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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 3: Bis zur Juli-Revolution. Leipzig, 1885.

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III. 9. Literarische Vorboten einer neuen Zeit.
Bewußtsein gottbegnadeter Künstlerschaft. In der schwermüthigen Er-
scheinung des Grafen August Platen bekundete sich dagegen schon die Zer-
rissenheit eines neuen Geschlechts, ein düsterer Weltschmerz, "dem Leben
Leiden ist und Leiden Leben." Ein stolzer, hochstrebender Dichtergeist,
dem nur die reichsten Kränze genügten, bildete Platen durch unablässigen
Künstlerfleiß seinen angeborenen Sinn für Wohllaut und Formenreinheit
zur Meisterschaft aus und brachte die Technik unserer lyrischen Dichtung
auf ihre höchste Stufe. In Ghaselen und Sonetten, in den schwierigsten
lyrischen Formen aller Zeiten und Völker bewegte er sich mit der gleichen
Sicherheit, am natürlichsten doch in den rythmisch bewegten Versmaßen
der Alten; Niemand verstand wie er, ernste, würdige Gedanken in die
langhinwallenden Falten einer feierlichen Ode zu schlagen. Aber es lag
ein Hauch der Kälte über diesem kunstvollen Tongefüge. Dem Dichter
fehlte die Liebe, wie Goethe ihm vorwarf: nicht blos die Frauenliebe, die
doch allezeit der Nerv der lyrischen Dichtung bleibt, sondern die Fähig-
keit sich hinzugeben, ganz hinauszugehen aus seinem anspruchsvollen Ich.
Er dichtete mehr für Künstler und Kenner als für die Masse der unbe-
fangen Genießenden und liebte darum Stoffe, die von Historikern und
Malern schon fertig gestaltet waren. Wenn er im Dogenpalaste an das
Prachtgeländer der Riesentreppe gelehnt, des Volks von Königen gedachte,
das diese Marmorhallen durfte bauen, dann zauberte er dem Kundigen
mit wenigen majestätischen Worten eine Welt großer Erinnerungen, die
ganze Farbenpracht der Bilder Paolo Veronese's vor die Seele; doch wenn
er versuchte selber ins volle Menschenleben hineinzugreifen und zu er-
zählen, wie dem alten Gondolier der Lagune zu Muthe war, dann sprach
er kühl und matt.

Seine Wirksamkeit reichte weit hinaus über die kleine Gemeinde
fanatischer Verehrer, die sich bald um seinen Namen sammelte, sie ist nur
dem ganz verständlich, der in die Werkstätten der Schaffenden geblickt hat.
Unzähligen Bildhauern, Malern, Dichtern wurde Platen ein stiller Lebens-
begleiter, ein Tröster in den ästhetischen Versuchungen des Künstlerlebens,
grade weil der Inhalt seiner Gedichte das Herz kalt ließ. An der ab-
strakten Schönheit seiner Rhythmen lernte manche überreizte Phantasie die
Gesetze des Maßes wieder verstehen, an dem Marmor dieser reinen Formen
kühlte sich manche fiebernde Stirn. Solche Erfolge befriedigten den Ehr-
geiz des Dichters nicht. Nur im Selbstlob geschmacklos, ward er nicht
müde, sein eigenes Verdienst oder, was noch eitler klang, "den Genius,
welcher besucht mich" seinen Lesern anzupreisen. Der Mißmuth, der diesen
Unbefriedigten verzehrte, entsprang nicht blos dem Schmerz über die
Widersprüche des Lebens und die dunklen Räthsel der Weltordnung, son-
dern auch dem Gefühle innerer Unsicherheit. Platen empfand, daß seine
Dichterkraft dem großen Wollen nicht entsprach.

Verstimmt über den Kaltsinn seiner Landsleute und zudem gefesselt

III. 9. Literariſche Vorboten einer neuen Zeit.
Bewußtſein gottbegnadeter Künſtlerſchaft. In der ſchwermüthigen Er-
ſcheinung des Grafen Auguſt Platen bekundete ſich dagegen ſchon die Zer-
riſſenheit eines neuen Geſchlechts, ein düſterer Weltſchmerz, „dem Leben
Leiden iſt und Leiden Leben.“ Ein ſtolzer, hochſtrebender Dichtergeiſt,
dem nur die reichſten Kränze genügten, bildete Platen durch unabläſſigen
Künſtlerfleiß ſeinen angeborenen Sinn für Wohllaut und Formenreinheit
zur Meiſterſchaft aus und brachte die Technik unſerer lyriſchen Dichtung
auf ihre höchſte Stufe. In Ghaſelen und Sonetten, in den ſchwierigſten
lyriſchen Formen aller Zeiten und Völker bewegte er ſich mit der gleichen
Sicherheit, am natürlichſten doch in den rythmiſch bewegten Versmaßen
der Alten; Niemand verſtand wie er, ernſte, würdige Gedanken in die
langhinwallenden Falten einer feierlichen Ode zu ſchlagen. Aber es lag
ein Hauch der Kälte über dieſem kunſtvollen Tongefüge. Dem Dichter
fehlte die Liebe, wie Goethe ihm vorwarf: nicht blos die Frauenliebe, die
doch allezeit der Nerv der lyriſchen Dichtung bleibt, ſondern die Fähig-
keit ſich hinzugeben, ganz hinauszugehen aus ſeinem anſpruchsvollen Ich.
Er dichtete mehr für Künſtler und Kenner als für die Maſſe der unbe-
fangen Genießenden und liebte darum Stoffe, die von Hiſtorikern und
Malern ſchon fertig geſtaltet waren. Wenn er im Dogenpalaſte an das
Prachtgeländer der Rieſentreppe gelehnt, des Volks von Königen gedachte,
das dieſe Marmorhallen durfte bauen, dann zauberte er dem Kundigen
mit wenigen majeſtätiſchen Worten eine Welt großer Erinnerungen, die
ganze Farbenpracht der Bilder Paolo Veroneſe’s vor die Seele; doch wenn
er verſuchte ſelber ins volle Menſchenleben hineinzugreifen und zu er-
zählen, wie dem alten Gondolier der Lagune zu Muthe war, dann ſprach
er kühl und matt.

Seine Wirkſamkeit reichte weit hinaus über die kleine Gemeinde
fanatiſcher Verehrer, die ſich bald um ſeinen Namen ſammelte, ſie iſt nur
dem ganz verſtändlich, der in die Werkſtätten der Schaffenden geblickt hat.
Unzähligen Bildhauern, Malern, Dichtern wurde Platen ein ſtiller Lebens-
begleiter, ein Tröſter in den äſthetiſchen Verſuchungen des Künſtlerlebens,
grade weil der Inhalt ſeiner Gedichte das Herz kalt ließ. An der ab-
ſtrakten Schönheit ſeiner Rhythmen lernte manche überreizte Phantaſie die
Geſetze des Maßes wieder verſtehen, an dem Marmor dieſer reinen Formen
kühlte ſich manche fiebernde Stirn. Solche Erfolge befriedigten den Ehr-
geiz des Dichters nicht. Nur im Selbſtlob geſchmacklos, ward er nicht
müde, ſein eigenes Verdienſt oder, was noch eitler klang, „den Genius,
welcher beſucht mich“ ſeinen Leſern anzupreiſen. Der Mißmuth, der dieſen
Unbefriedigten verzehrte, entſprang nicht blos dem Schmerz über die
Widerſprüche des Lebens und die dunklen Räthſel der Weltordnung, ſon-
dern auch dem Gefühle innerer Unſicherheit. Platen empfand, daß ſeine
Dichterkraft dem großen Wollen nicht entſprach.

Verſtimmt über den Kaltſinn ſeiner Landsleute und zudem gefeſſelt

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[692/0708] III. 9. Literariſche Vorboten einer neuen Zeit. Bewußtſein gottbegnadeter Künſtlerſchaft. In der ſchwermüthigen Er- ſcheinung des Grafen Auguſt Platen bekundete ſich dagegen ſchon die Zer- riſſenheit eines neuen Geſchlechts, ein düſterer Weltſchmerz, „dem Leben Leiden iſt und Leiden Leben.“ Ein ſtolzer, hochſtrebender Dichtergeiſt, dem nur die reichſten Kränze genügten, bildete Platen durch unabläſſigen Künſtlerfleiß ſeinen angeborenen Sinn für Wohllaut und Formenreinheit zur Meiſterſchaft aus und brachte die Technik unſerer lyriſchen Dichtung auf ihre höchſte Stufe. In Ghaſelen und Sonetten, in den ſchwierigſten lyriſchen Formen aller Zeiten und Völker bewegte er ſich mit der gleichen Sicherheit, am natürlichſten doch in den rythmiſch bewegten Versmaßen der Alten; Niemand verſtand wie er, ernſte, würdige Gedanken in die langhinwallenden Falten einer feierlichen Ode zu ſchlagen. Aber es lag ein Hauch der Kälte über dieſem kunſtvollen Tongefüge. Dem Dichter fehlte die Liebe, wie Goethe ihm vorwarf: nicht blos die Frauenliebe, die doch allezeit der Nerv der lyriſchen Dichtung bleibt, ſondern die Fähig- keit ſich hinzugeben, ganz hinauszugehen aus ſeinem anſpruchsvollen Ich. Er dichtete mehr für Künſtler und Kenner als für die Maſſe der unbe- fangen Genießenden und liebte darum Stoffe, die von Hiſtorikern und Malern ſchon fertig geſtaltet waren. Wenn er im Dogenpalaſte an das Prachtgeländer der Rieſentreppe gelehnt, des Volks von Königen gedachte, das dieſe Marmorhallen durfte bauen, dann zauberte er dem Kundigen mit wenigen majeſtätiſchen Worten eine Welt großer Erinnerungen, die ganze Farbenpracht der Bilder Paolo Veroneſe’s vor die Seele; doch wenn er verſuchte ſelber ins volle Menſchenleben hineinzugreifen und zu er- zählen, wie dem alten Gondolier der Lagune zu Muthe war, dann ſprach er kühl und matt. Seine Wirkſamkeit reichte weit hinaus über die kleine Gemeinde fanatiſcher Verehrer, die ſich bald um ſeinen Namen ſammelte, ſie iſt nur dem ganz verſtändlich, der in die Werkſtätten der Schaffenden geblickt hat. Unzähligen Bildhauern, Malern, Dichtern wurde Platen ein ſtiller Lebens- begleiter, ein Tröſter in den äſthetiſchen Verſuchungen des Künſtlerlebens, grade weil der Inhalt ſeiner Gedichte das Herz kalt ließ. An der ab- ſtrakten Schönheit ſeiner Rhythmen lernte manche überreizte Phantaſie die Geſetze des Maßes wieder verſtehen, an dem Marmor dieſer reinen Formen kühlte ſich manche fiebernde Stirn. Solche Erfolge befriedigten den Ehr- geiz des Dichters nicht. Nur im Selbſtlob geſchmacklos, ward er nicht müde, ſein eigenes Verdienſt oder, was noch eitler klang, „den Genius, welcher beſucht mich“ ſeinen Leſern anzupreiſen. Der Mißmuth, der dieſen Unbefriedigten verzehrte, entſprang nicht blos dem Schmerz über die Widerſprüche des Lebens und die dunklen Räthſel der Weltordnung, ſon- dern auch dem Gefühle innerer Unſicherheit. Platen empfand, daß ſeine Dichterkraft dem großen Wollen nicht entſprach. Verſtimmt über den Kaltſinn ſeiner Landsleute und zudem gefeſſelt

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Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 3: Bis zur Juli-Revolution. Leipzig, 1885, S. 692. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte03_1885/708>, abgerufen am 23.11.2024.