Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 4: Bis zum Tode König Friedrich Wilhelms III. Leipzig, 1889.

Bild:
<< vorherige Seite

IV. 8. Stille Jahre.
redete, dann schien es, als geize er nach dem Ruhme eines hessischen Straf-
ford; und in der That verkündete das Berliner Wochenblatt, das er durch
seine Getreuen mit Beiträgen versorgte: hier in Hessen werde der geheime
Krieg zwischen Fürstenrecht und Revolution endlich zum Austrage kommen.
So erwarb er sich bald den Beinamen des Hessenfluchs. Die Liberalen
haßten ihn um so grimmiger, weil sie seine Begabung nicht bestreiten
konnten: er erledigte die Geschäfte leicht, ohne kleinliche Pedanterei und
zeigte eine glückliche Hand in der Auswahl seiner Werkzeuge. Ganz uner-
träglich war ihm der stehende Ausschuß des Landtags, "diese verkehrteste
Ausgeburt der neuen Verfassung;" der Landtag aber erklärte gerade diese
ständische Nebenregierung, die sich mit der modernen Staatseinheit in der
That nicht vertrug, feierlich für "das Palladium" der hessischen Freiheit.

Zunächst dachte der Minister den alten Uebelstand des deutschen
Repräsentativsystems, die Beamten-Opposition auf dem Landtage, zu be-
seitigen; Jordan vornehmlich, der Vater der Verfassung, sollte entfernt
werden. Darum verweigerte die Regierung, als für den Landtag von
1833 gewählt wurde, jedem des Liberalismus irgend verdächtigen Beamten
unnachsichtlich die Erlaubniß zur Annahme der Wahl. Jordan aber, der
Abgeordnete der Universität Marburg, suchte die Genehmigung des Mini-
steriums nicht nach, sondern trat in gutem Glauben ein; hatte er doch
schon früher, ohne um Erlaubniß zu bitten, sechzehn Monate lang die
Hochschule im Landtage vertreten. Als die Urheber der Verfassung einst
der Regierung das Recht der Urlaubsverweigerung zugestanden, hatten
sie unzweifelhaft nicht beabsichtigt, daß sich dies Recht auch auf den Ab-
geordneten der Universität erstrecken sollte; denn er mußte ein Professor
sein, er vertrat eine Corporation, welche seit drei Jahrhunderten, kraft
ihrer Prälatenwürde, immer frei aus ihrer Mitte gewählt hatte; durfte die
Regierung auch ihm die Erlaubniß zum Besuche des Landtags nach Be-
lieben versagen, so ging das alte Wahlrecht der Universität thatsächlich auf
das Ministerium über. Aber diese in Wahrheit selbstverständliche Aus-
nahme von der Regel war in der Verfassung nicht ausdrücklich ausge-
sprochen; der Art. 71 verpflichtete alle Staatsdiener ohne Unterschied, nach
ihrer Erwählung die Genehmigung der vorgesetzten Behörde einzuholen.
Der verschlagene Minister konnte sich also auf den Buchstaben des Grund-
gesetzes berufen, als er von der Kammer verlangte, sie solle den Pro-
fessor Jordan, der keine Erlaubniß erhalten habe, von ihren Sitzungen
ausschließen. Der Landtag lehnte das Ansinnen ab, dessen eigentlichen
Zweck Jedermann durchschaute, und wurde sofort aufgelöst.

Fortan blieb jede Versöhnung unmöglich. Der Haß gegen den Mini-
ster ward so maßlos, daß selbst der befreundete Canitz zuweilen meinte,
Hassenpflug müsse um des Friedens willen zurücktreten.*) Der aber hielt

*) Canitz's Berichte, 2. Juli 1833 ff.

IV. 8. Stille Jahre.
redete, dann ſchien es, als geize er nach dem Ruhme eines heſſiſchen Straf-
ford; und in der That verkündete das Berliner Wochenblatt, das er durch
ſeine Getreuen mit Beiträgen verſorgte: hier in Heſſen werde der geheime
Krieg zwiſchen Fürſtenrecht und Revolution endlich zum Austrage kommen.
So erwarb er ſich bald den Beinamen des Heſſenfluchs. Die Liberalen
haßten ihn um ſo grimmiger, weil ſie ſeine Begabung nicht beſtreiten
konnten: er erledigte die Geſchäfte leicht, ohne kleinliche Pedanterei und
zeigte eine glückliche Hand in der Auswahl ſeiner Werkzeuge. Ganz uner-
träglich war ihm der ſtehende Ausſchuß des Landtags, „dieſe verkehrteſte
Ausgeburt der neuen Verfaſſung;“ der Landtag aber erklärte gerade dieſe
ſtändiſche Nebenregierung, die ſich mit der modernen Staatseinheit in der
That nicht vertrug, feierlich für „das Palladium“ der heſſiſchen Freiheit.

Zunächſt dachte der Miniſter den alten Uebelſtand des deutſchen
Repräſentativſyſtems, die Beamten-Oppoſition auf dem Landtage, zu be-
ſeitigen; Jordan vornehmlich, der Vater der Verfaſſung, ſollte entfernt
werden. Darum verweigerte die Regierung, als für den Landtag von
1833 gewählt wurde, jedem des Liberalismus irgend verdächtigen Beamten
unnachſichtlich die Erlaubniß zur Annahme der Wahl. Jordan aber, der
Abgeordnete der Univerſität Marburg, ſuchte die Genehmigung des Mini-
ſteriums nicht nach, ſondern trat in gutem Glauben ein; hatte er doch
ſchon früher, ohne um Erlaubniß zu bitten, ſechzehn Monate lang die
Hochſchule im Landtage vertreten. Als die Urheber der Verfaſſung einſt
der Regierung das Recht der Urlaubsverweigerung zugeſtanden, hatten
ſie unzweifelhaft nicht beabſichtigt, daß ſich dies Recht auch auf den Ab-
geordneten der Univerſität erſtrecken ſollte; denn er mußte ein Profeſſor
ſein, er vertrat eine Corporation, welche ſeit drei Jahrhunderten, kraft
ihrer Prälatenwürde, immer frei aus ihrer Mitte gewählt hatte; durfte die
Regierung auch ihm die Erlaubniß zum Beſuche des Landtags nach Be-
lieben verſagen, ſo ging das alte Wahlrecht der Univerſität thatſächlich auf
das Miniſterium über. Aber dieſe in Wahrheit ſelbſtverſtändliche Aus-
nahme von der Regel war in der Verfaſſung nicht ausdrücklich ausge-
ſprochen; der Art. 71 verpflichtete alle Staatsdiener ohne Unterſchied, nach
ihrer Erwählung die Genehmigung der vorgeſetzten Behörde einzuholen.
Der verſchlagene Miniſter konnte ſich alſo auf den Buchſtaben des Grund-
geſetzes berufen, als er von der Kammer verlangte, ſie ſolle den Pro-
feſſor Jordan, der keine Erlaubniß erhalten habe, von ihren Sitzungen
ausſchließen. Der Landtag lehnte das Anſinnen ab, deſſen eigentlichen
Zweck Jedermann durchſchaute, und wurde ſofort aufgelöſt.

Fortan blieb jede Verſöhnung unmöglich. Der Haß gegen den Mini-
ſter ward ſo maßlos, daß ſelbſt der befreundete Canitz zuweilen meinte,
Haſſenpflug müſſe um des Friedens willen zurücktreten.*) Der aber hielt

*) Canitz’s Berichte, 2. Juli 1833 ff.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0634" n="620"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#aq">IV.</hi> 8. Stille Jahre.</fw><lb/>
redete, dann &#x017F;chien es, als geize er nach dem Ruhme eines he&#x017F;&#x017F;i&#x017F;chen Straf-<lb/>
ford; und in der That verkündete das Berliner Wochenblatt, das er durch<lb/>
&#x017F;eine Getreuen mit Beiträgen ver&#x017F;orgte: hier in He&#x017F;&#x017F;en werde der geheime<lb/>
Krieg zwi&#x017F;chen Für&#x017F;tenrecht und Revolution endlich zum Austrage kommen.<lb/>
So erwarb er &#x017F;ich bald den Beinamen des He&#x017F;&#x017F;enfluchs. Die Liberalen<lb/>
haßten ihn um &#x017F;o grimmiger, weil &#x017F;ie &#x017F;eine Begabung nicht be&#x017F;treiten<lb/>
konnten: er erledigte die Ge&#x017F;chäfte leicht, ohne kleinliche Pedanterei und<lb/>
zeigte eine glückliche Hand in der Auswahl &#x017F;einer Werkzeuge. Ganz uner-<lb/>
träglich war ihm der &#x017F;tehende Aus&#x017F;chuß des Landtags, &#x201E;die&#x017F;e verkehrte&#x017F;te<lb/>
Ausgeburt der neuen Verfa&#x017F;&#x017F;ung;&#x201C; der Landtag aber erklärte gerade die&#x017F;e<lb/>
&#x017F;tändi&#x017F;che Nebenregierung, die &#x017F;ich mit der modernen Staatseinheit in der<lb/>
That nicht vertrug, feierlich für &#x201E;das Palladium&#x201C; der he&#x017F;&#x017F;i&#x017F;chen Freiheit.</p><lb/>
          <p>Zunäch&#x017F;t dachte der Mini&#x017F;ter den alten Uebel&#x017F;tand des deut&#x017F;chen<lb/>
Reprä&#x017F;entativ&#x017F;y&#x017F;tems, die Beamten-Oppo&#x017F;ition auf dem Landtage, zu be-<lb/>
&#x017F;eitigen; Jordan vornehmlich, der Vater der Verfa&#x017F;&#x017F;ung, &#x017F;ollte entfernt<lb/>
werden. Darum verweigerte die Regierung, als für den Landtag von<lb/>
1833 gewählt wurde, jedem des Liberalismus irgend verdächtigen Beamten<lb/>
unnach&#x017F;ichtlich die Erlaubniß zur Annahme der Wahl. Jordan aber, der<lb/>
Abgeordnete der Univer&#x017F;ität Marburg, &#x017F;uchte die Genehmigung des Mini-<lb/>
&#x017F;teriums nicht nach, &#x017F;ondern trat in gutem Glauben ein; hatte er doch<lb/>
&#x017F;chon früher, ohne um Erlaubniß zu bitten, &#x017F;echzehn Monate lang die<lb/>
Hoch&#x017F;chule im Landtage vertreten. Als die Urheber der Verfa&#x017F;&#x017F;ung ein&#x017F;t<lb/>
der Regierung das Recht der Urlaubsverweigerung zuge&#x017F;tanden, hatten<lb/>
&#x017F;ie unzweifelhaft nicht beab&#x017F;ichtigt, daß &#x017F;ich dies Recht auch auf den Ab-<lb/>
geordneten der Univer&#x017F;ität er&#x017F;trecken &#x017F;ollte; denn er mußte ein Profe&#x017F;&#x017F;or<lb/>
&#x017F;ein, er vertrat eine Corporation, welche &#x017F;eit drei Jahrhunderten, kraft<lb/>
ihrer Prälatenwürde, immer frei aus ihrer Mitte gewählt hatte; durfte die<lb/>
Regierung auch ihm die Erlaubniß zum Be&#x017F;uche des Landtags nach Be-<lb/>
lieben ver&#x017F;agen, &#x017F;o ging das alte Wahlrecht der Univer&#x017F;ität that&#x017F;ächlich auf<lb/>
das Mini&#x017F;terium über. Aber die&#x017F;e in Wahrheit &#x017F;elb&#x017F;tver&#x017F;tändliche Aus-<lb/>
nahme von der Regel war in der Verfa&#x017F;&#x017F;ung nicht ausdrücklich ausge-<lb/>
&#x017F;prochen; der Art. 71 verpflichtete alle Staatsdiener ohne Unter&#x017F;chied, nach<lb/>
ihrer Erwählung die Genehmigung der vorge&#x017F;etzten Behörde einzuholen.<lb/>
Der ver&#x017F;chlagene Mini&#x017F;ter konnte &#x017F;ich al&#x017F;o auf den Buch&#x017F;taben des Grund-<lb/>
ge&#x017F;etzes berufen, als er von der Kammer verlangte, &#x017F;ie &#x017F;olle den Pro-<lb/>
fe&#x017F;&#x017F;or Jordan, der keine Erlaubniß erhalten habe, von ihren Sitzungen<lb/>
aus&#x017F;chließen. Der Landtag lehnte das An&#x017F;innen ab, de&#x017F;&#x017F;en eigentlichen<lb/>
Zweck Jedermann durch&#x017F;chaute, und wurde &#x017F;ofort aufgelö&#x017F;t.</p><lb/>
          <p>Fortan blieb jede Ver&#x017F;öhnung unmöglich. Der Haß gegen den Mini-<lb/>
&#x017F;ter ward &#x017F;o maßlos, daß &#x017F;elb&#x017F;t der befreundete Canitz zuweilen meinte,<lb/>
Ha&#x017F;&#x017F;enpflug mü&#x017F;&#x017F;e um des Friedens willen zurücktreten.<note place="foot" n="*)">Canitz&#x2019;s Berichte, 2. Juli 1833 ff.</note> Der aber hielt<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[620/0634] IV. 8. Stille Jahre. redete, dann ſchien es, als geize er nach dem Ruhme eines heſſiſchen Straf- ford; und in der That verkündete das Berliner Wochenblatt, das er durch ſeine Getreuen mit Beiträgen verſorgte: hier in Heſſen werde der geheime Krieg zwiſchen Fürſtenrecht und Revolution endlich zum Austrage kommen. So erwarb er ſich bald den Beinamen des Heſſenfluchs. Die Liberalen haßten ihn um ſo grimmiger, weil ſie ſeine Begabung nicht beſtreiten konnten: er erledigte die Geſchäfte leicht, ohne kleinliche Pedanterei und zeigte eine glückliche Hand in der Auswahl ſeiner Werkzeuge. Ganz uner- träglich war ihm der ſtehende Ausſchuß des Landtags, „dieſe verkehrteſte Ausgeburt der neuen Verfaſſung;“ der Landtag aber erklärte gerade dieſe ſtändiſche Nebenregierung, die ſich mit der modernen Staatseinheit in der That nicht vertrug, feierlich für „das Palladium“ der heſſiſchen Freiheit. Zunächſt dachte der Miniſter den alten Uebelſtand des deutſchen Repräſentativſyſtems, die Beamten-Oppoſition auf dem Landtage, zu be- ſeitigen; Jordan vornehmlich, der Vater der Verfaſſung, ſollte entfernt werden. Darum verweigerte die Regierung, als für den Landtag von 1833 gewählt wurde, jedem des Liberalismus irgend verdächtigen Beamten unnachſichtlich die Erlaubniß zur Annahme der Wahl. Jordan aber, der Abgeordnete der Univerſität Marburg, ſuchte die Genehmigung des Mini- ſteriums nicht nach, ſondern trat in gutem Glauben ein; hatte er doch ſchon früher, ohne um Erlaubniß zu bitten, ſechzehn Monate lang die Hochſchule im Landtage vertreten. Als die Urheber der Verfaſſung einſt der Regierung das Recht der Urlaubsverweigerung zugeſtanden, hatten ſie unzweifelhaft nicht beabſichtigt, daß ſich dies Recht auch auf den Ab- geordneten der Univerſität erſtrecken ſollte; denn er mußte ein Profeſſor ſein, er vertrat eine Corporation, welche ſeit drei Jahrhunderten, kraft ihrer Prälatenwürde, immer frei aus ihrer Mitte gewählt hatte; durfte die Regierung auch ihm die Erlaubniß zum Beſuche des Landtags nach Be- lieben verſagen, ſo ging das alte Wahlrecht der Univerſität thatſächlich auf das Miniſterium über. Aber dieſe in Wahrheit ſelbſtverſtändliche Aus- nahme von der Regel war in der Verfaſſung nicht ausdrücklich ausge- ſprochen; der Art. 71 verpflichtete alle Staatsdiener ohne Unterſchied, nach ihrer Erwählung die Genehmigung der vorgeſetzten Behörde einzuholen. Der verſchlagene Miniſter konnte ſich alſo auf den Buchſtaben des Grund- geſetzes berufen, als er von der Kammer verlangte, ſie ſolle den Pro- feſſor Jordan, der keine Erlaubniß erhalten habe, von ihren Sitzungen ausſchließen. Der Landtag lehnte das Anſinnen ab, deſſen eigentlichen Zweck Jedermann durchſchaute, und wurde ſofort aufgelöſt. Fortan blieb jede Verſöhnung unmöglich. Der Haß gegen den Mini- ſter ward ſo maßlos, daß ſelbſt der befreundete Canitz zuweilen meinte, Haſſenpflug müſſe um des Friedens willen zurücktreten. *) Der aber hielt *) Canitz’s Berichte, 2. Juli 1833 ff.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte04_1889
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte04_1889/634
Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 4: Bis zum Tode König Friedrich Wilhelms III. Leipzig, 1889, S. 620. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte04_1889/634>, abgerufen am 24.11.2024.