preußischen Gewerbefreiheit widersprachen. Da die gleichmäßige Besteue- rung der inländischen Consumtion mithin unausführbar blieb, so bestand die preußische Finanzpartei hartnäckig auf der Einführung von Ausglei- chungsabgaben. Die an sich richtige Meinung, daß jede Zollgemeinschaft die annähernde Gleichheit der indirekten Steuern voraussetze, war seit dem Jahre 1818 eine der leitenden Ideen der preußischen Handelspolitik. Die Berliner Finanzmänner hatten sich so tief in diesen Gedanken ein- gelebt, daß sie ihn alsbald mit fiskalischer Härte auf die Spitze trieben. Die Ausgleichungsabgaben sind lange, wesentlich durch Preußens Schuld, ein wunder Fleck der Zollgesetze geblieben; sie belästigten den Verkehr und brachten geringen Ertrag, auch nachdem sie späterhin die rein fiskalische Gestalt der "Uebergangsabgaben" annahmen.
Irrte Preußen in dieser Frage, so erhoben auch die Südstaaten höchst unbillige Ansprüche. Sie verlangten anfangs eine völlige Umge- staltung des Tarifs und fanden namentlich die preußischen Zölle auf Baumwollenwaaren unerträglich hoch, da sie selbst noch fast gar keine Baumwollenspinnereien besaßen. Und doch konnte Preußen nicht nach- geben. Sachsens Eintritt stand bevor, die preußische Industrie klagte laut über die drohende Mitwerbung des Erzgebirges; in solcher Stunde die Zölle herabzusetzen schien selbst dem Freihändler Maassen nicht rathsam. Auch die von Württemberg geforderte Herabsetzung der Zuckerzölle ging nicht durch; die Interessen der mächtig aufblühenden Magdeburgischen Rübenzuckerindustrie durften nicht preisgegeben werden. Desgleichen die gefürchteten preußischen Transitzölle blieben noch unentbehrlich als ein sanfter Wink für die Nachbarn. Ueberhaupt war die Lage des Augen- blicks der Vereinfachung des Tarifs keineswegs günstig; Preußens Staats- männer ahnten, daß die süddeutschen Höfe in einer nahen Zukunft die Farbe wechseln, mit schutzzöllnerischem Eifer auf die Erhöhung der Zölle dringen würden. Lebhafter noch als dieser staatswirthschaftliche Kampf entbrannte der "staatsrechtliche Streit", wie man in München zu sagen pflegte. Die verständige Bestimmung der preußisch-hessischen Verträge, wonach Preußen in der Regel allein die Handelsverträge für den Zoll- verein schließen sollte, galt dem bairischen und dem württembergischen Hofe als eine schimpfliche Unterwerfung; sie forderten unbedingte Gleichheit in Allem und Jedem.
So mannichfache sachliche Bedenken ins Gleiche zu bringen, konnte nur erprobter staatsmännischer Kraft gelingen. Die oberdeutschen Höfe aber hatten, thöricht genug, zwei junge Subalternbeamte für diese schwierige Mission bevollmächtigt, vermuthlich nur aus Sparsamkeit. Die Ersparniß sollte ihnen theuer zu stehen kommen. Eichhorn hatte an den Unter- händlern der Kleinstaaten schon des Wundersamen viel beobachtet; eine Persönlichkeit wie dieser württembergische Bevollmächtigte, der Assessor Moritz Mohl, war ihm noch nicht vorgekommen. Die Diplomatie in
Verhandlungen mit dem ſüddeutſchen Zollvereine.
preußiſchen Gewerbefreiheit widerſprachen. Da die gleichmäßige Beſteue- rung der inländiſchen Conſumtion mithin unausführbar blieb, ſo beſtand die preußiſche Finanzpartei hartnäckig auf der Einführung von Ausglei- chungsabgaben. Die an ſich richtige Meinung, daß jede Zollgemeinſchaft die annähernde Gleichheit der indirekten Steuern vorausſetze, war ſeit dem Jahre 1818 eine der leitenden Ideen der preußiſchen Handelspolitik. Die Berliner Finanzmänner hatten ſich ſo tief in dieſen Gedanken ein- gelebt, daß ſie ihn alsbald mit fiskaliſcher Härte auf die Spitze trieben. Die Ausgleichungsabgaben ſind lange, weſentlich durch Preußens Schuld, ein wunder Fleck der Zollgeſetze geblieben; ſie beläſtigten den Verkehr und brachten geringen Ertrag, auch nachdem ſie ſpäterhin die rein fiskaliſche Geſtalt der „Uebergangsabgaben“ annahmen.
Irrte Preußen in dieſer Frage, ſo erhoben auch die Südſtaaten höchſt unbillige Anſprüche. Sie verlangten anfangs eine völlige Umge- ſtaltung des Tarifs und fanden namentlich die preußiſchen Zölle auf Baumwollenwaaren unerträglich hoch, da ſie ſelbſt noch faſt gar keine Baumwollenſpinnereien beſaßen. Und doch konnte Preußen nicht nach- geben. Sachſens Eintritt ſtand bevor, die preußiſche Induſtrie klagte laut über die drohende Mitwerbung des Erzgebirges; in ſolcher Stunde die Zölle herabzuſetzen ſchien ſelbſt dem Freihändler Maaſſen nicht rathſam. Auch die von Württemberg geforderte Herabſetzung der Zuckerzölle ging nicht durch; die Intereſſen der mächtig aufblühenden Magdeburgiſchen Rübenzuckerinduſtrie durften nicht preisgegeben werden. Desgleichen die gefürchteten preußiſchen Tranſitzölle blieben noch unentbehrlich als ein ſanfter Wink für die Nachbarn. Ueberhaupt war die Lage des Augen- blicks der Vereinfachung des Tarifs keineswegs günſtig; Preußens Staats- männer ahnten, daß die ſüddeutſchen Höfe in einer nahen Zukunft die Farbe wechſeln, mit ſchutzzöllneriſchem Eifer auf die Erhöhung der Zölle dringen würden. Lebhafter noch als dieſer ſtaatswirthſchaftliche Kampf entbrannte der „ſtaatsrechtliche Streit“, wie man in München zu ſagen pflegte. Die verſtändige Beſtimmung der preußiſch-heſſiſchen Verträge, wonach Preußen in der Regel allein die Handelsverträge für den Zoll- verein ſchließen ſollte, galt dem bairiſchen und dem württembergiſchen Hofe als eine ſchimpfliche Unterwerfung; ſie forderten unbedingte Gleichheit in Allem und Jedem.
So mannichfache ſachliche Bedenken ins Gleiche zu bringen, konnte nur erprobter ſtaatsmänniſcher Kraft gelingen. Die oberdeutſchen Höfe aber hatten, thöricht genug, zwei junge Subalternbeamte für dieſe ſchwierige Miſſion bevollmächtigt, vermuthlich nur aus Sparſamkeit. Die Erſparniß ſollte ihnen theuer zu ſtehen kommen. Eichhorn hatte an den Unter- händlern der Kleinſtaaten ſchon des Wunderſamen viel beobachtet; eine Perſönlichkeit wie dieſer württembergiſche Bevollmächtigte, der Aſſeſſor Moritz Mohl, war ihm noch nicht vorgekommen. Die Diplomatie in
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Verhandlungen mit dem ſüddeutſchen Zollvereine.
preußiſchen Gewerbefreiheit widerſprachen. Da die gleichmäßige Beſteue-
rung der inländiſchen Conſumtion mithin unausführbar blieb, ſo beſtand
die preußiſche Finanzpartei hartnäckig auf der Einführung von Ausglei-
chungsabgaben. Die an ſich richtige Meinung, daß jede Zollgemeinſchaft
die annähernde Gleichheit der indirekten Steuern vorausſetze, war ſeit
dem Jahre 1818 eine der leitenden Ideen der preußiſchen Handelspolitik.
Die Berliner Finanzmänner hatten ſich ſo tief in dieſen Gedanken ein-
gelebt, daß ſie ihn alsbald mit fiskaliſcher Härte auf die Spitze trieben.
Die Ausgleichungsabgaben ſind lange, weſentlich durch Preußens Schuld,
ein wunder Fleck der Zollgeſetze geblieben; ſie beläſtigten den Verkehr und
brachten geringen Ertrag, auch nachdem ſie ſpäterhin die rein fiskaliſche
Geſtalt der „Uebergangsabgaben“ annahmen.
Irrte Preußen in dieſer Frage, ſo erhoben auch die Südſtaaten
höchſt unbillige Anſprüche. Sie verlangten anfangs eine völlige Umge-
ſtaltung des Tarifs und fanden namentlich die preußiſchen Zölle auf
Baumwollenwaaren unerträglich hoch, da ſie ſelbſt noch faſt gar keine
Baumwollenſpinnereien beſaßen. Und doch konnte Preußen nicht nach-
geben. Sachſens Eintritt ſtand bevor, die preußiſche Induſtrie klagte laut
über die drohende Mitwerbung des Erzgebirges; in ſolcher Stunde die
Zölle herabzuſetzen ſchien ſelbſt dem Freihändler Maaſſen nicht rathſam.
Auch die von Württemberg geforderte Herabſetzung der Zuckerzölle ging
nicht durch; die Intereſſen der mächtig aufblühenden Magdeburgiſchen
Rübenzuckerinduſtrie durften nicht preisgegeben werden. Desgleichen die
gefürchteten preußiſchen Tranſitzölle blieben noch unentbehrlich als ein
ſanfter Wink für die Nachbarn. Ueberhaupt war die Lage des Augen-
blicks der Vereinfachung des Tarifs keineswegs günſtig; Preußens Staats-
männer ahnten, daß die ſüddeutſchen Höfe in einer nahen Zukunft die
Farbe wechſeln, mit ſchutzzöllneriſchem Eifer auf die Erhöhung der Zölle
dringen würden. Lebhafter noch als dieſer ſtaatswirthſchaftliche Kampf
entbrannte der „ſtaatsrechtliche Streit“, wie man in München zu ſagen
pflegte. Die verſtändige Beſtimmung der preußiſch-heſſiſchen Verträge,
wonach Preußen in der Regel allein die Handelsverträge für den Zoll-
verein ſchließen ſollte, galt dem bairiſchen und dem württembergiſchen Hofe
als eine ſchimpfliche Unterwerfung; ſie forderten unbedingte Gleichheit in
Allem und Jedem.
So mannichfache ſachliche Bedenken ins Gleiche zu bringen, konnte
nur erprobter ſtaatsmänniſcher Kraft gelingen. Die oberdeutſchen Höfe
aber hatten, thöricht genug, zwei junge Subalternbeamte für dieſe ſchwierige
Miſſion bevollmächtigt, vermuthlich nur aus Sparſamkeit. Die Erſparniß
ſollte ihnen theuer zu ſtehen kommen. Eichhorn hatte an den Unter-
händlern der Kleinſtaaten ſchon des Wunderſamen viel beobachtet; eine
Perſönlichkeit wie dieſer württembergiſche Bevollmächtigte, der Aſſeſſor
Moritz Mohl, war ihm noch nicht vorgekommen. Die Diplomatie in
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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 4: Bis zum Tode König Friedrich Wilhelms III. Leipzig, 1889, S. 365. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte04_1889/379>, abgerufen am 24.11.2024.
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