allein noch übrig war von den drei Monarchen jener großen Tage. Aber irgend ein großes Ergebniß konnte diese Zusammenkunft nicht bringen. Das Beste blieb, daß der Czar mit seinen noch immer festgehaltenen krie- gerischen Plänen kaum herausrücken durfte*): der Anblick Ferdinand's und der Rathlosigkeit am österreichischen Hofe war gar zu kläglich. Ueber den Austausch trefflicher Grundsätze kam man nicht hinaus; und Ancillon, der auf solche akademische Erörterungen hohen Werth legte, verkündete nachher den Gesandtschaften triumphirend: "Unsere Haltung vereinigt in sich wahr- haft ungeheuere materielle Kräfte und die der Einigkeit entspringende mo- ralische Macht; sie ist gewaltig und furchtbar gerade durch ihre Ruhe, sie erlaubt uns die Ereignisse zu beobachten und abzuwarten."**) Nessel- rode meinte freilich, nach russischer Ansicht sei diese Ruhe nur nothge- drungen, mithin ein Zeichen der Schwäche.
Die Friedenspolitik des Berliner Hofes trug also in Teplitz einen neuen Sieg davon. Selbst Ludwig Philipp konnte diese harmlose Zu- sammenkunft nicht mit Besorgniß betrachten; er äußerte nur mit halb unterdrückter Empfindlichkeit: gern hätte er selbst theilgenommen, noch lieber einem Congresse aller fünf Mächte beigewohnt.***) Weit lebhafter als die europäische Politik beschäftigte den Czaren für jetzt die Sorge um Oester- reichs Zukunft. In erregten Gesprächen mit Metternich und Clam erklärte er unumwunden: so ohne feste Leitung müsse Oesterreich einer unerwartet ausbrechenden italienischen Revolution sicher erliegen. Sein Hintergedanke dabei war, Metternich's Macht einzuschränken, denn trotz der in München- grätz ausgetauschten Zärtlichkeitsbetheuerungen traute er dem Staatskanzler noch nicht ganz.+) Als diese Unterredungen fruchtlos blieben, reiste er plötzlich in höchster Eile nach Wien, angeblich um der Kaiserin-Wittwe seine Theilnahme auszusprechen. Seine unerwartete Ankunft erregte auch das staunende Aufsehen, das seiner Eitelkeit immer schmeichelte, jedoch zu einem durchgreifenden Entschlusse konnte er die Damen des Hofes nicht bewegen, und sichtlich verstimmt kehrte er nach kurzem Aufenthalt zurück.
Also blieb die kaiserliche Regierung noch während eines vollen Jahres in einem rechtlich ungeordneten, chaotischen Zustande. Metternich und Kolowrat rangen mit einander um die Herrschaft, und der gewandte Staatskanzler erkannte bald, daß er sich mit den frommen Damen ver- bünden mußte, wenn er seinen Nebenbuhler besiegen wollte. Dieser Ent- schluß fiel ihm um so leichter, da er sich neuerdings, auf das Andringen seiner Gemahlin Melanie, den Clericalen schon merklich genähert hatte. Auch hegte er seit dem Erstarken des Zollvereins einen reizbaren Argwohn
*) Maltzan's Bericht, 27. Oct. 1835.
**) Ancillon, Rundschreiben an die Gesandtschaften, 9. Oct. 1835.
***) Maltzan's Bericht, 2. Nov. 1835.
+) An diese dem Könige wohlbekannten Gespräche erinnert Maltzan in dem Bericht vom 18. Dec. 1835.
IV. 8. Stille Jahre.
allein noch übrig war von den drei Monarchen jener großen Tage. Aber irgend ein großes Ergebniß konnte dieſe Zuſammenkunft nicht bringen. Das Beſte blieb, daß der Czar mit ſeinen noch immer feſtgehaltenen krie- geriſchen Plänen kaum herausrücken durfte*): der Anblick Ferdinand’s und der Rathloſigkeit am öſterreichiſchen Hofe war gar zu kläglich. Ueber den Austauſch trefflicher Grundſätze kam man nicht hinaus; und Ancillon, der auf ſolche akademiſche Erörterungen hohen Werth legte, verkündete nachher den Geſandtſchaften triumphirend: „Unſere Haltung vereinigt in ſich wahr- haft ungeheuere materielle Kräfte und die der Einigkeit entſpringende mo- raliſche Macht; ſie iſt gewaltig und furchtbar gerade durch ihre Ruhe, ſie erlaubt uns die Ereigniſſe zu beobachten und abzuwarten.“**) Neſſel- rode meinte freilich, nach ruſſiſcher Anſicht ſei dieſe Ruhe nur nothge- drungen, mithin ein Zeichen der Schwäche.
Die Friedenspolitik des Berliner Hofes trug alſo in Teplitz einen neuen Sieg davon. Selbſt Ludwig Philipp konnte dieſe harmloſe Zu- ſammenkunft nicht mit Beſorgniß betrachten; er äußerte nur mit halb unterdrückter Empfindlichkeit: gern hätte er ſelbſt theilgenommen, noch lieber einem Congreſſe aller fünf Mächte beigewohnt.***) Weit lebhafter als die europäiſche Politik beſchäftigte den Czaren für jetzt die Sorge um Oeſter- reichs Zukunft. In erregten Geſprächen mit Metternich und Clam erklärte er unumwunden: ſo ohne feſte Leitung müſſe Oeſterreich einer unerwartet ausbrechenden italieniſchen Revolution ſicher erliegen. Sein Hintergedanke dabei war, Metternich’s Macht einzuſchränken, denn trotz der in München- grätz ausgetauſchten Zärtlichkeitsbetheuerungen traute er dem Staatskanzler noch nicht ganz.†) Als dieſe Unterredungen fruchtlos blieben, reiſte er plötzlich in höchſter Eile nach Wien, angeblich um der Kaiſerin-Wittwe ſeine Theilnahme auszuſprechen. Seine unerwartete Ankunft erregte auch das ſtaunende Aufſehen, das ſeiner Eitelkeit immer ſchmeichelte, jedoch zu einem durchgreifenden Entſchluſſe konnte er die Damen des Hofes nicht bewegen, und ſichtlich verſtimmt kehrte er nach kurzem Aufenthalt zurück.
Alſo blieb die kaiſerliche Regierung noch während eines vollen Jahres in einem rechtlich ungeordneten, chaotiſchen Zuſtande. Metternich und Kolowrat rangen mit einander um die Herrſchaft, und der gewandte Staatskanzler erkannte bald, daß er ſich mit den frommen Damen ver- bünden mußte, wenn er ſeinen Nebenbuhler beſiegen wollte. Dieſer Ent- ſchluß fiel ihm um ſo leichter, da er ſich neuerdings, auf das Andringen ſeiner Gemahlin Melanie, den Clericalen ſchon merklich genähert hatte. Auch hegte er ſeit dem Erſtarken des Zollvereins einen reizbaren Argwohn
*) Maltzan’s Bericht, 27. Oct. 1835.
**) Ancillon, Rundſchreiben an die Geſandtſchaften, 9. Oct. 1835.
***) Maltzan’s Bericht, 2. Nov. 1835.
†) An dieſe dem Könige wohlbekannten Geſpräche erinnert Maltzan in dem Bericht vom 18. Dec. 1835.
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irgend ein großes Ergebniß konnte dieſe Zuſammenkunft nicht bringen.
Das Beſte blieb, daß der Czar mit ſeinen noch immer feſtgehaltenen krie-
geriſchen Plänen kaum herausrücken durfte *): der Anblick Ferdinand’s und
der Rathloſigkeit am öſterreichiſchen Hofe war gar zu kläglich. Ueber den
Austauſch trefflicher Grundſätze kam man nicht hinaus; und Ancillon, der
auf ſolche akademiſche Erörterungen hohen Werth legte, verkündete nachher
den Geſandtſchaften triumphirend: „Unſere Haltung vereinigt in ſich wahr-
haft ungeheuere materielle Kräfte und die der Einigkeit entſpringende mo-
raliſche Macht; ſie iſt gewaltig und furchtbar gerade durch ihre Ruhe,
ſie erlaubt uns die Ereigniſſe zu beobachten und abzuwarten.“ **) Neſſel-
rode meinte freilich, nach ruſſiſcher Anſicht ſei dieſe Ruhe nur nothge-
drungen, mithin ein Zeichen der Schwäche.
Die Friedenspolitik des Berliner Hofes trug alſo in Teplitz einen
neuen Sieg davon. Selbſt Ludwig Philipp konnte dieſe harmloſe Zu-
ſammenkunft nicht mit Beſorgniß betrachten; er äußerte nur mit halb
unterdrückter Empfindlichkeit: gern hätte er ſelbſt theilgenommen, noch lieber
einem Congreſſe aller fünf Mächte beigewohnt. ***) Weit lebhafter als die
europäiſche Politik beſchäftigte den Czaren für jetzt die Sorge um Oeſter-
reichs Zukunft. In erregten Geſprächen mit Metternich und Clam erklärte
er unumwunden: ſo ohne feſte Leitung müſſe Oeſterreich einer unerwartet
ausbrechenden italieniſchen Revolution ſicher erliegen. Sein Hintergedanke
dabei war, Metternich’s Macht einzuſchränken, denn trotz der in München-
grätz ausgetauſchten Zärtlichkeitsbetheuerungen traute er dem Staatskanzler
noch nicht ganz. †) Als dieſe Unterredungen fruchtlos blieben, reiſte er
plötzlich in höchſter Eile nach Wien, angeblich um der Kaiſerin-Wittwe
ſeine Theilnahme auszuſprechen. Seine unerwartete Ankunft erregte auch
das ſtaunende Aufſehen, das ſeiner Eitelkeit immer ſchmeichelte, jedoch
zu einem durchgreifenden Entſchluſſe konnte er die Damen des Hofes nicht
bewegen, und ſichtlich verſtimmt kehrte er nach kurzem Aufenthalt zurück.
Alſo blieb die kaiſerliche Regierung noch während eines vollen Jahres
in einem rechtlich ungeordneten, chaotiſchen Zuſtande. Metternich und
Kolowrat rangen mit einander um die Herrſchaft, und der gewandte
Staatskanzler erkannte bald, daß er ſich mit den frommen Damen ver-
bünden mußte, wenn er ſeinen Nebenbuhler beſiegen wollte. Dieſer Ent-
ſchluß fiel ihm um ſo leichter, da er ſich neuerdings, auf das Andringen
ſeiner Gemahlin Melanie, den Clericalen ſchon merklich genähert hatte.
Auch hegte er ſeit dem Erſtarken des Zollvereins einen reizbaren Argwohn
*) Maltzan’s Bericht, 27. Oct. 1835.
**) Ancillon, Rundſchreiben an die Geſandtſchaften, 9. Oct. 1835.
***) Maltzan’s Bericht, 2. Nov. 1835.
†) An dieſe dem Könige wohlbekannten Geſpräche erinnert Maltzan in dem Bericht
vom 18. Dec. 1835.
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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 4: Bis zum Tode König Friedrich Wilhelms III. Leipzig, 1889, S. 524. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte04_1889/538>, abgerufen am 23.07.2024.
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