Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 4: Bis zum Tode König Friedrich Wilhelms III. Leipzig, 1889.

Bild:
<< vorherige Seite

Theilung des Landesvermögens.
tullvermögen besaß, dessen Höhe nur ihm selber und dem getreuen Hause
Rothschild bekannt war, so blieb er nach wie vor einer der reichsten
deutschen Fürsten. Freilich mußte er nun auch ein Legat, das er seiner
Gemahlin unterschlagen, und die 110000 Thaler, welche König Friedrich
Wilhelm der Kurfürstin vorgeschossen hatte, endlich herausgeben; er sträubte
sich aufs Aeußerste, aber die Krone Preußen bestand auf ihrem Rechte,
und der Landtag hielt zu ihr.*)

Sobald man sich über den Grundsatz der Theilung des Landes-
vermögens geeinigt hatte, beantragte der kurfürstliche Unterhändler Re-
gierungsrath Eggena, ein gewandter, weltkluger Jurist, die Stände
sollten dem Landesvater ihren Dank aussprechen. Auch dazu ließ der
Landtag sich herbei; die bäuerlichen Abgeordneten sagten treuherzig: die
Capitalien sind zwar hessisches Blutgeld und gehören eigentlich allesammt
dem Lande, aber wir müssen dem Kurfürsten auch eine Liebe erweisen.
Wilhelm empfing die Abgesandten auf Wilhelmshöhe, krank, zerknirscht,
unter strömenden Thränen. Die getreuen Stände weinten mit und
tranken nachher drunten im Gasthofe auf das Wohl ihres gnädigen
Herrn.**) Allein nachdem sie ihm großmüthig den besten Theil seiner
Herzenswünsche erfüllt, meinten sie sich um so mehr berechtigt, in der
eigentlichen Verfassungssache, die den Kurfürsten weniger bekümmerte,
ihrem eigenen Kopfe zu folgen.

Eggena legte ihnen einen Entwurf vor, der im Grunde nur einige
Verbesserungen der alten ständischen Verfassung entheilt. Dawider erhob
sich im Verfassungsausschusse sofort der Vertreter der Universität Marburg,
Professor Sylvester Jordan, ein fröhlicher katholischer Tyroler, der schon in
jungen Jahren daheim gegen die Herrschsucht der Clerisei gekämpft, dann in
München den Verhandlungen des ersten deutschen constitutionellen Land-
tags als eifriger Zuhörer beigewohnt und endlich in Heidelberg sich die
Heilslehren des Rotteck-Welcker'schen "allgemeinen Staatsrechts" bis auf
den letzten Buchstaben angeeignet hatte. Den Brüdern Grimm erschien
der ehrliche Doctrinär als "ein aufgeschwemmter Liberaler, der die Formen
hitzig verficht, für die Sache nicht einmal mäßige Wärme besitzt". Unter
allen den Wortführern des norddeutschen Liberalismus stand er der Welt-
anschauung Rotteck's am nächsten; und nur der wohlberechtigte Groll
über die Unthaten des Kurhauses erklärt das Räthsel, daß die gemüth-
liche Flachheit dieser josephinischen Aufklärung hier im protestantischen
Kurhessen Anklang finden konnte. Jordan trat in den Ausschuß mit
dem Bewußtsein eines großen historischen Berufs: "Kurhessens Beispiel
ist für den Sieg des constitutionellen Systems in Deutschland völlig

*) Schreiben des kurf. Ministers v. Schminke an Hänlein, 7. Jan. Wittgenstein
an Bernstorff, 10. März 1831 u. s. w.
**) Hänlein's Bericht, 23. Nov. 1830.
9*

Theilung des Landesvermögens.
tullvermögen beſaß, deſſen Höhe nur ihm ſelber und dem getreuen Hauſe
Rothſchild bekannt war, ſo blieb er nach wie vor einer der reichſten
deutſchen Fürſten. Freilich mußte er nun auch ein Legat, das er ſeiner
Gemahlin unterſchlagen, und die 110000 Thaler, welche König Friedrich
Wilhelm der Kurfürſtin vorgeſchoſſen hatte, endlich herausgeben; er ſträubte
ſich aufs Aeußerſte, aber die Krone Preußen beſtand auf ihrem Rechte,
und der Landtag hielt zu ihr.*)

Sobald man ſich über den Grundſatz der Theilung des Landes-
vermögens geeinigt hatte, beantragte der kurfürſtliche Unterhändler Re-
gierungsrath Eggena, ein gewandter, weltkluger Juriſt, die Stände
ſollten dem Landesvater ihren Dank ausſprechen. Auch dazu ließ der
Landtag ſich herbei; die bäuerlichen Abgeordneten ſagten treuherzig: die
Capitalien ſind zwar heſſiſches Blutgeld und gehören eigentlich alleſammt
dem Lande, aber wir müſſen dem Kurfürſten auch eine Liebe erweiſen.
Wilhelm empfing die Abgeſandten auf Wilhelmshöhe, krank, zerknirſcht,
unter ſtrömenden Thränen. Die getreuen Stände weinten mit und
tranken nachher drunten im Gaſthofe auf das Wohl ihres gnädigen
Herrn.**) Allein nachdem ſie ihm großmüthig den beſten Theil ſeiner
Herzenswünſche erfüllt, meinten ſie ſich um ſo mehr berechtigt, in der
eigentlichen Verfaſſungsſache, die den Kurfürſten weniger bekümmerte,
ihrem eigenen Kopfe zu folgen.

Eggena legte ihnen einen Entwurf vor, der im Grunde nur einige
Verbeſſerungen der alten ſtändiſchen Verfaſſung entheilt. Dawider erhob
ſich im Verfaſſungsausſchuſſe ſofort der Vertreter der Univerſität Marburg,
Profeſſor Sylveſter Jordan, ein fröhlicher katholiſcher Tyroler, der ſchon in
jungen Jahren daheim gegen die Herrſchſucht der Cleriſei gekämpft, dann in
München den Verhandlungen des erſten deutſchen conſtitutionellen Land-
tags als eifriger Zuhörer beigewohnt und endlich in Heidelberg ſich die
Heilslehren des Rotteck-Welcker’ſchen „allgemeinen Staatsrechts“ bis auf
den letzten Buchſtaben angeeignet hatte. Den Brüdern Grimm erſchien
der ehrliche Doctrinär als „ein aufgeſchwemmter Liberaler, der die Formen
hitzig verficht, für die Sache nicht einmal mäßige Wärme beſitzt“. Unter
allen den Wortführern des norddeutſchen Liberalismus ſtand er der Welt-
anſchauung Rotteck’s am nächſten; und nur der wohlberechtigte Groll
über die Unthaten des Kurhauſes erklärt das Räthſel, daß die gemüth-
liche Flachheit dieſer joſephiniſchen Aufklärung hier im proteſtantiſchen
Kurheſſen Anklang finden konnte. Jordan trat in den Ausſchuß mit
dem Bewußtſein eines großen hiſtoriſchen Berufs: „Kurheſſens Beiſpiel
iſt für den Sieg des conſtitutionellen Syſtems in Deutſchland völlig

*) Schreiben des kurf. Miniſters v. Schminke an Hänlein, 7. Jan. Wittgenſtein
an Bernſtorff, 10. März 1831 u. ſ. w.
**) Hänlein’s Bericht, 23. Nov. 1830.
9*
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0145" n="131"/><fw place="top" type="header">Theilung des Landesvermögens.</fw><lb/>
tullvermögen be&#x017F;aß, de&#x017F;&#x017F;en Höhe nur ihm &#x017F;elber und dem getreuen Hau&#x017F;e<lb/>
Roth&#x017F;child bekannt war, &#x017F;o blieb er nach wie vor einer der reich&#x017F;ten<lb/>
deut&#x017F;chen Für&#x017F;ten. Freilich mußte er nun auch ein Legat, das er &#x017F;einer<lb/>
Gemahlin unter&#x017F;chlagen, und die 110000 Thaler, welche König Friedrich<lb/>
Wilhelm der Kurfür&#x017F;tin vorge&#x017F;cho&#x017F;&#x017F;en hatte, endlich herausgeben; er &#x017F;träubte<lb/>
&#x017F;ich aufs Aeußer&#x017F;te, aber die Krone Preußen be&#x017F;tand auf ihrem Rechte,<lb/>
und der Landtag hielt zu ihr.<note place="foot" n="*)">Schreiben des kurf. Mini&#x017F;ters v. Schminke an Hänlein, 7. Jan. Wittgen&#x017F;tein<lb/>
an Bern&#x017F;torff, 10. März 1831 u. &#x017F;. w.</note></p><lb/>
          <p>Sobald man &#x017F;ich über den Grund&#x017F;atz der Theilung des Landes-<lb/>
vermögens geeinigt hatte, beantragte der kurfür&#x017F;tliche Unterhändler Re-<lb/>
gierungsrath Eggena, ein gewandter, weltkluger Juri&#x017F;t, die Stände<lb/>
&#x017F;ollten dem Landesvater ihren Dank aus&#x017F;prechen. Auch dazu ließ der<lb/>
Landtag &#x017F;ich herbei; die bäuerlichen Abgeordneten &#x017F;agten treuherzig: die<lb/>
Capitalien &#x017F;ind zwar he&#x017F;&#x017F;i&#x017F;ches Blutgeld und gehören eigentlich alle&#x017F;ammt<lb/>
dem Lande, aber wir mü&#x017F;&#x017F;en dem Kurfür&#x017F;ten auch eine Liebe erwei&#x017F;en.<lb/>
Wilhelm empfing die Abge&#x017F;andten auf Wilhelmshöhe, krank, zerknir&#x017F;cht,<lb/>
unter &#x017F;trömenden Thränen. Die getreuen Stände weinten mit und<lb/>
tranken nachher drunten im Ga&#x017F;thofe auf das Wohl ihres gnädigen<lb/>
Herrn.<note place="foot" n="**)">Hänlein&#x2019;s Bericht, 23. Nov. 1830.</note> Allein nachdem &#x017F;ie ihm großmüthig den be&#x017F;ten Theil &#x017F;einer<lb/>
Herzenswün&#x017F;che erfüllt, meinten &#x017F;ie &#x017F;ich um &#x017F;o mehr berechtigt, in der<lb/>
eigentlichen Verfa&#x017F;&#x017F;ungs&#x017F;ache, die den Kurfür&#x017F;ten weniger bekümmerte,<lb/>
ihrem eigenen Kopfe zu folgen.</p><lb/>
          <p>Eggena legte ihnen einen Entwurf vor, der im Grunde nur einige<lb/>
Verbe&#x017F;&#x017F;erungen der alten &#x017F;tändi&#x017F;chen Verfa&#x017F;&#x017F;ung entheilt. Dawider erhob<lb/>
&#x017F;ich im Verfa&#x017F;&#x017F;ungsaus&#x017F;chu&#x017F;&#x017F;e &#x017F;ofort der Vertreter der Univer&#x017F;ität Marburg,<lb/>
Profe&#x017F;&#x017F;or Sylve&#x017F;ter Jordan, ein fröhlicher katholi&#x017F;cher Tyroler, der &#x017F;chon in<lb/>
jungen Jahren daheim gegen die Herr&#x017F;ch&#x017F;ucht der Cleri&#x017F;ei gekämpft, dann in<lb/>
München den Verhandlungen des er&#x017F;ten deut&#x017F;chen con&#x017F;titutionellen Land-<lb/>
tags als eifriger Zuhörer beigewohnt und endlich in Heidelberg &#x017F;ich die<lb/>
Heilslehren des Rotteck-Welcker&#x2019;&#x017F;chen &#x201E;allgemeinen Staatsrechts&#x201C; bis auf<lb/>
den letzten Buch&#x017F;taben angeeignet hatte. Den Brüdern Grimm er&#x017F;chien<lb/>
der ehrliche Doctrinär als &#x201E;ein aufge&#x017F;chwemmter Liberaler, der die Formen<lb/>
hitzig verficht, für die Sache nicht einmal mäßige Wärme be&#x017F;itzt&#x201C;. Unter<lb/>
allen den Wortführern des norddeut&#x017F;chen Liberalismus &#x017F;tand er der Welt-<lb/>
an&#x017F;chauung Rotteck&#x2019;s am näch&#x017F;ten; und nur der wohlberechtigte Groll<lb/>
über die Unthaten des Kurhau&#x017F;es erklärt das Räth&#x017F;el, daß die gemüth-<lb/>
liche Flachheit die&#x017F;er jo&#x017F;ephini&#x017F;chen Aufklärung hier im prote&#x017F;tanti&#x017F;chen<lb/>
Kurhe&#x017F;&#x017F;en Anklang finden konnte. Jordan trat in den Aus&#x017F;chuß mit<lb/>
dem Bewußt&#x017F;ein eines großen hi&#x017F;tori&#x017F;chen Berufs: &#x201E;Kurhe&#x017F;&#x017F;ens Bei&#x017F;piel<lb/>
i&#x017F;t für den Sieg des con&#x017F;titutionellen Sy&#x017F;tems in Deut&#x017F;chland völlig<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">9*</fw><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[131/0145] Theilung des Landesvermögens. tullvermögen beſaß, deſſen Höhe nur ihm ſelber und dem getreuen Hauſe Rothſchild bekannt war, ſo blieb er nach wie vor einer der reichſten deutſchen Fürſten. Freilich mußte er nun auch ein Legat, das er ſeiner Gemahlin unterſchlagen, und die 110000 Thaler, welche König Friedrich Wilhelm der Kurfürſtin vorgeſchoſſen hatte, endlich herausgeben; er ſträubte ſich aufs Aeußerſte, aber die Krone Preußen beſtand auf ihrem Rechte, und der Landtag hielt zu ihr. *) Sobald man ſich über den Grundſatz der Theilung des Landes- vermögens geeinigt hatte, beantragte der kurfürſtliche Unterhändler Re- gierungsrath Eggena, ein gewandter, weltkluger Juriſt, die Stände ſollten dem Landesvater ihren Dank ausſprechen. Auch dazu ließ der Landtag ſich herbei; die bäuerlichen Abgeordneten ſagten treuherzig: die Capitalien ſind zwar heſſiſches Blutgeld und gehören eigentlich alleſammt dem Lande, aber wir müſſen dem Kurfürſten auch eine Liebe erweiſen. Wilhelm empfing die Abgeſandten auf Wilhelmshöhe, krank, zerknirſcht, unter ſtrömenden Thränen. Die getreuen Stände weinten mit und tranken nachher drunten im Gaſthofe auf das Wohl ihres gnädigen Herrn. **) Allein nachdem ſie ihm großmüthig den beſten Theil ſeiner Herzenswünſche erfüllt, meinten ſie ſich um ſo mehr berechtigt, in der eigentlichen Verfaſſungsſache, die den Kurfürſten weniger bekümmerte, ihrem eigenen Kopfe zu folgen. Eggena legte ihnen einen Entwurf vor, der im Grunde nur einige Verbeſſerungen der alten ſtändiſchen Verfaſſung entheilt. Dawider erhob ſich im Verfaſſungsausſchuſſe ſofort der Vertreter der Univerſität Marburg, Profeſſor Sylveſter Jordan, ein fröhlicher katholiſcher Tyroler, der ſchon in jungen Jahren daheim gegen die Herrſchſucht der Cleriſei gekämpft, dann in München den Verhandlungen des erſten deutſchen conſtitutionellen Land- tags als eifriger Zuhörer beigewohnt und endlich in Heidelberg ſich die Heilslehren des Rotteck-Welcker’ſchen „allgemeinen Staatsrechts“ bis auf den letzten Buchſtaben angeeignet hatte. Den Brüdern Grimm erſchien der ehrliche Doctrinär als „ein aufgeſchwemmter Liberaler, der die Formen hitzig verficht, für die Sache nicht einmal mäßige Wärme beſitzt“. Unter allen den Wortführern des norddeutſchen Liberalismus ſtand er der Welt- anſchauung Rotteck’s am nächſten; und nur der wohlberechtigte Groll über die Unthaten des Kurhauſes erklärt das Räthſel, daß die gemüth- liche Flachheit dieſer joſephiniſchen Aufklärung hier im proteſtantiſchen Kurheſſen Anklang finden konnte. Jordan trat in den Ausſchuß mit dem Bewußtſein eines großen hiſtoriſchen Berufs: „Kurheſſens Beiſpiel iſt für den Sieg des conſtitutionellen Syſtems in Deutſchland völlig *) Schreiben des kurf. Miniſters v. Schminke an Hänlein, 7. Jan. Wittgenſtein an Bernſtorff, 10. März 1831 u. ſ. w. **) Hänlein’s Bericht, 23. Nov. 1830. 9*

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte04_1889
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte04_1889/145
Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 4: Bis zum Tode König Friedrich Wilhelms III. Leipzig, 1889, S. 131. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte04_1889/145>, abgerufen am 22.12.2024.