in Zukunft unter Preußens Schutz treten müsse. So bewährte er wieder, unbekümmert um Welcker's sittliche Entrüstung, seine stolze Selbständigkeit gegenüber den Vorurtheilen der Parteien und gestand selbst, mancher Schwabe werde den Gedanken des preußischen Protectorats "ganz unglaub- lich" finden wollen. Da erhielt er während des Drucks die Nachricht von den Frankfurter "Ordonnanzen", und aufwallend in leidenschaftlichem Zorne, fügte er ein geharnischtes Nachwort hinzu, das mit der Drohung schloß: nunmehr werde die Nation durch die Fürsorge ihrer Regierungen "dasjenige erhalten, woran es ihr bisher gefehlt: ein gemeinschaftliches Interesse und einen gemeinschaftlichen Feind".
Eingeschüchtert durch das allgemeine Mißtrauen versicherten die Mi- nister und Geheimen Räthe, als sie die Bundesbeschlüsse veröffentlichten, feierlich, daß diese Vorschriften die Verfassung und namentlich das Steuer- bewilligungsrecht der württembergischen Landstände in keiner Weise ge- fährden sollten (28. Juli). "Zu um so vollständigerer Beruhigung seiner getreuen Unterthanen" gab der König, der zu Livorno weilte, in einem alsbald veröffentlichten Briefe diesem Vorbehalte seine förmliche Geneh- migung. Aber das Land ließ sich nicht beschwichtigen. Neue Adressen liefen ein, aus der Hauptstadt, aus Ulm, aus Tübingen. Der Stutt- garter Bürger-Ausschuß veranstaltete einen feierlichen Aufzug um die Ein- gabe dem königlichen Cabinet selbst zu überbringen. Mit dem Rufe: "Nur über meine Leiche!" und unter dem lauten Murren der Bürgerschaft trieb der Stadtdirektor Klett die Versammelten auseinander. Da brach König Wilhelm seine italienische Reise ab und kehrte eilends heim. Er verwies seinen Stuttgartern streng ihr aufrührerisches Gebahren, ließ ihnen die "hauptsächlich durch die Umtriebe einer übelwollenden Partei zu Stande gekommene" Adresse zurückgeben, betheuerte wiederholt seine unverbrüchliche Verfassungstreue und versicherte zugleich vertraulich den Gesandten der großen Mächte, wie sehr er sich über die Bundesbeschlüsse freue.*)
Den beiden Großmächten kamen diese Winkelzüge der constitutionellen Höfe sehr ungelegen, indeß sahen sie darin mit Recht nur ein Zeichen der Schwäche, nicht der Widersetzlichkeit. Zu Frankfurt wurde die Frage in vertraulichen Besprechungen lebhaft, aber ohne Bitterkeit erörtert. Dann beschloß der Bundestag sein Ansehen zu wahren und erklärte am 8. Novbr.: die der Bekanntmachung beigefügten "erläuternden Beisätze" könnten, "wie sich von selbst verstehe", der Verbindlichkeit der Bundesbeschlüsse keinen Eintrag thun, "sowie solches ohnehin auch nicht in der Absicht der einzelnen Regierungen gelegen" habe. Diesem Beschlusse, der ihnen doch selber einen sanften Backenstreich gab, stimmten die Gesandten der fünf Höfe, welche mit Vorbehalt veröffentlicht hatten, sämmtlich zu. So drehten sich die Staatsgewalten im Kreise, und die argwöhnische Opposition mußte zu
in Zukunft unter Preußens Schutz treten müſſe. So bewährte er wieder, unbekümmert um Welcker’s ſittliche Entrüſtung, ſeine ſtolze Selbſtändigkeit gegenüber den Vorurtheilen der Parteien und geſtand ſelbſt, mancher Schwabe werde den Gedanken des preußiſchen Protectorats „ganz unglaub- lich“ finden wollen. Da erhielt er während des Drucks die Nachricht von den Frankfurter „Ordonnanzen“, und aufwallend in leidenſchaftlichem Zorne, fügte er ein geharniſchtes Nachwort hinzu, das mit der Drohung ſchloß: nunmehr werde die Nation durch die Fürſorge ihrer Regierungen „dasjenige erhalten, woran es ihr bisher gefehlt: ein gemeinſchaftliches Intereſſe und einen gemeinſchaftlichen Feind“.
Eingeſchüchtert durch das allgemeine Mißtrauen verſicherten die Mi- niſter und Geheimen Räthe, als ſie die Bundesbeſchlüſſe veröffentlichten, feierlich, daß dieſe Vorſchriften die Verfaſſung und namentlich das Steuer- bewilligungsrecht der württembergiſchen Landſtände in keiner Weiſe ge- fährden ſollten (28. Juli). „Zu um ſo vollſtändigerer Beruhigung ſeiner getreuen Unterthanen“ gab der König, der zu Livorno weilte, in einem alsbald veröffentlichten Briefe dieſem Vorbehalte ſeine förmliche Geneh- migung. Aber das Land ließ ſich nicht beſchwichtigen. Neue Adreſſen liefen ein, aus der Hauptſtadt, aus Ulm, aus Tübingen. Der Stutt- garter Bürger-Ausſchuß veranſtaltete einen feierlichen Aufzug um die Ein- gabe dem königlichen Cabinet ſelbſt zu überbringen. Mit dem Rufe: „Nur über meine Leiche!“ und unter dem lauten Murren der Bürgerſchaft trieb der Stadtdirektor Klett die Verſammelten auseinander. Da brach König Wilhelm ſeine italieniſche Reiſe ab und kehrte eilends heim. Er verwies ſeinen Stuttgartern ſtreng ihr aufrühreriſches Gebahren, ließ ihnen die „hauptſächlich durch die Umtriebe einer übelwollenden Partei zu Stande gekommene“ Adreſſe zurückgeben, betheuerte wiederholt ſeine unverbrüchliche Verfaſſungstreue und verſicherte zugleich vertraulich den Geſandten der großen Mächte, wie ſehr er ſich über die Bundesbeſchlüſſe freue.*)
Den beiden Großmächten kamen dieſe Winkelzüge der conſtitutionellen Höfe ſehr ungelegen, indeß ſahen ſie darin mit Recht nur ein Zeichen der Schwäche, nicht der Widerſetzlichkeit. Zu Frankfurt wurde die Frage in vertraulichen Beſprechungen lebhaft, aber ohne Bitterkeit erörtert. Dann beſchloß der Bundestag ſein Anſehen zu wahren und erklärte am 8. Novbr.: die der Bekanntmachung beigefügten „erläuternden Beiſätze“ könnten, „wie ſich von ſelbſt verſtehe“, der Verbindlichkeit der Bundesbeſchlüſſe keinen Eintrag thun, „ſowie ſolches ohnehin auch nicht in der Abſicht der einzelnen Regierungen gelegen“ habe. Dieſem Beſchluſſe, der ihnen doch ſelber einen ſanften Backenſtreich gab, ſtimmten die Geſandten der fünf Höfe, welche mit Vorbehalt veröffentlicht hatten, ſämmtlich zu. So drehten ſich die Staatsgewalten im Kreiſe, und die argwöhniſche Oppoſition mußte zu
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IV. 5. Wiederbefeſtigung der alten Gewalten.
in Zukunft unter Preußens Schutz treten müſſe. So bewährte er wieder,
unbekümmert um Welcker’s ſittliche Entrüſtung, ſeine ſtolze Selbſtändigkeit
gegenüber den Vorurtheilen der Parteien und geſtand ſelbſt, mancher
Schwabe werde den Gedanken des preußiſchen Protectorats „ganz unglaub-
lich“ finden wollen. Da erhielt er während des Drucks die Nachricht von
den Frankfurter „Ordonnanzen“, und aufwallend in leidenſchaftlichem Zorne,
fügte er ein geharniſchtes Nachwort hinzu, das mit der Drohung ſchloß:
nunmehr werde die Nation durch die Fürſorge ihrer Regierungen „dasjenige
erhalten, woran es ihr bisher gefehlt: ein gemeinſchaftliches Intereſſe und
einen gemeinſchaftlichen Feind“.
Eingeſchüchtert durch das allgemeine Mißtrauen verſicherten die Mi-
niſter und Geheimen Räthe, als ſie die Bundesbeſchlüſſe veröffentlichten,
feierlich, daß dieſe Vorſchriften die Verfaſſung und namentlich das Steuer-
bewilligungsrecht der württembergiſchen Landſtände in keiner Weiſe ge-
fährden ſollten (28. Juli). „Zu um ſo vollſtändigerer Beruhigung ſeiner
getreuen Unterthanen“ gab der König, der zu Livorno weilte, in einem
alsbald veröffentlichten Briefe dieſem Vorbehalte ſeine förmliche Geneh-
migung. Aber das Land ließ ſich nicht beſchwichtigen. Neue Adreſſen
liefen ein, aus der Hauptſtadt, aus Ulm, aus Tübingen. Der Stutt-
garter Bürger-Ausſchuß veranſtaltete einen feierlichen Aufzug um die Ein-
gabe dem königlichen Cabinet ſelbſt zu überbringen. Mit dem Rufe: „Nur
über meine Leiche!“ und unter dem lauten Murren der Bürgerſchaft trieb
der Stadtdirektor Klett die Verſammelten auseinander. Da brach König
Wilhelm ſeine italieniſche Reiſe ab und kehrte eilends heim. Er verwies
ſeinen Stuttgartern ſtreng ihr aufrühreriſches Gebahren, ließ ihnen die
„hauptſächlich durch die Umtriebe einer übelwollenden Partei zu Stande
gekommene“ Adreſſe zurückgeben, betheuerte wiederholt ſeine unverbrüchliche
Verfaſſungstreue und verſicherte zugleich vertraulich den Geſandten der
großen Mächte, wie ſehr er ſich über die Bundesbeſchlüſſe freue. *)
Den beiden Großmächten kamen dieſe Winkelzüge der conſtitutionellen
Höfe ſehr ungelegen, indeß ſahen ſie darin mit Recht nur ein Zeichen der
Schwäche, nicht der Widerſetzlichkeit. Zu Frankfurt wurde die Frage in
vertraulichen Beſprechungen lebhaft, aber ohne Bitterkeit erörtert. Dann
beſchloß der Bundestag ſein Anſehen zu wahren und erklärte am 8. Novbr.:
die der Bekanntmachung beigefügten „erläuternden Beiſätze“ könnten, „wie
ſich von ſelbſt verſtehe“, der Verbindlichkeit der Bundesbeſchlüſſe keinen
Eintrag thun, „ſowie ſolches ohnehin auch nicht in der Abſicht der einzelnen
Regierungen gelegen“ habe. Dieſem Beſchluſſe, der ihnen doch ſelber einen
ſanften Backenſtreich gab, ſtimmten die Geſandten der fünf Höfe, welche
mit Vorbehalt veröffentlicht hatten, ſämmtlich zu. So drehten ſich die
Staatsgewalten im Kreiſe, und die argwöhniſche Oppoſition mußte zu
*) Salviati’s Berichte, 11. 16. 26. Aug., 6. Nov. 1832.
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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 4: Bis zum Tode König Friedrich Wilhelms III. Leipzig, 1889, S. 278. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte04_1889/292>, abgerufen am 24.11.2024.
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