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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 4: Bis zum Tode König Friedrich Wilhelms III. Leipzig, 1889.

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IV. 6. Der Deutsche Zollverein.
Berlin konnte nicht genug ihre Verwunderung aussprechen über den un-
gestümen Mann mit der rothen Perrücke und den vollgepfropften Akten-
mappen: welch eine weitschweifige Kleinlichkeit, welche Lust an unfrucht-
barem theoretischem Streite, welche Fülle unverdauter Gelehrsamkeit, welch
ein hartnäckiges Mißtrauen gegen Preußen! Der frühreife schwäbische
Staatsweise entfaltete bereits alle jene Talente, die noch vierzig Jahre
später den deutschen Reichstag bezaubern sollten; L. Kühne nannte ihn
"einen eingebildeten Narren, der den Bären des Nordlands seine kindische
constitutionelle Weisheit zu predigen dachte". Als Mohl dem einzigen
Küstenstaate des Zollvereins die Abschließung von Schifffahrtsverträgen
verbieten wollte, da erwiderte der Preuße: "dann werden wir also einen
unserer Ostseehäfen an Württemberg abtreten müssen um die Gleichheit
zwischen den Zollgenossen herzustellen!" Mit einem solchen Collegen be-
haftet, konnte auch der bairische Assessor Bever nichts fördern. Die hoch-
stehenden preußischen Staatsmänner fanden es bald unerträglich, mit Sub-
alternen zu verhandeln, die bei jeder Kleinigkeit daheim anfragten; und zu
allem Unheil begann auch wieder der alte Streit der Berliner Departe-
ments: Kühne und Eichhorn, die doch Beide das Nämliche wollten, be-
trachteten einander mit gegenseitiger Eifersucht. Also gestalteten sich die
Verhandlungen mit dem befreundeten Süden wider Erwarten zu einem
unerquicklichen Zwist. Im Mai 1832 brach man sie ab.

Moritz Mohl schrieb nun eine ungeheure Denkschrift und bewies,
daß der Zollverein mit Preußen den sicheren Untergang Württembergs
herbeiführen müsse. Ein Menschenalter darauf hat Freiherr v. Varnbüler
dies klassische Aktenstück der Vergessenheit entrissen um der Welt den Weit-
blick des Volksmannes zu zeigen. König Wilhelm wünschte nach wie vor
den Abschluß, selbst Wangenheim hatte Einiges gelernt, mahnte aus der
Ferne zur Verständigung. Doch die große Mehrheit im Lande widerstrebte.
Die Fabrikanten, die bisher aus der Beherrschung des bairischen Marktes
großen Gewinn gezogen, fürchteten die Industrie des Niederrheins, die
Bequemlichkeit des mächtigen Schreiberstandes zitterte vor der strengen
preußischen Controle, der gesinnungstüchtige Liberale schlug ein Kreuz vor
dem Schreckbilde des norddeutschen Absolutismus. Mehr als ein halbes
Jahr brauchten die süddeutschen Höfe, um sich einen neuen Entschluß zu
bilden. Unterdessen trieb die Diplomatie Oesterreichs und der auswärtigen
Mächte ihr verdecktes Spiel an den Höfen der Mittelstaaten. Eine Zeit
lang stand die große Sache fast hoffnungslos. Baden thut wohl, alle
Zollvereinsgedanken vorläufig aufzugeben -- sagte der bairische Minister
Gise zu dem badischen Gesandten Fahnenberg -- Preußen stellt unerhörte
Forderungen, verlangt von uns materielle Opfer und die Beschränkung
der Souveränität, Kurhessen bereut schon den übereilten Anschluß!*) Zu-

*) Fahnenberg's Bericht, 30. Mai 1832.

IV. 6. Der Deutſche Zollverein.
Berlin konnte nicht genug ihre Verwunderung ausſprechen über den un-
geſtümen Mann mit der rothen Perrücke und den vollgepfropften Akten-
mappen: welch eine weitſchweifige Kleinlichkeit, welche Luſt an unfrucht-
barem theoretiſchem Streite, welche Fülle unverdauter Gelehrſamkeit, welch
ein hartnäckiges Mißtrauen gegen Preußen! Der frühreife ſchwäbiſche
Staatsweiſe entfaltete bereits alle jene Talente, die noch vierzig Jahre
ſpäter den deutſchen Reichstag bezaubern ſollten; L. Kühne nannte ihn
„einen eingebildeten Narren, der den Bären des Nordlands ſeine kindiſche
conſtitutionelle Weisheit zu predigen dachte“. Als Mohl dem einzigen
Küſtenſtaate des Zollvereins die Abſchließung von Schifffahrtsverträgen
verbieten wollte, da erwiderte der Preuße: „dann werden wir alſo einen
unſerer Oſtſeehäfen an Württemberg abtreten müſſen um die Gleichheit
zwiſchen den Zollgenoſſen herzuſtellen!“ Mit einem ſolchen Collegen be-
haftet, konnte auch der bairiſche Aſſeſſor Bever nichts fördern. Die hoch-
ſtehenden preußiſchen Staatsmänner fanden es bald unerträglich, mit Sub-
alternen zu verhandeln, die bei jeder Kleinigkeit daheim anfragten; und zu
allem Unheil begann auch wieder der alte Streit der Berliner Departe-
ments: Kühne und Eichhorn, die doch Beide das Nämliche wollten, be-
trachteten einander mit gegenſeitiger Eiferſucht. Alſo geſtalteten ſich die
Verhandlungen mit dem befreundeten Süden wider Erwarten zu einem
unerquicklichen Zwiſt. Im Mai 1832 brach man ſie ab.

Moritz Mohl ſchrieb nun eine ungeheure Denkſchrift und bewies,
daß der Zollverein mit Preußen den ſicheren Untergang Württembergs
herbeiführen müſſe. Ein Menſchenalter darauf hat Freiherr v. Varnbüler
dies klaſſiſche Aktenſtück der Vergeſſenheit entriſſen um der Welt den Weit-
blick des Volksmannes zu zeigen. König Wilhelm wünſchte nach wie vor
den Abſchluß, ſelbſt Wangenheim hatte Einiges gelernt, mahnte aus der
Ferne zur Verſtändigung. Doch die große Mehrheit im Lande widerſtrebte.
Die Fabrikanten, die bisher aus der Beherrſchung des bairiſchen Marktes
großen Gewinn gezogen, fürchteten die Induſtrie des Niederrheins, die
Bequemlichkeit des mächtigen Schreiberſtandes zitterte vor der ſtrengen
preußiſchen Controle, der geſinnungstüchtige Liberale ſchlug ein Kreuz vor
dem Schreckbilde des norddeutſchen Abſolutismus. Mehr als ein halbes
Jahr brauchten die ſüddeutſchen Höfe, um ſich einen neuen Entſchluß zu
bilden. Unterdeſſen trieb die Diplomatie Oeſterreichs und der auswärtigen
Mächte ihr verdecktes Spiel an den Höfen der Mittelſtaaten. Eine Zeit
lang ſtand die große Sache faſt hoffnungslos. Baden thut wohl, alle
Zollvereinsgedanken vorläufig aufzugeben — ſagte der bairiſche Miniſter
Giſe zu dem badiſchen Geſandten Fahnenberg — Preußen ſtellt unerhörte
Forderungen, verlangt von uns materielle Opfer und die Beſchränkung
der Souveränität, Kurheſſen bereut ſchon den übereilten Anſchluß!*) Zu-

*) Fahnenberg’s Bericht, 30. Mai 1832.
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[366/0380] IV. 6. Der Deutſche Zollverein. Berlin konnte nicht genug ihre Verwunderung ausſprechen über den un- geſtümen Mann mit der rothen Perrücke und den vollgepfropften Akten- mappen: welch eine weitſchweifige Kleinlichkeit, welche Luſt an unfrucht- barem theoretiſchem Streite, welche Fülle unverdauter Gelehrſamkeit, welch ein hartnäckiges Mißtrauen gegen Preußen! Der frühreife ſchwäbiſche Staatsweiſe entfaltete bereits alle jene Talente, die noch vierzig Jahre ſpäter den deutſchen Reichstag bezaubern ſollten; L. Kühne nannte ihn „einen eingebildeten Narren, der den Bären des Nordlands ſeine kindiſche conſtitutionelle Weisheit zu predigen dachte“. Als Mohl dem einzigen Küſtenſtaate des Zollvereins die Abſchließung von Schifffahrtsverträgen verbieten wollte, da erwiderte der Preuße: „dann werden wir alſo einen unſerer Oſtſeehäfen an Württemberg abtreten müſſen um die Gleichheit zwiſchen den Zollgenoſſen herzuſtellen!“ Mit einem ſolchen Collegen be- haftet, konnte auch der bairiſche Aſſeſſor Bever nichts fördern. Die hoch- ſtehenden preußiſchen Staatsmänner fanden es bald unerträglich, mit Sub- alternen zu verhandeln, die bei jeder Kleinigkeit daheim anfragten; und zu allem Unheil begann auch wieder der alte Streit der Berliner Departe- ments: Kühne und Eichhorn, die doch Beide das Nämliche wollten, be- trachteten einander mit gegenſeitiger Eiferſucht. Alſo geſtalteten ſich die Verhandlungen mit dem befreundeten Süden wider Erwarten zu einem unerquicklichen Zwiſt. Im Mai 1832 brach man ſie ab. Moritz Mohl ſchrieb nun eine ungeheure Denkſchrift und bewies, daß der Zollverein mit Preußen den ſicheren Untergang Württembergs herbeiführen müſſe. Ein Menſchenalter darauf hat Freiherr v. Varnbüler dies klaſſiſche Aktenſtück der Vergeſſenheit entriſſen um der Welt den Weit- blick des Volksmannes zu zeigen. König Wilhelm wünſchte nach wie vor den Abſchluß, ſelbſt Wangenheim hatte Einiges gelernt, mahnte aus der Ferne zur Verſtändigung. Doch die große Mehrheit im Lande widerſtrebte. Die Fabrikanten, die bisher aus der Beherrſchung des bairiſchen Marktes großen Gewinn gezogen, fürchteten die Induſtrie des Niederrheins, die Bequemlichkeit des mächtigen Schreiberſtandes zitterte vor der ſtrengen preußiſchen Controle, der geſinnungstüchtige Liberale ſchlug ein Kreuz vor dem Schreckbilde des norddeutſchen Abſolutismus. Mehr als ein halbes Jahr brauchten die ſüddeutſchen Höfe, um ſich einen neuen Entſchluß zu bilden. Unterdeſſen trieb die Diplomatie Oeſterreichs und der auswärtigen Mächte ihr verdecktes Spiel an den Höfen der Mittelſtaaten. Eine Zeit lang ſtand die große Sache faſt hoffnungslos. Baden thut wohl, alle Zollvereinsgedanken vorläufig aufzugeben — ſagte der bairiſche Miniſter Giſe zu dem badiſchen Geſandten Fahnenberg — Preußen ſtellt unerhörte Forderungen, verlangt von uns materielle Opfer und die Beſchränkung der Souveränität, Kurheſſen bereut ſchon den übereilten Anſchluß! *) Zu- *) Fahnenberg’s Bericht, 30. Mai 1832.

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Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 4: Bis zum Tode König Friedrich Wilhelms III. Leipzig, 1889, S. 366. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte04_1889/380>, abgerufen am 24.11.2024.