Bunde nur zur Ehre gereichte, nicht vollständig veröffentlicht; die Liberalen fuhren fort den freien Westen zu verherrlichen, den moskowitischen Zwing- herrn der Deutschen zu bekämpfen, obgleich sich Rußland mit keinem Worte in die Frankfurter Händel eingemischt hatte.
Zu gleicher Zeit mußte der Bundestag noch eine andere, höchst wider- wärtige Verhandlung mit Frankreich führen. Nach dem Falle von War- schau war in Paris feierlich verkündigt worden, daß die Polen allesammt in dem gastlichen Frankreich ein Asyl finden sollten, und nur im Ver- trauen auf diese Zusage hatten die deutschen Regierungen den polnischen Flüchtlingen den Durchzug gestattet. Jetzt erklärte das Bürgerkönigthum plötzlich, jene aus Besancon in die Schweiz eingebrochenen Polen dürften nicht wieder nach Frankreich zurückkehren. Die Eidgenossenschaft wollte diese gefährlichen Gäste auch nicht bei sich behalten; denn sie bildeten, durch Zuzüge erheblich verstärkt, ein geordnetes kleines Revolutionsheer mit Hauptleuten, Leutnants und Corporalen, und konnten jederzeit den Auf- ruhr in den deutschen Süden tragen. Die Nachbarstaaten Baiern, Baden, Württemberg fühlten sich ernstlich bedroht, und in ihrer Angst verfuhren diese constitutionellen Cabinette weit härter als jemals der Berliner Hof- sie erklärten am Bundestage, man müsse die Polen sobald sie deutsches Gebiet beträten dem Czaren ausliefern. Um dies Aeußerste zu verhindern wollte die Schweiz die Flüchtlinge nach England oder Amerika schaffen; sie verhandelte bereits mit dem Deutschen Bunde und den Niederlanden über die Frage, wie man die Legion von Besancon sicher den Rhein hinab befördern könne. Da gab Frankreich endlich sein verdächtiges Doppel- spiel auf und gestattete den Polen, durch französisches Gebiet den Weg zur See einzuschlagen. *)
Unter so schweren europäischen Kämpfen ward die Einheit des mili- tärischen Oberbefehls in der deutschen Bundesstadt endlich durchgesetzt. Neun Soldaten des Frankfurter Bataillons wurden kriegsrechtlich ver- urtheilt wegen Beihilfe bei dem letzten Fluchtversuche. Gleichwohl blieb die Bewachung der inneren Stadt nach wie vor dieser republikanischen Kriegs- schaar allein anvertraut, und die jugendlichen Hochverräther fanden also noch reichliche Gelegenheit dem Bundestage neuen Kummer zu bereiten. Im October 1836 wurde den Verhafteten ihr Urtheil verkündigt; am Tage darauf verschwand Rochau mitsammt seinem bestochenen Gefängniß- wärter. Im Januar des folgenden Jahres entflohen noch sechs Studenten aus der Constablerwache, während die Wachmannschaft sich mit Karten- spiel vergnügte, und jetzt endlich beschloß der Bundestag was Preußen schon vor vier Jahren beantragt hatte: die unglücklichen Sechs, die nach so vielen Entweichungen noch übrig blieben, wurden in das sichere Mainz abgeführt. --
*) Schreiben des Vororts Zürich an Graf Münch-Bellinghausen, 30. Juli; Nagler's Berichte, 15. Nov. 1833 ff.
IV. 5. Wiederbefeſtigung der alten Gewalten.
Bunde nur zur Ehre gereichte, nicht vollſtändig veröffentlicht; die Liberalen fuhren fort den freien Weſten zu verherrlichen, den moskowitiſchen Zwing- herrn der Deutſchen zu bekämpfen, obgleich ſich Rußland mit keinem Worte in die Frankfurter Händel eingemiſcht hatte.
Zu gleicher Zeit mußte der Bundestag noch eine andere, höchſt wider- wärtige Verhandlung mit Frankreich führen. Nach dem Falle von War- ſchau war in Paris feierlich verkündigt worden, daß die Polen alleſammt in dem gaſtlichen Frankreich ein Aſyl finden ſollten, und nur im Ver- trauen auf dieſe Zuſage hatten die deutſchen Regierungen den polniſchen Flüchtlingen den Durchzug geſtattet. Jetzt erklärte das Bürgerkönigthum plötzlich, jene aus Beſançon in die Schweiz eingebrochenen Polen dürften nicht wieder nach Frankreich zurückkehren. Die Eidgenoſſenſchaft wollte dieſe gefährlichen Gäſte auch nicht bei ſich behalten; denn ſie bildeten, durch Zuzüge erheblich verſtärkt, ein geordnetes kleines Revolutionsheer mit Hauptleuten, Leutnants und Corporalen, und konnten jederzeit den Auf- ruhr in den deutſchen Süden tragen. Die Nachbarſtaaten Baiern, Baden, Württemberg fühlten ſich ernſtlich bedroht, und in ihrer Angſt verfuhren dieſe conſtitutionellen Cabinette weit härter als jemals der Berliner Hof- ſie erklärten am Bundestage, man müſſe die Polen ſobald ſie deutſches Gebiet beträten dem Czaren ausliefern. Um dies Aeußerſte zu verhindern wollte die Schweiz die Flüchtlinge nach England oder Amerika ſchaffen; ſie verhandelte bereits mit dem Deutſchen Bunde und den Niederlanden über die Frage, wie man die Legion von Beſançon ſicher den Rhein hinab befördern könne. Da gab Frankreich endlich ſein verdächtiges Doppel- ſpiel auf und geſtattete den Polen, durch franzöſiſches Gebiet den Weg zur See einzuſchlagen. *)
Unter ſo ſchweren europäiſchen Kämpfen ward die Einheit des mili- täriſchen Oberbefehls in der deutſchen Bundesſtadt endlich durchgeſetzt. Neun Soldaten des Frankfurter Bataillons wurden kriegsrechtlich ver- urtheilt wegen Beihilfe bei dem letzten Fluchtverſuche. Gleichwohl blieb die Bewachung der inneren Stadt nach wie vor dieſer republikaniſchen Kriegs- ſchaar allein anvertraut, und die jugendlichen Hochverräther fanden alſo noch reichliche Gelegenheit dem Bundestage neuen Kummer zu bereiten. Im October 1836 wurde den Verhafteten ihr Urtheil verkündigt; am Tage darauf verſchwand Rochau mitſammt ſeinem beſtochenen Gefängniß- wärter. Im Januar des folgenden Jahres entflohen noch ſechs Studenten aus der Conſtablerwache, während die Wachmannſchaft ſich mit Karten- ſpiel vergnügte, und jetzt endlich beſchloß der Bundestag was Preußen ſchon vor vier Jahren beantragt hatte: die unglücklichen Sechs, die nach ſo vielen Entweichungen noch übrig blieben, wurden in das ſichere Mainz abgeführt. —
*) Schreiben des Vororts Zürich an Graf Münch-Bellinghauſen, 30. Juli; Nagler’s Berichte, 15. Nov. 1833 ff.
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[308/0322]
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Bunde nur zur Ehre gereichte, nicht vollſtändig veröffentlicht; die Liberalen
fuhren fort den freien Weſten zu verherrlichen, den moskowitiſchen Zwing-
herrn der Deutſchen zu bekämpfen, obgleich ſich Rußland mit keinem Worte
in die Frankfurter Händel eingemiſcht hatte.
Zu gleicher Zeit mußte der Bundestag noch eine andere, höchſt wider-
wärtige Verhandlung mit Frankreich führen. Nach dem Falle von War-
ſchau war in Paris feierlich verkündigt worden, daß die Polen alleſammt
in dem gaſtlichen Frankreich ein Aſyl finden ſollten, und nur im Ver-
trauen auf dieſe Zuſage hatten die deutſchen Regierungen den polniſchen
Flüchtlingen den Durchzug geſtattet. Jetzt erklärte das Bürgerkönigthum
plötzlich, jene aus Beſançon in die Schweiz eingebrochenen Polen dürften
nicht wieder nach Frankreich zurückkehren. Die Eidgenoſſenſchaft wollte
dieſe gefährlichen Gäſte auch nicht bei ſich behalten; denn ſie bildeten,
durch Zuzüge erheblich verſtärkt, ein geordnetes kleines Revolutionsheer mit
Hauptleuten, Leutnants und Corporalen, und konnten jederzeit den Auf-
ruhr in den deutſchen Süden tragen. Die Nachbarſtaaten Baiern, Baden,
Württemberg fühlten ſich ernſtlich bedroht, und in ihrer Angſt verfuhren
dieſe conſtitutionellen Cabinette weit härter als jemals der Berliner Hof-
ſie erklärten am Bundestage, man müſſe die Polen ſobald ſie deutſches
Gebiet beträten dem Czaren ausliefern. Um dies Aeußerſte zu verhindern
wollte die Schweiz die Flüchtlinge nach England oder Amerika ſchaffen;
ſie verhandelte bereits mit dem Deutſchen Bunde und den Niederlanden
über die Frage, wie man die Legion von Beſançon ſicher den Rhein
hinab befördern könne. Da gab Frankreich endlich ſein verdächtiges Doppel-
ſpiel auf und geſtattete den Polen, durch franzöſiſches Gebiet den Weg
zur See einzuſchlagen. *)
Unter ſo ſchweren europäiſchen Kämpfen ward die Einheit des mili-
täriſchen Oberbefehls in der deutſchen Bundesſtadt endlich durchgeſetzt.
Neun Soldaten des Frankfurter Bataillons wurden kriegsrechtlich ver-
urtheilt wegen Beihilfe bei dem letzten Fluchtverſuche. Gleichwohl blieb die
Bewachung der inneren Stadt nach wie vor dieſer republikaniſchen Kriegs-
ſchaar allein anvertraut, und die jugendlichen Hochverräther fanden alſo
noch reichliche Gelegenheit dem Bundestage neuen Kummer zu bereiten.
Im October 1836 wurde den Verhafteten ihr Urtheil verkündigt; am
Tage darauf verſchwand Rochau mitſammt ſeinem beſtochenen Gefängniß-
wärter. Im Januar des folgenden Jahres entflohen noch ſechs Studenten
aus der Conſtablerwache, während die Wachmannſchaft ſich mit Karten-
ſpiel vergnügte, und jetzt endlich beſchloß der Bundestag was Preußen
ſchon vor vier Jahren beantragt hatte: die unglücklichen Sechs, die nach
ſo vielen Entweichungen noch übrig blieben, wurden in das ſichere Mainz
abgeführt. —
*) Schreiben des Vororts Zürich an Graf Münch-Bellinghauſen, 30. Juli; Nagler’s
Berichte, 15. Nov. 1833 ff.
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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 4: Bis zum Tode König Friedrich Wilhelms III. Leipzig, 1889, S. 308. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte04_1889/322>, abgerufen am 24.11.2024.
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