Dinge lagen hatte Preußen zunächst nur einen Feind zu fürchten: das revolutionäre Frankreich, das seine frechen Anschläge auf die Rheingrenze mit unbelehrbarer Verblendung kundgab. Wer durfte dem deutschen Staate zumuthen, die sichere Bundesgenossenschaft der Ostmächte mit der treulosen Freundschaft der Freiheitsheuchler Westeuropas zu vertauschen? --
Im Uebrigen ward der mildere und freiere Geist, der seit dem Ende der zwanziger Jahre in der Regierung vorherrschte, durch die Juli-Revo- lution nicht erschüttert. Während Bernstorff die Kriegspläne des Czaren vereitelte, die constitutionelle Bewegung in den norddeutschen Nachbar- staaten mit wohlwollender Zurückhaltung gewähren ließ, die Erhebung der Braunschweiger sogar selbst zum glücklichen Abschluß brachte, führte Maassen die von Motz eingeleiteten Zollvereinsverhandlungen fort und der Staatsrath arbeitete weiter an den Reformgesetzen. Die seit Jahren mit den Provinzialständen besprochene Landgemeinde-Ordnung kam freilich noch immer nicht zu Stande, da das unübersehbare Gewirr der örtlichen Interessen sich jeder Neuerung entgegenstemmte. Aber am 17. März 1831 wurde die revidirte Städteordnung veröffentlicht. Stein selbst begrüßte diesen Umbau seines eigenen Werkes mit Freuden, weil das neue Gesetz an den bewährten Grundsätzen der Selbstverwaltung nichts änderte, sondern nur einige durch die Erfahrung erwiesene Uebelstände behutsam hinweg- räumte; und Savigny erwies in einer geistvollen Abhandlung, daß die Neuerungen in der That meist Verbesserungen waren. Die Städte er- hielten fortan eine erhöhte Selbständigkeit, indem sie durch Ortsstatute das allgemeine Gesetz ergänzen, zum Theil selbst abändern durften; die Befugnisse des Magistrats, der bisher von den Stadtverordneten ganz abhängig gewesen, wurden etwas erweitert; die Regierungen sollten bei Streitigkeiten zwischen Magistrat und Stadtverordneten entscheiden und überhaupt ein schärferes Aufsichtsrecht ausüben, was dringend nöthig war, da in einzelnen heruntergekommenen kleinen Städten sich arge Mißbräuche eingenistet hatten. Dazu einige neue Bestimmungen über das Bürgerrecht, die sich von selbst ergaben seit die neue Gewerbefreiheit den Bürgern das Vorrecht des Gewerbebetriebs genommen hatte. Bedenklich war nur, daß die Grundherren der Mediatstädte ihre alten Communalrechte behalten sollten.
Bei der Einführung des Gesetzes verfuhr die Krone mit einer zarten Schonung, welche von der scharfen Centralisation der meisten constitutio- nellen Staaten seltsam abstach. Alle Städte, die schon unter Stein's Ge- setze standen, verblieben bei dieser Ordnung, falls sie nicht ausdrücklich die Verleihung des neuen Gesetzes beantragten. In den anderen sollte das revidirte Gesetz provinzenweise nach und nach eingeführt werden; die Oberpräsidenten erhielten aber den Auftrag, zuvor mit den Landtags- Abgeordneten des Standes der Städte zu berathschlagen. Wie wohlgemeint die Reform auch war, die Macht des Beharrens, die im Gemeindeleben so unwiderstehlich waltet, und das stille Mißtrauen gegen das Beamten-
Die revidirte Städteordnung.
Dinge lagen hatte Preußen zunächſt nur einen Feind zu fürchten: das revolutionäre Frankreich, das ſeine frechen Anſchläge auf die Rheingrenze mit unbelehrbarer Verblendung kundgab. Wer durfte dem deutſchen Staate zumuthen, die ſichere Bundesgenoſſenſchaft der Oſtmächte mit der treuloſen Freundſchaft der Freiheitsheuchler Weſteuropas zu vertauſchen? —
Im Uebrigen ward der mildere und freiere Geiſt, der ſeit dem Ende der zwanziger Jahre in der Regierung vorherrſchte, durch die Juli-Revo- lution nicht erſchüttert. Während Bernſtorff die Kriegspläne des Czaren vereitelte, die conſtitutionelle Bewegung in den norddeutſchen Nachbar- ſtaaten mit wohlwollender Zurückhaltung gewähren ließ, die Erhebung der Braunſchweiger ſogar ſelbſt zum glücklichen Abſchluß brachte, führte Maaſſen die von Motz eingeleiteten Zollvereinsverhandlungen fort und der Staatsrath arbeitete weiter an den Reformgeſetzen. Die ſeit Jahren mit den Provinzialſtänden beſprochene Landgemeinde-Ordnung kam freilich noch immer nicht zu Stande, da das unüberſehbare Gewirr der örtlichen Intereſſen ſich jeder Neuerung entgegenſtemmte. Aber am 17. März 1831 wurde die revidirte Städteordnung veröffentlicht. Stein ſelbſt begrüßte dieſen Umbau ſeines eigenen Werkes mit Freuden, weil das neue Geſetz an den bewährten Grundſätzen der Selbſtverwaltung nichts änderte, ſondern nur einige durch die Erfahrung erwieſene Uebelſtände behutſam hinweg- räumte; und Savigny erwies in einer geiſtvollen Abhandlung, daß die Neuerungen in der That meiſt Verbeſſerungen waren. Die Städte er- hielten fortan eine erhöhte Selbſtändigkeit, indem ſie durch Ortsſtatute das allgemeine Geſetz ergänzen, zum Theil ſelbſt abändern durften; die Befugniſſe des Magiſtrats, der bisher von den Stadtverordneten ganz abhängig geweſen, wurden etwas erweitert; die Regierungen ſollten bei Streitigkeiten zwiſchen Magiſtrat und Stadtverordneten entſcheiden und überhaupt ein ſchärferes Aufſichtsrecht ausüben, was dringend nöthig war, da in einzelnen heruntergekommenen kleinen Städten ſich arge Mißbräuche eingeniſtet hatten. Dazu einige neue Beſtimmungen über das Bürgerrecht, die ſich von ſelbſt ergaben ſeit die neue Gewerbefreiheit den Bürgern das Vorrecht des Gewerbebetriebs genommen hatte. Bedenklich war nur, daß die Grundherren der Mediatſtädte ihre alten Communalrechte behalten ſollten.
Bei der Einführung des Geſetzes verfuhr die Krone mit einer zarten Schonung, welche von der ſcharfen Centraliſation der meiſten conſtitutio- nellen Staaten ſeltſam abſtach. Alle Städte, die ſchon unter Stein’s Ge- ſetze ſtanden, verblieben bei dieſer Ordnung, falls ſie nicht ausdrücklich die Verleihung des neuen Geſetzes beantragten. In den anderen ſollte das revidirte Geſetz provinzenweiſe nach und nach eingeführt werden; die Oberpräſidenten erhielten aber den Auftrag, zuvor mit den Landtags- Abgeordneten des Standes der Städte zu berathſchlagen. Wie wohlgemeint die Reform auch war, die Macht des Beharrens, die im Gemeindeleben ſo unwiderſtehlich waltet, und das ſtille Mißtrauen gegen das Beamten-
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Die revidirte Städteordnung.
Dinge lagen hatte Preußen zunächſt nur einen Feind zu fürchten: das
revolutionäre Frankreich, das ſeine frechen Anſchläge auf die Rheingrenze
mit unbelehrbarer Verblendung kundgab. Wer durfte dem deutſchen Staate
zumuthen, die ſichere Bundesgenoſſenſchaft der Oſtmächte mit der treuloſen
Freundſchaft der Freiheitsheuchler Weſteuropas zu vertauſchen? —
Im Uebrigen ward der mildere und freiere Geiſt, der ſeit dem Ende
der zwanziger Jahre in der Regierung vorherrſchte, durch die Juli-Revo-
lution nicht erſchüttert. Während Bernſtorff die Kriegspläne des Czaren
vereitelte, die conſtitutionelle Bewegung in den norddeutſchen Nachbar-
ſtaaten mit wohlwollender Zurückhaltung gewähren ließ, die Erhebung
der Braunſchweiger ſogar ſelbſt zum glücklichen Abſchluß brachte, führte
Maaſſen die von Motz eingeleiteten Zollvereinsverhandlungen fort und
der Staatsrath arbeitete weiter an den Reformgeſetzen. Die ſeit Jahren
mit den Provinzialſtänden beſprochene Landgemeinde-Ordnung kam freilich
noch immer nicht zu Stande, da das unüberſehbare Gewirr der örtlichen
Intereſſen ſich jeder Neuerung entgegenſtemmte. Aber am 17. März 1831
wurde die revidirte Städteordnung veröffentlicht. Stein ſelbſt begrüßte
dieſen Umbau ſeines eigenen Werkes mit Freuden, weil das neue Geſetz
an den bewährten Grundſätzen der Selbſtverwaltung nichts änderte, ſondern
nur einige durch die Erfahrung erwieſene Uebelſtände behutſam hinweg-
räumte; und Savigny erwies in einer geiſtvollen Abhandlung, daß die
Neuerungen in der That meiſt Verbeſſerungen waren. Die Städte er-
hielten fortan eine erhöhte Selbſtändigkeit, indem ſie durch Ortsſtatute
das allgemeine Geſetz ergänzen, zum Theil ſelbſt abändern durften; die
Befugniſſe des Magiſtrats, der bisher von den Stadtverordneten ganz
abhängig geweſen, wurden etwas erweitert; die Regierungen ſollten bei
Streitigkeiten zwiſchen Magiſtrat und Stadtverordneten entſcheiden und
überhaupt ein ſchärferes Aufſichtsrecht ausüben, was dringend nöthig war,
da in einzelnen heruntergekommenen kleinen Städten ſich arge Mißbräuche
eingeniſtet hatten. Dazu einige neue Beſtimmungen über das Bürgerrecht,
die ſich von ſelbſt ergaben ſeit die neue Gewerbefreiheit den Bürgern das
Vorrecht des Gewerbebetriebs genommen hatte. Bedenklich war nur, daß die
Grundherren der Mediatſtädte ihre alten Communalrechte behalten ſollten.
Bei der Einführung des Geſetzes verfuhr die Krone mit einer zarten
Schonung, welche von der ſcharfen Centraliſation der meiſten conſtitutio-
nellen Staaten ſeltſam abſtach. Alle Städte, die ſchon unter Stein’s Ge-
ſetze ſtanden, verblieben bei dieſer Ordnung, falls ſie nicht ausdrücklich die
Verleihung des neuen Geſetzes beantragten. In den anderen ſollte das
revidirte Geſetz provinzenweiſe nach und nach eingeführt werden; die
Oberpräſidenten erhielten aber den Auftrag, zuvor mit den Landtags-
Abgeordneten des Standes der Städte zu berathſchlagen. Wie wohlgemeint
die Reform auch war, die Macht des Beharrens, die im Gemeindeleben
ſo unwiderſtehlich waltet, und das ſtille Mißtrauen gegen das Beamten-
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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 4: Bis zum Tode König Friedrich Wilhelms III. Leipzig, 1889, S. 191. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte04_1889/205>, abgerufen am 28.11.2024.
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