Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 4: Bis zum Tode König Friedrich Wilhelms III. Leipzig, 1889.IV. 8. Stille Jahre. Ihr seid der Kern des Volkes. Schüttelt sie ab, die Fesseln, die arbeits-scheue Müßiggänger Euch schmiedeten. Der Eine kommt ebenso wenig mit Stiefeln und Sporen zur Welt, wie die Anderen mit Sattel und Zaum. Nur Vorurtheil und Willkür schaffen Herren und Knechte. Der Fürst führt nicht weniger seinen Steiß bei sich als die Anderen." Ein massen- haft verbreitetes Gedicht "Hundert deutsche Handwerker", mit dem Bilde eines Gehenkten auf dem Umschlage, führte der Reihe nach die Hand- werker vor, wie sie bereit standen, jeder mit seinem Werkzeuge, die Für- sten einzusperren, zu hängen, zu köpfen: Ich bin der Hufschmied Kilian, Werd' einen Käfig schmieden, Drein man die Fürsten setzen kann, Wenn sie vom Thron geschieden. Das sei die Volksmenagerie Der aufgelösten Monarchie. Wehmüthiger erklang der Galgenhumor in dem "Liede der Verfolgten" Wenn die Fürsten fragen: Was macht Absalon? Lasset ihnen sagen: Ei, der hänget schon -- Doch an keinem Baume Und an keinem Strick, Sondern an dem Traume Einer Republik ... Nichts blieb ihm auf Erden Als Verzweiflungsstreich' Und Soldat zu werden Für ein freies Reich ... Gebt nur Eure großen Purpurmäntel her. Das giebt gute Hosen Für das Freiheitsheer! Eine Flugschrift "Geisterstimme der Gemordeten an Fränzchen, Fritz- IV. 8. Stille Jahre. Ihr ſeid der Kern des Volkes. Schüttelt ſie ab, die Feſſeln, die arbeits-ſcheue Müßiggänger Euch ſchmiedeten. Der Eine kommt ebenſo wenig mit Stiefeln und Sporen zur Welt, wie die Anderen mit Sattel und Zaum. Nur Vorurtheil und Willkür ſchaffen Herren und Knechte. Der Fürſt führt nicht weniger ſeinen Steiß bei ſich als die Anderen.“ Ein maſſen- haft verbreitetes Gedicht „Hundert deutſche Handwerker“, mit dem Bilde eines Gehenkten auf dem Umſchlage, führte der Reihe nach die Hand- werker vor, wie ſie bereit ſtanden, jeder mit ſeinem Werkzeuge, die Für- ſten einzuſperren, zu hängen, zu köpfen: Ich bin der Hufſchmied Kilian, Werd’ einen Käfig ſchmieden, Drein man die Fürſten ſetzen kann, Wenn ſie vom Thron geſchieden. Das ſei die Volksmenagerie Der aufgelöſten Monarchie. Wehmüthiger erklang der Galgenhumor in dem „Liede der Verfolgten“ Wenn die Fürſten fragen: Was macht Abſalon? Laſſet ihnen ſagen: Ei, der hänget ſchon — Doch an keinem Baume Und an keinem Strick, Sondern an dem Traume Einer Republik … Nichts blieb ihm auf Erden Als Verzweiflungsſtreich’ Und Soldat zu werden Für ein freies Reich … Gebt nur Eure großen Purpurmäntel her. Das giebt gute Hoſen Für das Freiheitsheer! Eine Flugſchrift „Geiſterſtimme der Gemordeten an Fränzchen, Fritz- <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0616" n="602"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#aq">IV.</hi> 8. Stille Jahre.</fw><lb/> Ihr ſeid der Kern des Volkes. Schüttelt ſie ab, die Feſſeln, die arbeits-<lb/> ſcheue Müßiggänger Euch ſchmiedeten. Der Eine kommt ebenſo wenig mit<lb/> Stiefeln und Sporen zur Welt, wie die Anderen mit Sattel und Zaum.<lb/> Nur Vorurtheil und Willkür ſchaffen Herren und Knechte. 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IV. 8. Stille Jahre.
Ihr ſeid der Kern des Volkes. Schüttelt ſie ab, die Feſſeln, die arbeits-
ſcheue Müßiggänger Euch ſchmiedeten. Der Eine kommt ebenſo wenig mit
Stiefeln und Sporen zur Welt, wie die Anderen mit Sattel und Zaum.
Nur Vorurtheil und Willkür ſchaffen Herren und Knechte. Der Fürſt
führt nicht weniger ſeinen Steiß bei ſich als die Anderen.“ Ein maſſen-
haft verbreitetes Gedicht „Hundert deutſche Handwerker“, mit dem Bilde
eines Gehenkten auf dem Umſchlage, führte der Reihe nach die Hand-
werker vor, wie ſie bereit ſtanden, jeder mit ſeinem Werkzeuge, die Für-
ſten einzuſperren, zu hängen, zu köpfen:
Ich bin der Hufſchmied Kilian,
Werd’ einen Käfig ſchmieden,
Drein man die Fürſten ſetzen kann,
Wenn ſie vom Thron geſchieden.
Das ſei die Volksmenagerie
Der aufgelöſten Monarchie.
Wehmüthiger erklang der Galgenhumor in dem „Liede der Verfolgten“
des gutmüthigen, verbummelten Dichterleins Sauerwein:
Wenn die Fürſten fragen:
Was macht Abſalon?
Laſſet ihnen ſagen:
Ei, der hänget ſchon —
Doch an keinem Baume
Und an keinem Strick,
Sondern an dem Traume
Einer Republik …
Nichts blieb ihm auf Erden
Als Verzweiflungsſtreich’
Und Soldat zu werden
Für ein freies Reich …
Gebt nur Eure großen
Purpurmäntel her.
Das giebt gute Hoſen
Für das Freiheitsheer!
Eine Flugſchrift „Geiſterſtimme der Gemordeten an Fränzchen, Fritz-
chen, Nickel und deren Verbündete“ rechnete den Deutſchen die 300 oder
600 Mill. fl. ihrer Staatsausgaben vor — Genaueres wußte der geſin-
nungstüchtige Statiſtiker nicht anzugeben: „Der Engländer zahlt ſeine
Weltherrſchaft, ſeine Freiheit, der Franzoſe ſeinen Ruhm, ſeine Gleichheit,
der Deutſche ſeine Knechtſchaft und ſeine Schande. Das iſt der Unter-
ſchied.“ Durch ſeine geckenhafte Prahlerei that ſich unter den Verſchwörern
der Nordfrieſe Harro Harring hervor; er nannte ſich „Rebell aus Ueber-
zeugung“, verachtete Goethe als den „beſternten Hofkoloß der Poeſie“ und
bezeichnete in der Vorrede einer ſeiner zahlreichen Gedichtſammlungen ſeine
eigene hiſtoriſche Stellung alſo: „Die deutſche Bewegungspartei beſteht
jetzt aus Studenten und Handwerksburſchen, und der Sänger dieſer Zeit-
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