Baden bewilligte nur 8 Fl. als höchsten Satz für Fabrikate. Vergeblich beschwor Miller von Immenstadt den Karlsruher Hof um Nachgiebigkeit; das Prohibitivsystem herrsche in der weiten Welt, auch Huskisson könne mit seinen freihändlerischen Träumen nicht durchdringen. Berstett blieb fest: "Baiern, schrieb er an Marschall, verlangt, daß wir ohne Ersatz alle Vortheile unserer geographischen Lage mit ihm theilen. Der König von Württemberg stimmt den bairischen Ansprüchen zu, um sich die Ge- wogenheit einer gewissen Partei zu erhalten".*) Im August 1825 er- klärte Baden seinen Austritt und verkündigte zugleich ein neues Zollge- setz, dessen niedrige Sätze allgemeine Freude im Lande erregten. Nassau trat ebenfalls zurück.
Auch diesmal spielten politische Bedenken mit; eine Reise des Königs von Württemberg nach Paris erweckte die Besorgniß, ob der Bund der Mindermächtigen vielleicht mit französischer Hilfe ins Leben treten solle. Nebenius versicherte späterhin, ihm habe in Stuttgart immer der Gedanke an Deutschlands künftige Handelseinheit vorgeschwebt; hohe Schutzzölle im Süden hätten die spätere Vereinigung mit dem Norden erschweren müssen. Und sicherlich, wenn unter dem Schutze der bairischen Zölle eine jugend- liche Industrie in Oder-Deutschland emporwuchs, so blieb dem früher ent- wickelten preußischen Gewerbfleiße wenig Hoffnung den süddeutschen Markt für sich zu erobern; der preußische Staat verlor mithin den einzigen Vor- theil, den ihm ein allgemeiner Zollverein, zur Entschädigung für schwere finanzielle Opfer, versprach. Gleichwohl ist unverkennbar, daß auch der geistreiche badische Staatswirth sich nicht frei hielt von jener allgemeinen schwarzsichtigen Verstimmung, welche die trübseligen Stuttgarter Confe- renzen beherrschte. Von hohen Schutzzöllen war ja gar nicht die Rede. Die von Baiern vorgeschlagenen Zölle für Fabrikate standen erheblich unter den Sätzen des preußischen Tarifs; die Gefahr, welche Nebenius fürchtete, lag zum mindesten noch in der Ferne. Im nächsten Winter hat Baiern noch einmal versucht, den Verein ohne Baden und Nassau in Gang zu bringen. Freiherr v. Zu Rhein verhandelte in Stuttgart und Darm- stadt. Aber die Darmstädter Regierung erwiderte, sie könne ohne Kur- hessen nicht beitreten.**) Da der Casseler Hof sich weigerte, so war auch dieser letzte Versuch gescheitert.
So hoffnungslos war die Lage, als König Ludwig den Thron bestieg. Groll und Erbitterung überall. Selbst der bescheidene Handelsvertrag zwi- schen Baden und Darmstadt war schon nach Jahresfrist wieder erloschen, weil die Behörden mit den Ursprungszeugnissen freundnachbarlichen Miß- brauch trieben. Nach dem bairischen Thronwechsel schöpfte König Wilhelm von Württemberg wieder frischen Muth. Er richtete im Dezember 1826
*) Berstett an Marschall, 11. Mai 1825.
**) Maltzan's Bericht, 11. Jan. 1826.
III. 8. Der Zollkrieg und die erſten Zollvereine.
Baden bewilligte nur 8 Fl. als höchſten Satz für Fabrikate. Vergeblich beſchwor Miller von Immenſtadt den Karlsruher Hof um Nachgiebigkeit; das Prohibitivſyſtem herrſche in der weiten Welt, auch Huskiſſon könne mit ſeinen freihändleriſchen Träumen nicht durchdringen. Berſtett blieb feſt: „Baiern, ſchrieb er an Marſchall, verlangt, daß wir ohne Erſatz alle Vortheile unſerer geographiſchen Lage mit ihm theilen. Der König von Württemberg ſtimmt den bairiſchen Anſprüchen zu, um ſich die Ge- wogenheit einer gewiſſen Partei zu erhalten“.*) Im Auguſt 1825 er- klärte Baden ſeinen Austritt und verkündigte zugleich ein neues Zollge- ſetz, deſſen niedrige Sätze allgemeine Freude im Lande erregten. Naſſau trat ebenfalls zurück.
Auch diesmal ſpielten politiſche Bedenken mit; eine Reiſe des Königs von Württemberg nach Paris erweckte die Beſorgniß, ob der Bund der Mindermächtigen vielleicht mit franzöſiſcher Hilfe ins Leben treten ſolle. Nebenius verſicherte ſpäterhin, ihm habe in Stuttgart immer der Gedanke an Deutſchlands künftige Handelseinheit vorgeſchwebt; hohe Schutzzölle im Süden hätten die ſpätere Vereinigung mit dem Norden erſchweren müſſen. Und ſicherlich, wenn unter dem Schutze der bairiſchen Zölle eine jugend- liche Induſtrie in Oder-Deutſchland emporwuchs, ſo blieb dem früher ent- wickelten preußiſchen Gewerbfleiße wenig Hoffnung den ſüddeutſchen Markt für ſich zu erobern; der preußiſche Staat verlor mithin den einzigen Vor- theil, den ihm ein allgemeiner Zollverein, zur Entſchädigung für ſchwere finanzielle Opfer, verſprach. Gleichwohl iſt unverkennbar, daß auch der geiſtreiche badiſche Staatswirth ſich nicht frei hielt von jener allgemeinen ſchwarzſichtigen Verſtimmung, welche die trübſeligen Stuttgarter Confe- renzen beherrſchte. Von hohen Schutzzöllen war ja gar nicht die Rede. Die von Baiern vorgeſchlagenen Zölle für Fabrikate ſtanden erheblich unter den Sätzen des preußiſchen Tarifs; die Gefahr, welche Nebenius fürchtete, lag zum mindeſten noch in der Ferne. Im nächſten Winter hat Baiern noch einmal verſucht, den Verein ohne Baden und Naſſau in Gang zu bringen. Freiherr v. Zu Rhein verhandelte in Stuttgart und Darm- ſtadt. Aber die Darmſtädter Regierung erwiderte, ſie könne ohne Kur- heſſen nicht beitreten.**) Da der Caſſeler Hof ſich weigerte, ſo war auch dieſer letzte Verſuch geſcheitert.
So hoffnungslos war die Lage, als König Ludwig den Thron beſtieg. Groll und Erbitterung überall. Selbſt der beſcheidene Handelsvertrag zwi- ſchen Baden und Darmſtadt war ſchon nach Jahresfriſt wieder erloſchen, weil die Behörden mit den Urſprungszeugniſſen freundnachbarlichen Miß- brauch trieben. Nach dem bairiſchen Thronwechſel ſchöpfte König Wilhelm von Württemberg wieder friſchen Muth. Er richtete im Dezember 1826
*) Berſtett an Marſchall, 11. Mai 1825.
**) Maltzan’s Bericht, 11. Jan. 1826.
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Baden bewilligte nur 8 Fl. als höchſten Satz für Fabrikate. Vergeblich
beſchwor Miller von Immenſtadt den Karlsruher Hof um Nachgiebigkeit;
das Prohibitivſyſtem herrſche in der weiten Welt, auch Huskiſſon könne
mit ſeinen freihändleriſchen Träumen nicht durchdringen. Berſtett blieb
feſt: „Baiern, ſchrieb er an Marſchall, verlangt, daß wir ohne Erſatz
alle Vortheile unſerer geographiſchen Lage mit ihm theilen. Der König
von Württemberg ſtimmt den bairiſchen Anſprüchen zu, um ſich die Ge-
wogenheit einer gewiſſen Partei zu erhalten“. *) Im Auguſt 1825 er-
klärte Baden ſeinen Austritt und verkündigte zugleich ein neues Zollge-
ſetz, deſſen niedrige Sätze allgemeine Freude im Lande erregten. Naſſau
trat ebenfalls zurück.
Auch diesmal ſpielten politiſche Bedenken mit; eine Reiſe des Königs
von Württemberg nach Paris erweckte die Beſorgniß, ob der Bund der
Mindermächtigen vielleicht mit franzöſiſcher Hilfe ins Leben treten ſolle.
Nebenius verſicherte ſpäterhin, ihm habe in Stuttgart immer der Gedanke
an Deutſchlands künftige Handelseinheit vorgeſchwebt; hohe Schutzzölle im
Süden hätten die ſpätere Vereinigung mit dem Norden erſchweren müſſen.
Und ſicherlich, wenn unter dem Schutze der bairiſchen Zölle eine jugend-
liche Induſtrie in Oder-Deutſchland emporwuchs, ſo blieb dem früher ent-
wickelten preußiſchen Gewerbfleiße wenig Hoffnung den ſüddeutſchen Markt
für ſich zu erobern; der preußiſche Staat verlor mithin den einzigen Vor-
theil, den ihm ein allgemeiner Zollverein, zur Entſchädigung für ſchwere
finanzielle Opfer, verſprach. Gleichwohl iſt unverkennbar, daß auch der
geiſtreiche badiſche Staatswirth ſich nicht frei hielt von jener allgemeinen
ſchwarzſichtigen Verſtimmung, welche die trübſeligen Stuttgarter Confe-
renzen beherrſchte. Von hohen Schutzzöllen war ja gar nicht die Rede. Die
von Baiern vorgeſchlagenen Zölle für Fabrikate ſtanden erheblich unter
den Sätzen des preußiſchen Tarifs; die Gefahr, welche Nebenius fürchtete,
lag zum mindeſten noch in der Ferne. Im nächſten Winter hat Baiern
noch einmal verſucht, den Verein ohne Baden und Naſſau in Gang zu
bringen. Freiherr v. Zu Rhein verhandelte in Stuttgart und Darm-
ſtadt. Aber die Darmſtädter Regierung erwiderte, ſie könne ohne Kur-
heſſen nicht beitreten. **) Da der Caſſeler Hof ſich weigerte, ſo war auch
dieſer letzte Verſuch geſcheitert.
So hoffnungslos war die Lage, als König Ludwig den Thron beſtieg.
Groll und Erbitterung überall. Selbſt der beſcheidene Handelsvertrag zwi-
ſchen Baden und Darmſtadt war ſchon nach Jahresfriſt wieder erloſchen,
weil die Behörden mit den Urſprungszeugniſſen freundnachbarlichen Miß-
brauch trieben. Nach dem bairiſchen Thronwechſel ſchöpfte König Wilhelm
von Württemberg wieder friſchen Muth. Er richtete im Dezember 1826
*) Berſtett an Marſchall, 11. Mai 1825.
**) Maltzan’s Bericht, 11. Jan. 1826.
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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 3: Bis zur Juli-Revolution. Leipzig, 1885, S. 628. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte03_1885/644>, abgerufen am 23.11.2024.
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