Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 4: Bis zum Tode König Friedrich Wilhelms III. Leipzig, 1889.IV. 3. Preußens Mittelstellung. gutmüthige König zu einer Steuer-Erhöhung sich auch nicht entschließenwollte, so wurden diese Ausgaben vorläufig gedeckt durch Zahlungen aus dem Staatsschatze, durch kurze Darlehen der Seehandlung, durch die Ein- ziehung der entbehrlichen Capitalbestände der Staatsverwaltung, ja sogar der hinterlegten Cautionen der Beamten, und dann nach und nach aus dem wachsenden Ertrage der neuen Abgaben zurückgezahlt. *) Das Alles ward mit altpreußischer Genauigkeit abgewickelt; doch wohin sollte dies geheime Treiben führen, wenn der Zustand des bewaffneten Friedens sich verlängerte oder gar der Weltkrieg ausbrach? Und war es eines stolzen Staates würdig, wenn die veröffentlichten Jahresbudgets in solcher Zeit immer nur von dem vollkommenen Gleichgewichte der regelmäßigen Ein- nahmen und Ausgaben fälschlich berichteten? Jene schweren Aufwendungen für Deutschlands Sicherheit wurden ängstlich geheim gehalten, wie die Schulden eines leichtsinnigen Jünglings; und doch gereichten sie der preu- ßischen Staatskunst zu hoher Ehre, und doch mußten sie, wenn man sie offen eingestand, dem Volke der Kleinstaaten, soweit es nicht durch die Polenschwärmerei verdorben war, handgreiflich beweisen, daß Preußen allein für das große Vaterland Opfer brachte. Aber die Noth des Augenblicks ging vorüber, und fester denn je war *) Uebersicht über den Staatshaushalt der J. 1830--40 von Rother, Alvensleben, Voß, 11. Febr. 1841. **) So erzählt Rother in seiner Denkschrift v. 18. Mai 1847: "Mein Antheil an
den Verordnungen v. 22. Mai 1815 u. 17. Jan. 1820." IV. 3. Preußens Mittelſtellung. gutmüthige König zu einer Steuer-Erhöhung ſich auch nicht entſchließenwollte, ſo wurden dieſe Ausgaben vorläufig gedeckt durch Zahlungen aus dem Staatsſchatze, durch kurze Darlehen der Seehandlung, durch die Ein- ziehung der entbehrlichen Capitalbeſtände der Staatsverwaltung, ja ſogar der hinterlegten Cautionen der Beamten, und dann nach und nach aus dem wachſenden Ertrage der neuen Abgaben zurückgezahlt. *) Das Alles ward mit altpreußiſcher Genauigkeit abgewickelt; doch wohin ſollte dies geheime Treiben führen, wenn der Zuſtand des bewaffneten Friedens ſich verlängerte oder gar der Weltkrieg ausbrach? Und war es eines ſtolzen Staates würdig, wenn die veröffentlichten Jahresbudgets in ſolcher Zeit immer nur von dem vollkommenen Gleichgewichte der regelmäßigen Ein- nahmen und Ausgaben fälſchlich berichteten? Jene ſchweren Aufwendungen für Deutſchlands Sicherheit wurden ängſtlich geheim gehalten, wie die Schulden eines leichtſinnigen Jünglings; und doch gereichten ſie der preu- ßiſchen Staatskunſt zu hoher Ehre, und doch mußten ſie, wenn man ſie offen eingeſtand, dem Volke der Kleinſtaaten, ſoweit es nicht durch die Polenſchwärmerei verdorben war, handgreiflich beweiſen, daß Preußen allein für das große Vaterland Opfer brachte. Aber die Noth des Augenblicks ging vorüber, und feſter denn je war *) Ueberſicht über den Staatshaushalt der J. 1830—40 von Rother, Alvensleben, Voß, 11. Febr. 1841. **) So erzählt Rother in ſeiner Denkſchrift v. 18. Mai 1847: „Mein Antheil an
den Verordnungen v. 22. Mai 1815 u. 17. Jan. 1820.“ <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0204" n="190"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#aq">IV.</hi> 3. Preußens Mittelſtellung.</fw><lb/> gutmüthige König zu einer Steuer-Erhöhung ſich auch nicht entſchließen<lb/> wollte, ſo wurden dieſe Ausgaben vorläufig gedeckt durch Zahlungen aus<lb/> dem Staatsſchatze, durch kurze Darlehen der Seehandlung, durch die Ein-<lb/> ziehung der entbehrlichen Capitalbeſtände der Staatsverwaltung, ja ſogar<lb/> der hinterlegten Cautionen der Beamten, und dann nach und nach aus<lb/> dem wachſenden Ertrage der neuen Abgaben zurückgezahlt. <note place="foot" n="*)">Ueberſicht über den Staatshaushalt der J. 1830—40 von Rother, Alvensleben,<lb/> Voß, 11. Febr. 1841.</note> Das Alles<lb/> ward mit altpreußiſcher Genauigkeit abgewickelt; doch wohin ſollte dies<lb/> geheime Treiben führen, wenn der Zuſtand des bewaffneten Friedens ſich<lb/> verlängerte oder gar der Weltkrieg ausbrach? Und war es eines ſtolzen<lb/> Staates würdig, wenn die veröffentlichten Jahresbudgets in ſolcher Zeit<lb/> immer nur von dem vollkommenen Gleichgewichte der regelmäßigen Ein-<lb/> nahmen und Ausgaben fälſchlich berichteten? Jene ſchweren Aufwendungen<lb/> für Deutſchlands Sicherheit wurden ängſtlich geheim gehalten, wie die<lb/> Schulden eines leichtſinnigen Jünglings; und doch gereichten ſie der preu-<lb/> ßiſchen Staatskunſt zu hoher Ehre, und doch mußten ſie, wenn man ſie<lb/> offen eingeſtand, dem Volke der Kleinſtaaten, ſoweit es nicht durch die<lb/> Polenſchwärmerei verdorben war, handgreiflich beweiſen, daß Preußen<lb/> allein für das große Vaterland Opfer brachte.</p><lb/> <p>Aber die Noth des Augenblicks ging vorüber, und feſter denn je war<lb/> der König jetzt überzeugt, mit der Einrichtung der Provinzialſtände das<lb/> Rechte getroffen zu haben. Er hatte einſt, als ihm die Verordnung vom<lb/> Mai 1815 vorgelegt wurde, das Steuerbewilligungsrecht des Reichstags<lb/> eigenhändig ausgeſtrichen und dem Reichstage nur berathende Befugniſſe<lb/> gewährt; er hatte fünf Jahre darauf den künftigen Reichsſtänden nur<lb/> darum die Mitwirkung bei Staatsanleihen zugeſtanden, weil er beſtimmt<lb/> hoffte, daß die Monarchie neuer Schulden nicht mehr bedürfe, bei augenblick-<lb/> lichen Verlegenheiten aber die Seehandlung eintreten könne; er hatte<lb/> damals nachdrücklich ausgeſprochen: „Repräſentanten der Nation, Repräſen-<lb/> tation des Volks, Landesrepräſentanten, das verbitte ich mir; Reichsſtände<lb/> liebe ich auch nicht, aber ich habe auch nichts dagegen.“ <note place="foot" n="**)">So erzählt Rother in ſeiner Denkſchrift v. 18. Mai 1847: „Mein Antheil an<lb/> den Verordnungen v. 22. Mai 1815 u. 17. Jan. 1820.“</note> Nun ſah er<lb/> ſein Volk zufrieden, unvergleichlich zufriedener als die Bewohner der benach-<lb/> barten conſtitutionellen Staaten. Nichts drängte zu einer entſcheidenden<lb/> Aenderung, und wer das enge, ſchwungloſe Weſen des Königs durchſchaute,<lb/> mußte vorausſehen, daß die Reichsſtände bei ſeinen Lebzeiten niemals zu<lb/> Stande kommen würden. Und wie ſchwer, ja unmöglich erſchien ein<lb/> ſolcher Entſchluß Angeſichts der allgemeinen Lage Europas! Dahin war<lb/> es doch gekommen durch die brutale Schroffheit Lord Palmerſton’s und<lb/> des Czaren Nikolaus, daß die Welt in die zwei großen Heerlager der<lb/> conſtitutionellen Staaten und der abſoluten Monarchien zerfiel. Wie die<lb/></p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [190/0204]
IV. 3. Preußens Mittelſtellung.
gutmüthige König zu einer Steuer-Erhöhung ſich auch nicht entſchließen
wollte, ſo wurden dieſe Ausgaben vorläufig gedeckt durch Zahlungen aus
dem Staatsſchatze, durch kurze Darlehen der Seehandlung, durch die Ein-
ziehung der entbehrlichen Capitalbeſtände der Staatsverwaltung, ja ſogar
der hinterlegten Cautionen der Beamten, und dann nach und nach aus
dem wachſenden Ertrage der neuen Abgaben zurückgezahlt. *) Das Alles
ward mit altpreußiſcher Genauigkeit abgewickelt; doch wohin ſollte dies
geheime Treiben führen, wenn der Zuſtand des bewaffneten Friedens ſich
verlängerte oder gar der Weltkrieg ausbrach? Und war es eines ſtolzen
Staates würdig, wenn die veröffentlichten Jahresbudgets in ſolcher Zeit
immer nur von dem vollkommenen Gleichgewichte der regelmäßigen Ein-
nahmen und Ausgaben fälſchlich berichteten? Jene ſchweren Aufwendungen
für Deutſchlands Sicherheit wurden ängſtlich geheim gehalten, wie die
Schulden eines leichtſinnigen Jünglings; und doch gereichten ſie der preu-
ßiſchen Staatskunſt zu hoher Ehre, und doch mußten ſie, wenn man ſie
offen eingeſtand, dem Volke der Kleinſtaaten, ſoweit es nicht durch die
Polenſchwärmerei verdorben war, handgreiflich beweiſen, daß Preußen
allein für das große Vaterland Opfer brachte.
Aber die Noth des Augenblicks ging vorüber, und feſter denn je war
der König jetzt überzeugt, mit der Einrichtung der Provinzialſtände das
Rechte getroffen zu haben. Er hatte einſt, als ihm die Verordnung vom
Mai 1815 vorgelegt wurde, das Steuerbewilligungsrecht des Reichstags
eigenhändig ausgeſtrichen und dem Reichstage nur berathende Befugniſſe
gewährt; er hatte fünf Jahre darauf den künftigen Reichsſtänden nur
darum die Mitwirkung bei Staatsanleihen zugeſtanden, weil er beſtimmt
hoffte, daß die Monarchie neuer Schulden nicht mehr bedürfe, bei augenblick-
lichen Verlegenheiten aber die Seehandlung eintreten könne; er hatte
damals nachdrücklich ausgeſprochen: „Repräſentanten der Nation, Repräſen-
tation des Volks, Landesrepräſentanten, das verbitte ich mir; Reichsſtände
liebe ich auch nicht, aber ich habe auch nichts dagegen.“ **) Nun ſah er
ſein Volk zufrieden, unvergleichlich zufriedener als die Bewohner der benach-
barten conſtitutionellen Staaten. Nichts drängte zu einer entſcheidenden
Aenderung, und wer das enge, ſchwungloſe Weſen des Königs durchſchaute,
mußte vorausſehen, daß die Reichsſtände bei ſeinen Lebzeiten niemals zu
Stande kommen würden. Und wie ſchwer, ja unmöglich erſchien ein
ſolcher Entſchluß Angeſichts der allgemeinen Lage Europas! Dahin war
es doch gekommen durch die brutale Schroffheit Lord Palmerſton’s und
des Czaren Nikolaus, daß die Welt in die zwei großen Heerlager der
conſtitutionellen Staaten und der abſoluten Monarchien zerfiel. Wie die
*) Ueberſicht über den Staatshaushalt der J. 1830—40 von Rother, Alvensleben,
Voß, 11. Febr. 1841.
**) So erzählt Rother in ſeiner Denkſchrift v. 18. Mai 1847: „Mein Antheil an
den Verordnungen v. 22. Mai 1815 u. 17. Jan. 1820.“
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |