das Lesedrama, das nur aus Unvermögen den Ansprüchen der Bühne nicht genügte. Und wie kräftig schwang der Satiriker seine Geißel. Manche Witze klangen gezwungen, und mancher Schlag fiel auf edle Häupter, so auf den jungen Immermann, der allerdings den Dichter des Münchhausen noch nicht ahnen ließ; im Ganzen war es doch ein guter Kampf gegen das Platte und Leere, gegen gespreizte Unnatur und gemeine Betriebsamkeit. Prachtvoll hoben sich dann von dem Spiele des scharfen Witzes die gedankenschweren Parabasen ab. Hier verkündete der Dichter mit ungewohntem Feuer, wie tief er selber in das Weltgeheimniß der Schönheit eingedrungen war. Stolzer hatte seit Schiller's "Künstlern" Niemand mehr über den Beruf des Dichters gesprochen; wie ein Nachhall aus Weimars schönheitsfrohen Tagen klang jene herrliche Weissagung, die ihr Recht behalten wird so lange die Deutschen sich selber treu bleiben:
Und des Himmels Lampen löschen mit dem letzten Dichter aus!
Neben diesen bedeutenden lyrischen Talenten erschien die epische Dich- tung arm. Auch sie wurde bereits von dem realistischen Zuge der Zeit ergriffen. Seit 1821 schrieb Tieck sociale Novellen, die alles Märchen- hafte abweisend, ihren Stoff dem wirklichen Leben, zumeist der Gegenwart, entnahmen. So führte derselbe Dichter, der sich einst am weitesten im Zaubergarten der Romantik verloren hatte, jetzt eine neue, ganz moderne Kunstgattung in Deutschland ein -- denn Kleist's Erzählungen wurden noch wenig beachtet und die Novellen aus den Wanderjahren beanspruchten nicht als selbständige Dichtungen zu gelten. Er wollte, wie die alten ita- lienischen Novellendichter, ein überraschendes, außerordentliches Ereigniß aus der Wirklichkeit in spannender, rasch ansteigender Erzählung dar- stellen. Seinem eigenartigen Talente, dem das Einfache stets am fern- sten lag, bot die Novelle mit ihren erlaubten Seltsamkeiten, ihren ver- wickelten psychologischen Problemen einen dankbareren Boden als vormals das Drama, das, demokratisch von Haus aus, nur durch große gemein- verständliche Motive wirken kann. Aber zur classischen Vollendung ge- langte er auch hier nicht. Die Goethesche Ehrfurcht vor dem Wirklichen, die epische Ruhe blieb ihm fremd; er konnte es nicht lassen, beständig selber aus dem Rahmen der Erzählung hervorzuschauen, so daß dem Leser die geistreichen Bemerkungen des Dichters über Kunst, Religion, Gesellschaft oft wichtiger schienen als die Novelle selbst. Von der gläu- bigen Phantasterei seiner Jugend hatte er sich längst befreit; ja in seiner Novelle: "Die Verlobung" kämpfte er gegen die frömmelnde Mode des Tages mit solcher Schärfe, daß seine streng katholische Tochter Dorothea und andere fromme Freunde sich entsetzten, Goethe aber dem Dichter Glück wünschte, der endlich einmal "einen klaren blauen Himmel des Menschen- verstandes und reiner Sitte eröffnet habe". Aller seiner Schrullen war der alte Romantiker doch nicht Herr geworden. Immer wieder störte er
III. 9. Literariſche Vorboten einer neuen Zeit.
das Leſedrama, das nur aus Unvermögen den Anſprüchen der Bühne nicht genügte. Und wie kräftig ſchwang der Satiriker ſeine Geißel. Manche Witze klangen gezwungen, und mancher Schlag fiel auf edle Häupter, ſo auf den jungen Immermann, der allerdings den Dichter des Münchhauſen noch nicht ahnen ließ; im Ganzen war es doch ein guter Kampf gegen das Platte und Leere, gegen geſpreizte Unnatur und gemeine Betriebſamkeit. Prachtvoll hoben ſich dann von dem Spiele des ſcharfen Witzes die gedankenſchweren Parabaſen ab. Hier verkündete der Dichter mit ungewohntem Feuer, wie tief er ſelber in das Weltgeheimniß der Schönheit eingedrungen war. Stolzer hatte ſeit Schiller’s „Künſtlern“ Niemand mehr über den Beruf des Dichters geſprochen; wie ein Nachhall aus Weimars ſchönheitsfrohen Tagen klang jene herrliche Weiſſagung, die ihr Recht behalten wird ſo lange die Deutſchen ſich ſelber treu bleiben:
Und des Himmels Lampen löſchen mit dem letzten Dichter aus!
Neben dieſen bedeutenden lyriſchen Talenten erſchien die epiſche Dich- tung arm. Auch ſie wurde bereits von dem realiſtiſchen Zuge der Zeit ergriffen. Seit 1821 ſchrieb Tieck ſociale Novellen, die alles Märchen- hafte abweiſend, ihren Stoff dem wirklichen Leben, zumeiſt der Gegenwart, entnahmen. So führte derſelbe Dichter, der ſich einſt am weiteſten im Zaubergarten der Romantik verloren hatte, jetzt eine neue, ganz moderne Kunſtgattung in Deutſchland ein — denn Kleiſt’s Erzählungen wurden noch wenig beachtet und die Novellen aus den Wanderjahren beanſpruchten nicht als ſelbſtändige Dichtungen zu gelten. Er wollte, wie die alten ita- lieniſchen Novellendichter, ein überraſchendes, außerordentliches Ereigniß aus der Wirklichkeit in ſpannender, raſch anſteigender Erzählung dar- ſtellen. Seinem eigenartigen Talente, dem das Einfache ſtets am fern- ſten lag, bot die Novelle mit ihren erlaubten Seltſamkeiten, ihren ver- wickelten pſychologiſchen Problemen einen dankbareren Boden als vormals das Drama, das, demokratiſch von Haus aus, nur durch große gemein- verſtändliche Motive wirken kann. Aber zur claſſiſchen Vollendung ge- langte er auch hier nicht. Die Goetheſche Ehrfurcht vor dem Wirklichen, die epiſche Ruhe blieb ihm fremd; er konnte es nicht laſſen, beſtändig ſelber aus dem Rahmen der Erzählung hervorzuſchauen, ſo daß dem Leſer die geiſtreichen Bemerkungen des Dichters über Kunſt, Religion, Geſellſchaft oft wichtiger ſchienen als die Novelle ſelbſt. Von der gläu- bigen Phantaſterei ſeiner Jugend hatte er ſich längſt befreit; ja in ſeiner Novelle: „Die Verlobung“ kämpfte er gegen die frömmelnde Mode des Tages mit ſolcher Schärfe, daß ſeine ſtreng katholiſche Tochter Dorothea und andere fromme Freunde ſich entſetzten, Goethe aber dem Dichter Glück wünſchte, der endlich einmal „einen klaren blauen Himmel des Menſchen- verſtandes und reiner Sitte eröffnet habe“. Aller ſeiner Schrullen war der alte Romantiker doch nicht Herr geworden. Immer wieder ſtörte er
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0710"n="694"/><fwplace="top"type="header"><hirendition="#aq">III.</hi> 9. Literariſche Vorboten einer neuen Zeit.</fw><lb/>
das Leſedrama, das nur aus Unvermögen den Anſprüchen der Bühne<lb/>
nicht genügte. Und wie kräftig ſchwang der Satiriker ſeine Geißel.<lb/>
Manche Witze klangen gezwungen, und mancher Schlag fiel auf edle<lb/>
Häupter, ſo auf den jungen Immermann, der allerdings den Dichter des<lb/>
Münchhauſen noch nicht ahnen ließ; im Ganzen war es doch ein guter<lb/>
Kampf gegen das Platte und Leere, gegen geſpreizte Unnatur und gemeine<lb/>
Betriebſamkeit. Prachtvoll hoben ſich dann von dem Spiele des ſcharfen<lb/>
Witzes die gedankenſchweren Parabaſen ab. Hier verkündete der Dichter<lb/>
mit ungewohntem Feuer, wie tief er ſelber in das Weltgeheimniß der<lb/>
Schönheit eingedrungen war. Stolzer hatte ſeit Schiller’s „Künſtlern“<lb/>
Niemand mehr über den Beruf des Dichters geſprochen; wie ein Nachhall<lb/>
aus Weimars ſchönheitsfrohen Tagen klang jene herrliche Weiſſagung, die<lb/>
ihr Recht behalten wird ſo lange die Deutſchen ſich ſelber treu bleiben:</p><lb/><lgtype="poem"><l>Und des Himmels Lampen löſchen mit dem letzten Dichter aus!</l></lg><lb/><p>Neben dieſen bedeutenden lyriſchen Talenten erſchien die epiſche Dich-<lb/>
tung arm. Auch ſie wurde bereits von dem realiſtiſchen Zuge der Zeit<lb/>
ergriffen. Seit 1821 ſchrieb Tieck ſociale Novellen, die alles Märchen-<lb/>
hafte abweiſend, ihren Stoff dem wirklichen Leben, zumeiſt der Gegenwart,<lb/>
entnahmen. So führte derſelbe Dichter, der ſich einſt am weiteſten im<lb/>
Zaubergarten der Romantik verloren hatte, jetzt eine neue, ganz moderne<lb/>
Kunſtgattung in Deutſchland ein — denn Kleiſt’s Erzählungen wurden noch<lb/>
wenig beachtet und die Novellen aus den Wanderjahren beanſpruchten<lb/>
nicht als ſelbſtändige Dichtungen zu gelten. Er wollte, wie die alten ita-<lb/>
lieniſchen Novellendichter, ein überraſchendes, außerordentliches Ereigniß<lb/>
aus der Wirklichkeit in ſpannender, raſch anſteigender Erzählung dar-<lb/>ſtellen. Seinem eigenartigen Talente, dem das Einfache ſtets am fern-<lb/>ſten lag, bot die Novelle mit ihren erlaubten Seltſamkeiten, ihren ver-<lb/>
wickelten pſychologiſchen Problemen einen dankbareren Boden als vormals<lb/>
das Drama, das, demokratiſch von Haus aus, nur durch große gemein-<lb/>
verſtändliche Motive wirken kann. Aber zur claſſiſchen Vollendung ge-<lb/>
langte er auch hier nicht. Die Goetheſche Ehrfurcht vor dem Wirklichen,<lb/>
die epiſche Ruhe blieb ihm fremd; er konnte es nicht laſſen, beſtändig<lb/>ſelber aus dem Rahmen der Erzählung hervorzuſchauen, ſo daß dem<lb/>
Leſer die geiſtreichen Bemerkungen des Dichters über Kunſt, Religion,<lb/>
Geſellſchaft oft wichtiger ſchienen als die Novelle ſelbſt. Von der gläu-<lb/>
bigen Phantaſterei ſeiner Jugend hatte er ſich längſt befreit; ja in ſeiner<lb/>
Novelle: „Die Verlobung“ kämpfte er gegen die frömmelnde Mode des<lb/>
Tages mit ſolcher Schärfe, daß ſeine ſtreng katholiſche Tochter Dorothea<lb/>
und andere fromme Freunde ſich entſetzten, Goethe aber dem Dichter Glück<lb/>
wünſchte, der endlich einmal „einen klaren blauen Himmel des Menſchen-<lb/>
verſtandes und reiner Sitte eröffnet habe“. Aller ſeiner Schrullen war<lb/>
der alte Romantiker doch nicht Herr geworden. Immer wieder ſtörte er<lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[694/0710]
III. 9. Literariſche Vorboten einer neuen Zeit.
das Leſedrama, das nur aus Unvermögen den Anſprüchen der Bühne
nicht genügte. Und wie kräftig ſchwang der Satiriker ſeine Geißel.
Manche Witze klangen gezwungen, und mancher Schlag fiel auf edle
Häupter, ſo auf den jungen Immermann, der allerdings den Dichter des
Münchhauſen noch nicht ahnen ließ; im Ganzen war es doch ein guter
Kampf gegen das Platte und Leere, gegen geſpreizte Unnatur und gemeine
Betriebſamkeit. Prachtvoll hoben ſich dann von dem Spiele des ſcharfen
Witzes die gedankenſchweren Parabaſen ab. Hier verkündete der Dichter
mit ungewohntem Feuer, wie tief er ſelber in das Weltgeheimniß der
Schönheit eingedrungen war. Stolzer hatte ſeit Schiller’s „Künſtlern“
Niemand mehr über den Beruf des Dichters geſprochen; wie ein Nachhall
aus Weimars ſchönheitsfrohen Tagen klang jene herrliche Weiſſagung, die
ihr Recht behalten wird ſo lange die Deutſchen ſich ſelber treu bleiben:
Und des Himmels Lampen löſchen mit dem letzten Dichter aus!
Neben dieſen bedeutenden lyriſchen Talenten erſchien die epiſche Dich-
tung arm. Auch ſie wurde bereits von dem realiſtiſchen Zuge der Zeit
ergriffen. Seit 1821 ſchrieb Tieck ſociale Novellen, die alles Märchen-
hafte abweiſend, ihren Stoff dem wirklichen Leben, zumeiſt der Gegenwart,
entnahmen. So führte derſelbe Dichter, der ſich einſt am weiteſten im
Zaubergarten der Romantik verloren hatte, jetzt eine neue, ganz moderne
Kunſtgattung in Deutſchland ein — denn Kleiſt’s Erzählungen wurden noch
wenig beachtet und die Novellen aus den Wanderjahren beanſpruchten
nicht als ſelbſtändige Dichtungen zu gelten. Er wollte, wie die alten ita-
lieniſchen Novellendichter, ein überraſchendes, außerordentliches Ereigniß
aus der Wirklichkeit in ſpannender, raſch anſteigender Erzählung dar-
ſtellen. Seinem eigenartigen Talente, dem das Einfache ſtets am fern-
ſten lag, bot die Novelle mit ihren erlaubten Seltſamkeiten, ihren ver-
wickelten pſychologiſchen Problemen einen dankbareren Boden als vormals
das Drama, das, demokratiſch von Haus aus, nur durch große gemein-
verſtändliche Motive wirken kann. Aber zur claſſiſchen Vollendung ge-
langte er auch hier nicht. Die Goetheſche Ehrfurcht vor dem Wirklichen,
die epiſche Ruhe blieb ihm fremd; er konnte es nicht laſſen, beſtändig
ſelber aus dem Rahmen der Erzählung hervorzuſchauen, ſo daß dem
Leſer die geiſtreichen Bemerkungen des Dichters über Kunſt, Religion,
Geſellſchaft oft wichtiger ſchienen als die Novelle ſelbſt. Von der gläu-
bigen Phantaſterei ſeiner Jugend hatte er ſich längſt befreit; ja in ſeiner
Novelle: „Die Verlobung“ kämpfte er gegen die frömmelnde Mode des
Tages mit ſolcher Schärfe, daß ſeine ſtreng katholiſche Tochter Dorothea
und andere fromme Freunde ſich entſetzten, Goethe aber dem Dichter Glück
wünſchte, der endlich einmal „einen klaren blauen Himmel des Menſchen-
verſtandes und reiner Sitte eröffnet habe“. Aller ſeiner Schrullen war
der alte Romantiker doch nicht Herr geworden. Immer wieder ſtörte er
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 3: Bis zur Juli-Revolution. Leipzig, 1885, S. 694. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte03_1885/710>, abgerufen am 22.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.