren<lb/>
und Na&#x017F;en; die treuen, tapferen Männer wün&#x017F;chten &#x017F;ehnlich, ihrem Ba&#x017F;i-<lb/>
leus um geringen Sold zu dienen, und wenn man &#x017F;ie nicht allzu &#x017F;treng<lb/>
mit den Reglements der europäi&#x017F;chen Exercirplätze plagte, &#x017F;o ließ &#x017F;ich aus<lb/>
ihnen leicht ein tüchtiges Heer bilden. Die Regent&#x017F;chaft aber fürchtete<lb/>
&#x017F;ich vor den barbari&#x017F;chen Unholden, König Otto &#x017F;chlug ihnen ihre Bitten<lb/>
ab, und &#x017F;o wanderten denn 5000 &#x017F;chwerbewaffnete Palikaren zornmuthig<lb/>
über die türki&#x017F;che Grenze, um dort im Gebirge das alte Klephten-Hand-<lb/>
werk von Neuem zu ergreifen. Derge&#x017F;talt wurde das &#x017F;treitbare Land durch<lb/>
die Aeng&#x017F;tlichkeit &#x017F;einer eigenen Regierung entwaffnet. Ein Corps von<lb/>
3500 Baiern mußte vorläufig die Ordnung aufrecht halten, und die<lb/>
Wackeren hatten hart zu arbeiten, bald im Kampfe gegen die Klephten,<lb/>
bald im Sonnenbrande beim Bau der Piräus-Straße; der giftige Raki-<lb/>
Schnaps und der &#x017F;chlechte geharzte Wein gaben keinen Er&#x017F;atz für das edle<lb/>
heimi&#x017F;che Bier. Nach einem Jahre zogen die bairi&#x017F;chen Truppen heim.<lb/>
Nun ward aus Eingeborenen und aus geworbenen Baiern ein winziges<lb/>
reguläres Heer von zweifelhafter Kriegstüchtigkeit gebildet. Da ein Klein-<lb/>
&#x017F;taat ohne Geld und Waffen der Tapferkeit keinen Raum mehr bot, &#x017F;o<lb/>
gelangten die beiden anderen vorherr&#x017F;chenden Triebe des helleni&#x017F;chen Volks-<lb/>
gei&#x017F;tes, der Handels&#x017F;inn und der Wi&#x017F;&#x017F;ensdrang zur alleinigen Herr&#x017F;chaft.<lb/>
Das Heldenvolk der Türkenbe&#x017F;ieger verwandelte &#x017F;ich wunderbar &#x017F;chnell in<lb/>
eine Nation von Kaufleuten und Gelehrten. Griechenland konnte bei den<lb/>
Todeszuckungen des türki&#x017F;chen Reichs kein Wort mehr mit&#x017F;prechen, und<lb/>
die einzige naturgemäße Lö&#x017F;ung der orientali&#x017F;chen Frage, die Wiederher-<lb/>
&#x017F;tellung des byzantini&#x017F;chen Kai&#x017F;erthums blieb zum Unheil für die Welt<lb/>
noch lange völlig aus&#x017F;ichtslos.</p><lb/>
          <p>Währenddem war der Eifer der Baiern läng&#x017F;t erkaltet; in München<lb/>
nannte man das Land der Hellenen die bairi&#x017F;che Botany-Bai, denn blos<lb/>
vom blauen Himmel und von &#x017F;chönen Land&#x017F;chaften vermochten Germanen<lb/>
nicht zu leben. König Ludwig be&#x017F;uchte noch &#x017F;elb&#x017F;t das geliebte Volk und<lb/>
legte unter &#x017F;challenden Zito-Rufen den Grund&#x017F;tein für das atheni&#x017F;che Kö-<lb/>
nigs&#x017F;chloß. Auch König Otto kam einmal in die alte Heimath, ga&#x017F;tlich<lb/>
empfangen von der Mu&#x017F;e der Charlotte Birch-Pfeiffer, die ihm ein Fe&#x017F;t-<lb/>
&#x017F;piel &#x201E;der Liebe Streit&#x201C; widmete. Da war es denn &#x017F;ehr rühr&#x017F;am anzu-<lb/>
hören, wie &#x017F;ich Bavaria und Hellas um ihren unvergleichlichen Otto &#x017F;tritten;<lb/>
zuletzt fielen die beiden kampflu&#x017F;tigen Frauen einander ver&#x017F;öhnt in die<lb/>
Arme. Trotzdem wollte das Feuer nicht wieder aufflammen; wer irgend<lb/>
konnte von den bairi&#x017F;chen Beamten in Hellas, kehrte &#x017F;chleunig&#x017F;t heim. Nach-<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[640/0654] IV. 8. Stille Jahre. trachten, dereinſt noch die ganze, von helleniſcher Cultur beherrſchte Süd- hälfte der Halbinſel an ſich zu reißen. Solche Kränze winken nur dem Helden. Durch das Schwert geſchaffen, konnte der junge Staat auch nur durch das Schwert erhalten werden; und der Stamm ſeiner nationalen Wehrkraft beſtand bereits in den kampfgewohnten Banden der Palikaren. Es war ein wildes Kriegsvolk, ſehr kunſtfertig im Abſchneiden von Ohren und Naſen; die treuen, tapferen Männer wünſchten ſehnlich, ihrem Baſi- leus um geringen Sold zu dienen, und wenn man ſie nicht allzu ſtreng mit den Reglements der europäiſchen Exercirplätze plagte, ſo ließ ſich aus ihnen leicht ein tüchtiges Heer bilden. Die Regentſchaft aber fürchtete ſich vor den barbariſchen Unholden, König Otto ſchlug ihnen ihre Bitten ab, und ſo wanderten denn 5000 ſchwerbewaffnete Palikaren zornmuthig über die türkiſche Grenze, um dort im Gebirge das alte Klephten-Hand- werk von Neuem zu ergreifen. Dergeſtalt wurde das ſtreitbare Land durch die Aengſtlichkeit ſeiner eigenen Regierung entwaffnet. Ein Corps von 3500 Baiern mußte vorläufig die Ordnung aufrecht halten, und die Wackeren hatten hart zu arbeiten, bald im Kampfe gegen die Klephten, bald im Sonnenbrande beim Bau der Piräus-Straße; der giftige Raki- Schnaps und der ſchlechte geharzte Wein gaben keinen Erſatz für das edle heimiſche Bier. Nach einem Jahre zogen die bairiſchen Truppen heim. Nun ward aus Eingeborenen und aus geworbenen Baiern ein winziges reguläres Heer von zweifelhafter Kriegstüchtigkeit gebildet. Da ein Klein- ſtaat ohne Geld und Waffen der Tapferkeit keinen Raum mehr bot, ſo gelangten die beiden anderen vorherrſchenden Triebe des helleniſchen Volks- geiſtes, der Handelsſinn und der Wiſſensdrang zur alleinigen Herrſchaft. Das Heldenvolk der Türkenbeſieger verwandelte ſich wunderbar ſchnell in eine Nation von Kaufleuten und Gelehrten. Griechenland konnte bei den Todeszuckungen des türkiſchen Reichs kein Wort mehr mitſprechen, und die einzige naturgemäße Löſung der orientaliſchen Frage, die Wiederher- ſtellung des byzantiniſchen Kaiſerthums blieb zum Unheil für die Welt noch lange völlig ausſichtslos. Währenddem war der Eifer der Baiern längſt erkaltet; in München nannte man das Land der Hellenen die bairiſche Botany-Bai, denn blos vom blauen Himmel und von ſchönen Landſchaften vermochten Germanen nicht zu leben. König Ludwig beſuchte noch ſelbſt das geliebte Volk und legte unter ſchallenden Zito-Rufen den Grundſtein für das atheniſche Kö- nigsſchloß. Auch König Otto kam einmal in die alte Heimath, gaſtlich empfangen von der Muſe der Charlotte Birch-Pfeiffer, die ihm ein Feſt- ſpiel „der Liebe Streit“ widmete. Da war es denn ſehr rührſam anzu- hören, wie ſich Bavaria und Hellas um ihren unvergleichlichen Otto ſtritten; zuletzt fielen die beiden kampfluſtigen Frauen einander verſöhnt in die Arme. Trotzdem wollte das Feuer nicht wieder aufflammen; wer irgend konnte von den bairiſchen Beamten in Hellas, kehrte ſchleunigſt heim. Nach-

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte04_1889
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte04_1889/654
Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 4: Bis zum Tode König Friedrich Wilhelms III. Leipzig, 1889, S. 640. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte04_1889/654>, abgerufen am 24.11.2024.