Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 3: Bis zur Juli-Revolution. Leipzig, 1885.Der preußisch-bairische Handelsvertrag. seinen Blick fest auf die großen Verhältnisse des Vaterlandes gerichtet; erwußte, daß er seinem Staate die Bahn zu einer stolzen Zukunft geöffnet hatte. Im Juni sprach er sich gegen den König über die politische Be- deutung der geschlossenen Verträge offen aus.*) Seine Denkschrift wirft zuerst einen Rückblick auf die vollendete Unfähigkeit des Bundestags, der niemals in förmliche Berathung über die Handelseinheit getreten sei; selbst während der Noth von 1817 habe man in Frankfurt nur genau so viel gethan, "um den föderativen Nachbar, im buchstäblichen Sinne des Worts, nicht verhungern zu lassen. Wie konnte dies auch anders sein, da dem Deutschen Bunde ein großer Staat an der Spitze steht, der das ihm eigen- thümliche, seit fünfzig Jahren schon bestehende, seinem privaten Interesse bis daher vermeintlich zusagende, mit den Interessen der übrigen Staaten des Deutschen Bundes aber nicht vereinbarliche Zoll- und Prohibitiv-System aufzugeben nicht gewillt ist; da andere Bundesglieder die Handels-Inter- essen ihrer Haupt-Staaten denen ihrer Bundeslande unterzuordnen nicht gemeint sind, vielmehr letztere, natur- und sachgemäß, an die ersteren fest- geknüpft haben; und da wieder andere den Gegenstand mehr nur aus fiskalischem wie aus staatswirthschaftlichem Gesichtspunkte betrachtet wissen wollen? Der Deutsche Bund gab damit ein Beispiel, wie die allgemeine Staatengeschichte bis dahin noch keines aufzuweisen hat;" es entstand ein Handelskrieg Aller gegen Alle, "der weit schlimmer war als ein innerer Krieg der Waffen nur je hätte sein können." Dann erinnert Motz an die patriotischen Bestrebungen des deutschen Handelsstandes, an die per- sönlichen Bemühungen der Souveräne von Baiern und Württemberg. Als gleichzeitig der bairisch-württembergische und der preußisch-hessische Verein sich bildeten, lag die Möglichkeit zweier großen Zollvereine für ganz Deutsch- land vor. Da erhob sich unter Oesterreichs Führung der neutrale Ver- ein, der den status quo, d. h. das Unerträgliche aufrecht erhalten will; er zwang uns sogleich weiter zu gehen und das große Handels-System zu begründen. Dies System, fährt die Denkschrift fort, bietet erstens commercielle *) Memoire über die Wichtigkeit der von Preußen mit den süddeutschen Staaten
geschlossenen Zoll- und Handelsverträge, Juni 1829. Entworfen von Geh. Rath Mentz, von Motz eigenhändig stark umgearbeitet. Der preußiſch-bairiſche Handelsvertrag. ſeinen Blick feſt auf die großen Verhältniſſe des Vaterlandes gerichtet; erwußte, daß er ſeinem Staate die Bahn zu einer ſtolzen Zukunft geöffnet hatte. Im Juni ſprach er ſich gegen den König über die politiſche Be- deutung der geſchloſſenen Verträge offen aus.*) Seine Denkſchrift wirft zuerſt einen Rückblick auf die vollendete Unfähigkeit des Bundestags, der niemals in förmliche Berathung über die Handelseinheit getreten ſei; ſelbſt während der Noth von 1817 habe man in Frankfurt nur genau ſo viel gethan, „um den föderativen Nachbar, im buchſtäblichen Sinne des Worts, nicht verhungern zu laſſen. Wie konnte dies auch anders ſein, da dem Deutſchen Bunde ein großer Staat an der Spitze ſteht, der das ihm eigen- thümliche, ſeit fünfzig Jahren ſchon beſtehende, ſeinem privaten Intereſſe bis daher vermeintlich zuſagende, mit den Intereſſen der übrigen Staaten des Deutſchen Bundes aber nicht vereinbarliche Zoll- und Prohibitiv-Syſtem aufzugeben nicht gewillt iſt; da andere Bundesglieder die Handels-Inter- eſſen ihrer Haupt-Staaten denen ihrer Bundeslande unterzuordnen nicht gemeint ſind, vielmehr letztere, natur- und ſachgemäß, an die erſteren feſt- geknüpft haben; und da wieder andere den Gegenſtand mehr nur aus fiskaliſchem wie aus ſtaatswirthſchaftlichem Geſichtspunkte betrachtet wiſſen wollen? Der Deutſche Bund gab damit ein Beiſpiel, wie die allgemeine Staatengeſchichte bis dahin noch keines aufzuweiſen hat;“ es entſtand ein Handelskrieg Aller gegen Alle, „der weit ſchlimmer war als ein innerer Krieg der Waffen nur je hätte ſein können.“ Dann erinnert Motz an die patriotiſchen Beſtrebungen des deutſchen Handelsſtandes, an die per- ſönlichen Bemühungen der Souveräne von Baiern und Württemberg. Als gleichzeitig der bairiſch-württembergiſche und der preußiſch-heſſiſche Verein ſich bildeten, lag die Möglichkeit zweier großen Zollvereine für ganz Deutſch- land vor. Da erhob ſich unter Oeſterreichs Führung der neutrale Ver- ein, der den status quo, d. h. das Unerträgliche aufrecht erhalten will; er zwang uns ſogleich weiter zu gehen und das große Handels-Syſtem zu begründen. Dies Syſtem, fährt die Denkſchrift fort, bietet erſtens commercielle *) Memoire über die Wichtigkeit der von Preußen mit den ſüddeutſchen Staaten
geſchloſſenen Zoll- und Handelsverträge, Juni 1829. Entworfen von Geh. Rath Mentz, von Motz eigenhändig ſtark umgearbeitet. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0685" n="669"/><fw place="top" type="header">Der preußiſch-bairiſche Handelsvertrag.</fw><lb/> ſeinen Blick feſt auf die großen Verhältniſſe des Vaterlandes gerichtet; er<lb/> wußte, daß er ſeinem Staate die Bahn zu einer ſtolzen Zukunft geöffnet<lb/> hatte. Im Juni ſprach er ſich gegen den König über die politiſche Be-<lb/> deutung der geſchloſſenen Verträge offen aus.<note place="foot" n="*)">Memoire über die Wichtigkeit der von Preußen mit den ſüddeutſchen Staaten<lb/> geſchloſſenen Zoll- und Handelsverträge, Juni 1829. Entworfen von Geh. Rath Mentz,<lb/> von Motz eigenhändig ſtark umgearbeitet.</note> Seine Denkſchrift wirft<lb/> zuerſt einen Rückblick auf die vollendete Unfähigkeit des Bundestags, der<lb/> niemals in förmliche Berathung über die Handelseinheit getreten ſei; ſelbſt<lb/> während der Noth von 1817 habe man in Frankfurt nur genau ſo viel<lb/> gethan, „um den föderativen Nachbar, im buchſtäblichen Sinne des Worts,<lb/> nicht verhungern zu laſſen. Wie konnte dies auch anders ſein, da dem<lb/> Deutſchen Bunde ein großer Staat an der Spitze ſteht, der das ihm eigen-<lb/> thümliche, ſeit fünfzig Jahren ſchon beſtehende, ſeinem privaten Intereſſe<lb/> bis daher vermeintlich zuſagende, mit den Intereſſen der übrigen Staaten<lb/> des Deutſchen Bundes aber nicht vereinbarliche Zoll- und Prohibitiv-Syſtem<lb/> aufzugeben nicht gewillt iſt; da andere Bundesglieder die Handels-Inter-<lb/> eſſen ihrer Haupt-Staaten denen ihrer Bundeslande unterzuordnen nicht<lb/> gemeint ſind, vielmehr letztere, natur- und ſachgemäß, an die erſteren feſt-<lb/> geknüpft haben; und da wieder andere den Gegenſtand mehr nur aus<lb/> fiskaliſchem wie aus ſtaatswirthſchaftlichem Geſichtspunkte betrachtet wiſſen<lb/> wollen? Der Deutſche Bund gab damit ein Beiſpiel, wie die allgemeine<lb/> Staatengeſchichte bis dahin noch keines aufzuweiſen hat;“ es entſtand ein<lb/> Handelskrieg Aller gegen Alle, „der weit ſchlimmer war als ein innerer<lb/> Krieg der Waffen nur je hätte ſein können.“ Dann erinnert Motz an<lb/> die patriotiſchen Beſtrebungen des deutſchen Handelsſtandes, an die per-<lb/> ſönlichen Bemühungen der Souveräne von Baiern und Württemberg. Als<lb/> gleichzeitig der bairiſch-württembergiſche und der preußiſch-heſſiſche Verein<lb/> ſich bildeten, lag die Möglichkeit zweier großen Zollvereine für ganz Deutſch-<lb/> land vor. Da erhob ſich unter Oeſterreichs Führung der neutrale Ver-<lb/> ein, der den <hi rendition="#aq">status quo,</hi> d. h. das Unerträgliche aufrecht erhalten will;<lb/> er zwang uns ſogleich weiter zu gehen und das große Handels-Syſtem<lb/> zu begründen.</p><lb/> <p>Dies Syſtem, fährt die Denkſchrift fort, bietet erſtens commercielle<lb/> Vortheile. Die Verbindung umſchließt ſchon jetzt 20 Mill. Einwohner,<lb/> behauptet alſo den dritten Platz unter den europäiſchen Staaten, da<lb/> Oeſterreich kein einiges Machtgebiet bildet; ſie wird auf 25 Mill. ſteigen,<lb/> ſobald der Mitteldeutſche Verein wahrnimmt, „daß er ganz und gar einen<lb/> eitlen Zweck verfolgt“, und die ſüd- und mitteldeutſchen Staaten nebſt<lb/> Mecklenburg uns beitreten; ſie wird auf 27 Mill. ſteigen, wenn auch die<lb/> anderen Staaten (ſoweit ſie nicht Nebenlande ſind), alſo Hannover, Braun-<lb/> ſchweig, Oldenburg und die Hanſeſtädte eintreten. Der innere Verkehr<lb/></p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [669/0685]
Der preußiſch-bairiſche Handelsvertrag.
ſeinen Blick feſt auf die großen Verhältniſſe des Vaterlandes gerichtet; er
wußte, daß er ſeinem Staate die Bahn zu einer ſtolzen Zukunft geöffnet
hatte. Im Juni ſprach er ſich gegen den König über die politiſche Be-
deutung der geſchloſſenen Verträge offen aus. *) Seine Denkſchrift wirft
zuerſt einen Rückblick auf die vollendete Unfähigkeit des Bundestags, der
niemals in förmliche Berathung über die Handelseinheit getreten ſei; ſelbſt
während der Noth von 1817 habe man in Frankfurt nur genau ſo viel
gethan, „um den föderativen Nachbar, im buchſtäblichen Sinne des Worts,
nicht verhungern zu laſſen. Wie konnte dies auch anders ſein, da dem
Deutſchen Bunde ein großer Staat an der Spitze ſteht, der das ihm eigen-
thümliche, ſeit fünfzig Jahren ſchon beſtehende, ſeinem privaten Intereſſe
bis daher vermeintlich zuſagende, mit den Intereſſen der übrigen Staaten
des Deutſchen Bundes aber nicht vereinbarliche Zoll- und Prohibitiv-Syſtem
aufzugeben nicht gewillt iſt; da andere Bundesglieder die Handels-Inter-
eſſen ihrer Haupt-Staaten denen ihrer Bundeslande unterzuordnen nicht
gemeint ſind, vielmehr letztere, natur- und ſachgemäß, an die erſteren feſt-
geknüpft haben; und da wieder andere den Gegenſtand mehr nur aus
fiskaliſchem wie aus ſtaatswirthſchaftlichem Geſichtspunkte betrachtet wiſſen
wollen? Der Deutſche Bund gab damit ein Beiſpiel, wie die allgemeine
Staatengeſchichte bis dahin noch keines aufzuweiſen hat;“ es entſtand ein
Handelskrieg Aller gegen Alle, „der weit ſchlimmer war als ein innerer
Krieg der Waffen nur je hätte ſein können.“ Dann erinnert Motz an
die patriotiſchen Beſtrebungen des deutſchen Handelsſtandes, an die per-
ſönlichen Bemühungen der Souveräne von Baiern und Württemberg. Als
gleichzeitig der bairiſch-württembergiſche und der preußiſch-heſſiſche Verein
ſich bildeten, lag die Möglichkeit zweier großen Zollvereine für ganz Deutſch-
land vor. Da erhob ſich unter Oeſterreichs Führung der neutrale Ver-
ein, der den status quo, d. h. das Unerträgliche aufrecht erhalten will;
er zwang uns ſogleich weiter zu gehen und das große Handels-Syſtem
zu begründen.
Dies Syſtem, fährt die Denkſchrift fort, bietet erſtens commercielle
Vortheile. Die Verbindung umſchließt ſchon jetzt 20 Mill. Einwohner,
behauptet alſo den dritten Platz unter den europäiſchen Staaten, da
Oeſterreich kein einiges Machtgebiet bildet; ſie wird auf 25 Mill. ſteigen,
ſobald der Mitteldeutſche Verein wahrnimmt, „daß er ganz und gar einen
eitlen Zweck verfolgt“, und die ſüd- und mitteldeutſchen Staaten nebſt
Mecklenburg uns beitreten; ſie wird auf 27 Mill. ſteigen, wenn auch die
anderen Staaten (ſoweit ſie nicht Nebenlande ſind), alſo Hannover, Braun-
ſchweig, Oldenburg und die Hanſeſtädte eintreten. Der innere Verkehr
*) Memoire über die Wichtigkeit der von Preußen mit den ſüddeutſchen Staaten
geſchloſſenen Zoll- und Handelsverträge, Juni 1829. Entworfen von Geh. Rath Mentz,
von Motz eigenhändig ſtark umgearbeitet.
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