des Großherzogs sämmtlich abgelehnt. Der Hof sah sich genöthigt, seine Ausgaben stark zu beschränken und sogar das Hoftheater zu schließen, das den Darmstädtern, wie allen Bewohnern der kleinen deutschen Residenzen, die einzige Würze in der Langeweile ihres Daseins war. Aller Zorn der Hofgesellschaft ergoß sich nunmehr auf du Thil; er allein sollte durch seine Offenheit die erlittene Niederlage und die beleidigenden Reden des Land- tags verschuldet haben. Der ehrgeizige Prinz Emil, der zu seinem Unheil ein Commando im österreichischen Heere abgelehnt hatte und nun mit seinem militärischen Talent in dem kleinen Staate nichts anzufangen wußte, trat dem Minister offen entgegen.
Mittlerweile begann es in Oberhessen zu gähren. Aufrührerische Banden aus dem Großherzogthum schlossen sich den kurhessischen Mauth- stürmern an; denn so lange die Nachbarstaaten noch nicht beigetreten waren empfand man in den zerstückelten Gebieten der Wetterau nur die Lasten, nicht die Segnungen des preußischen Zollvereins; selbst Professor Hundeshagen in Gießen, der berühmte Forstmann, erklärte in einer leiden- schaftlichen Schrift die preußischen Mauthen für das Unglück des Landes. Der Pöbel zerstörte die Zollhäuser und zündete da und dort einem ver- haßten Amtmann das Dach über dem Kopfe an. Hier wie in Kurhessen lärmten die schwer belasteten Unterthanen der mediatisirten Fürsten am lautesten. Die Lage ward im September recht bedenklich. Der Hof ver- zagte, und E. E. Hoffmann erdreistete sich schon, wie ein Dictator ein beschwichtigendes Manifest an sein Volk zu erlassen. "Alles was unsere Nachbarn wünschen, haben wir, sagte er mit dem ganzen Stolze des Darm- städters, haltet den Namen Hessen makelfrei." Da befahl du Thil auf eigene Faust die Einberufung der Beurlaubten und ließ zugleich in Frank- furt um Beistand bitten, während der Kurfürst von Hessen jede Bundes- hilfe höhnisch zurückwies. Prinz Emil wurde an die Spitze der Armee gestellt und also mit dem Minister versöhnt. In wenigen Tagen trieb der Prinz die Aufrührer auseinander; bei Södel kam es zu einem kleinen Gefechte, und auch einige der braven Bauern, welche die Unruhestörer bekämpft hatten, bekamen im Getümmel die Klingen der erbitterten Reiter zu fühlen. Die Ordnung war hergestellt, der beherzte Minister gewann das Vertrauen des Großherzogs wieder, und auch Otterstedt that das Seine, um das Ansehen des Staatsmannes, der allein im Süden ein zuverlässiger Anhänger Preußens war, aufrecht zu erhalten.*)
Viele Jahre lang führte du Thil fortan die Herrschaft, gewissenhaft und einsichtig, aber auch mit einer Strenge, die nach und nach zur Härte wurde. Seine treue deutsche Gesinnung hatte er schon im Befreiungs- kriege bewährt, als er den Zutritt des Landes zur großen Allianz ver- mitteln half, und dann noch kühner durch die Zollverhandlungen mit
*) Du Thil an Otterstedt 13. Oct. Otterstedt's Berichte 15. 27. Oct. 1830.
IV. 4. Landtage und Feſte in Oberdeutſchland.
des Großherzogs ſämmtlich abgelehnt. Der Hof ſah ſich genöthigt, ſeine Ausgaben ſtark zu beſchränken und ſogar das Hoftheater zu ſchließen, das den Darmſtädtern, wie allen Bewohnern der kleinen deutſchen Reſidenzen, die einzige Würze in der Langeweile ihres Daſeins war. Aller Zorn der Hofgeſellſchaft ergoß ſich nunmehr auf du Thil; er allein ſollte durch ſeine Offenheit die erlittene Niederlage und die beleidigenden Reden des Land- tags verſchuldet haben. Der ehrgeizige Prinz Emil, der zu ſeinem Unheil ein Commando im öſterreichiſchen Heere abgelehnt hatte und nun mit ſeinem militäriſchen Talent in dem kleinen Staate nichts anzufangen wußte, trat dem Miniſter offen entgegen.
Mittlerweile begann es in Oberheſſen zu gähren. Aufrühreriſche Banden aus dem Großherzogthum ſchloſſen ſich den kurheſſiſchen Mauth- ſtürmern an; denn ſo lange die Nachbarſtaaten noch nicht beigetreten waren empfand man in den zerſtückelten Gebieten der Wetterau nur die Laſten, nicht die Segnungen des preußiſchen Zollvereins; ſelbſt Profeſſor Hundeshagen in Gießen, der berühmte Forſtmann, erklärte in einer leiden- ſchaftlichen Schrift die preußiſchen Mauthen für das Unglück des Landes. Der Pöbel zerſtörte die Zollhäuſer und zündete da und dort einem ver- haßten Amtmann das Dach über dem Kopfe an. Hier wie in Kurheſſen lärmten die ſchwer belaſteten Unterthanen der mediatiſirten Fürſten am lauteſten. Die Lage ward im September recht bedenklich. Der Hof ver- zagte, und E. E. Hoffmann erdreiſtete ſich ſchon, wie ein Dictator ein beſchwichtigendes Manifeſt an ſein Volk zu erlaſſen. „Alles was unſere Nachbarn wünſchen, haben wir, ſagte er mit dem ganzen Stolze des Darm- ſtädters, haltet den Namen Heſſen makelfrei.“ Da befahl du Thil auf eigene Fauſt die Einberufung der Beurlaubten und ließ zugleich in Frank- furt um Beiſtand bitten, während der Kurfürſt von Heſſen jede Bundes- hilfe höhniſch zurückwies. Prinz Emil wurde an die Spitze der Armee geſtellt und alſo mit dem Miniſter verſöhnt. In wenigen Tagen trieb der Prinz die Aufrührer auseinander; bei Södel kam es zu einem kleinen Gefechte, und auch einige der braven Bauern, welche die Unruheſtörer bekämpft hatten, bekamen im Getümmel die Klingen der erbitterten Reiter zu fühlen. Die Ordnung war hergeſtellt, der beherzte Miniſter gewann das Vertrauen des Großherzogs wieder, und auch Otterſtedt that das Seine, um das Anſehen des Staatsmannes, der allein im Süden ein zuverläſſiger Anhänger Preußens war, aufrecht zu erhalten.*)
Viele Jahre lang führte du Thil fortan die Herrſchaft, gewiſſenhaft und einſichtig, aber auch mit einer Strenge, die nach und nach zur Härte wurde. Seine treue deutſche Geſinnung hatte er ſchon im Befreiungs- kriege bewährt, als er den Zutritt des Landes zur großen Allianz ver- mitteln half, und dann noch kühner durch die Zollverhandlungen mit
*) Du Thil an Otterſtedt 13. Oct. Otterſtedt’s Berichte 15. 27. Oct. 1830.
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Ausgaben ſtark zu beſchränken und ſogar das Hoftheater zu ſchließen, das
den Darmſtädtern, wie allen Bewohnern der kleinen deutſchen Reſidenzen,
die einzige Würze in der Langeweile ihres Daſeins war. Aller Zorn der
Hofgeſellſchaft ergoß ſich nunmehr auf du Thil; er allein ſollte durch ſeine
Offenheit die erlittene Niederlage und die beleidigenden Reden des Land-
tags verſchuldet haben. Der ehrgeizige Prinz Emil, der zu ſeinem Unheil
ein Commando im öſterreichiſchen Heere abgelehnt hatte und nun mit
ſeinem militäriſchen Talent in dem kleinen Staate nichts anzufangen
wußte, trat dem Miniſter offen entgegen.
Mittlerweile begann es in Oberheſſen zu gähren. Aufrühreriſche
Banden aus dem Großherzogthum ſchloſſen ſich den kurheſſiſchen Mauth-
ſtürmern an; denn ſo lange die Nachbarſtaaten noch nicht beigetreten
waren empfand man in den zerſtückelten Gebieten der Wetterau nur die
Laſten, nicht die Segnungen des preußiſchen Zollvereins; ſelbſt Profeſſor
Hundeshagen in Gießen, der berühmte Forſtmann, erklärte in einer leiden-
ſchaftlichen Schrift die preußiſchen Mauthen für das Unglück des Landes.
Der Pöbel zerſtörte die Zollhäuſer und zündete da und dort einem ver-
haßten Amtmann das Dach über dem Kopfe an. Hier wie in Kurheſſen
lärmten die ſchwer belaſteten Unterthanen der mediatiſirten Fürſten am
lauteſten. Die Lage ward im September recht bedenklich. Der Hof ver-
zagte, und E. E. Hoffmann erdreiſtete ſich ſchon, wie ein Dictator ein
beſchwichtigendes Manifeſt an ſein Volk zu erlaſſen. „Alles was unſere
Nachbarn wünſchen, haben wir, ſagte er mit dem ganzen Stolze des Darm-
ſtädters, haltet den Namen Heſſen makelfrei.“ Da befahl du Thil auf
eigene Fauſt die Einberufung der Beurlaubten und ließ zugleich in Frank-
furt um Beiſtand bitten, während der Kurfürſt von Heſſen jede Bundes-
hilfe höhniſch zurückwies. Prinz Emil wurde an die Spitze der Armee
geſtellt und alſo mit dem Miniſter verſöhnt. In wenigen Tagen trieb
der Prinz die Aufrührer auseinander; bei Södel kam es zu einem kleinen
Gefechte, und auch einige der braven Bauern, welche die Unruheſtörer
bekämpft hatten, bekamen im Getümmel die Klingen der erbitterten Reiter
zu fühlen. Die Ordnung war hergeſtellt, der beherzte Miniſter gewann
das Vertrauen des Großherzogs wieder, und auch Otterſtedt that das
Seine, um das Anſehen des Staatsmannes, der allein im Süden ein
zuverläſſiger Anhänger Preußens war, aufrecht zu erhalten. *)
Viele Jahre lang führte du Thil fortan die Herrſchaft, gewiſſenhaft
und einſichtig, aber auch mit einer Strenge, die nach und nach zur Härte
wurde. Seine treue deutſche Geſinnung hatte er ſchon im Befreiungs-
kriege bewährt, als er den Zutritt des Landes zur großen Allianz ver-
mitteln half, und dann noch kühner durch die Zollverhandlungen mit
*) Du Thil an Otterſtedt 13. Oct. Otterſtedt’s Berichte 15. 27. Oct. 1830.
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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 4: Bis zum Tode König Friedrich Wilhelms III. Leipzig, 1889, S. 222. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte04_1889/236>, abgerufen am 25.11.2024.
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