Der hatte bisher josephinischen Grundsätzen gehuldigt und die Regierung nur mit politischen Flugschriften bekämpft, aber bald einsehen müssen, daß sein letzter Zweck, die Unabhängigkeit Belgiens, nur mit Hilfe der Kirche erreicht werden konnte. Preßfreiheit, Schwurgerichte, Verantwort- lichkeit der Minister, freier Gebrauch der französischen Sprache, aber auch Freiheit des Unterrichts -- das will sagen: Unterwerfung der Volksschule unter die Kirche -- so lautete das Programm der Neuverbündeten. Ein Sturm von Petitionen rüttelte an den Thoren der Generalstaaten. Als der König über den monströsen Bund der beiden Parteien und ihr infames Betragen schalt, verschworen sich die Heißsporne nach altem Geusenbrauche, treu bis zur Infamie bei ihrem Banner auszuharren.
In solcher Gährung ward das Land von der Juli-Revolution über- rascht. Am 25. August erklangen die feurigen Aufruhrlieder der Stummen von Portici im Brüsseler Theater, in der nämlichen Nacht brach die Em- pörung aus, eine rohe, noch ziellose Pöbelbewegung; aber nicht lange, so flatterte auf dem gothischen Thurme des Rathhauses schon die dreifarbige Fahne von Brabant. Ueberall im Lande züngelte der Aufruhr empor; französische Agenten, Offiziere, Soldaten schlossen sich den Aufständischen an. Dem holländischen Heere fehlte die feste Leitung; der König selber begann zu fühlen, daß die Verwaltung der beiden Landeshälften getrennt werden mußte, und verhandelte darüber mit den Generalstaaten. Da wurden seine Truppen, vier Wochen nach dem ersten Aufruhr, durch einen dreitägigen wilden Straßenkampf von den Brüsselern gezwungen, die Hauptstadt zu räumen. Seitdem riß im Heere die Fahnenflucht ein, die Belgier verließen ihre Regimenter, hüben und drüben flammte der alte Stammeshaß furchtbar auf. Die Vermittlungsversuche des ehrgeizigen Prinzen von Oranien verfingen nicht mehr, und als am 27. Oktober die Holländer in der Antwerpener Citadelle die Scheldestadt, zur Strafe für einen verrätherischen Angriff, mit ihren Bomben einäscherten, da war die Trennung entschieden. Unter den Trümmern von Antwerpen ward das Vereinigte Königreich begraben. In den Regierungsausschüssen der Aufständischen saßen die Führer der beiden verbündeten Parteien, der ultramontane Fanatiker Felix von Merode so gut wie der geistreiche junge liberale Staatsmann van de Weyer. Doch wie wirr auch die Meinungen noch durcheinander flutheten, ein starkes Selbstgefühl war in beiden Par- teien lebendig. Im Rausche des Sieges entsann man sich wieder jener stolzen Tage, da die Rolandsglocke von Brügge "Victorie in Vlaander- land" geläutet hatte; der einst von Mirabeau ausgesprochene Gedanke eines selbständigen belgischen Staates gewann von Tag zu Tag neue Anhänger.
Die zur Hilfe herbeigeeilten Franzosen und ihr Anhang erwarteten zuversichtlich den Anschluß Belgiens an das freie Frankreich. Die gesammte radicale Presse von Paris blies in dasselbe Horn, und der gefeierte Redner des Chauvinismus, General Lamarque erklärte kurzab: das Gesetz des
IV. 1. Die Juli-Revolution und der Weltfriede.
Der hatte bisher joſephiniſchen Grundſätzen gehuldigt und die Regierung nur mit politiſchen Flugſchriften bekämpft, aber bald einſehen müſſen, daß ſein letzter Zweck, die Unabhängigkeit Belgiens, nur mit Hilfe der Kirche erreicht werden konnte. Preßfreiheit, Schwurgerichte, Verantwort- lichkeit der Miniſter, freier Gebrauch der franzöſiſchen Sprache, aber auch Freiheit des Unterrichts — das will ſagen: Unterwerfung der Volksſchule unter die Kirche — ſo lautete das Programm der Neuverbündeten. Ein Sturm von Petitionen rüttelte an den Thoren der Generalſtaaten. Als der König über den monſtröſen Bund der beiden Parteien und ihr infames Betragen ſchalt, verſchworen ſich die Heißſporne nach altem Geuſenbrauche, treu bis zur Infamie bei ihrem Banner auszuharren.
In ſolcher Gährung ward das Land von der Juli-Revolution über- raſcht. Am 25. Auguſt erklangen die feurigen Aufruhrlieder der Stummen von Portici im Brüſſeler Theater, in der nämlichen Nacht brach die Em- pörung aus, eine rohe, noch zielloſe Pöbelbewegung; aber nicht lange, ſo flatterte auf dem gothiſchen Thurme des Rathhauſes ſchon die dreifarbige Fahne von Brabant. Ueberall im Lande züngelte der Aufruhr empor; franzöſiſche Agenten, Offiziere, Soldaten ſchloſſen ſich den Aufſtändiſchen an. Dem holländiſchen Heere fehlte die feſte Leitung; der König ſelber begann zu fühlen, daß die Verwaltung der beiden Landeshälften getrennt werden mußte, und verhandelte darüber mit den Generalſtaaten. Da wurden ſeine Truppen, vier Wochen nach dem erſten Aufruhr, durch einen dreitägigen wilden Straßenkampf von den Brüſſelern gezwungen, die Hauptſtadt zu räumen. Seitdem riß im Heere die Fahnenflucht ein, die Belgier verließen ihre Regimenter, hüben und drüben flammte der alte Stammeshaß furchtbar auf. Die Vermittlungsverſuche des ehrgeizigen Prinzen von Oranien verfingen nicht mehr, und als am 27. Oktober die Holländer in der Antwerpener Citadelle die Scheldeſtadt, zur Strafe für einen verrätheriſchen Angriff, mit ihren Bomben einäſcherten, da war die Trennung entſchieden. Unter den Trümmern von Antwerpen ward das Vereinigte Königreich begraben. In den Regierungsausſchüſſen der Aufſtändiſchen ſaßen die Führer der beiden verbündeten Parteien, der ultramontane Fanatiker Felix von Merode ſo gut wie der geiſtreiche junge liberale Staatsmann van de Weyer. Doch wie wirr auch die Meinungen noch durcheinander flutheten, ein ſtarkes Selbſtgefühl war in beiden Par- teien lebendig. Im Rauſche des Sieges entſann man ſich wieder jener ſtolzen Tage, da die Rolandsglocke von Brügge „Victorie in Vlaander- land“ geläutet hatte; der einſt von Mirabeau ausgeſprochene Gedanke eines ſelbſtändigen belgiſchen Staates gewann von Tag zu Tag neue Anhänger.
Die zur Hilfe herbeigeeilten Franzoſen und ihr Anhang erwarteten zuverſichtlich den Anſchluß Belgiens an das freie Frankreich. Die geſammte radicale Preſſe von Paris blies in daſſelbe Horn, und der gefeierte Redner des Chauvinismus, General Lamarque erklärte kurzab: das Geſetz des
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Der hatte bisher joſephiniſchen Grundſätzen gehuldigt und die Regierung
nur mit politiſchen Flugſchriften bekämpft, aber bald einſehen müſſen,
daß ſein letzter Zweck, die Unabhängigkeit Belgiens, nur mit Hilfe der
Kirche erreicht werden konnte. Preßfreiheit, Schwurgerichte, Verantwort-
lichkeit der Miniſter, freier Gebrauch der franzöſiſchen Sprache, aber auch
Freiheit des Unterrichts — das will ſagen: Unterwerfung der Volksſchule
unter die Kirche — ſo lautete das Programm der Neuverbündeten. Ein
Sturm von Petitionen rüttelte an den Thoren der Generalſtaaten. Als der
König über den monſtröſen Bund der beiden Parteien und ihr infames
Betragen ſchalt, verſchworen ſich die Heißſporne nach altem Geuſenbrauche,
treu bis zur Infamie bei ihrem Banner auszuharren.
In ſolcher Gährung ward das Land von der Juli-Revolution über-
raſcht. Am 25. Auguſt erklangen die feurigen Aufruhrlieder der Stummen
von Portici im Brüſſeler Theater, in der nämlichen Nacht brach die Em-
pörung aus, eine rohe, noch zielloſe Pöbelbewegung; aber nicht lange, ſo
flatterte auf dem gothiſchen Thurme des Rathhauſes ſchon die dreifarbige
Fahne von Brabant. Ueberall im Lande züngelte der Aufruhr empor;
franzöſiſche Agenten, Offiziere, Soldaten ſchloſſen ſich den Aufſtändiſchen
an. Dem holländiſchen Heere fehlte die feſte Leitung; der König ſelber
begann zu fühlen, daß die Verwaltung der beiden Landeshälften getrennt
werden mußte, und verhandelte darüber mit den Generalſtaaten. Da
wurden ſeine Truppen, vier Wochen nach dem erſten Aufruhr, durch
einen dreitägigen wilden Straßenkampf von den Brüſſelern gezwungen,
die Hauptſtadt zu räumen. Seitdem riß im Heere die Fahnenflucht ein,
die Belgier verließen ihre Regimenter, hüben und drüben flammte der alte
Stammeshaß furchtbar auf. Die Vermittlungsverſuche des ehrgeizigen
Prinzen von Oranien verfingen nicht mehr, und als am 27. Oktober
die Holländer in der Antwerpener Citadelle die Scheldeſtadt, zur Strafe
für einen verrätheriſchen Angriff, mit ihren Bomben einäſcherten, da
war die Trennung entſchieden. Unter den Trümmern von Antwerpen
ward das Vereinigte Königreich begraben. In den Regierungsausſchüſſen
der Aufſtändiſchen ſaßen die Führer der beiden verbündeten Parteien, der
ultramontane Fanatiker Felix von Merode ſo gut wie der geiſtreiche junge
liberale Staatsmann van de Weyer. Doch wie wirr auch die Meinungen
noch durcheinander flutheten, ein ſtarkes Selbſtgefühl war in beiden Par-
teien lebendig. Im Rauſche des Sieges entſann man ſich wieder jener
ſtolzen Tage, da die Rolandsglocke von Brügge „Victorie in Vlaander-
land“ geläutet hatte; der einſt von Mirabeau ausgeſprochene Gedanke eines
ſelbſtändigen belgiſchen Staates gewann von Tag zu Tag neue Anhänger.
Die zur Hilfe herbeigeeilten Franzoſen und ihr Anhang erwarteten
zuverſichtlich den Anſchluß Belgiens an das freie Frankreich. Die geſammte
radicale Preſſe von Paris blies in daſſelbe Horn, und der gefeierte Redner
des Chauvinismus, General Lamarque erklärte kurzab: das Geſetz des
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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 4: Bis zum Tode König Friedrich Wilhelms III. Leipzig, 1889, S. 34. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte04_1889/48>, abgerufen am 28.11.2024.
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