Verhandlungen durch seine Reizbarkeit. Der bairisch-württembergische Ent- wurf nahm das bairische Zollgesetz zur Grundlage, gewährte den beiden Königreichen eine überwiegende Stimmenzahl -- was alsbald bestritten wurde -- und vertheilte die Einnahmen nach der Kopfzahl der Bevöl- kerung. Hier erhob sich ein Streit, der wieder ein scharfes Licht warf auf die Gesinnung der kleinen Höfe. Sollte die Bevölkerung berechnet werden nach einer neuen Zählung oder auf Grund der provisorischen Bundes- matrikel? Die Matrikel diente zum Maßstab für die militärischen Lei- stungen der Bundesstaaten; als man sie zusammen stellte, ergab sich in vielen Kleinstaaten eine betrübende Entvölkerung, eine überraschend niedrige Kopfzahl. Jetzt, da die Zolleinnahmen nach der Stärke der Bevölkerung vertheilt werden sollten, betheuerten die kleinen Gesandten wie aus einem Munde: die Matrikel genüge längst nicht mehr, die Zahl der Einwohner sei inzwischen zur Freude aller Wohlmeinenden wunderbar schnell gewachsen!
Den wichtigsten Streitpunkt bildete doch die Frage nach den Formen der Verwaltung. Die königlichen Höfe verlangten durchaus eine gemein- schaftliche Centralverwaltung; sie trauten den Beamten der kleineren Staaten nicht. Dem württembergischen Finanzminister schien die getrennte Verwaltung schon darum unzulässig, weil dann nur sehr geringe Zoll- einnahmen unmittelbar in seine Kassen fließen würden; wer bürgte dafür, daß die Bundesgenossen ihre Ueberschüsse pünktlich herauszahlten? Gereizt durch solches Mißtrauen hielten die Minister der Rheinuferstaaten abermals eine Zusammenkunft in Mainz (Ende März 1825) und beschlossen, fest auf dem Heidelberger Protokolle zu bestehen. Triumphirend erzählte Mar- schall an Berstett, wie überlegen sein Herzog den Kronprinzen von Baiern bei einem Besuche in Bieberich abgefertigt habe. "Niemals, hatte der stolze Nassauer in heiligem Zorne gerufen, niemals werde ich mir von Euch in meinem Lande Gesetze vorschreiben lassen. Meine 300,000 Unter- thanen sind mir grade so lieb, wie Euch Eure drei Millionen. Ich brauche Euch nicht!" -- worauf der Baier den Austausch freundnachbarlicher Gefühle abschloß mit der Betheuerung: "Wir brauchen Euch auch nicht!"*) Zugleich setzte der Karlsruher Hof seinen ergebenen Landtag in Bewegung; der geistreiche allezeit partikularistische Staatsrechtslehrer Karl Salomon Zachariä kämpfte auf der Rednerbühne wider die Anmaßung der königlichen Höfe: "wer ist wohl Herr in seinem Hause, wenn er die Herrschaft mit anderen theilt?" Da gaben Baiern und Württemberg endlich nach.
Doch alsbald erhob sich ein neuer Zwist: um den Tarif -- ein Streit, der bei dem grundtiefen Gegensatze der Meinungen zum Bruche führen mußte. Baden gab als höchsten Zoll für Colonialwaaren 11/2 Gulden zu und hielt dies für ein großes Zugeständniß, während Baiern für Kaffee 15 Fl. forderte; Wollenwaaren dachte Baiern mit 60 Fl. zu belasten,
*) Marschall an Berstett, 4. Mai 1825.
40*
Die Stuttgarter Zoll-Conferenzen.
Verhandlungen durch ſeine Reizbarkeit. Der bairiſch-württembergiſche Ent- wurf nahm das bairiſche Zollgeſetz zur Grundlage, gewährte den beiden Königreichen eine überwiegende Stimmenzahl — was alsbald beſtritten wurde — und vertheilte die Einnahmen nach der Kopfzahl der Bevöl- kerung. Hier erhob ſich ein Streit, der wieder ein ſcharfes Licht warf auf die Geſinnung der kleinen Höfe. Sollte die Bevölkerung berechnet werden nach einer neuen Zählung oder auf Grund der proviſoriſchen Bundes- matrikel? Die Matrikel diente zum Maßſtab für die militäriſchen Lei- ſtungen der Bundesſtaaten; als man ſie zuſammen ſtellte, ergab ſich in vielen Kleinſtaaten eine betrübende Entvölkerung, eine überraſchend niedrige Kopfzahl. Jetzt, da die Zolleinnahmen nach der Stärke der Bevölkerung vertheilt werden ſollten, betheuerten die kleinen Geſandten wie aus einem Munde: die Matrikel genüge längſt nicht mehr, die Zahl der Einwohner ſei inzwiſchen zur Freude aller Wohlmeinenden wunderbar ſchnell gewachſen!
Den wichtigſten Streitpunkt bildete doch die Frage nach den Formen der Verwaltung. Die königlichen Höfe verlangten durchaus eine gemein- ſchaftliche Centralverwaltung; ſie trauten den Beamten der kleineren Staaten nicht. Dem württembergiſchen Finanzminiſter ſchien die getrennte Verwaltung ſchon darum unzuläſſig, weil dann nur ſehr geringe Zoll- einnahmen unmittelbar in ſeine Kaſſen fließen würden; wer bürgte dafür, daß die Bundesgenoſſen ihre Ueberſchüſſe pünktlich herauszahlten? Gereizt durch ſolches Mißtrauen hielten die Miniſter der Rheinuferſtaaten abermals eine Zuſammenkunft in Mainz (Ende März 1825) und beſchloſſen, feſt auf dem Heidelberger Protokolle zu beſtehen. Triumphirend erzählte Mar- ſchall an Berſtett, wie überlegen ſein Herzog den Kronprinzen von Baiern bei einem Beſuche in Bieberich abgefertigt habe. „Niemals, hatte der ſtolze Naſſauer in heiligem Zorne gerufen, niemals werde ich mir von Euch in meinem Lande Geſetze vorſchreiben laſſen. Meine 300,000 Unter- thanen ſind mir grade ſo lieb, wie Euch Eure drei Millionen. Ich brauche Euch nicht!“ — worauf der Baier den Austauſch freundnachbarlicher Gefühle abſchloß mit der Betheuerung: „Wir brauchen Euch auch nicht!“*) Zugleich ſetzte der Karlsruher Hof ſeinen ergebenen Landtag in Bewegung; der geiſtreiche allezeit partikulariſtiſche Staatsrechtslehrer Karl Salomon Zachariä kämpfte auf der Rednerbühne wider die Anmaßung der königlichen Höfe: „wer iſt wohl Herr in ſeinem Hauſe, wenn er die Herrſchaft mit anderen theilt?“ Da gaben Baiern und Württemberg endlich nach.
Doch alsbald erhob ſich ein neuer Zwiſt: um den Tarif — ein Streit, der bei dem grundtiefen Gegenſatze der Meinungen zum Bruche führen mußte. Baden gab als höchſten Zoll für Colonialwaaren 1½ Gulden zu und hielt dies für ein großes Zugeſtändniß, während Baiern für Kaffee 15 Fl. forderte; Wollenwaaren dachte Baiern mit 60 Fl. zu belaſten,
*) Marſchall an Berſtett, 4. Mai 1825.
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Die Stuttgarter Zoll-Conferenzen.
Verhandlungen durch ſeine Reizbarkeit. Der bairiſch-württembergiſche Ent-
wurf nahm das bairiſche Zollgeſetz zur Grundlage, gewährte den beiden
Königreichen eine überwiegende Stimmenzahl — was alsbald beſtritten
wurde — und vertheilte die Einnahmen nach der Kopfzahl der Bevöl-
kerung. Hier erhob ſich ein Streit, der wieder ein ſcharfes Licht warf auf
die Geſinnung der kleinen Höfe. Sollte die Bevölkerung berechnet werden
nach einer neuen Zählung oder auf Grund der proviſoriſchen Bundes-
matrikel? Die Matrikel diente zum Maßſtab für die militäriſchen Lei-
ſtungen der Bundesſtaaten; als man ſie zuſammen ſtellte, ergab ſich in
vielen Kleinſtaaten eine betrübende Entvölkerung, eine überraſchend niedrige
Kopfzahl. Jetzt, da die Zolleinnahmen nach der Stärke der Bevölkerung
vertheilt werden ſollten, betheuerten die kleinen Geſandten wie aus einem
Munde: die Matrikel genüge längſt nicht mehr, die Zahl der Einwohner ſei
inzwiſchen zur Freude aller Wohlmeinenden wunderbar ſchnell gewachſen!
Den wichtigſten Streitpunkt bildete doch die Frage nach den Formen
der Verwaltung. Die königlichen Höfe verlangten durchaus eine gemein-
ſchaftliche Centralverwaltung; ſie trauten den Beamten der kleineren
Staaten nicht. Dem württembergiſchen Finanzminiſter ſchien die getrennte
Verwaltung ſchon darum unzuläſſig, weil dann nur ſehr geringe Zoll-
einnahmen unmittelbar in ſeine Kaſſen fließen würden; wer bürgte dafür,
daß die Bundesgenoſſen ihre Ueberſchüſſe pünktlich herauszahlten? Gereizt
durch ſolches Mißtrauen hielten die Miniſter der Rheinuferſtaaten abermals
eine Zuſammenkunft in Mainz (Ende März 1825) und beſchloſſen, feſt
auf dem Heidelberger Protokolle zu beſtehen. Triumphirend erzählte Mar-
ſchall an Berſtett, wie überlegen ſein Herzog den Kronprinzen von Baiern
bei einem Beſuche in Bieberich abgefertigt habe. „Niemals, hatte der
ſtolze Naſſauer in heiligem Zorne gerufen, niemals werde ich mir von
Euch in meinem Lande Geſetze vorſchreiben laſſen. Meine 300,000 Unter-
thanen ſind mir grade ſo lieb, wie Euch Eure drei Millionen. Ich brauche
Euch nicht!“ — worauf der Baier den Austauſch freundnachbarlicher
Gefühle abſchloß mit der Betheuerung: „Wir brauchen Euch auch nicht!“ *)
Zugleich ſetzte der Karlsruher Hof ſeinen ergebenen Landtag in Bewegung;
der geiſtreiche allezeit partikulariſtiſche Staatsrechtslehrer Karl Salomon
Zachariä kämpfte auf der Rednerbühne wider die Anmaßung der königlichen
Höfe: „wer iſt wohl Herr in ſeinem Hauſe, wenn er die Herrſchaft mit
anderen theilt?“ Da gaben Baiern und Württemberg endlich nach.
Doch alsbald erhob ſich ein neuer Zwiſt: um den Tarif — ein Streit,
der bei dem grundtiefen Gegenſatze der Meinungen zum Bruche führen
mußte. Baden gab als höchſten Zoll für Colonialwaaren 1½ Gulden
zu und hielt dies für ein großes Zugeſtändniß, während Baiern für Kaffee
15 Fl. forderte; Wollenwaaren dachte Baiern mit 60 Fl. zu belaſten,
*) Marſchall an Berſtett, 4. Mai 1825.
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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 3: Bis zur Juli-Revolution. Leipzig, 1885, S. 627. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte03_1885/643>, abgerufen am 27.11.2024.
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