IV. 2. Die constitutionelle Bewegung in Norddeutschland.
besprach sich im Januar persönlich mit Herzog Wilhelm; die beiden Höfe eigneten sich sogar den Wortlaut der preußischen Denkschrift großentheils an und ließen am 10. März im Bundestage erklären: nachdem sie die Ueberzeugung von der absoluten Regierungsunfähigkeit des Herzogs Karl gewonnen hätten, sei die Regierung des Herzogthums als erledigt an- zusehen und nunmehr definitiv auf den nächsten Agnaten Herzog Wilhelm übergegangen.
Welch ein Aufruhr am Bundestage, als diese Erklärung verlesen wurde! Schon auf die erste Andeutung, daß Herzog Wilhelm die Krone für sich verlange, hatte Metternich dem preußischen Gesandten in hellem Zorne zugerufen: "Ich kann und will es noch nicht glauben. Sollte dies aber wider Verhoffen die eigene Ansicht dieses jungen Fürsten sein, so würde ich darin nur mit Bedauern einen Beweis finden können, daß derselbe nicht würdig sei, die ihm anvertraute Stellung auszufüllen."*) Sein legitimistischer Feuereifer verwickelte den Staatskanzler in die selt- samsten Widersprüche. Die absolute Regierungsunfähigkeit des Herzogs Karl gestand er ausdrücklich zu, und gleichwohl verlangte er in einer Denkschrift für den Hof von Hannover, daß Herzog Wilhelm nur die Statthalterschaft für seinen Bruder führen, die Braunschweiger ihm nicht huldigen, son- dern nur einen Paritions-Eid leisten dürften. Diese Sophismen gefielen ihm selber so wohl, daß er sie auch nach Berlin sendete und mit ge- wohnter Anspruchslosigkeit dazu bemerkte: "Wir schmeicheln uns, diese Ausführung als streng correct bezeichnen zu dürfen."**) Und doch war eine gegen den ausgesprochenen Willen des legitimen Fürsten geführte Statthalterschaft um kein Haarbreit rechtmäßiger als eine usurpirte Her- zogswürde. Darauf entspann sich ein sehr lebhafter Meinungsaustausch zwischen den beiden deutschen Großmächten. Metternich blieb hartnäckig bei seiner Behauptung, daß allein die illegitime Statthalterschaft der "Correctheit" entspreche; der kaiserliche Hof müsse freilich, um die Braun- schweiger nicht aufzuregen, Alles geschehen lassen was die Agnaten be- schlössen; doch unmöglich könne er ihrer Erklärung zustimmen, die "auf eine so unnöthige, sophistische und empörende Weise alle Grundsätze der Legitimität über den Haufen werfe".***) Das Alles klang so räthselhaft, daß man in Berlin anfangs an ein Mißverständniß glaubte. Da erfuhr man durch den österreichischen Gesandten Hruby in Hannover, daß Kaiser Franz selber und seine dem Braunschweiger nahe verwandte bairische Gemahlin hinter Metternich standen. Nun war keine Hoffnung mehr; am 24. März ließ Bernstorff nach Wien schreiben, er bedauere, daß eine
*) Maltzahn's Bericht, 7. Jan. 1831.
**) Metternich, Promemoria an den hannov. Gesandten v. Bodenhausen 29. Jan., an Trauttmansdorff 4. Febr. 1831.
***) Maltzahn's Bericht, Wien 4. März 1831.
IV. 2. Die conſtitutionelle Bewegung in Norddeutſchland.
beſprach ſich im Januar perſönlich mit Herzog Wilhelm; die beiden Höfe eigneten ſich ſogar den Wortlaut der preußiſchen Denkſchrift großentheils an und ließen am 10. März im Bundestage erklären: nachdem ſie die Ueberzeugung von der abſoluten Regierungsunfähigkeit des Herzogs Karl gewonnen hätten, ſei die Regierung des Herzogthums als erledigt an- zuſehen und nunmehr definitiv auf den nächſten Agnaten Herzog Wilhelm übergegangen.
Welch ein Aufruhr am Bundestage, als dieſe Erklärung verleſen wurde! Schon auf die erſte Andeutung, daß Herzog Wilhelm die Krone für ſich verlange, hatte Metternich dem preußiſchen Geſandten in hellem Zorne zugerufen: „Ich kann und will es noch nicht glauben. Sollte dies aber wider Verhoffen die eigene Anſicht dieſes jungen Fürſten ſein, ſo würde ich darin nur mit Bedauern einen Beweis finden können, daß derſelbe nicht würdig ſei, die ihm anvertraute Stellung auszufüllen.“*) Sein legitimiſtiſcher Feuereifer verwickelte den Staatskanzler in die ſelt- ſamſten Widerſprüche. Die abſolute Regierungsunfähigkeit des Herzogs Karl geſtand er ausdrücklich zu, und gleichwohl verlangte er in einer Denkſchrift für den Hof von Hannover, daß Herzog Wilhelm nur die Statthalterſchaft für ſeinen Bruder führen, die Braunſchweiger ihm nicht huldigen, ſon- dern nur einen Paritions-Eid leiſten dürften. Dieſe Sophismen gefielen ihm ſelber ſo wohl, daß er ſie auch nach Berlin ſendete und mit ge- wohnter Anſpruchsloſigkeit dazu bemerkte: „Wir ſchmeicheln uns, dieſe Ausführung als ſtreng correct bezeichnen zu dürfen.“**) Und doch war eine gegen den ausgeſprochenen Willen des legitimen Fürſten geführte Statthalterſchaft um kein Haarbreit rechtmäßiger als eine uſurpirte Her- zogswürde. Darauf entſpann ſich ein ſehr lebhafter Meinungsaustauſch zwiſchen den beiden deutſchen Großmächten. Metternich blieb hartnäckig bei ſeiner Behauptung, daß allein die illegitime Statthalterſchaft der „Correctheit“ entſpreche; der kaiſerliche Hof müſſe freilich, um die Braun- ſchweiger nicht aufzuregen, Alles geſchehen laſſen was die Agnaten be- ſchlöſſen; doch unmöglich könne er ihrer Erklärung zuſtimmen, die „auf eine ſo unnöthige, ſophiſtiſche und empörende Weiſe alle Grundſätze der Legitimität über den Haufen werfe“.***) Das Alles klang ſo räthſelhaft, daß man in Berlin anfangs an ein Mißverſtändniß glaubte. Da erfuhr man durch den öſterreichiſchen Geſandten Hruby in Hannover, daß Kaiſer Franz ſelber und ſeine dem Braunſchweiger nahe verwandte bairiſche Gemahlin hinter Metternich ſtanden. Nun war keine Hoffnung mehr; am 24. März ließ Bernſtorff nach Wien ſchreiben, er bedauere, daß eine
*) Maltzahn’s Bericht, 7. Jan. 1831.
**) Metternich, Promemoria an den hannov. Geſandten v. Bodenhauſen 29. Jan., an Trauttmansdorff 4. Febr. 1831.
***) Maltzahn’s Bericht, Wien 4. März 1831.
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IV. 2. Die conſtitutionelle Bewegung in Norddeutſchland.
beſprach ſich im Januar perſönlich mit Herzog Wilhelm; die beiden Höfe
eigneten ſich ſogar den Wortlaut der preußiſchen Denkſchrift großentheils
an und ließen am 10. März im Bundestage erklären: nachdem ſie die
Ueberzeugung von der abſoluten Regierungsunfähigkeit des Herzogs Karl
gewonnen hätten, ſei die Regierung des Herzogthums als erledigt an-
zuſehen und nunmehr definitiv auf den nächſten Agnaten Herzog Wilhelm
übergegangen.
Welch ein Aufruhr am Bundestage, als dieſe Erklärung verleſen
wurde! Schon auf die erſte Andeutung, daß Herzog Wilhelm die Krone
für ſich verlange, hatte Metternich dem preußiſchen Geſandten in hellem
Zorne zugerufen: „Ich kann und will es noch nicht glauben. Sollte dies
aber wider Verhoffen die eigene Anſicht dieſes jungen Fürſten ſein, ſo
würde ich darin nur mit Bedauern einen Beweis finden können, daß
derſelbe nicht würdig ſei, die ihm anvertraute Stellung auszufüllen.“ *)
Sein legitimiſtiſcher Feuereifer verwickelte den Staatskanzler in die ſelt-
ſamſten Widerſprüche. Die abſolute Regierungsunfähigkeit des Herzogs Karl
geſtand er ausdrücklich zu, und gleichwohl verlangte er in einer Denkſchrift
für den Hof von Hannover, daß Herzog Wilhelm nur die Statthalterſchaft
für ſeinen Bruder führen, die Braunſchweiger ihm nicht huldigen, ſon-
dern nur einen Paritions-Eid leiſten dürften. Dieſe Sophismen gefielen
ihm ſelber ſo wohl, daß er ſie auch nach Berlin ſendete und mit ge-
wohnter Anſpruchsloſigkeit dazu bemerkte: „Wir ſchmeicheln uns, dieſe
Ausführung als ſtreng correct bezeichnen zu dürfen.“ **) Und doch war
eine gegen den ausgeſprochenen Willen des legitimen Fürſten geführte
Statthalterſchaft um kein Haarbreit rechtmäßiger als eine uſurpirte Her-
zogswürde. Darauf entſpann ſich ein ſehr lebhafter Meinungsaustauſch
zwiſchen den beiden deutſchen Großmächten. Metternich blieb hartnäckig
bei ſeiner Behauptung, daß allein die illegitime Statthalterſchaft der
„Correctheit“ entſpreche; der kaiſerliche Hof müſſe freilich, um die Braun-
ſchweiger nicht aufzuregen, Alles geſchehen laſſen was die Agnaten be-
ſchlöſſen; doch unmöglich könne er ihrer Erklärung zuſtimmen, die „auf
eine ſo unnöthige, ſophiſtiſche und empörende Weiſe alle Grundſätze der
Legitimität über den Haufen werfe“. ***) Das Alles klang ſo räthſelhaft,
daß man in Berlin anfangs an ein Mißverſtändniß glaubte. Da erfuhr
man durch den öſterreichiſchen Geſandten Hruby in Hannover, daß Kaiſer
Franz ſelber und ſeine dem Braunſchweiger nahe verwandte bairiſche
Gemahlin hinter Metternich ſtanden. Nun war keine Hoffnung mehr;
am 24. März ließ Bernſtorff nach Wien ſchreiben, er bedauere, daß eine
*) Maltzahn’s Bericht, 7. Jan. 1831.
**) Metternich, Promemoria an den hannov. Geſandten v. Bodenhauſen 29. Jan.,
an Trauttmansdorff 4. Febr. 1831.
***) Maltzahn’s Bericht, Wien 4. März 1831.
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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 4: Bis zum Tode König Friedrich Wilhelms III. Leipzig, 1889, S. 116. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte04_1889/130>, abgerufen am 22.12.2024.
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