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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 4: Bis zum Tode König Friedrich Wilhelms III. Leipzig, 1889.

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IV. 8. Stille Jahre.
knappen Zwanzigstel der Staatseinkünfte. Ebenso bereitwillig genehmigte
der Landtag den außerordentlichen Aufwand für den Ludwigskanal, für
die prächtige Bibliothek und für die bairische Centralfestung Ingolstadt,
die dem patriotischen Wittelsbacher doch weit näher am Herzen lag als die
Befestigung des deutschen Oberrheins.

Einträchtig fanden sich Krone und Landtag zusammen, als das Nieder-
lassungsgesetz vom Jahre 1825 wieder zur Sprache kam.*) Die beschränkte
Freizügigkeit, welche dies Gesetz gewährte, hatte unter den Pfahlbürgern
des Landes viel böses Blut erregt; zahlreiche Petitionen dawider waren
eingelaufen. Die Kammer aber ahnte noch gar nichts von den drohenden
socialen Gefahren der Zeit; roh und herzlos äußerte sich der Hochmuth
der besitzenden Klassen über "das heillose Gesindel" der Nichtbesitzenden.
Wie viel menschlicher und gerechter wurden diese Fragen zur selben Zeit
auf dem brandenburgischen Landtage behandelt; wie weit stand der Süden
in seiner volkswirthschaftlichen Bildung noch hinter dem Norden zurück.
Nach stürmischen Debatten kam ein neues Gesetz zu Stande, das für die
Niederlassung einen ziemlich hohen Census vorschrieb; außerdem erhielten
die Gemeinden noch ein "absolutes Veto" gegen die Neu-Anziehenden, und
frohlockend rief ein Abgeordneter: diese scharfe Waffe denken wir kräftig zu
gebrauchen. Niemand fragte, was nun aus den vogelfreien Armen wer-
den sollte. Das Gesetz stand in offenbarem Widerspruche zu der Verkehrs-
freiheit des neubegründeten Zollvereins, aber es entsprach der vorherrschen-
den Stimmung des Volkes. Ueber ein neues Gewerbegesetz konnte man
sich noch nicht einigen; indessen half die Regierung durch Verordnungen
nach und unterband den freien Wettbewerb dermaßen, daß Baierns Hand-
werke noch langehin weit hinter den norddeutschen zurückblieben.

Bei allen diesen Berathungen leistete die glatte, einschmeichelnde Be-
redsamkeit des neuen Ministers, des Fürsten Wallerstein treffliche Dienste;
König Ludwig war entzückt von dem Vielgewandten und überhäufte ihn
mit Gnaden. Wallerstein pflegte seinen "Enthusiasmus für freie Institu-
tionen" dann immer am feurigsten zu betheuern, wenn er eine illiberale
Maßregel vertheidigte. Feurig, beredt, nie verlegen, überreich an Einfällen
und Plänen, ein feiner Kunstkenner und eifriger Förderer des Landbaus,
mußte der glänzende Cavalier, der so gern lebte und leben ließ, die Libe-
ralen wohl bezaubern, so lange sie seine windige Eitelkeit noch nicht durch-
schauten. Sie bewunderten ihn, schon weil die Ultramontanen den leicht-
fertigen Freigeist haßten, und weil er eine Mißheirath geschlossen hatte --
ein Verdienst, das der adelsfeindliche Liberalismus jener Tage sehr hoch
anschlug. Den Lapidarstil bajuvarischer Selbstberäucherung handhabte er
fast so kühn wie der König selbst. Wie prächtig klang es wenn er sagte:
"Die athletenmäßig erwachte menschliche Intelligenz, bei augenblicklicher

*) S. III. 348.

IV. 8. Stille Jahre.
knappen Zwanzigſtel der Staatseinkünfte. Ebenſo bereitwillig genehmigte
der Landtag den außerordentlichen Aufwand für den Ludwigskanal, für
die prächtige Bibliothek und für die bairiſche Centralfeſtung Ingolſtadt,
die dem patriotiſchen Wittelsbacher doch weit näher am Herzen lag als die
Befeſtigung des deutſchen Oberrheins.

Einträchtig fanden ſich Krone und Landtag zuſammen, als das Nieder-
laſſungsgeſetz vom Jahre 1825 wieder zur Sprache kam.*) Die beſchränkte
Freizügigkeit, welche dies Geſetz gewährte, hatte unter den Pfahlbürgern
des Landes viel böſes Blut erregt; zahlreiche Petitionen dawider waren
eingelaufen. Die Kammer aber ahnte noch gar nichts von den drohenden
ſocialen Gefahren der Zeit; roh und herzlos äußerte ſich der Hochmuth
der beſitzenden Klaſſen über „das heilloſe Geſindel“ der Nichtbeſitzenden.
Wie viel menſchlicher und gerechter wurden dieſe Fragen zur ſelben Zeit
auf dem brandenburgiſchen Landtage behandelt; wie weit ſtand der Süden
in ſeiner volkswirthſchaftlichen Bildung noch hinter dem Norden zurück.
Nach ſtürmiſchen Debatten kam ein neues Geſetz zu Stande, das für die
Niederlaſſung einen ziemlich hohen Cenſus vorſchrieb; außerdem erhielten
die Gemeinden noch ein „abſolutes Veto“ gegen die Neu-Anziehenden, und
frohlockend rief ein Abgeordneter: dieſe ſcharfe Waffe denken wir kräftig zu
gebrauchen. Niemand fragte, was nun aus den vogelfreien Armen wer-
den ſollte. Das Geſetz ſtand in offenbarem Widerſpruche zu der Verkehrs-
freiheit des neubegründeten Zollvereins, aber es entſprach der vorherrſchen-
den Stimmung des Volkes. Ueber ein neues Gewerbegeſetz konnte man
ſich noch nicht einigen; indeſſen half die Regierung durch Verordnungen
nach und unterband den freien Wettbewerb dermaßen, daß Baierns Hand-
werke noch langehin weit hinter den norddeutſchen zurückblieben.

Bei allen dieſen Berathungen leiſtete die glatte, einſchmeichelnde Be-
redſamkeit des neuen Miniſters, des Fürſten Wallerſtein treffliche Dienſte;
König Ludwig war entzückt von dem Vielgewandten und überhäufte ihn
mit Gnaden. Wallerſtein pflegte ſeinen „Enthuſiasmus für freie Inſtitu-
tionen“ dann immer am feurigſten zu betheuern, wenn er eine illiberale
Maßregel vertheidigte. Feurig, beredt, nie verlegen, überreich an Einfällen
und Plänen, ein feiner Kunſtkenner und eifriger Förderer des Landbaus,
mußte der glänzende Cavalier, der ſo gern lebte und leben ließ, die Libe-
ralen wohl bezaubern, ſo lange ſie ſeine windige Eitelkeit noch nicht durch-
ſchauten. Sie bewunderten ihn, ſchon weil die Ultramontanen den leicht-
fertigen Freigeiſt haßten, und weil er eine Mißheirath geſchloſſen hatte —
ein Verdienſt, das der adelsfeindliche Liberalismus jener Tage ſehr hoch
anſchlug. Den Lapidarſtil bajuvariſcher Selbſtberäucherung handhabte er
faſt ſo kühn wie der König ſelbſt. Wie prächtig klang es wenn er ſagte:
„Die athletenmäßig erwachte menſchliche Intelligenz, bei augenblicklicher

*) S. III. 348.
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[632/0646] IV. 8. Stille Jahre. knappen Zwanzigſtel der Staatseinkünfte. Ebenſo bereitwillig genehmigte der Landtag den außerordentlichen Aufwand für den Ludwigskanal, für die prächtige Bibliothek und für die bairiſche Centralfeſtung Ingolſtadt, die dem patriotiſchen Wittelsbacher doch weit näher am Herzen lag als die Befeſtigung des deutſchen Oberrheins. Einträchtig fanden ſich Krone und Landtag zuſammen, als das Nieder- laſſungsgeſetz vom Jahre 1825 wieder zur Sprache kam. *) Die beſchränkte Freizügigkeit, welche dies Geſetz gewährte, hatte unter den Pfahlbürgern des Landes viel böſes Blut erregt; zahlreiche Petitionen dawider waren eingelaufen. Die Kammer aber ahnte noch gar nichts von den drohenden ſocialen Gefahren der Zeit; roh und herzlos äußerte ſich der Hochmuth der beſitzenden Klaſſen über „das heilloſe Geſindel“ der Nichtbeſitzenden. Wie viel menſchlicher und gerechter wurden dieſe Fragen zur ſelben Zeit auf dem brandenburgiſchen Landtage behandelt; wie weit ſtand der Süden in ſeiner volkswirthſchaftlichen Bildung noch hinter dem Norden zurück. Nach ſtürmiſchen Debatten kam ein neues Geſetz zu Stande, das für die Niederlaſſung einen ziemlich hohen Cenſus vorſchrieb; außerdem erhielten die Gemeinden noch ein „abſolutes Veto“ gegen die Neu-Anziehenden, und frohlockend rief ein Abgeordneter: dieſe ſcharfe Waffe denken wir kräftig zu gebrauchen. Niemand fragte, was nun aus den vogelfreien Armen wer- den ſollte. Das Geſetz ſtand in offenbarem Widerſpruche zu der Verkehrs- freiheit des neubegründeten Zollvereins, aber es entſprach der vorherrſchen- den Stimmung des Volkes. Ueber ein neues Gewerbegeſetz konnte man ſich noch nicht einigen; indeſſen half die Regierung durch Verordnungen nach und unterband den freien Wettbewerb dermaßen, daß Baierns Hand- werke noch langehin weit hinter den norddeutſchen zurückblieben. Bei allen dieſen Berathungen leiſtete die glatte, einſchmeichelnde Be- redſamkeit des neuen Miniſters, des Fürſten Wallerſtein treffliche Dienſte; König Ludwig war entzückt von dem Vielgewandten und überhäufte ihn mit Gnaden. Wallerſtein pflegte ſeinen „Enthuſiasmus für freie Inſtitu- tionen“ dann immer am feurigſten zu betheuern, wenn er eine illiberale Maßregel vertheidigte. Feurig, beredt, nie verlegen, überreich an Einfällen und Plänen, ein feiner Kunſtkenner und eifriger Förderer des Landbaus, mußte der glänzende Cavalier, der ſo gern lebte und leben ließ, die Libe- ralen wohl bezaubern, ſo lange ſie ſeine windige Eitelkeit noch nicht durch- ſchauten. Sie bewunderten ihn, ſchon weil die Ultramontanen den leicht- fertigen Freigeiſt haßten, und weil er eine Mißheirath geſchloſſen hatte — ein Verdienſt, das der adelsfeindliche Liberalismus jener Tage ſehr hoch anſchlug. Den Lapidarſtil bajuvariſcher Selbſtberäucherung handhabte er faſt ſo kühn wie der König ſelbſt. Wie prächtig klang es wenn er ſagte: „Die athletenmäßig erwachte menſchliche Intelligenz, bei augenblicklicher *) S. III. 348.

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Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 4: Bis zum Tode König Friedrich Wilhelms III. Leipzig, 1889, S. 632. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte04_1889/646>, abgerufen am 28.04.2024.