der Meinung gelangen, daß die Höfe mit deutscher Redlichkeit ein frevel- haftes Spiel trieben.
Alle anderen constitutionellen Fürsten außer jenen fünf veröffentlichten die Bundesbeschlüsse ohne Vorbehalt. Der hessische Mitregent benutzte zugleich den willkommenen Vorwand um sich seiner Stände für einige Zeit zu entledigen. Die Aufregung der letzten Jahre zitterte in dem unglück- lichen Lande noch zuweilen nach. Bei den üblichen Polenfesten erklangen stürmische Pereats auf die drei Ostmächte; in Hanau meuterten einmal sogar die Soldaten, unter Hochrufen auf Frankreich und Polen; die deutschen Farben sah man überall, auf Fahnen und Kokarden, auch auf den Schnupf- tüchern der Handwerksburschen. Immerhin ließ sich schon deutlich erkennen, daß die Hessen der ewigen Unruhen müde wurden; auch die Freude an dem zeitraubenden Soldatenspiele der Bürgergarden erkaltete sichtlich. Der Kurprinz aber und sein Hassenpflug verbargen kaum, daß sie einen Streit mit den Landständen und dann den Einmarsch preußischer Truppen wünschten. Je näher Hänlein den Charakter dieses Fürsten kennen lernte, um so klarer ward ihm, "daß dem Kurprinzen weder zu rathen noch zu helfen ist, und daß er bei seiner Eintagspolitik seinem unvermeidlichen Schicksal nicht ent- gehen wird."*) Es war allein die Schuld des Regenten, daß der Landtag in einer Tagung von sechzehn Monaten nur ein einziges wohlthätiges Gesetz zu Stande brachte: das Gesetz über die Ablösung der Reallasten und die Bildung einer Landeskreditkasse. So that Kurhessen endlich den ersten Schritt auf der Bahn der befreienden Agrargesetzgebung, die in den Nach- barstaaten längst betreten war. Fast Alles aber was die Stände sonst noch beantragten blieb im Cabinet unerledigt liegen, und allerdings erschwerte Jordan mit seinen Freunden jede Verständigung durch Uebermuth und unmögliche Zumuthungen. Der begeisterte Doktrinär gebärdete sich, als ob Kurhessen auf einer Insel im Weltmeere läge: niemals, rief er stolz, wird unser Landtag die Ruthe des Bundestags küssen! Vergeblich gewarnt von den Gesandten der beiden Großmächte, betrieb er mit Feuereifer die Berathung eines Preßgesetzes -- eben jetzt da der Bundestag so handfest gegen die Zeitungen vorging und die Vernichtung des badischen Preßge- setzes, wie Jedermann wußte, nahe bevorstand. Als die Stände dann über die hessische Preßfreiheit schlüssig geworden, versicherte Burkard Pfeiffer drohend: die Regierung müsse diesen Entwurf alsbald genehmigen, "wenn anders nicht das feierlich gegebene Fürstenwort nur als leere Form, der wiederholte Schwur der Minister nur als Gaukelspiel mit zerbrechlichen Eiden erscheinen soll."
So erbittert standen die Parteien einander gegenüber, als die neuen Bundesbeschlüsse ruchbar und gleich darauf vom Kurprinzen amtlich ver- kündigt wurden. Die Stände tobten. Während Pfeiffer in schwungvoller
*) Hänlein's Berichte, 25. Febr., 13. März 1832.
Reaktion in Kurheſſen.
der Meinung gelangen, daß die Höfe mit deutſcher Redlichkeit ein frevel- haftes Spiel trieben.
Alle anderen conſtitutionellen Fürſten außer jenen fünf veröffentlichten die Bundesbeſchlüſſe ohne Vorbehalt. Der heſſiſche Mitregent benutzte zugleich den willkommenen Vorwand um ſich ſeiner Stände für einige Zeit zu entledigen. Die Aufregung der letzten Jahre zitterte in dem unglück- lichen Lande noch zuweilen nach. Bei den üblichen Polenfeſten erklangen ſtürmiſche Pereats auf die drei Oſtmächte; in Hanau meuterten einmal ſogar die Soldaten, unter Hochrufen auf Frankreich und Polen; die deutſchen Farben ſah man überall, auf Fahnen und Kokarden, auch auf den Schnupf- tüchern der Handwerksburſchen. Immerhin ließ ſich ſchon deutlich erkennen, daß die Heſſen der ewigen Unruhen müde wurden; auch die Freude an dem zeitraubenden Soldatenſpiele der Bürgergarden erkaltete ſichtlich. Der Kurprinz aber und ſein Haſſenpflug verbargen kaum, daß ſie einen Streit mit den Landſtänden und dann den Einmarſch preußiſcher Truppen wünſchten. Je näher Hänlein den Charakter dieſes Fürſten kennen lernte, um ſo klarer ward ihm, „daß dem Kurprinzen weder zu rathen noch zu helfen iſt, und daß er bei ſeiner Eintagspolitik ſeinem unvermeidlichen Schickſal nicht ent- gehen wird.“*) Es war allein die Schuld des Regenten, daß der Landtag in einer Tagung von ſechzehn Monaten nur ein einziges wohlthätiges Geſetz zu Stande brachte: das Geſetz über die Ablöſung der Reallaſten und die Bildung einer Landeskreditkaſſe. So that Kurheſſen endlich den erſten Schritt auf der Bahn der befreienden Agrargeſetzgebung, die in den Nach- barſtaaten längſt betreten war. Faſt Alles aber was die Stände ſonſt noch beantragten blieb im Cabinet unerledigt liegen, und allerdings erſchwerte Jordan mit ſeinen Freunden jede Verſtändigung durch Uebermuth und unmögliche Zumuthungen. Der begeiſterte Doktrinär gebärdete ſich, als ob Kurheſſen auf einer Inſel im Weltmeere läge: niemals, rief er ſtolz, wird unſer Landtag die Ruthe des Bundestags küſſen! Vergeblich gewarnt von den Geſandten der beiden Großmächte, betrieb er mit Feuereifer die Berathung eines Preßgeſetzes — eben jetzt da der Bundestag ſo handfeſt gegen die Zeitungen vorging und die Vernichtung des badiſchen Preßge- ſetzes, wie Jedermann wußte, nahe bevorſtand. Als die Stände dann über die heſſiſche Preßfreiheit ſchlüſſig geworden, verſicherte Burkard Pfeiffer drohend: die Regierung müſſe dieſen Entwurf alsbald genehmigen, „wenn anders nicht das feierlich gegebene Fürſtenwort nur als leere Form, der wiederholte Schwur der Miniſter nur als Gaukelſpiel mit zerbrechlichen Eiden erſcheinen ſoll.“
So erbittert ſtanden die Parteien einander gegenüber, als die neuen Bundesbeſchlüſſe ruchbar und gleich darauf vom Kurprinzen amtlich ver- kündigt wurden. Die Stände tobten. Während Pfeiffer in ſchwungvoller
*) Hänlein’s Berichte, 25. Febr., 13. März 1832.
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Reaktion in Kurheſſen.
der Meinung gelangen, daß die Höfe mit deutſcher Redlichkeit ein frevel-
haftes Spiel trieben.
Alle anderen conſtitutionellen Fürſten außer jenen fünf veröffentlichten
die Bundesbeſchlüſſe ohne Vorbehalt. Der heſſiſche Mitregent benutzte
zugleich den willkommenen Vorwand um ſich ſeiner Stände für einige Zeit
zu entledigen. Die Aufregung der letzten Jahre zitterte in dem unglück-
lichen Lande noch zuweilen nach. Bei den üblichen Polenfeſten erklangen
ſtürmiſche Pereats auf die drei Oſtmächte; in Hanau meuterten einmal
ſogar die Soldaten, unter Hochrufen auf Frankreich und Polen; die deutſchen
Farben ſah man überall, auf Fahnen und Kokarden, auch auf den Schnupf-
tüchern der Handwerksburſchen. Immerhin ließ ſich ſchon deutlich erkennen,
daß die Heſſen der ewigen Unruhen müde wurden; auch die Freude an
dem zeitraubenden Soldatenſpiele der Bürgergarden erkaltete ſichtlich. Der
Kurprinz aber und ſein Haſſenpflug verbargen kaum, daß ſie einen Streit mit
den Landſtänden und dann den Einmarſch preußiſcher Truppen wünſchten.
Je näher Hänlein den Charakter dieſes Fürſten kennen lernte, um ſo klarer
ward ihm, „daß dem Kurprinzen weder zu rathen noch zu helfen iſt, und
daß er bei ſeiner Eintagspolitik ſeinem unvermeidlichen Schickſal nicht ent-
gehen wird.“ *) Es war allein die Schuld des Regenten, daß der Landtag
in einer Tagung von ſechzehn Monaten nur ein einziges wohlthätiges Geſetz
zu Stande brachte: das Geſetz über die Ablöſung der Reallaſten und die
Bildung einer Landeskreditkaſſe. So that Kurheſſen endlich den erſten
Schritt auf der Bahn der befreienden Agrargeſetzgebung, die in den Nach-
barſtaaten längſt betreten war. Faſt Alles aber was die Stände ſonſt noch
beantragten blieb im Cabinet unerledigt liegen, und allerdings erſchwerte
Jordan mit ſeinen Freunden jede Verſtändigung durch Uebermuth und
unmögliche Zumuthungen. Der begeiſterte Doktrinär gebärdete ſich, als
ob Kurheſſen auf einer Inſel im Weltmeere läge: niemals, rief er ſtolz,
wird unſer Landtag die Ruthe des Bundestags küſſen! Vergeblich gewarnt
von den Geſandten der beiden Großmächte, betrieb er mit Feuereifer die
Berathung eines Preßgeſetzes — eben jetzt da der Bundestag ſo handfeſt
gegen die Zeitungen vorging und die Vernichtung des badiſchen Preßge-
ſetzes, wie Jedermann wußte, nahe bevorſtand. Als die Stände dann
über die heſſiſche Preßfreiheit ſchlüſſig geworden, verſicherte Burkard Pfeiffer
drohend: die Regierung müſſe dieſen Entwurf alsbald genehmigen, „wenn
anders nicht das feierlich gegebene Fürſtenwort nur als leere Form, der
wiederholte Schwur der Miniſter nur als Gaukelſpiel mit zerbrechlichen
Eiden erſcheinen ſoll.“
So erbittert ſtanden die Parteien einander gegenüber, als die neuen
Bundesbeſchlüſſe ruchbar und gleich darauf vom Kurprinzen amtlich ver-
kündigt wurden. Die Stände tobten. Während Pfeiffer in ſchwungvoller
*) Hänlein’s Berichte, 25. Febr., 13. März 1832.
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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 4: Bis zum Tode König Friedrich Wilhelms III. Leipzig, 1889, S. 279. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte04_1889/293>, abgerufen am 24.11.2024.
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