des Prinzen Friedrich von Preußen und die reichen Grundherren der Nachbarschaft belebten im Winter die Gesellschaft. Es war ein frisches, kräftiges Treiben, Werkeltag und Festtag fröhlich verbunden, die Künstler fast alle noch jung und seliger Hoffnung voll. Wenn Mendelssohn ein Musikfest veranstaltete oder die Maler einen Maskenzug aufführten, dann zogen die neuen Dampfer im Flaggenschmuck rheinab und rheinauf, lange Wagenzüge bedeckten die schönen Straßen des volkreichen bergischen Lan- des, tausende von Schaulustigen eilten herbei wie zum Carneval im nahen Köln. In diesen rheinischen Festen kam der alte freie Humor unseres öffentlichen Lebens, der in der Stubenluft des letzten Jahrhunderts ganz eingetrocknet war, zuerst wieder zu seinem Rechte. Immermann aber fühlte sich in diesem neuen schöneren Studentenleben erst wahrhaft frei, er wußte jetzt was er vermochte. Er trat an die Spitze des Düsseldorfer Theaters; denn er traute sich's zu, der verwilderten deutschen Bühne wiederzugewinnen, was sie seit dem überhandnehmenden Virtuosenthum fast verloren hatte: das geordnete, streng geschulte Zusammenspiel aller Mitwirkenden und die lebendige Theilnahme der Bestgebildeten der Nation. Und wirklich bewährte er sich als dramaturgischer Meister; seine Einsicht und sein eiserner Wille brachte mit mittelmäßigen Schauspielern Auffüh- rungen zu Stande, welche den strengsten Anforderungen genügten. Leider währte diese glänzende Blüthe der Düsseldorfer Bühne kaum drei Jahre, da die Geldmittel der Stadt nicht auslangten.
In solchem Getümmel von Amtsgeschäften und Theaternöthen, in einer unruhigen Zeit, die nur dem fragmentarischen Schaffen günstig schien, fand Immermann noch die Kraft sich für seine beiden reifsten Werke zu sam- meln. Ein Glück für den Künstler, daß die Tagespolitik ihn kalt ließ. Als conservativer preußischer Beamter war er mit der bestehenden Ordnung im Wesentlichen einverstanden, obwohl ihre Mängel seinem sarkastischen Blicke nicht entgingen; der Zeitungslärm der Liberalen ekelte ihn an, und von seinem Jugendfreunde Heine wandte er sich ab seit er die Hohlheit des neuen Radicalismus durchschaut hatte. Frei über den Parteien stehend wollte er in dem Romane "die Epigonen" den Werdegang der Zeit dar- stellen, und das Werk ward in der That als Geschichtsbild noch bedeut- samer denn als Dichtung. Wohl hatte der Dichter die alte Unart der Reminiscenzen noch nicht ganz überwunden, die Anklänge an Wilhelm Meister ließen sich nur zu deutlich hören; und bis zum Unleidlichen wider- wärtig erschien an seinem Epigonen Hermann der fast allen Romanhelden gemeinsame Charakterzug der bestimmbaren Schwäche. Aber wie tief und geistvoll, Licht und Schatten gerecht vertheilend, schildert er den Umsturz der alten Gesellschaft: hier den alten Adel, der mitten im selbstverschul- deten Untergange noch den ästhetischen Reiz der Vornehmheit behauptet, dort das aufstrebende Bürgerthum mit seinem tüchtigen Fleiße, seiner Prosa, seiner pharisäischen Herzenshärtigkeit -- Alles treu nach dem Leben, denn
IV. 7. Das Junge Deutſchland.
des Prinzen Friedrich von Preußen und die reichen Grundherren der Nachbarſchaft belebten im Winter die Geſellſchaft. Es war ein friſches, kräftiges Treiben, Werkeltag und Feſttag fröhlich verbunden, die Künſtler faſt alle noch jung und ſeliger Hoffnung voll. Wenn Mendelsſohn ein Muſikfeſt veranſtaltete oder die Maler einen Maskenzug aufführten, dann zogen die neuen Dampfer im Flaggenſchmuck rheinab und rheinauf, lange Wagenzüge bedeckten die ſchönen Straßen des volkreichen bergiſchen Lan- des, tauſende von Schauluſtigen eilten herbei wie zum Carneval im nahen Köln. In dieſen rheiniſchen Feſten kam der alte freie Humor unſeres öffentlichen Lebens, der in der Stubenluft des letzten Jahrhunderts ganz eingetrocknet war, zuerſt wieder zu ſeinem Rechte. Immermann aber fühlte ſich in dieſem neuen ſchöneren Studentenleben erſt wahrhaft frei, er wußte jetzt was er vermochte. Er trat an die Spitze des Düſſeldorfer Theaters; denn er traute ſich’s zu, der verwilderten deutſchen Bühne wiederzugewinnen, was ſie ſeit dem überhandnehmenden Virtuoſenthum faſt verloren hatte: das geordnete, ſtreng geſchulte Zuſammenſpiel aller Mitwirkenden und die lebendige Theilnahme der Beſtgebildeten der Nation. Und wirklich bewährte er ſich als dramaturgiſcher Meiſter; ſeine Einſicht und ſein eiſerner Wille brachte mit mittelmäßigen Schauſpielern Auffüh- rungen zu Stande, welche den ſtrengſten Anforderungen genügten. Leider währte dieſe glänzende Blüthe der Düſſeldorfer Bühne kaum drei Jahre, da die Geldmittel der Stadt nicht auslangten.
In ſolchem Getümmel von Amtsgeſchäften und Theaternöthen, in einer unruhigen Zeit, die nur dem fragmentariſchen Schaffen günſtig ſchien, fand Immermann noch die Kraft ſich für ſeine beiden reifſten Werke zu ſam- meln. Ein Glück für den Künſtler, daß die Tagespolitik ihn kalt ließ. Als conſervativer preußiſcher Beamter war er mit der beſtehenden Ordnung im Weſentlichen einverſtanden, obwohl ihre Mängel ſeinem ſarkaſtiſchen Blicke nicht entgingen; der Zeitungslärm der Liberalen ekelte ihn an, und von ſeinem Jugendfreunde Heine wandte er ſich ab ſeit er die Hohlheit des neuen Radicalismus durchſchaut hatte. Frei über den Parteien ſtehend wollte er in dem Romane „die Epigonen“ den Werdegang der Zeit dar- ſtellen, und das Werk ward in der That als Geſchichtsbild noch bedeut- ſamer denn als Dichtung. Wohl hatte der Dichter die alte Unart der Reminiscenzen noch nicht ganz überwunden, die Anklänge an Wilhelm Meiſter ließen ſich nur zu deutlich hören; und bis zum Unleidlichen wider- wärtig erſchien an ſeinem Epigonen Hermann der faſt allen Romanhelden gemeinſame Charakterzug der beſtimmbaren Schwäche. Aber wie tief und geiſtvoll, Licht und Schatten gerecht vertheilend, ſchildert er den Umſturz der alten Geſellſchaft: hier den alten Adel, der mitten im ſelbſtverſchul- deten Untergange noch den äſthetiſchen Reiz der Vornehmheit behauptet, dort das aufſtrebende Bürgerthum mit ſeinem tüchtigen Fleiße, ſeiner Proſa, ſeiner phariſäiſchen Herzenshärtigkeit — Alles treu nach dem Leben, denn
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IV. 7. Das Junge Deutſchland.
des Prinzen Friedrich von Preußen und die reichen Grundherren der
Nachbarſchaft belebten im Winter die Geſellſchaft. Es war ein friſches,
kräftiges Treiben, Werkeltag und Feſttag fröhlich verbunden, die Künſtler
faſt alle noch jung und ſeliger Hoffnung voll. Wenn Mendelsſohn ein
Muſikfeſt veranſtaltete oder die Maler einen Maskenzug aufführten, dann
zogen die neuen Dampfer im Flaggenſchmuck rheinab und rheinauf, lange
Wagenzüge bedeckten die ſchönen Straßen des volkreichen bergiſchen Lan-
des, tauſende von Schauluſtigen eilten herbei wie zum Carneval im nahen
Köln. In dieſen rheiniſchen Feſten kam der alte freie Humor unſeres
öffentlichen Lebens, der in der Stubenluft des letzten Jahrhunderts ganz
eingetrocknet war, zuerſt wieder zu ſeinem Rechte. Immermann aber
fühlte ſich in dieſem neuen ſchöneren Studentenleben erſt wahrhaft frei,
er wußte jetzt was er vermochte. Er trat an die Spitze des Düſſeldorfer
Theaters; denn er traute ſich’s zu, der verwilderten deutſchen Bühne
wiederzugewinnen, was ſie ſeit dem überhandnehmenden Virtuoſenthum
faſt verloren hatte: das geordnete, ſtreng geſchulte Zuſammenſpiel aller
Mitwirkenden und die lebendige Theilnahme der Beſtgebildeten der Nation.
Und wirklich bewährte er ſich als dramaturgiſcher Meiſter; ſeine Einſicht
und ſein eiſerner Wille brachte mit mittelmäßigen Schauſpielern Auffüh-
rungen zu Stande, welche den ſtrengſten Anforderungen genügten. Leider
währte dieſe glänzende Blüthe der Düſſeldorfer Bühne kaum drei Jahre,
da die Geldmittel der Stadt nicht auslangten.
In ſolchem Getümmel von Amtsgeſchäften und Theaternöthen, in einer
unruhigen Zeit, die nur dem fragmentariſchen Schaffen günſtig ſchien, fand
Immermann noch die Kraft ſich für ſeine beiden reifſten Werke zu ſam-
meln. Ein Glück für den Künſtler, daß die Tagespolitik ihn kalt ließ. Als
conſervativer preußiſcher Beamter war er mit der beſtehenden Ordnung
im Weſentlichen einverſtanden, obwohl ihre Mängel ſeinem ſarkaſtiſchen
Blicke nicht entgingen; der Zeitungslärm der Liberalen ekelte ihn an, und
von ſeinem Jugendfreunde Heine wandte er ſich ab ſeit er die Hohlheit
des neuen Radicalismus durchſchaut hatte. Frei über den Parteien ſtehend
wollte er in dem Romane „die Epigonen“ den Werdegang der Zeit dar-
ſtellen, und das Werk ward in der That als Geſchichtsbild noch bedeut-
ſamer denn als Dichtung. Wohl hatte der Dichter die alte Unart der
Reminiscenzen noch nicht ganz überwunden, die Anklänge an Wilhelm
Meiſter ließen ſich nur zu deutlich hören; und bis zum Unleidlichen wider-
wärtig erſchien an ſeinem Epigonen Hermann der faſt allen Romanhelden
gemeinſame Charakterzug der beſtimmbaren Schwäche. Aber wie tief und
geiſtvoll, Licht und Schatten gerecht vertheilend, ſchildert er den Umſturz
der alten Geſellſchaft: hier den alten Adel, der mitten im ſelbſtverſchul-
deten Untergange noch den äſthetiſchen Reiz der Vornehmheit behauptet,
dort das aufſtrebende Bürgerthum mit ſeinem tüchtigen Fleiße, ſeiner Proſa,
ſeiner phariſäiſchen Herzenshärtigkeit — Alles treu nach dem Leben, denn
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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 4: Bis zum Tode König Friedrich Wilhelms III. Leipzig, 1889, S. 448. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte04_1889/462>, abgerufen am 23.07.2024.
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