keit stach von dem verschlossenen Wesen des gestrengen Vorgängers er- freulich ab. Aber die Staatsgeschäfte kannte er nicht, selbständiges Nachdenken fiel ihm schwer, noch schwerer ein kräftiger Entschluß; am wohlsten fühlte er sich in seinem Marstall oder auf dem Schießstande, für Künste und Wissenschaften zeigte er wenig Verständniß. Seine Ge- mahlin Sophie, eine stolze Wasa von klarem Verstande, starkem Willen, lebhaftem Thatendrange und fürstlicher Haltung, übersah den gutmüthigen Gatten weit; auch sein Bruder Markgraf Wilhelm, ein tapferer General des napoleonischen Heeres, war nicht ohne Ehrgeiz, und seit der Markgraf eine Schwester des Königs von Württemberg geheirathet hatte, glaubte sich der schwäbische Schwager ebenfalls berechtigt am Karlsruher Hofe mitzureden.
Zum Glück fand der Großherzog einen Rückhalt an dem alterprob- ten Vertrauten der hochbergischen Markgrafen, dem Staatsrath Winter, der seit Jahren die Vermögensgeschäfte dieser jüngeren Linie besorgte, auch als Schriftsteller ihr Thronfolgerecht siegreich vertheidigt hatte. Winter war längst schon der leitende Kopf der Verwaltung des Innern, soweit der Großherzog Ludwig ihm freie Hand ließ. Die Sünden der vergange- nen Regierung rechnete man ihm nicht an; Jedermann wußte, daß er Vieles nur widerwillig hatte geschehen lassen. Der schlichte Mann mit dem diplomatisch klugen und doch treuherzig gemüthlichen Gesichte war ganz dazu angethan, das Vertrauen dieses bürgerlichen Landes zu ge- winnen. Sein klarer Geschäftsverstand erkannte sofort, das alte harte System der polizeilichen Ueberwachung sei unhaltbar, die neue Linie der Dynastie müsse die Liebe des Volks zu gewinnen suchen. Auf seinen Rath unternahm der Großherzog eine Rundreise durch das Land, und die unge- heuchelte Freude der Massen verkündete überall, welche stolzen Hoffnungen dies Völkchen an den Hingang seines ungeliebten alten Fürsten knüpfte. Die Heidelberger sangen ihrem Leopold zu:
Herzensreinheit ist Dein Theil! Sie nur bringt der Zukunft Heil!
und veranstalteten ihm zu Ehren einen künstlichen Schloßbrand. Haufen von Reisig und Kleinholz flammten plötzlich auf in dem alten Gemäuer des Pfälzerschlosses, den Beschauern traten alle Schrecken der Tage Me- lac's leibhaftig vor die Augen. Es war, als ob die Preußen eine thea- tralische Aufführung der Schlacht von Jena veranstalteten; in diesem staatlosen Geschlechte fand es Niemand anstößig, die Erinnerung an die Schmach des Vaterlandes also zu erneuern.
Seit Winter den Gang der Regierung bestimmte, hatte die Stunde des Rücktritts geschlagen für die beiden hochconservativen Minister des alten Großherzogs, für Metternich's Getreuen Berstett und den gestrengen rheinbündischen Bureaukraten Berckheim. Doch Leopold zögerte und schwankte. Da gab endlich der schwäbische Nachbar den Ausschlag durch
IV. 4. Landtage und Feſte in Oberdeutſchland.
keit ſtach von dem verſchloſſenen Weſen des geſtrengen Vorgängers er- freulich ab. Aber die Staatsgeſchäfte kannte er nicht, ſelbſtändiges Nachdenken fiel ihm ſchwer, noch ſchwerer ein kräftiger Entſchluß; am wohlſten fühlte er ſich in ſeinem Marſtall oder auf dem Schießſtande, für Künſte und Wiſſenſchaften zeigte er wenig Verſtändniß. Seine Ge- mahlin Sophie, eine ſtolze Waſa von klarem Verſtande, ſtarkem Willen, lebhaftem Thatendrange und fürſtlicher Haltung, überſah den gutmüthigen Gatten weit; auch ſein Bruder Markgraf Wilhelm, ein tapferer General des napoleoniſchen Heeres, war nicht ohne Ehrgeiz, und ſeit der Markgraf eine Schweſter des Königs von Württemberg geheirathet hatte, glaubte ſich der ſchwäbiſche Schwager ebenfalls berechtigt am Karlsruher Hofe mitzureden.
Zum Glück fand der Großherzog einen Rückhalt an dem alterprob- ten Vertrauten der hochbergiſchen Markgrafen, dem Staatsrath Winter, der ſeit Jahren die Vermögensgeſchäfte dieſer jüngeren Linie beſorgte, auch als Schriftſteller ihr Thronfolgerecht ſiegreich vertheidigt hatte. Winter war längſt ſchon der leitende Kopf der Verwaltung des Innern, ſoweit der Großherzog Ludwig ihm freie Hand ließ. Die Sünden der vergange- nen Regierung rechnete man ihm nicht an; Jedermann wußte, daß er Vieles nur widerwillig hatte geſchehen laſſen. Der ſchlichte Mann mit dem diplomatiſch klugen und doch treuherzig gemüthlichen Geſichte war ganz dazu angethan, das Vertrauen dieſes bürgerlichen Landes zu ge- winnen. Sein klarer Geſchäftsverſtand erkannte ſofort, das alte harte Syſtem der polizeilichen Ueberwachung ſei unhaltbar, die neue Linie der Dynaſtie müſſe die Liebe des Volks zu gewinnen ſuchen. Auf ſeinen Rath unternahm der Großherzog eine Rundreiſe durch das Land, und die unge- heuchelte Freude der Maſſen verkündete überall, welche ſtolzen Hoffnungen dies Völkchen an den Hingang ſeines ungeliebten alten Fürſten knüpfte. Die Heidelberger ſangen ihrem Leopold zu:
Herzensreinheit iſt Dein Theil! Sie nur bringt der Zukunft Heil!
und veranſtalteten ihm zu Ehren einen künſtlichen Schloßbrand. Haufen von Reiſig und Kleinholz flammten plötzlich auf in dem alten Gemäuer des Pfälzerſchloſſes, den Beſchauern traten alle Schrecken der Tage Me- lac’s leibhaftig vor die Augen. Es war, als ob die Preußen eine thea- traliſche Aufführung der Schlacht von Jena veranſtalteten; in dieſem ſtaatloſen Geſchlechte fand es Niemand anſtößig, die Erinnerung an die Schmach des Vaterlandes alſo zu erneuern.
Seit Winter den Gang der Regierung beſtimmte, hatte die Stunde des Rücktritts geſchlagen für die beiden hochconſervativen Miniſter des alten Großherzogs, für Metternich’s Getreuen Berſtett und den geſtrengen rheinbündiſchen Bureaukraten Berckheim. Doch Leopold zögerte und ſchwankte. Da gab endlich der ſchwäbiſche Nachbar den Ausſchlag durch
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keit ſtach von dem verſchloſſenen Weſen des geſtrengen Vorgängers er-
freulich ab. Aber die Staatsgeſchäfte kannte er nicht, ſelbſtändiges
Nachdenken fiel ihm ſchwer, noch ſchwerer ein kräftiger Entſchluß; am
wohlſten fühlte er ſich in ſeinem Marſtall oder auf dem Schießſtande,
für Künſte und Wiſſenſchaften zeigte er wenig Verſtändniß. Seine Ge-
mahlin Sophie, eine ſtolze Waſa von klarem Verſtande, ſtarkem Willen,
lebhaftem Thatendrange und fürſtlicher Haltung, überſah den gutmüthigen
Gatten weit; auch ſein Bruder Markgraf Wilhelm, ein tapferer General
des napoleoniſchen Heeres, war nicht ohne Ehrgeiz, und ſeit der Markgraf
eine Schweſter des Königs von Württemberg geheirathet hatte, glaubte
ſich der ſchwäbiſche Schwager ebenfalls berechtigt am Karlsruher Hofe
mitzureden.
Zum Glück fand der Großherzog einen Rückhalt an dem alterprob-
ten Vertrauten der hochbergiſchen Markgrafen, dem Staatsrath Winter,
der ſeit Jahren die Vermögensgeſchäfte dieſer jüngeren Linie beſorgte, auch
als Schriftſteller ihr Thronfolgerecht ſiegreich vertheidigt hatte. Winter
war längſt ſchon der leitende Kopf der Verwaltung des Innern, ſoweit
der Großherzog Ludwig ihm freie Hand ließ. Die Sünden der vergange-
nen Regierung rechnete man ihm nicht an; Jedermann wußte, daß er
Vieles nur widerwillig hatte geſchehen laſſen. Der ſchlichte Mann mit
dem diplomatiſch klugen und doch treuherzig gemüthlichen Geſichte war
ganz dazu angethan, das Vertrauen dieſes bürgerlichen Landes zu ge-
winnen. Sein klarer Geſchäftsverſtand erkannte ſofort, das alte harte
Syſtem der polizeilichen Ueberwachung ſei unhaltbar, die neue Linie der
Dynaſtie müſſe die Liebe des Volks zu gewinnen ſuchen. Auf ſeinen Rath
unternahm der Großherzog eine Rundreiſe durch das Land, und die unge-
heuchelte Freude der Maſſen verkündete überall, welche ſtolzen Hoffnungen
dies Völkchen an den Hingang ſeines ungeliebten alten Fürſten knüpfte.
Die Heidelberger ſangen ihrem Leopold zu:
Herzensreinheit iſt Dein Theil!
Sie nur bringt der Zukunft Heil!
und veranſtalteten ihm zu Ehren einen künſtlichen Schloßbrand. Haufen
von Reiſig und Kleinholz flammten plötzlich auf in dem alten Gemäuer
des Pfälzerſchloſſes, den Beſchauern traten alle Schrecken der Tage Me-
lac’s leibhaftig vor die Augen. Es war, als ob die Preußen eine thea-
traliſche Aufführung der Schlacht von Jena veranſtalteten; in dieſem
ſtaatloſen Geſchlechte fand es Niemand anſtößig, die Erinnerung an die
Schmach des Vaterlandes alſo zu erneuern.
Seit Winter den Gang der Regierung beſtimmte, hatte die Stunde
des Rücktritts geſchlagen für die beiden hochconſervativen Miniſter des
alten Großherzogs, für Metternich’s Getreuen Berſtett und den geſtrengen
rheinbündiſchen Bureaukraten Berckheim. Doch Leopold zögerte und
ſchwankte. Da gab endlich der ſchwäbiſche Nachbar den Ausſchlag durch
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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 4: Bis zum Tode König Friedrich Wilhelms III. Leipzig, 1889, S. 224. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte04_1889/238>, abgerufen am 25.11.2024.
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