schmähte die Glaubwürdigkeit dieser halbwahren Versicherung näher zu prüfen, obgleich er wohl wußte, wie eifrig Cartwright und der französische Legationssekretär Grouchy mit mehreren Senatoren verkehrten, *) und be- stand nun um so ernster darauf, daß Frankfurt seine deutsche Gesinnung durch Thaten beweisen müsse. Die Execution war der widerspänstigen Stadt bereits angedroht, da unterwarf sich endlich der Senat (3. Juni), stellte seine Truppen unter Piret's Befehl und versprach auch seine jämmerliche Polizei neu zu ordnen.
Die Noten der Westmächte beantwortete der Bundestag mit einer kurzen, würdigen Zurückweisung (12. Juni), die in Wien von sämmtlichen Mit- gliedern der deutschen Ministerconferenz -- mit einziger Ausnahme des Hannoveraners -- gebilligt worden war. **) Der ruhige Ton dieser Er- widerung ermuthigte aber die beiden Gesandten zu neuen Noten (30. Juni. 18. Juli); Beide beriefen sich wieder auf die Wiener Verträge, und der Engländer sprach wieder am gröbsten. Die an der Wiener Schlußakte betheiligten Staaten -- so schrieb er -- können nicht zugeben, "daß der Deutsche Bund, der zum Schutze der Schwachen geschaffen wurde, sich zu einem Werkzeuge der Unterdrückung in der Hand der Mächtigen um- wandle". Nunmehr merkte Nagler doch, daß man zu den feinfühligen Westländern deutlicher reden mußte. Er verlas am 18. September eine geharnischte Präsidialerklärung, welche die "Anmaßung, die vollständige Unkenntniß, die unbegreifliche Begriffsverwirrung" der beiden Noten scho- nungslos rügte und den Westmächten vorhielt, daß ihr eigener Schützling, Frankfurt, sie verleugnet habe. Demgemäß ward sodann ein überaus scharfer Beschluß einmüthig gefaßt -- selbst Hannover stimmte diesmal gegen England --: "Niemals werde der Bund den fremden Mächten, als Mitunterzeichnern der Congreßakte, in Bundesangelegenheiten Rechte zu- gestehen, welche nach dem Wortlaute des Bundesvertrages und ebenso nach dem Inhalte der Congreßakte nur den Gliedern des Deutschen Bun- des und dessen Gesammtheit zustehen."
Diesen Beschluß übersendete Nagler einfach den beiden Gesandten, ohne sie auch nur einer förmlichen Antworts-Note zu würdigen. Cartwright und Alleye fühlten sich tief verletzt, sie beschwerten sich in zwei neuen Noten (17. Oct. 21. Nov.) über eine so "vollständige Abweichung von den diplo- matischen Gebräuchen Europas" und beharrten bei ihrer Meinung über den Sinn der Wiener Verträge. Der Bundestag aber legte die Beschwerde- schriften der beiden Unermüdlichen ohne Erwiderung zu seinen Akten, und die Westmächte mußten die selbstverschuldete schnöde Behandlung ruhig hin- nehmen: sie fühlten, daß die Eintracht der deutschen Höfe doch nicht so leicht zu zersprengen war. Leider wurde dieser Schriftenwechsel, der dem
*) Nagler's Bericht, 18. Mai 1834.
**) Brockhausen's Bericht, 7. Juni 1834.
20*
Frankfurt und die Weſtmächte gegen den Bund.
ſchmähte die Glaubwürdigkeit dieſer halbwahren Verſicherung näher zu prüfen, obgleich er wohl wußte, wie eifrig Cartwright und der franzöſiſche Legationsſekretär Grouchy mit mehreren Senatoren verkehrten, *) und be- ſtand nun um ſo ernſter darauf, daß Frankfurt ſeine deutſche Geſinnung durch Thaten beweiſen müſſe. Die Execution war der widerſpänſtigen Stadt bereits angedroht, da unterwarf ſich endlich der Senat (3. Juni), ſtellte ſeine Truppen unter Piret’s Befehl und verſprach auch ſeine jämmerliche Polizei neu zu ordnen.
Die Noten der Weſtmächte beantwortete der Bundestag mit einer kurzen, würdigen Zurückweiſung (12. Juni), die in Wien von ſämmtlichen Mit- gliedern der deutſchen Miniſterconferenz — mit einziger Ausnahme des Hannoveraners — gebilligt worden war. **) Der ruhige Ton dieſer Er- widerung ermuthigte aber die beiden Geſandten zu neuen Noten (30. Juni. 18. Juli); Beide beriefen ſich wieder auf die Wiener Verträge, und der Engländer ſprach wieder am gröbſten. Die an der Wiener Schlußakte betheiligten Staaten — ſo ſchrieb er — können nicht zugeben, „daß der Deutſche Bund, der zum Schutze der Schwachen geſchaffen wurde, ſich zu einem Werkzeuge der Unterdrückung in der Hand der Mächtigen um- wandle“. Nunmehr merkte Nagler doch, daß man zu den feinfühligen Weſtländern deutlicher reden mußte. Er verlas am 18. September eine geharniſchte Präſidialerklärung, welche die „Anmaßung, die vollſtändige Unkenntniß, die unbegreifliche Begriffsverwirrung“ der beiden Noten ſcho- nungslos rügte und den Weſtmächten vorhielt, daß ihr eigener Schützling, Frankfurt, ſie verleugnet habe. Demgemäß ward ſodann ein überaus ſcharfer Beſchluß einmüthig gefaßt — ſelbſt Hannover ſtimmte diesmal gegen England —: „Niemals werde der Bund den fremden Mächten, als Mitunterzeichnern der Congreßakte, in Bundesangelegenheiten Rechte zu- geſtehen, welche nach dem Wortlaute des Bundesvertrages und ebenſo nach dem Inhalte der Congreßakte nur den Gliedern des Deutſchen Bun- des und deſſen Geſammtheit zuſtehen.“
Dieſen Beſchluß überſendete Nagler einfach den beiden Geſandten, ohne ſie auch nur einer förmlichen Antworts-Note zu würdigen. Cartwright und Alleye fühlten ſich tief verletzt, ſie beſchwerten ſich in zwei neuen Noten (17. Oct. 21. Nov.) über eine ſo „vollſtändige Abweichung von den diplo- matiſchen Gebräuchen Europas“ und beharrten bei ihrer Meinung über den Sinn der Wiener Verträge. Der Bundestag aber legte die Beſchwerde- ſchriften der beiden Unermüdlichen ohne Erwiderung zu ſeinen Akten, und die Weſtmächte mußten die ſelbſtverſchuldete ſchnöde Behandlung ruhig hin- nehmen: ſie fühlten, daß die Eintracht der deutſchen Höfe doch nicht ſo leicht zu zerſprengen war. Leider wurde dieſer Schriftenwechſel, der dem
*) Nagler’s Bericht, 18. Mai 1834.
**) Brockhauſen’s Bericht, 7. Juni 1834.
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[307/0321]
Frankfurt und die Weſtmächte gegen den Bund.
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prüfen, obgleich er wohl wußte, wie eifrig Cartwright und der franzöſiſche
Legationsſekretär Grouchy mit mehreren Senatoren verkehrten, *) und be-
ſtand nun um ſo ernſter darauf, daß Frankfurt ſeine deutſche Geſinnung
durch Thaten beweiſen müſſe. Die Execution war der widerſpänſtigen Stadt
bereits angedroht, da unterwarf ſich endlich der Senat (3. Juni), ſtellte ſeine
Truppen unter Piret’s Befehl und verſprach auch ſeine jämmerliche Polizei
neu zu ordnen.
Die Noten der Weſtmächte beantwortete der Bundestag mit einer kurzen,
würdigen Zurückweiſung (12. Juni), die in Wien von ſämmtlichen Mit-
gliedern der deutſchen Miniſterconferenz — mit einziger Ausnahme des
Hannoveraners — gebilligt worden war. **) Der ruhige Ton dieſer Er-
widerung ermuthigte aber die beiden Geſandten zu neuen Noten (30. Juni.
18. Juli); Beide beriefen ſich wieder auf die Wiener Verträge, und der
Engländer ſprach wieder am gröbſten. Die an der Wiener Schlußakte
betheiligten Staaten — ſo ſchrieb er — können nicht zugeben, „daß der
Deutſche Bund, der zum Schutze der Schwachen geſchaffen wurde, ſich zu
einem Werkzeuge der Unterdrückung in der Hand der Mächtigen um-
wandle“. Nunmehr merkte Nagler doch, daß man zu den feinfühligen
Weſtländern deutlicher reden mußte. Er verlas am 18. September eine
geharniſchte Präſidialerklärung, welche die „Anmaßung, die vollſtändige
Unkenntniß, die unbegreifliche Begriffsverwirrung“ der beiden Noten ſcho-
nungslos rügte und den Weſtmächten vorhielt, daß ihr eigener Schützling,
Frankfurt, ſie verleugnet habe. Demgemäß ward ſodann ein überaus
ſcharfer Beſchluß einmüthig gefaßt — ſelbſt Hannover ſtimmte diesmal
gegen England —: „Niemals werde der Bund den fremden Mächten, als
Mitunterzeichnern der Congreßakte, in Bundesangelegenheiten Rechte zu-
geſtehen, welche nach dem Wortlaute des Bundesvertrages und ebenſo
nach dem Inhalte der Congreßakte nur den Gliedern des Deutſchen Bun-
des und deſſen Geſammtheit zuſtehen.“
Dieſen Beſchluß überſendete Nagler einfach den beiden Geſandten,
ohne ſie auch nur einer förmlichen Antworts-Note zu würdigen. Cartwright
und Alleye fühlten ſich tief verletzt, ſie beſchwerten ſich in zwei neuen Noten
(17. Oct. 21. Nov.) über eine ſo „vollſtändige Abweichung von den diplo-
matiſchen Gebräuchen Europas“ und beharrten bei ihrer Meinung über den
Sinn der Wiener Verträge. Der Bundestag aber legte die Beſchwerde-
ſchriften der beiden Unermüdlichen ohne Erwiderung zu ſeinen Akten, und
die Weſtmächte mußten die ſelbſtverſchuldete ſchnöde Behandlung ruhig hin-
nehmen: ſie fühlten, daß die Eintracht der deutſchen Höfe doch nicht ſo
leicht zu zerſprengen war. Leider wurde dieſer Schriftenwechſel, der dem
*) Nagler’s Bericht, 18. Mai 1834.
**) Brockhauſen’s Bericht, 7. Juni 1834.
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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 4: Bis zum Tode König Friedrich Wilhelms III. Leipzig, 1889, S. 307. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte04_1889/321>, abgerufen am 24.11.2024.
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