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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 4: Bis zum Tode König Friedrich Wilhelms III. Leipzig, 1889.

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IV. 3. Preußens Mittelstellung.
thum bewirkten doch, daß von allen Städten, welche die alte Städteord-
nung besaßen, nur drei die Einführung des neuen Gesetzes verlangten:
das schöne alte Königsberg in der Neumark und zwei brandenburgische
Landstädtchen.

In den neuen Provinzen dagegen bewährte sich wieder einmal die
zähe Widerstandskraft des Particularismus. Die Stände der Provinz
Sachsen freilich nahmen das neue Gesetz sofort dankbar an, sie freuten sich
der alten kursächsischen Vetternherrschaft entledigt zu werden. Die West-
phalen, die sich um Vincke versammelten, wünschten das alte Gesetz ihres
Landtagsmarschalls, *) doch da sie an dem neuen Gesetze nur wenige Be-
stimmungen anstößig fanden, so begannen langwierige Verhandlungen mit
den einzelnen Communen, bis endlich im Jahre 1841 die revidirte Städte-
ordnung in allen größeren Städten der Provinz eingeführt war. Um
dieselbe Zeit ward die Reform auch in Posen beendigt. Die Neuvorpom-
mern aber wollten weder das alte noch das neue Gesetz, sie bestanden hart-
näckig auf ihren durch die schwedischen Freiheitsbriefe verbürgten Städte-
verfassungen, fanden an dem romantischen Kronprinzen einen warmen
Fürsprecher **) und setzten schließlich ihren Willen durch; nur einzelne un-
vermeidliche Aenderungen sollten noch mit den Bürgerversammlungen von
Stralsund, Greifswald, Barth vereinbart werden. Ebenso hartnäckig
hielten die rheinischen Stände an ihrer napoleonischen Gemeindeordnung
fest, weil die Trennung von Stadt und Land in dem hochentwickelten
wirthschaftlichen Leben des Rheinlands schwer durchzuführen war, aber
auch weil dies Volk mit seiner bureaukratischen Gewöhnung den Segen
deutscher Selbstverwaltung nicht verstehen wollte. Auch sie erreichten,
daß die französischen Gesetze vorläufig fortbestanden; nur drei Städte der
Provinz nahmen die neue Städteordnung freiwillig an. Diese Nachgiebig-
keit der Krone erregte in der reaktionären Partei am Hofe schwere Besorg-
niß. Herzog Karl von Mecklenburg beschwor den König das Zugeständniß
zurückzuziehen: selbst in constitutionellen Staaten werde den Unterthanen
nie erlaubt zwischen verschiedenen Gesetzen zu wählen. Wie so oft schon
drohte er wieder den Vorsitz im Staatsrathe niederzulegen. Friedrich
Wilhelm aber erwiderte: die revidirte Städteordnung sei kein neues,
sondern nur ein verbessertes Gesetz; also müsse den Städten die Wahl
frei bleiben, damit das Volk zufrieden gestellt und die Mannichfaltigkeit
der örtlichen Verhältnisse berücksichtigt würde.***)

Diese Klagebriefe des Herzogs waren nur eine der Rauchsäulen, welche
zuweilen aus dem verdeckten Brande des höfischen Parteikampfes empor-
stiegen. Preußens kluge und selbständige Haltung gegenüber der Revolution

*) Vincke's Bericht, Münster 17. April 1831.
**) Votum des Kronprinzen über die vorpommerschen Städte, 11. April 1831.
***) Herzog Karl v. M. an den König, 1. März, an Wittgenstein, 8. März. Cabinets-
ordre an Herzog Karl, 7. März 1831.

IV. 3. Preußens Mittelſtellung.
thum bewirkten doch, daß von allen Städten, welche die alte Städteord-
nung beſaßen, nur drei die Einführung des neuen Geſetzes verlangten:
das ſchöne alte Königsberg in der Neumark und zwei brandenburgiſche
Landſtädtchen.

In den neuen Provinzen dagegen bewährte ſich wieder einmal die
zähe Widerſtandskraft des Particularismus. Die Stände der Provinz
Sachſen freilich nahmen das neue Geſetz ſofort dankbar an, ſie freuten ſich
der alten kurſächſiſchen Vetternherrſchaft entledigt zu werden. Die Weſt-
phalen, die ſich um Vincke verſammelten, wünſchten das alte Geſetz ihres
Landtagsmarſchalls, *) doch da ſie an dem neuen Geſetze nur wenige Be-
ſtimmungen anſtößig fanden, ſo begannen langwierige Verhandlungen mit
den einzelnen Communen, bis endlich im Jahre 1841 die revidirte Städte-
ordnung in allen größeren Städten der Provinz eingeführt war. Um
dieſelbe Zeit ward die Reform auch in Poſen beendigt. Die Neuvorpom-
mern aber wollten weder das alte noch das neue Geſetz, ſie beſtanden hart-
näckig auf ihren durch die ſchwediſchen Freiheitsbriefe verbürgten Städte-
verfaſſungen, fanden an dem romantiſchen Kronprinzen einen warmen
Fürſprecher **) und ſetzten ſchließlich ihren Willen durch; nur einzelne un-
vermeidliche Aenderungen ſollten noch mit den Bürgerverſammlungen von
Stralſund, Greifswald, Barth vereinbart werden. Ebenſo hartnäckig
hielten die rheiniſchen Stände an ihrer napoleoniſchen Gemeindeordnung
feſt, weil die Trennung von Stadt und Land in dem hochentwickelten
wirthſchaftlichen Leben des Rheinlands ſchwer durchzuführen war, aber
auch weil dies Volk mit ſeiner bureaukratiſchen Gewöhnung den Segen
deutſcher Selbſtverwaltung nicht verſtehen wollte. Auch ſie erreichten,
daß die franzöſiſchen Geſetze vorläufig fortbeſtanden; nur drei Städte der
Provinz nahmen die neue Städteordnung freiwillig an. Dieſe Nachgiebig-
keit der Krone erregte in der reaktionären Partei am Hofe ſchwere Beſorg-
niß. Herzog Karl von Mecklenburg beſchwor den König das Zugeſtändniß
zurückzuziehen: ſelbſt in conſtitutionellen Staaten werde den Unterthanen
nie erlaubt zwiſchen verſchiedenen Geſetzen zu wählen. Wie ſo oft ſchon
drohte er wieder den Vorſitz im Staatsrathe niederzulegen. Friedrich
Wilhelm aber erwiderte: die revidirte Städteordnung ſei kein neues,
ſondern nur ein verbeſſertes Geſetz; alſo müſſe den Städten die Wahl
frei bleiben, damit das Volk zufrieden geſtellt und die Mannichfaltigkeit
der örtlichen Verhältniſſe berückſichtigt würde.***)

Dieſe Klagebriefe des Herzogs waren nur eine der Rauchſäulen, welche
zuweilen aus dem verdeckten Brande des höfiſchen Parteikampfes empor-
ſtiegen. Preußens kluge und ſelbſtändige Haltung gegenüber der Revolution

*) Vincke’s Bericht, Münſter 17. April 1831.
**) Votum des Kronprinzen über die vorpommerſchen Städte, 11. April 1831.
***) Herzog Karl v. M. an den König, 1. März, an Wittgenſtein, 8. März. Cabinets-
ordre an Herzog Karl, 7. März 1831.
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[192/0206] IV. 3. Preußens Mittelſtellung. thum bewirkten doch, daß von allen Städten, welche die alte Städteord- nung beſaßen, nur drei die Einführung des neuen Geſetzes verlangten: das ſchöne alte Königsberg in der Neumark und zwei brandenburgiſche Landſtädtchen. In den neuen Provinzen dagegen bewährte ſich wieder einmal die zähe Widerſtandskraft des Particularismus. Die Stände der Provinz Sachſen freilich nahmen das neue Geſetz ſofort dankbar an, ſie freuten ſich der alten kurſächſiſchen Vetternherrſchaft entledigt zu werden. Die Weſt- phalen, die ſich um Vincke verſammelten, wünſchten das alte Geſetz ihres Landtagsmarſchalls, *) doch da ſie an dem neuen Geſetze nur wenige Be- ſtimmungen anſtößig fanden, ſo begannen langwierige Verhandlungen mit den einzelnen Communen, bis endlich im Jahre 1841 die revidirte Städte- ordnung in allen größeren Städten der Provinz eingeführt war. Um dieſelbe Zeit ward die Reform auch in Poſen beendigt. Die Neuvorpom- mern aber wollten weder das alte noch das neue Geſetz, ſie beſtanden hart- näckig auf ihren durch die ſchwediſchen Freiheitsbriefe verbürgten Städte- verfaſſungen, fanden an dem romantiſchen Kronprinzen einen warmen Fürſprecher **) und ſetzten ſchließlich ihren Willen durch; nur einzelne un- vermeidliche Aenderungen ſollten noch mit den Bürgerverſammlungen von Stralſund, Greifswald, Barth vereinbart werden. Ebenſo hartnäckig hielten die rheiniſchen Stände an ihrer napoleoniſchen Gemeindeordnung feſt, weil die Trennung von Stadt und Land in dem hochentwickelten wirthſchaftlichen Leben des Rheinlands ſchwer durchzuführen war, aber auch weil dies Volk mit ſeiner bureaukratiſchen Gewöhnung den Segen deutſcher Selbſtverwaltung nicht verſtehen wollte. Auch ſie erreichten, daß die franzöſiſchen Geſetze vorläufig fortbeſtanden; nur drei Städte der Provinz nahmen die neue Städteordnung freiwillig an. Dieſe Nachgiebig- keit der Krone erregte in der reaktionären Partei am Hofe ſchwere Beſorg- niß. Herzog Karl von Mecklenburg beſchwor den König das Zugeſtändniß zurückzuziehen: ſelbſt in conſtitutionellen Staaten werde den Unterthanen nie erlaubt zwiſchen verſchiedenen Geſetzen zu wählen. Wie ſo oft ſchon drohte er wieder den Vorſitz im Staatsrathe niederzulegen. Friedrich Wilhelm aber erwiderte: die revidirte Städteordnung ſei kein neues, ſondern nur ein verbeſſertes Geſetz; alſo müſſe den Städten die Wahl frei bleiben, damit das Volk zufrieden geſtellt und die Mannichfaltigkeit der örtlichen Verhältniſſe berückſichtigt würde. ***) Dieſe Klagebriefe des Herzogs waren nur eine der Rauchſäulen, welche zuweilen aus dem verdeckten Brande des höfiſchen Parteikampfes empor- ſtiegen. Preußens kluge und ſelbſtändige Haltung gegenüber der Revolution *) Vincke’s Bericht, Münſter 17. April 1831. **) Votum des Kronprinzen über die vorpommerſchen Städte, 11. April 1831. ***) Herzog Karl v. M. an den König, 1. März, an Wittgenſtein, 8. März. Cabinets- ordre an Herzog Karl, 7. März 1831.

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Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 4: Bis zum Tode König Friedrich Wilhelms III. Leipzig, 1889, S. 192. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte04_1889/206>, abgerufen am 27.04.2024.