dern kraft seines eigenen Rechtes als nächster Erbe ohne Weiteres die Krone. Die schwierige Frage des Erbfolgerechtes der Nachkommen wird für jetzt offen gelassen, da die herzoglichen Brüder beide noch unvermählt sind, und gegebenen Falles späterhin noch eine Entscheidung getroffen werden kann.
So Preußens Rath. In einer ergänzenden Denkschrift gestand Eichhorn nachher selber: diese Sätze "sind wirklich als ein Extrem zu betrachten, über welches ohne Verletzung des Legitimitätsprincips nicht hinausgegangen werden könnte".*) In Wahrheit enthielten Preußens Vorschläge schon einen offenbaren Bruch des legitimen Rechtes; denn sie verlangten, daß ein unverantwortlicher Souverän zur Strafe für seine Unthaten abgesetzt würde. Dies ließ sich rechtlich um so weniger begrün- den, da Herzog Karl nicht einmal förmlich gehört wurde, und der Rath der Agnaten nur aus den regierenden Herren der beiden welfischen Linien bestand, von denen der eine, Herzog Wilhelm, unzweifelhaft ein Usur- pator wider Willen war. Aber nach Allem, was geschehen, war der Rechtsbruch unvermeidlich, an die Wiederherstellung des Vertriebenen ließ sich gar nicht mehr denken, und entschloß man sich einmal anzuerkennen, daß Noth kein Gebot kennt, so blieb es immerhin noch der leidlichste Aus- weg, wenn der jüngere Bruder kraft Geburtsrechts in die Stelle des Entthronten eintrat. Die Vertagung der Erbfolgefrage ergab sich von selbst aus der Verlegenheit, denn aus einem Rechtsbruche lassen sich Rechtsgrundsätze schlechterdings nicht ableiten. Man scheute sich die Rechts- verletzung weiter zu treiben, als es die Nothlage des Augenblicks ver- langte, und die Nachkommenschaft Herzog Karl's ihrer Erbansprüche geradezu zu berauben; aber man wollte diese Rechte auch nicht aus- drücklich anerkennen, damit nicht Karl eine Ehe schlösse, welche die Ver- wirrung in dem Ländchen nur steigern konnte. Warum der Zukunft vorgreifen? War es nicht möglich, daß eine förmliche Entscheidung der Frage ganz überflüssig wurde? daß der ausschweifende Karl frühzeitig kinderlos starb und dann das Thronfolgerecht der Nachkommen Herzog Wilhelm's unanfechtbar dastand? Solche Erwägungen lagen nahe genug. Schon während der Verhandlungen der letzten Monate hatten beide wel- fische Höfe, zuerst Braunschweig, dann Hannover, die Meinung geäußert, man handle vielleicht am klügsten, wenn man die "allerdings delicate" Erbfolgefrage vorderhand unberührt lasse.**)
Als nun die Vorschläge Preußens einliefen, ergriffen die Agnaten noch- mals mit Freuden die dargebotene Hand. Der Herzog von Cambridge
*) Denkschriften des Auswärtigen Amtes: für die Agnaten 9. Januar, für den Wiener Hof 4. März 1831.
**) Zuerst das braunschweigische Ministerium in seiner Denkschrift für Stralenheim vom 4. December 1830.
8*
Preußen treibt die Agnaten vorwärts.
dern kraft ſeines eigenen Rechtes als nächſter Erbe ohne Weiteres die Krone. Die ſchwierige Frage des Erbfolgerechtes der Nachkommen wird für jetzt offen gelaſſen, da die herzoglichen Brüder beide noch unvermählt ſind, und gegebenen Falles ſpäterhin noch eine Entſcheidung getroffen werden kann.
So Preußens Rath. In einer ergänzenden Denkſchrift geſtand Eichhorn nachher ſelber: dieſe Sätze „ſind wirklich als ein Extrem zu betrachten, über welches ohne Verletzung des Legitimitätsprincips nicht hinausgegangen werden könnte“.*) In Wahrheit enthielten Preußens Vorſchläge ſchon einen offenbaren Bruch des legitimen Rechtes; denn ſie verlangten, daß ein unverantwortlicher Souverän zur Strafe für ſeine Unthaten abgeſetzt würde. Dies ließ ſich rechtlich um ſo weniger begrün- den, da Herzog Karl nicht einmal förmlich gehört wurde, und der Rath der Agnaten nur aus den regierenden Herren der beiden welfiſchen Linien beſtand, von denen der eine, Herzog Wilhelm, unzweifelhaft ein Uſur- pator wider Willen war. Aber nach Allem, was geſchehen, war der Rechtsbruch unvermeidlich, an die Wiederherſtellung des Vertriebenen ließ ſich gar nicht mehr denken, und entſchloß man ſich einmal anzuerkennen, daß Noth kein Gebot kennt, ſo blieb es immerhin noch der leidlichſte Aus- weg, wenn der jüngere Bruder kraft Geburtsrechts in die Stelle des Entthronten eintrat. Die Vertagung der Erbfolgefrage ergab ſich von ſelbſt aus der Verlegenheit, denn aus einem Rechtsbruche laſſen ſich Rechtsgrundſätze ſchlechterdings nicht ableiten. Man ſcheute ſich die Rechts- verletzung weiter zu treiben, als es die Nothlage des Augenblicks ver- langte, und die Nachkommenſchaft Herzog Karl’s ihrer Erbanſprüche geradezu zu berauben; aber man wollte dieſe Rechte auch nicht aus- drücklich anerkennen, damit nicht Karl eine Ehe ſchlöſſe, welche die Ver- wirrung in dem Ländchen nur ſteigern konnte. Warum der Zukunft vorgreifen? War es nicht möglich, daß eine förmliche Entſcheidung der Frage ganz überflüſſig wurde? daß der ausſchweifende Karl frühzeitig kinderlos ſtarb und dann das Thronfolgerecht der Nachkommen Herzog Wilhelm’s unanfechtbar daſtand? Solche Erwägungen lagen nahe genug. Schon während der Verhandlungen der letzten Monate hatten beide wel- fiſche Höfe, zuerſt Braunſchweig, dann Hannover, die Meinung geäußert, man handle vielleicht am klügſten, wenn man die „allerdings delicate“ Erbfolgefrage vorderhand unberührt laſſe.**)
Als nun die Vorſchläge Preußens einliefen, ergriffen die Agnaten noch- mals mit Freuden die dargebotene Hand. Der Herzog von Cambridge
*) Denkſchriften des Auswärtigen Amtes: für die Agnaten 9. Januar, für den Wiener Hof 4. März 1831.
**) Zuerſt das braunſchweigiſche Miniſterium in ſeiner Denkſchrift für Stralenheim vom 4. December 1830.
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Krone. Die ſchwierige Frage des Erbfolgerechtes der Nachkommen wird
für jetzt offen gelaſſen, da die herzoglichen Brüder beide noch unvermählt
ſind, und gegebenen Falles ſpäterhin noch eine Entſcheidung getroffen
werden kann.
So Preußens Rath. In einer ergänzenden Denkſchrift geſtand
Eichhorn nachher ſelber: dieſe Sätze „ſind wirklich als ein Extrem zu
betrachten, über welches ohne Verletzung des Legitimitätsprincips nicht
hinausgegangen werden könnte“. *) In Wahrheit enthielten Preußens
Vorſchläge ſchon einen offenbaren Bruch des legitimen Rechtes; denn ſie
verlangten, daß ein unverantwortlicher Souverän zur Strafe für ſeine
Unthaten abgeſetzt würde. Dies ließ ſich rechtlich um ſo weniger begrün-
den, da Herzog Karl nicht einmal förmlich gehört wurde, und der Rath
der Agnaten nur aus den regierenden Herren der beiden welfiſchen Linien
beſtand, von denen der eine, Herzog Wilhelm, unzweifelhaft ein Uſur-
pator wider Willen war. Aber nach Allem, was geſchehen, war der
Rechtsbruch unvermeidlich, an die Wiederherſtellung des Vertriebenen ließ
ſich gar nicht mehr denken, und entſchloß man ſich einmal anzuerkennen,
daß Noth kein Gebot kennt, ſo blieb es immerhin noch der leidlichſte Aus-
weg, wenn der jüngere Bruder kraft Geburtsrechts in die Stelle des
Entthronten eintrat. Die Vertagung der Erbfolgefrage ergab ſich von
ſelbſt aus der Verlegenheit, denn aus einem Rechtsbruche laſſen ſich
Rechtsgrundſätze ſchlechterdings nicht ableiten. Man ſcheute ſich die Rechts-
verletzung weiter zu treiben, als es die Nothlage des Augenblicks ver-
langte, und die Nachkommenſchaft Herzog Karl’s ihrer Erbanſprüche
geradezu zu berauben; aber man wollte dieſe Rechte auch nicht aus-
drücklich anerkennen, damit nicht Karl eine Ehe ſchlöſſe, welche die Ver-
wirrung in dem Ländchen nur ſteigern konnte. Warum der Zukunft
vorgreifen? War es nicht möglich, daß eine förmliche Entſcheidung der
Frage ganz überflüſſig wurde? daß der ausſchweifende Karl frühzeitig
kinderlos ſtarb und dann das Thronfolgerecht der Nachkommen Herzog
Wilhelm’s unanfechtbar daſtand? Solche Erwägungen lagen nahe genug.
Schon während der Verhandlungen der letzten Monate hatten beide wel-
fiſche Höfe, zuerſt Braunſchweig, dann Hannover, die Meinung geäußert,
man handle vielleicht am klügſten, wenn man die „allerdings delicate“
Erbfolgefrage vorderhand unberührt laſſe. **)
Als nun die Vorſchläge Preußens einliefen, ergriffen die Agnaten noch-
mals mit Freuden die dargebotene Hand. Der Herzog von Cambridge
*) Denkſchriften des Auswärtigen Amtes: für die Agnaten 9. Januar, für den
Wiener Hof 4. März 1831.
**) Zuerſt das braunſchweigiſche Miniſterium in ſeiner Denkſchrift für Stralenheim
vom 4. December 1830.
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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 4: Bis zum Tode König Friedrich Wilhelms III. Leipzig, 1889, S. 115. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte04_1889/129>, abgerufen am 22.12.2024.
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