male in Berlin. Der preußische Minister verlor zuweilen fast die Geduld bei allen den ängstlichen Vorbehalten, welche der süddeutsche Unterhändler stellen mußte, und klagte bitterlich über diesen "Hökerkram".*) Gegen die vollständige Zollbefreiung der eigenen Produkte erhob Baiern Bedenken; man fürchtete in München die überlegene rheinische Industrie. Auch mit seinem Vorschlage, daß die bairische Pfalz sofort dem preußischen Zollver- eine beitreten solle, drang Motz nicht durch; der Stolz der bairischen Krone widerstrebte, auch der Münchener Landtag hätte der unerläßlichen Abän- derung des pfälzischen Steuerwesens niemals zugestimmt. Noch weniger war auf Badens Beitritt zu hoffen. Der kleine Staat wollte die gün- stige Gelegenheit benutzen, um seinen Länderbestand für alle Zukunft sicher- zustellen; er forderte, daß vor den Zollverhandlungen der Sponheimer Streit beigelegt werde. Da König Ludwig darauf nicht einging, so er- kannte das Berliner Cabinet im Laufe des Winters selbst, daß man nicht wohl thue die Verhandlungen noch mehr zu verwickeln, und ließ Baden vorläufig aus dem Spiele.
Am 6. März 1829 begannen endlich die amtlichen Verhandlungen in Berlin. Die süddeutschen Kronen waren durch ihre Gesandten Luxburg und Blomberg vertreten, den Ausschlag gab Cotta, der von beiden Königen Vollmacht hatte. Für Preußen erschienen Eichhorn und Schönberg, dazu Motz, Maassen und Finanzrath Windhorn. Auch Hofmann kam aus Darmstadt herüber. Die ersten Kräfte der Regierung waren aufgeboten; es galt die Brücke über den Main zu schlagen. Am 27. Mai 1829 wurde der Vertrag unterzeichnet. Preußen-Hessen und Baiern-Württemberg ver- sprachen einander bis zum Jahre 1841 Zollfreiheit für alle inländischen Erzeugnisse der Natur, des Gewerbfleißes und der Kunst; nur für eine Reihe wichtiger Fabrikwaaren sollte, auf Baierns Andringen, zunächst bloß eine Zollerleichterung um 25 Proc. eintreten, bis allmählich die völlige Befreiung erfolgen könne. Beide Theile verpflichteten sich, ihre Zollsysteme mehr und mehr in Uebereinstimmung zu bringen; alljährlich sollten Be- vollmächtigte zusammentreten "zur Befestigung und Erweiterung dieses Vertrags". Auch ein Zollcartell wurde für die Zukunft verabredet. Der Vertrag trug in Allem den Charakter eines Provisoriums; er begründete die engste Form handelspolitischer Vereinigung, die sich erreichen ließ, so lange die Länder der Verbündeten nicht in festem geographischem Zusam- menhange standen. Alle Betheiligten fühlten, daß sie erst im Beginne einer Zeit gemeinsamer handelspolitischer Action standen; sie verpflichteten sich zu Protocoll, Handelsverträge mit solchen Ländern, die an mehrere Vereinsstaaten zugleich angrenzten, also vornehmlich mit Baden, nur im gemeinsamen Einverständniß abzuschließen.
Unbeirrt durch die Peinlichkeit der Einzelverhandlungen hielt Motz
*) Motz an Maassen, 25. Januar 1829.
III. 8. Der Zollkrieg und die erſten Zollvereine.
male in Berlin. Der preußiſche Miniſter verlor zuweilen faſt die Geduld bei allen den ängſtlichen Vorbehalten, welche der ſüddeutſche Unterhändler ſtellen mußte, und klagte bitterlich über dieſen „Hökerkram“.*) Gegen die vollſtändige Zollbefreiung der eigenen Produkte erhob Baiern Bedenken; man fürchtete in München die überlegene rheiniſche Induſtrie. Auch mit ſeinem Vorſchlage, daß die bairiſche Pfalz ſofort dem preußiſchen Zollver- eine beitreten ſolle, drang Motz nicht durch; der Stolz der bairiſchen Krone widerſtrebte, auch der Münchener Landtag hätte der unerläßlichen Abän- derung des pfälziſchen Steuerweſens niemals zugeſtimmt. Noch weniger war auf Badens Beitritt zu hoffen. Der kleine Staat wollte die gün- ſtige Gelegenheit benutzen, um ſeinen Länderbeſtand für alle Zukunft ſicher- zuſtellen; er forderte, daß vor den Zollverhandlungen der Sponheimer Streit beigelegt werde. Da König Ludwig darauf nicht einging, ſo er- kannte das Berliner Cabinet im Laufe des Winters ſelbſt, daß man nicht wohl thue die Verhandlungen noch mehr zu verwickeln, und ließ Baden vorläufig aus dem Spiele.
Am 6. März 1829 begannen endlich die amtlichen Verhandlungen in Berlin. Die ſüddeutſchen Kronen waren durch ihre Geſandten Luxburg und Blomberg vertreten, den Ausſchlag gab Cotta, der von beiden Königen Vollmacht hatte. Für Preußen erſchienen Eichhorn und Schönberg, dazu Motz, Maaſſen und Finanzrath Windhorn. Auch Hofmann kam aus Darmſtadt herüber. Die erſten Kräfte der Regierung waren aufgeboten; es galt die Brücke über den Main zu ſchlagen. Am 27. Mai 1829 wurde der Vertrag unterzeichnet. Preußen-Heſſen und Baiern-Württemberg ver- ſprachen einander bis zum Jahre 1841 Zollfreiheit für alle inländiſchen Erzeugniſſe der Natur, des Gewerbfleißes und der Kunſt; nur für eine Reihe wichtiger Fabrikwaaren ſollte, auf Baierns Andringen, zunächſt bloß eine Zollerleichterung um 25 Proc. eintreten, bis allmählich die völlige Befreiung erfolgen könne. Beide Theile verpflichteten ſich, ihre Zollſyſteme mehr und mehr in Uebereinſtimmung zu bringen; alljährlich ſollten Be- vollmächtigte zuſammentreten „zur Befeſtigung und Erweiterung dieſes Vertrags“. Auch ein Zollcartell wurde für die Zukunft verabredet. Der Vertrag trug in Allem den Charakter eines Proviſoriums; er begründete die engſte Form handelspolitiſcher Vereinigung, die ſich erreichen ließ, ſo lange die Länder der Verbündeten nicht in feſtem geographiſchem Zuſam- menhange ſtanden. Alle Betheiligten fühlten, daß ſie erſt im Beginne einer Zeit gemeinſamer handelspolitiſcher Action ſtanden; ſie verpflichteten ſich zu Protocoll, Handelsverträge mit ſolchen Ländern, die an mehrere Vereinsſtaaten zugleich angrenzten, alſo vornehmlich mit Baden, nur im gemeinſamen Einverſtändniß abzuſchließen.
Unbeirrt durch die Peinlichkeit der Einzelverhandlungen hielt Motz
*) Motz an Maaſſen, 25. Januar 1829.
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III. 8. Der Zollkrieg und die erſten Zollvereine.
male in Berlin. Der preußiſche Miniſter verlor zuweilen faſt die Geduld
bei allen den ängſtlichen Vorbehalten, welche der ſüddeutſche Unterhändler
ſtellen mußte, und klagte bitterlich über dieſen „Hökerkram“. *) Gegen
die vollſtändige Zollbefreiung der eigenen Produkte erhob Baiern Bedenken;
man fürchtete in München die überlegene rheiniſche Induſtrie. Auch mit
ſeinem Vorſchlage, daß die bairiſche Pfalz ſofort dem preußiſchen Zollver-
eine beitreten ſolle, drang Motz nicht durch; der Stolz der bairiſchen Krone
widerſtrebte, auch der Münchener Landtag hätte der unerläßlichen Abän-
derung des pfälziſchen Steuerweſens niemals zugeſtimmt. Noch weniger
war auf Badens Beitritt zu hoffen. Der kleine Staat wollte die gün-
ſtige Gelegenheit benutzen, um ſeinen Länderbeſtand für alle Zukunft ſicher-
zuſtellen; er forderte, daß vor den Zollverhandlungen der Sponheimer
Streit beigelegt werde. Da König Ludwig darauf nicht einging, ſo er-
kannte das Berliner Cabinet im Laufe des Winters ſelbſt, daß man nicht
wohl thue die Verhandlungen noch mehr zu verwickeln, und ließ Baden
vorläufig aus dem Spiele.
Am 6. März 1829 begannen endlich die amtlichen Verhandlungen in
Berlin. Die ſüddeutſchen Kronen waren durch ihre Geſandten Luxburg
und Blomberg vertreten, den Ausſchlag gab Cotta, der von beiden Königen
Vollmacht hatte. Für Preußen erſchienen Eichhorn und Schönberg, dazu
Motz, Maaſſen und Finanzrath Windhorn. Auch Hofmann kam aus
Darmſtadt herüber. Die erſten Kräfte der Regierung waren aufgeboten;
es galt die Brücke über den Main zu ſchlagen. Am 27. Mai 1829 wurde
der Vertrag unterzeichnet. Preußen-Heſſen und Baiern-Württemberg ver-
ſprachen einander bis zum Jahre 1841 Zollfreiheit für alle inländiſchen
Erzeugniſſe der Natur, des Gewerbfleißes und der Kunſt; nur für eine
Reihe wichtiger Fabrikwaaren ſollte, auf Baierns Andringen, zunächſt bloß
eine Zollerleichterung um 25 Proc. eintreten, bis allmählich die völlige
Befreiung erfolgen könne. Beide Theile verpflichteten ſich, ihre Zollſyſteme
mehr und mehr in Uebereinſtimmung zu bringen; alljährlich ſollten Be-
vollmächtigte zuſammentreten „zur Befeſtigung und Erweiterung dieſes
Vertrags“. Auch ein Zollcartell wurde für die Zukunft verabredet. Der
Vertrag trug in Allem den Charakter eines Proviſoriums; er begründete
die engſte Form handelspolitiſcher Vereinigung, die ſich erreichen ließ, ſo
lange die Länder der Verbündeten nicht in feſtem geographiſchem Zuſam-
menhange ſtanden. Alle Betheiligten fühlten, daß ſie erſt im Beginne
einer Zeit gemeinſamer handelspolitiſcher Action ſtanden; ſie verpflichteten
ſich zu Protocoll, Handelsverträge mit ſolchen Ländern, die an mehrere
Vereinsſtaaten zugleich angrenzten, alſo vornehmlich mit Baden, nur im
gemeinſamen Einverſtändniß abzuſchließen.
Unbeirrt durch die Peinlichkeit der Einzelverhandlungen hielt Motz
*) Motz an Maaſſen, 25. Januar 1829.
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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 3: Bis zur Juli-Revolution. Leipzig, 1885, S. 668. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte03_1885/684>, abgerufen am 22.11.2024.
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