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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 4: Bis zum Tode König Friedrich Wilhelms III. Leipzig, 1889.

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IV. 8. Stille Jahre.
Finanzsachen nicht entbehren konnte, so kam endlich, nach langem, wider-
wärtigem Streite ein Vergleich zu Stande. Im December 1836 wurde
die alte Staatsconferenz als höchste Behörde der Monarchie neu geordnet.
Mitglieder waren, außer dem Kaiser und seinem Bruder, den Niemand
beachtete: Erzherzog Ludwig, Metternich und Kolowrat. Diese bildeten
fortan das regierende Triumvirat, so spotteten die Wiener. Metternich's
Anhänger frohlockten, und er selbst meinte stolz: der Czar werde jetzt
wohl von seinen Vorurtheilen zurückkommen, dies Regierungssystem sei
für Oesterreich das einzig mögliche*). Seine Freude sollte indeß nicht lange
währen. Erzherzog Ludwig zeigte sich im Verneinen und im Nichtsthun
ebenso halsstarrig wie sein verstorbener Bruder; und wenn Metternich ge-
hofft hatte sich des Erzherzogs gegen Kolowrat zu bedienen, so mußten die
beiden erfahrenen alten Staatsmänner bald gegen den Erzherzog gemein-
same Sache machen. Vergeblich; jede noch so bescheidene Aenderung, die
sie vorschlugen, ward an Ludwig's gemüthlichem Phlegma zu Schanden.

So wurde denn wieder, wie zu Franzens Zeiten, im Innern gar nicht
regiert, obwohl die Gährung in Italien, in Ungarn, in Böhmen bedrohlich
wuchs. Es war, als ob Kaiser Franz noch dreizehn Jahre länger gelebt
hätte; nur fehlte der dreiköpfigen Gerontokratie -- wie man sie an den
Höfen nannte -- das gesicherte Ansehen, das der alte Kaiser doch immer
behauptet hatte. Selbst in der vormals so harmlosen Hauptstadt erklang
jetzt der Tadel oft sehr laut und höhnisch; die Spaziergänge des Wiener
Poeten und die deutschen liberalen Zeitungen waren, den Verboten zum
Trotz, in Jedermanns Händen. Um das Volk durch höfische Pracht zu
blenden, führte man den unglücklichen Ferdinand noch zur Krönung nach
Prag, dann nach Mailand. Hier begrüßten ihn huldigend die Fürsten
Italiens (1838), auch ein Theil des lombardischen Adels bezeigte seine Unter-
thänigkeit. Die gebildete Jugend aber stand grollend abseits, sie ließ sich
selbst durch das Gnadengeschenk der Amnestie nicht versöhnen; und in
ihrem Namen verwünschte G. Giusti in einer mächtigen Satire diese kleinen
Despoten, die ihres Volks vergessend vor dem Fremden knieten:

Dem Narren gleich, der mit den Fäusten schlägt,
Wenn ein Barmherz'ger ihm zu Hilfe rennt,
Das Nessuskleid, das auf dem Leib ihm brennt,
Stolz lächelnd trägt! --

Angesichts dieser Nichtigkeit des österreichischen Staatswesens wuchs der
Hochmuth des Czaren maßlos; er fühlte sich als den ersten Mann des Ost-
bundes und bekundete oft in rücksichtslosen Worten, zum Entsetzen der Diplo-
maten, wie tief er die kaiserliche Hofburg verachtete.**) Am Wiener Hofe selbst
bestand eine kleine russische Partei. Ihr Haupt war Fürst Alfred Windisch-

*) Berichte von Bockelberg, 26. Sept., von Maltzan, 15. 24. Oct., 13. 25. Nov.,
10. 18. Dec. 1836.
**) Maltzan's Berichte, 4. Oct. 1837 ff.

IV. 8. Stille Jahre.
Finanzſachen nicht entbehren konnte, ſo kam endlich, nach langem, wider-
wärtigem Streite ein Vergleich zu Stande. Im December 1836 wurde
die alte Staatsconferenz als höchſte Behörde der Monarchie neu geordnet.
Mitglieder waren, außer dem Kaiſer und ſeinem Bruder, den Niemand
beachtete: Erzherzog Ludwig, Metternich und Kolowrat. Dieſe bildeten
fortan das regierende Triumvirat, ſo ſpotteten die Wiener. Metternich’s
Anhänger frohlockten, und er ſelbſt meinte ſtolz: der Czar werde jetzt
wohl von ſeinen Vorurtheilen zurückkommen, dies Regierungsſyſtem ſei
für Oeſterreich das einzig mögliche*). Seine Freude ſollte indeß nicht lange
währen. Erzherzog Ludwig zeigte ſich im Verneinen und im Nichtsthun
ebenſo halsſtarrig wie ſein verſtorbener Bruder; und wenn Metternich ge-
hofft hatte ſich des Erzherzogs gegen Kolowrat zu bedienen, ſo mußten die
beiden erfahrenen alten Staatsmänner bald gegen den Erzherzog gemein-
ſame Sache machen. Vergeblich; jede noch ſo beſcheidene Aenderung, die
ſie vorſchlugen, ward an Ludwig’s gemüthlichem Phlegma zu Schanden.

So wurde denn wieder, wie zu Franzens Zeiten, im Innern gar nicht
regiert, obwohl die Gährung in Italien, in Ungarn, in Böhmen bedrohlich
wuchs. Es war, als ob Kaiſer Franz noch dreizehn Jahre länger gelebt
hätte; nur fehlte der dreiköpfigen Gerontokratie — wie man ſie an den
Höfen nannte — das geſicherte Anſehen, das der alte Kaiſer doch immer
behauptet hatte. Selbſt in der vormals ſo harmloſen Hauptſtadt erklang
jetzt der Tadel oft ſehr laut und höhniſch; die Spaziergänge des Wiener
Poeten und die deutſchen liberalen Zeitungen waren, den Verboten zum
Trotz, in Jedermanns Händen. Um das Volk durch höfiſche Pracht zu
blenden, führte man den unglücklichen Ferdinand noch zur Krönung nach
Prag, dann nach Mailand. Hier begrüßten ihn huldigend die Fürſten
Italiens (1838), auch ein Theil des lombardiſchen Adels bezeigte ſeine Unter-
thänigkeit. Die gebildete Jugend aber ſtand grollend abſeits, ſie ließ ſich
ſelbſt durch das Gnadengeſchenk der Amneſtie nicht verſöhnen; und in
ihrem Namen verwünſchte G. Giuſti in einer mächtigen Satire dieſe kleinen
Despoten, die ihres Volks vergeſſend vor dem Fremden knieten:

Dem Narren gleich, der mit den Fäuſten ſchlägt,
Wenn ein Barmherz’ger ihm zu Hilfe rennt,
Das Neſſuskleid, das auf dem Leib ihm brennt,
Stolz lächelnd trägt! —

Angeſichts dieſer Nichtigkeit des öſterreichiſchen Staatsweſens wuchs der
Hochmuth des Czaren maßlos; er fühlte ſich als den erſten Mann des Oſt-
bundes und bekundete oft in rückſichtsloſen Worten, zum Entſetzen der Diplo-
maten, wie tief er die kaiſerliche Hofburg verachtete.**) Am Wiener Hofe ſelbſt
beſtand eine kleine ruſſiſche Partei. Ihr Haupt war Fürſt Alfred Windiſch-

*) Berichte von Bockelberg, 26. Sept., von Maltzan, 15. 24. Oct., 13. 25. Nov.,
10. 18. Dec. 1836.
**) Maltzan’s Berichte, 4. Oct. 1837 ff.
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[526/0540] IV. 8. Stille Jahre. Finanzſachen nicht entbehren konnte, ſo kam endlich, nach langem, wider- wärtigem Streite ein Vergleich zu Stande. Im December 1836 wurde die alte Staatsconferenz als höchſte Behörde der Monarchie neu geordnet. Mitglieder waren, außer dem Kaiſer und ſeinem Bruder, den Niemand beachtete: Erzherzog Ludwig, Metternich und Kolowrat. Dieſe bildeten fortan das regierende Triumvirat, ſo ſpotteten die Wiener. Metternich’s Anhänger frohlockten, und er ſelbſt meinte ſtolz: der Czar werde jetzt wohl von ſeinen Vorurtheilen zurückkommen, dies Regierungsſyſtem ſei für Oeſterreich das einzig mögliche *). Seine Freude ſollte indeß nicht lange währen. Erzherzog Ludwig zeigte ſich im Verneinen und im Nichtsthun ebenſo halsſtarrig wie ſein verſtorbener Bruder; und wenn Metternich ge- hofft hatte ſich des Erzherzogs gegen Kolowrat zu bedienen, ſo mußten die beiden erfahrenen alten Staatsmänner bald gegen den Erzherzog gemein- ſame Sache machen. Vergeblich; jede noch ſo beſcheidene Aenderung, die ſie vorſchlugen, ward an Ludwig’s gemüthlichem Phlegma zu Schanden. So wurde denn wieder, wie zu Franzens Zeiten, im Innern gar nicht regiert, obwohl die Gährung in Italien, in Ungarn, in Böhmen bedrohlich wuchs. Es war, als ob Kaiſer Franz noch dreizehn Jahre länger gelebt hätte; nur fehlte der dreiköpfigen Gerontokratie — wie man ſie an den Höfen nannte — das geſicherte Anſehen, das der alte Kaiſer doch immer behauptet hatte. Selbſt in der vormals ſo harmloſen Hauptſtadt erklang jetzt der Tadel oft ſehr laut und höhniſch; die Spaziergänge des Wiener Poeten und die deutſchen liberalen Zeitungen waren, den Verboten zum Trotz, in Jedermanns Händen. Um das Volk durch höfiſche Pracht zu blenden, führte man den unglücklichen Ferdinand noch zur Krönung nach Prag, dann nach Mailand. Hier begrüßten ihn huldigend die Fürſten Italiens (1838), auch ein Theil des lombardiſchen Adels bezeigte ſeine Unter- thänigkeit. Die gebildete Jugend aber ſtand grollend abſeits, ſie ließ ſich ſelbſt durch das Gnadengeſchenk der Amneſtie nicht verſöhnen; und in ihrem Namen verwünſchte G. Giuſti in einer mächtigen Satire dieſe kleinen Despoten, die ihres Volks vergeſſend vor dem Fremden knieten: Dem Narren gleich, der mit den Fäuſten ſchlägt, Wenn ein Barmherz’ger ihm zu Hilfe rennt, Das Neſſuskleid, das auf dem Leib ihm brennt, Stolz lächelnd trägt! — Angeſichts dieſer Nichtigkeit des öſterreichiſchen Staatsweſens wuchs der Hochmuth des Czaren maßlos; er fühlte ſich als den erſten Mann des Oſt- bundes und bekundete oft in rückſichtsloſen Worten, zum Entſetzen der Diplo- maten, wie tief er die kaiſerliche Hofburg verachtete. **) Am Wiener Hofe ſelbſt beſtand eine kleine ruſſiſche Partei. Ihr Haupt war Fürſt Alfred Windiſch- *) Berichte von Bockelberg, 26. Sept., von Maltzan, 15. 24. Oct., 13. 25. Nov., 10. 18. Dec. 1836. **) Maltzan’s Berichte, 4. Oct. 1837 ff.

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Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 4: Bis zum Tode König Friedrich Wilhelms III. Leipzig, 1889, S. 526. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte04_1889/540>, abgerufen am 24.11.2024.