IV. 2. Die constitutionelle Bewegung in Norddeutschland.
stört; alle Papiere und selbst die Kasse flogen ins Feuer, denn mit Mauth- geldern wollte sich Niemand die Hände beflecken. Ein Demagog, der sich General Paulsen nannte, erließ aus seinem "Hauptquartier Neu-Brüssel" jacobinische Tagesbefehle. Um Frieden zu stiften eilte der Kurprinz selbst herbei, und der furchtsame junge Herr ließ sich durch die zuversichtlichen Reden dieser harmlosen Revolutionäre dermaßen einschüchtern, daß er ihnen bis auf Weiteres Zollfreiheit versprach. In der That stellten die Mauthen im Hanauer und Fuldaer Lande ihre Thätigkeit ein. Diese südlichen Provinzen, wie man am Casseler Hofe sagte, gebärdeten sich fast wie ein selbständiger Staat; der Thalerrechnung hatten sie sich immer erwehrt, nun sagten sich die hessischen Guldenländer auch von dem Zoll- wesen des Kurstaates los.
Es ward hohe Zeit, daß ein von allen Theilen anerkannter Rechts- zustand diese gemüthliche Anarchie verdrängte. In solchem Sinne schrieb Bernstorff an Hänlein: "Wir bedauern die jetzt maßlose Ungebühr des Volks als die unausbleibliche Folge einer bis dahin ebenso maßlosen Ver- fahrungsweise des Fürsten erkennen zu müssen." Wohl haben die Massen dem Kurfürsten seine Versprechungen abgetrotzt; aber "diese Zugeständ- nisse sind ertheilt, und es ist nicht denkbar, daß ihre Zurücknahme ohne die größte Gefahr und Zerrüttung aller noch bestehenden Verhältnisse erfolgen könnte. Alle Wünsche müssen sich vielmehr dahin vereinigen, daß die einmal betretene Bahn mit möglichster Schnelligkeit und Ruhe zu einem Ziele fester gesetzlicher Ordnung führe."*)
Auf preußische Rathschläge hörte der Kurfürst niemals; nur die Angst vor den beständig wiederholten lärmenden Kundgebungen der Casseler bewog ihn sein Wort zu halten. Am 16. October traten die althessischen Stände zusammen und verstärkten sich sogleich durch Abgeordnete der übrigen Lan- destheile. Klug und rücksichtsvoll beseitigten sie zunächst das Hemmniß, an dem bisher jede Verständigung gescheitert war, den alten Streit um das fürstliche Hausgut. Der Kurfürst ließ ihnen eine Uebersicht über den Bestand des Landesvermögens vorlegen, deren Ziffern sehr weit -- um mindestens 6 Millionen, Mißtrauische behaupteten gar um 16 Mill. Thaler -- hinter der allgemeinen Erwartung zurückblieben. Der stän- dische Ausschuß verschmähte jedoch im Einzelnen zu untersuchen, was wohl Alles in den Taschen der Reichenbach und Amschel Rothschild's verschwun- den sein mochte, und willigte in die Theilung der also angegebenen Ca- pitalien. Aus der einen Hälfte ward ein Staatsschatz gebildet; die andere, mit einem Ertrage von wenigstens 0,4 Mill. Thlr. jährlich, verblieb der Dynastie als unveräußerlicher Hausschatz. Außerdem erhielt der Kurfürst für seinen Hofhalt 392000 Thlr. jährlich aus den Einkünften der vom Staate verwalteten Domänen, und da er endlich noch ein großes Scha-
*) Bernstorff, Weisung an Hänlein, 12. Oct. 1830.
IV. 2. Die conſtitutionelle Bewegung in Norddeutſchland.
ſtört; alle Papiere und ſelbſt die Kaſſe flogen ins Feuer, denn mit Mauth- geldern wollte ſich Niemand die Hände beflecken. Ein Demagog, der ſich General Paulſen nannte, erließ aus ſeinem „Hauptquartier Neu-Brüſſel“ jacobiniſche Tagesbefehle. Um Frieden zu ſtiften eilte der Kurprinz ſelbſt herbei, und der furchtſame junge Herr ließ ſich durch die zuverſichtlichen Reden dieſer harmloſen Revolutionäre dermaßen einſchüchtern, daß er ihnen bis auf Weiteres Zollfreiheit verſprach. In der That ſtellten die Mauthen im Hanauer und Fuldaer Lande ihre Thätigkeit ein. Dieſe ſüdlichen Provinzen, wie man am Caſſeler Hofe ſagte, gebärdeten ſich faſt wie ein ſelbſtändiger Staat; der Thalerrechnung hatten ſie ſich immer erwehrt, nun ſagten ſich die heſſiſchen Guldenländer auch von dem Zoll- weſen des Kurſtaates los.
Es ward hohe Zeit, daß ein von allen Theilen anerkannter Rechts- zuſtand dieſe gemüthliche Anarchie verdrängte. In ſolchem Sinne ſchrieb Bernſtorff an Hänlein: „Wir bedauern die jetzt maßloſe Ungebühr des Volks als die unausbleibliche Folge einer bis dahin ebenſo maßloſen Ver- fahrungsweiſe des Fürſten erkennen zu müſſen.“ Wohl haben die Maſſen dem Kurfürſten ſeine Verſprechungen abgetrotzt; aber „dieſe Zugeſtänd- niſſe ſind ertheilt, und es iſt nicht denkbar, daß ihre Zurücknahme ohne die größte Gefahr und Zerrüttung aller noch beſtehenden Verhältniſſe erfolgen könnte. Alle Wünſche müſſen ſich vielmehr dahin vereinigen, daß die einmal betretene Bahn mit möglichſter Schnelligkeit und Ruhe zu einem Ziele feſter geſetzlicher Ordnung führe.“*)
Auf preußiſche Rathſchläge hörte der Kurfürſt niemals; nur die Angſt vor den beſtändig wiederholten lärmenden Kundgebungen der Caſſeler bewog ihn ſein Wort zu halten. Am 16. October traten die altheſſiſchen Stände zuſammen und verſtärkten ſich ſogleich durch Abgeordnete der übrigen Lan- destheile. Klug und rückſichtsvoll beſeitigten ſie zunächſt das Hemmniß, an dem bisher jede Verſtändigung geſcheitert war, den alten Streit um das fürſtliche Hausgut. Der Kurfürſt ließ ihnen eine Ueberſicht über den Beſtand des Landesvermögens vorlegen, deren Ziffern ſehr weit — um mindeſtens 6 Millionen, Mißtrauiſche behaupteten gar um 16 Mill. Thaler — hinter der allgemeinen Erwartung zurückblieben. Der ſtän- diſche Ausſchuß verſchmähte jedoch im Einzelnen zu unterſuchen, was wohl Alles in den Taſchen der Reichenbach und Amſchel Rothſchild’s verſchwun- den ſein mochte, und willigte in die Theilung der alſo angegebenen Ca- pitalien. Aus der einen Hälfte ward ein Staatsſchatz gebildet; die andere, mit einem Ertrage von wenigſtens 0,4 Mill. Thlr. jährlich, verblieb der Dynaſtie als unveräußerlicher Hausſchatz. Außerdem erhielt der Kurfürſt für ſeinen Hofhalt 392000 Thlr. jährlich aus den Einkünften der vom Staate verwalteten Domänen, und da er endlich noch ein großes Scha-
*) Bernſtorff, Weiſung an Hänlein, 12. Oct. 1830.
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geldern wollte ſich Niemand die Hände beflecken. Ein Demagog, der ſich
General Paulſen nannte, erließ aus ſeinem „Hauptquartier Neu-Brüſſel“
jacobiniſche Tagesbefehle. Um Frieden zu ſtiften eilte der Kurprinz ſelbſt
herbei, und der furchtſame junge Herr ließ ſich durch die zuverſichtlichen
Reden dieſer harmloſen Revolutionäre dermaßen einſchüchtern, daß er
ihnen bis auf Weiteres Zollfreiheit verſprach. In der That ſtellten die
Mauthen im Hanauer und Fuldaer Lande ihre Thätigkeit ein. Dieſe
ſüdlichen Provinzen, wie man am Caſſeler Hofe ſagte, gebärdeten ſich
faſt wie ein ſelbſtändiger Staat; der Thalerrechnung hatten ſie ſich immer
erwehrt, nun ſagten ſich die heſſiſchen Guldenländer auch von dem Zoll-
weſen des Kurſtaates los.
Es ward hohe Zeit, daß ein von allen Theilen anerkannter Rechts-
zuſtand dieſe gemüthliche Anarchie verdrängte. In ſolchem Sinne ſchrieb
Bernſtorff an Hänlein: „Wir bedauern die jetzt maßloſe Ungebühr des
Volks als die unausbleibliche Folge einer bis dahin ebenſo maßloſen Ver-
fahrungsweiſe des Fürſten erkennen zu müſſen.“ Wohl haben die Maſſen
dem Kurfürſten ſeine Verſprechungen abgetrotzt; aber „dieſe Zugeſtänd-
niſſe ſind ertheilt, und es iſt nicht denkbar, daß ihre Zurücknahme ohne
die größte Gefahr und Zerrüttung aller noch beſtehenden Verhältniſſe
erfolgen könnte. Alle Wünſche müſſen ſich vielmehr dahin vereinigen, daß
die einmal betretene Bahn mit möglichſter Schnelligkeit und Ruhe zu
einem Ziele feſter geſetzlicher Ordnung führe.“ *)
Auf preußiſche Rathſchläge hörte der Kurfürſt niemals; nur die Angſt
vor den beſtändig wiederholten lärmenden Kundgebungen der Caſſeler bewog
ihn ſein Wort zu halten. Am 16. October traten die altheſſiſchen Stände
zuſammen und verſtärkten ſich ſogleich durch Abgeordnete der übrigen Lan-
destheile. Klug und rückſichtsvoll beſeitigten ſie zunächſt das Hemmniß,
an dem bisher jede Verſtändigung geſcheitert war, den alten Streit um
das fürſtliche Hausgut. Der Kurfürſt ließ ihnen eine Ueberſicht über
den Beſtand des Landesvermögens vorlegen, deren Ziffern ſehr weit —
um mindeſtens 6 Millionen, Mißtrauiſche behaupteten gar um 16 Mill.
Thaler — hinter der allgemeinen Erwartung zurückblieben. Der ſtän-
diſche Ausſchuß verſchmähte jedoch im Einzelnen zu unterſuchen, was wohl
Alles in den Taſchen der Reichenbach und Amſchel Rothſchild’s verſchwun-
den ſein mochte, und willigte in die Theilung der alſo angegebenen Ca-
pitalien. Aus der einen Hälfte ward ein Staatsſchatz gebildet; die andere,
mit einem Ertrage von wenigſtens 0,4 Mill. Thlr. jährlich, verblieb der
Dynaſtie als unveräußerlicher Hausſchatz. Außerdem erhielt der Kurfürſt
für ſeinen Hofhalt 392000 Thlr. jährlich aus den Einkünften der vom
Staate verwalteten Domänen, und da er endlich noch ein großes Scha-
*) Bernſtorff, Weiſung an Hänlein, 12. Oct. 1830.
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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 4: Bis zum Tode König Friedrich Wilhelms III. Leipzig, 1889, S. 130. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte04_1889/144>, abgerufen am 22.12.2024.
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