Preußen. Die kleinbürgerliche Selbstüberhebung der süddeutschen Liberalen erschien ihm lächerlich; er kannte die bescheidene Macht seines Großherzog- thums und meinte unbefangen: Gesandte solle ein deutscher Mittelstaat nur in Berlin und Wien halten, bei den kleinen Höfen sei eine diplomatische Vertretung überflüssig, bei den fremden meist schädlich; "wenn die Ge- sandtschaft in Paris je wichtig wird, so steht es schlimm um Deutschland." Obwohl er nach seinen strengconservativen Neigungen der altständischen Verfassung entschieden den Vorzug gab, so sah er doch ein, daß in der demokratisirten Gesellschaft des deutschen Südens nur noch das Repräsen- tativsystem möglich sei. Aber im Gefühle seiner Ueberlegenheit behandelte er die Gegner geringschätzig, da sie ihm so oft kleinliche und thörichte Bedenken in den Weg warfen, und bald kam er so weit, daß er jeden Liberalen für einen Narren oder einen gefährlichen Menschen ansah.*)
Der Landtag von 1830 ging noch in Frieden auseinander; doch im Lande hielt die Gährung an. Viele der jüngeren Beamten waren aus der radicalen alten Gießener Burschenschaft, aus den Kreisen der Schwarzen und der Unbedingten hervorgegangen; mehrere verhielten sich lau oder untreu während der Volksbewegung, und die Schuldigen wurden allesammt aus den Aemtern entfernt, obwohl man ihnen meist die Strafen erließ. So bildete sich ein Stamm von Unzufriedenen, und der junge Nachwuchs dachte nicht friedfertiger, da der Gießener Curator Arens durch gehässige Verfolgungen den Trotz der Jugend herausforderte.**) Der Offenbacher Bund "der Sektionen" und andere geheime Vereine nährten die Verstim- mung. "Das Blutbad von Södel" ward dem Volke als ein ungeheuer- licher Frevel geschildert, obgleich die Regierung eine Untersuchung einleitete und einige der schuldigen Soldaten bestrafen ließ. Noch stärker wirkte das verführerische Beispiel der badischen Nachbarn, da die beiden gefeierten Karlsruher Volksmänner Itzstein und Welcker aus Hessen stammten und mit den alten Landsleuten in Verbindung blieben. --
Dort in Baden erlebte der parlamentarische Liberalismus der Klein- staaten jetzt seine Blüthezeit. Wenige Tage vor dem hessischen Großherzog, im März 1830 war auch Großherzog Ludwig von Baden gestorben, und als nunmehr der erste der hochbergischen Markgrafen Leopold ohne jeden Wider- stand die Regierung übernahm, da fühlte das Land sich erst seiner Selb- ständigkeit sicher. Man meinte durch die vollendete Thatsache und durch die Anerkennung der großen Mächte geschützt zu sein wider die begehrlichen Anschläge der Wittelsbacher -- eine Hoffnung, die sich doch nicht sogleich erfüllen sollte. Großherzog Leopold war ein Fürst von seltener Herzens- güte, ehrlich gewillt sein Land zu beglücken; seine gemüthliche Leutselig-
*) Ich benutze hier die Aufzeichnungen du Thil's, die ich inzwischen vollständiger eingesehen habe.
**) Arnim's Bericht, Darmstadt 25. September 1831.
Unruhen im Großherzogthum Heſſen.
Preußen. Die kleinbürgerliche Selbſtüberhebung der ſüddeutſchen Liberalen erſchien ihm lächerlich; er kannte die beſcheidene Macht ſeines Großherzog- thums und meinte unbefangen: Geſandte ſolle ein deutſcher Mittelſtaat nur in Berlin und Wien halten, bei den kleinen Höfen ſei eine diplomatiſche Vertretung überflüſſig, bei den fremden meiſt ſchädlich; „wenn die Ge- ſandtſchaft in Paris je wichtig wird, ſo ſteht es ſchlimm um Deutſchland.“ Obwohl er nach ſeinen ſtrengconſervativen Neigungen der altſtändiſchen Verfaſſung entſchieden den Vorzug gab, ſo ſah er doch ein, daß in der demokratiſirten Geſellſchaft des deutſchen Südens nur noch das Repräſen- tativſyſtem möglich ſei. Aber im Gefühle ſeiner Ueberlegenheit behandelte er die Gegner geringſchätzig, da ſie ihm ſo oft kleinliche und thörichte Bedenken in den Weg warfen, und bald kam er ſo weit, daß er jeden Liberalen für einen Narren oder einen gefährlichen Menſchen anſah.*)
Der Landtag von 1830 ging noch in Frieden auseinander; doch im Lande hielt die Gährung an. Viele der jüngeren Beamten waren aus der radicalen alten Gießener Burſchenſchaft, aus den Kreiſen der Schwarzen und der Unbedingten hervorgegangen; mehrere verhielten ſich lau oder untreu während der Volksbewegung, und die Schuldigen wurden alleſammt aus den Aemtern entfernt, obwohl man ihnen meiſt die Strafen erließ. So bildete ſich ein Stamm von Unzufriedenen, und der junge Nachwuchs dachte nicht friedfertiger, da der Gießener Curator Arens durch gehäſſige Verfolgungen den Trotz der Jugend herausforderte.**) Der Offenbacher Bund „der Sektionen“ und andere geheime Vereine nährten die Verſtim- mung. „Das Blutbad von Södel“ ward dem Volke als ein ungeheuer- licher Frevel geſchildert, obgleich die Regierung eine Unterſuchung einleitete und einige der ſchuldigen Soldaten beſtrafen ließ. Noch ſtärker wirkte das verführeriſche Beiſpiel der badiſchen Nachbarn, da die beiden gefeierten Karlsruher Volksmänner Itzſtein und Welcker aus Heſſen ſtammten und mit den alten Landsleuten in Verbindung blieben. —
Dort in Baden erlebte der parlamentariſche Liberalismus der Klein- ſtaaten jetzt ſeine Blüthezeit. Wenige Tage vor dem heſſiſchen Großherzog, im März 1830 war auch Großherzog Ludwig von Baden geſtorben, und als nunmehr der erſte der hochbergiſchen Markgrafen Leopold ohne jeden Wider- ſtand die Regierung übernahm, da fühlte das Land ſich erſt ſeiner Selb- ſtändigkeit ſicher. Man meinte durch die vollendete Thatſache und durch die Anerkennung der großen Mächte geſchützt zu ſein wider die begehrlichen Anſchläge der Wittelsbacher — eine Hoffnung, die ſich doch nicht ſogleich erfüllen ſollte. Großherzog Leopold war ein Fürſt von ſeltener Herzens- güte, ehrlich gewillt ſein Land zu beglücken; ſeine gemüthliche Leutſelig-
*) Ich benutze hier die Aufzeichnungen du Thil’s, die ich inzwiſchen vollſtändiger eingeſehen habe.
**) Arnim’s Bericht, Darmſtadt 25. September 1831.
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Unruhen im Großherzogthum Heſſen.
Preußen. Die kleinbürgerliche Selbſtüberhebung der ſüddeutſchen Liberalen
erſchien ihm lächerlich; er kannte die beſcheidene Macht ſeines Großherzog-
thums und meinte unbefangen: Geſandte ſolle ein deutſcher Mittelſtaat nur
in Berlin und Wien halten, bei den kleinen Höfen ſei eine diplomatiſche
Vertretung überflüſſig, bei den fremden meiſt ſchädlich; „wenn die Ge-
ſandtſchaft in Paris je wichtig wird, ſo ſteht es ſchlimm um Deutſchland.“
Obwohl er nach ſeinen ſtrengconſervativen Neigungen der altſtändiſchen
Verfaſſung entſchieden den Vorzug gab, ſo ſah er doch ein, daß in der
demokratiſirten Geſellſchaft des deutſchen Südens nur noch das Repräſen-
tativſyſtem möglich ſei. Aber im Gefühle ſeiner Ueberlegenheit behandelte
er die Gegner geringſchätzig, da ſie ihm ſo oft kleinliche und thörichte
Bedenken in den Weg warfen, und bald kam er ſo weit, daß er jeden
Liberalen für einen Narren oder einen gefährlichen Menſchen anſah. *)
Der Landtag von 1830 ging noch in Frieden auseinander; doch im
Lande hielt die Gährung an. Viele der jüngeren Beamten waren aus der
radicalen alten Gießener Burſchenſchaft, aus den Kreiſen der Schwarzen
und der Unbedingten hervorgegangen; mehrere verhielten ſich lau oder
untreu während der Volksbewegung, und die Schuldigen wurden alleſammt
aus den Aemtern entfernt, obwohl man ihnen meiſt die Strafen erließ.
So bildete ſich ein Stamm von Unzufriedenen, und der junge Nachwuchs
dachte nicht friedfertiger, da der Gießener Curator Arens durch gehäſſige
Verfolgungen den Trotz der Jugend herausforderte. **) Der Offenbacher
Bund „der Sektionen“ und andere geheime Vereine nährten die Verſtim-
mung. „Das Blutbad von Södel“ ward dem Volke als ein ungeheuer-
licher Frevel geſchildert, obgleich die Regierung eine Unterſuchung einleitete
und einige der ſchuldigen Soldaten beſtrafen ließ. Noch ſtärker wirkte
das verführeriſche Beiſpiel der badiſchen Nachbarn, da die beiden gefeierten
Karlsruher Volksmänner Itzſtein und Welcker aus Heſſen ſtammten und
mit den alten Landsleuten in Verbindung blieben. —
Dort in Baden erlebte der parlamentariſche Liberalismus der Klein-
ſtaaten jetzt ſeine Blüthezeit. Wenige Tage vor dem heſſiſchen Großherzog,
im März 1830 war auch Großherzog Ludwig von Baden geſtorben, und als
nunmehr der erſte der hochbergiſchen Markgrafen Leopold ohne jeden Wider-
ſtand die Regierung übernahm, da fühlte das Land ſich erſt ſeiner Selb-
ſtändigkeit ſicher. Man meinte durch die vollendete Thatſache und durch
die Anerkennung der großen Mächte geſchützt zu ſein wider die begehrlichen
Anſchläge der Wittelsbacher — eine Hoffnung, die ſich doch nicht ſogleich
erfüllen ſollte. Großherzog Leopold war ein Fürſt von ſeltener Herzens-
güte, ehrlich gewillt ſein Land zu beglücken; ſeine gemüthliche Leutſelig-
*) Ich benutze hier die Aufzeichnungen du Thil’s, die ich inzwiſchen vollſtändiger
eingeſehen habe.
**) Arnim’s Bericht, Darmſtadt 25. September 1831.
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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 4: Bis zum Tode König Friedrich Wilhelms III. Leipzig, 1889, S. 223. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte04_1889/237>, abgerufen am 23.07.2024.
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