durch die Schönheit des Südens, verlebte er seine letzten Jahre in Italien und sagte was kein Deutscher sagen darf: "Wie bin ich satt von meinem Vaterlande!" Mit ihm begann eine neue, wenig erfreuliche Spielart des deutschen Kosmopolitismus. Die deutschen Weltfahrer der guten alten Zeit hatten sich, wenn sie nicht heimkehrten, zumeist wenig um die Heimath be- kümmert. Der erleichterte Reiseverkehr und das regere politische Leben des neuen Jahrhunderts bewirkten, daß sich bald überall in der Welt deutsche Männer fanden, die aus mannichfachen Gründen, viele nur aus Aerger oder aus Bequemlichkeit, ihr Leben im Auslande verbrachten und gleichwohl, da sie ihr Volksthum treu bewahrten, sich berufen glaubten in den Hän- deln des Vaterlandes ohne nähere Kenntniß mitzureden. Die Zahl dieser heimathlosen Patrioten wuchs nachher durch die politischen Verfolgungen beträchtlich an, und allmählich ward es zur Regel, daß jedes vaterländische Ereigniß von einem vollen Chor deutscher Stimmen aus der Fremde begleitet wurde. Einzelne der Ausgewanderten gewannen zwar in großen Verhältnissen freieren Weltsinn und ein Verständniß für die letzten Gründe unserer politischen Schwäche; die meisten aber verfielen der natürlichen Erbitterung der Emigranten. Ihre gellenden Klagen über das deutsche Elend vergifteten nur die öffentliche Meinung daheim und bestärkten das Ausland in seiner ungerechten Geringschätzung.
In Platen's Seele lebte ein kräftiger Nationalstolz, und oftmals gab er dem unbestimmten Freiheitsdrange der Zeit erhabenen Ausdruck:
O goldne Freiheit, der auch ich entstamme, Die du den Aether wie ein Zelt entfaltest, Die du, der Schönheit und des Lebens Amme, Die Welt ernährst und immer neu gestaltest!
Nach der Julirevolution trat er gradezu als politischer Dichter auf. In den stillen Jahren vorher pflegte er seine politischen Gedanken meist in die Parabasen seiner Literaturdramen einzuflechten. Da seine drama- tischen Versuche gänzlich mißlangen, so beschied er sich "statt des Welten- bildes nur ein Bild des Bilds der Welt zu geben." Er selber sagte zwar, daß er diese Zwittergattung nur wähle, weil der Sonnenschein der Frei- heit seine Tage nicht erhelle. In Wahrheit folgte er dem Drange seines starken satirischen Talents; in keinem seiner Werke offenbarte sich neben vollendeter Kunst so viel Naturkraft wie in den beiden aristophanischen Lustspielen: die verhängnißvolle Gabel und der romantische Oedipus. Literarischer Streit veraltet schnell und erscheint den Nachlebenden bald widerwärtig; der schweflige Geruch des Pulvers belästigt noch, wenn der gewaltige Donner des Geschützes schon verhallt ist. Die Erscheinung dieser Literaturdramen bewies allerdings, daß unsere Dichtung schon in den Zustand der Überreife einzutreten begann, doch in einer büchervollen Welt war die dramatisch ausgestaltete literarische Satire, die von der Bühne ganz absah, nicht unberechtigt, besser berechtigt zum mindesten als
Platen.
durch die Schönheit des Südens, verlebte er ſeine letzten Jahre in Italien und ſagte was kein Deutſcher ſagen darf: „Wie bin ich ſatt von meinem Vaterlande!“ Mit ihm begann eine neue, wenig erfreuliche Spielart des deutſchen Kosmopolitismus. Die deutſchen Weltfahrer der guten alten Zeit hatten ſich, wenn ſie nicht heimkehrten, zumeiſt wenig um die Heimath be- kümmert. Der erleichterte Reiſeverkehr und das regere politiſche Leben des neuen Jahrhunderts bewirkten, daß ſich bald überall in der Welt deutſche Männer fanden, die aus mannichfachen Gründen, viele nur aus Aerger oder aus Bequemlichkeit, ihr Leben im Auslande verbrachten und gleichwohl, da ſie ihr Volksthum treu bewahrten, ſich berufen glaubten in den Hän- deln des Vaterlandes ohne nähere Kenntniß mitzureden. Die Zahl dieſer heimathloſen Patrioten wuchs nachher durch die politiſchen Verfolgungen beträchtlich an, und allmählich ward es zur Regel, daß jedes vaterländiſche Ereigniß von einem vollen Chor deutſcher Stimmen aus der Fremde begleitet wurde. Einzelne der Ausgewanderten gewannen zwar in großen Verhältniſſen freieren Weltſinn und ein Verſtändniß für die letzten Gründe unſerer politiſchen Schwäche; die meiſten aber verfielen der natürlichen Erbitterung der Emigranten. Ihre gellenden Klagen über das deutſche Elend vergifteten nur die öffentliche Meinung daheim und beſtärkten das Ausland in ſeiner ungerechten Geringſchätzung.
In Platen’s Seele lebte ein kräftiger Nationalſtolz, und oftmals gab er dem unbeſtimmten Freiheitsdrange der Zeit erhabenen Ausdruck:
O goldne Freiheit, der auch ich entſtamme, Die du den Aether wie ein Zelt entfalteſt, Die du, der Schönheit und des Lebens Amme, Die Welt ernährſt und immer neu geſtalteſt!
Nach der Julirevolution trat er gradezu als politiſcher Dichter auf. In den ſtillen Jahren vorher pflegte er ſeine politiſchen Gedanken meiſt in die Parabaſen ſeiner Literaturdramen einzuflechten. Da ſeine drama- tiſchen Verſuche gänzlich mißlangen, ſo beſchied er ſich „ſtatt des Welten- bildes nur ein Bild des Bilds der Welt zu geben.“ Er ſelber ſagte zwar, daß er dieſe Zwittergattung nur wähle, weil der Sonnenſchein der Frei- heit ſeine Tage nicht erhelle. In Wahrheit folgte er dem Drange ſeines ſtarken ſatiriſchen Talents; in keinem ſeiner Werke offenbarte ſich neben vollendeter Kunſt ſo viel Naturkraft wie in den beiden ariſtophaniſchen Luſtſpielen: die verhängnißvolle Gabel und der romantiſche Oedipus. Literariſcher Streit veraltet ſchnell und erſcheint den Nachlebenden bald widerwärtig; der ſchweflige Geruch des Pulvers beläſtigt noch, wenn der gewaltige Donner des Geſchützes ſchon verhallt iſt. Die Erſcheinung dieſer Literaturdramen bewies allerdings, daß unſere Dichtung ſchon in den Zuſtand der Überreife einzutreten begann, doch in einer büchervollen Welt war die dramatiſch ausgeſtaltete literariſche Satire, die von der Bühne ganz abſah, nicht unberechtigt, beſſer berechtigt zum mindeſten als
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Platen.
durch die Schönheit des Südens, verlebte er ſeine letzten Jahre in Italien
und ſagte was kein Deutſcher ſagen darf: „Wie bin ich ſatt von meinem
Vaterlande!“ Mit ihm begann eine neue, wenig erfreuliche Spielart des
deutſchen Kosmopolitismus. Die deutſchen Weltfahrer der guten alten Zeit
hatten ſich, wenn ſie nicht heimkehrten, zumeiſt wenig um die Heimath be-
kümmert. Der erleichterte Reiſeverkehr und das regere politiſche Leben des
neuen Jahrhunderts bewirkten, daß ſich bald überall in der Welt deutſche
Männer fanden, die aus mannichfachen Gründen, viele nur aus Aerger
oder aus Bequemlichkeit, ihr Leben im Auslande verbrachten und gleichwohl,
da ſie ihr Volksthum treu bewahrten, ſich berufen glaubten in den Hän-
deln des Vaterlandes ohne nähere Kenntniß mitzureden. Die Zahl dieſer
heimathloſen Patrioten wuchs nachher durch die politiſchen Verfolgungen
beträchtlich an, und allmählich ward es zur Regel, daß jedes vaterländiſche
Ereigniß von einem vollen Chor deutſcher Stimmen aus der Fremde
begleitet wurde. Einzelne der Ausgewanderten gewannen zwar in großen
Verhältniſſen freieren Weltſinn und ein Verſtändniß für die letzten Gründe
unſerer politiſchen Schwäche; die meiſten aber verfielen der natürlichen
Erbitterung der Emigranten. Ihre gellenden Klagen über das deutſche
Elend vergifteten nur die öffentliche Meinung daheim und beſtärkten das
Ausland in ſeiner ungerechten Geringſchätzung.
In Platen’s Seele lebte ein kräftiger Nationalſtolz, und oftmals
gab er dem unbeſtimmten Freiheitsdrange der Zeit erhabenen Ausdruck:
O goldne Freiheit, der auch ich entſtamme,
Die du den Aether wie ein Zelt entfalteſt,
Die du, der Schönheit und des Lebens Amme,
Die Welt ernährſt und immer neu geſtalteſt!
Nach der Julirevolution trat er gradezu als politiſcher Dichter auf. In
den ſtillen Jahren vorher pflegte er ſeine politiſchen Gedanken meiſt in
die Parabaſen ſeiner Literaturdramen einzuflechten. Da ſeine drama-
tiſchen Verſuche gänzlich mißlangen, ſo beſchied er ſich „ſtatt des Welten-
bildes nur ein Bild des Bilds der Welt zu geben.“ Er ſelber ſagte zwar,
daß er dieſe Zwittergattung nur wähle, weil der Sonnenſchein der Frei-
heit ſeine Tage nicht erhelle. In Wahrheit folgte er dem Drange ſeines
ſtarken ſatiriſchen Talents; in keinem ſeiner Werke offenbarte ſich neben
vollendeter Kunſt ſo viel Naturkraft wie in den beiden ariſtophaniſchen
Luſtſpielen: die verhängnißvolle Gabel und der romantiſche Oedipus.
Literariſcher Streit veraltet ſchnell und erſcheint den Nachlebenden bald
widerwärtig; der ſchweflige Geruch des Pulvers beläſtigt noch, wenn der
gewaltige Donner des Geſchützes ſchon verhallt iſt. Die Erſcheinung
dieſer Literaturdramen bewies allerdings, daß unſere Dichtung ſchon in
den Zuſtand der Überreife einzutreten begann, doch in einer büchervollen
Welt war die dramatiſch ausgeſtaltete literariſche Satire, die von der
Bühne ganz abſah, nicht unberechtigt, beſſer berechtigt zum mindeſten als
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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 3: Bis zur Juli-Revolution. Leipzig, 1885, S. 693. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte03_1885/709>, abgerufen am 16.02.2025.
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