einen Brief an seinen erlauchten Nachbarn, schlug ihm vor, die abge- brochenen Verhandlungen wieder aufzunehmen und zunächst einen bairisch- württembergischen Verein zu stiften. König Ludwig ging darauf ein. Da die beiden Staaten schon in Darmstadt und Stuttgart zusammengehalten hatten und ihre Zollgesetze nur geringe Unterschiede aufwiesen, so nahmen die im folgenden Monat zu München begonnenen Verhandlungen günstigen, wenngleich sehr langsamen Fortgang. Am 12. April 1827 wurde ein Präli- minarvertrag unterzeichnet. Man beschloß, "die angrenzenden Staaten" zum Beitritt aufzufordern und ihnen zugleich die politische Bedeutung dieses rein deutschen Bundes ans Herz zu legen. Der werdende Verein war nicht gradezu gegen Preußen gerichtet; er wurde in Berlin mit ge- lassener Ruhe angesehen. Freilich ging aus dem Wortlaut jener Verab- redung wie aus dem ganzen Verhalten der Bundesgenossen unzweifelhaft hervor, daß an Preußens Beitritt nicht entfernt gedacht wurde. Man hoffte Macht gegen Macht mit Preußen über Handelserleichterungen zu verhandeln und wollte im Nothfall selbst Retorsionen gegen die preußischen Zölle anwenden. Der Verein sollte den Kern des "reinen Deutschlands" bilden, "ein immer engeres gegenseitiges Anschließen in allen politischen Beziehungen zur unmittelbaren heilsamen Folge haben", wie das bairische Cabinet nach Stuttgart schrieb.*)
Indeß die angrenzenden Staaten hatten längst verlernt auf einen süddeutschen Verein zu hoffen, und sie fürchteten Baierns Führung. Am 15. Mai 1827 besprachen sich Berstett und du Thil nochmals in Heidel- berg; gleich darauf sendeten die drei oberrheinischen Höfe ablehnende Ant- worten nach München. Berstett erwiderte schroff, Baden wolle nicht eine künstliche Industrie durch Schutzzölle groß ziehen. Der Nassauer Hof ließ in Stuttgart seine Verwunderung aussprechen, wie nur Württem- berg ein solches "Mercantilsystem" annehmen und einem größeren Hofe sich unterwerfen könne.**) Hessen-Darmstadt aber, außer Stande sein drücken- des und doch unergiebiges Mauthwesen länger zu halten, verfeindet mit Kurhessen, voll Mißtrauens gegen die süddeutschen Nachbarn, richtete end- lich bestimmte Anträge nach Berlin. Dergestalt haben jene Münchener Verhandlungen die entscheidende Wendung in der Geschichte deutscher Han- delspolitik herbeigeführt -- einen heilsamen Umschwung, den weder König Ludwig noch König Wilhelm beabsichtigte.
Minister du Thil, der jetzt die Finanzen und die auswärtigen Angelegen- heiten seines Großherzogthums zugleich leitete, befand sich, wie er selbst
*) Bairisches Ministerialschreiben v. 22. März 1827.
**) Berichte Maltzan's, 23. Mai, Blittersdorff's, 11. Mai 1827.
Verſtändigung zwiſchen Baiern und Württemberg.
einen Brief an ſeinen erlauchten Nachbarn, ſchlug ihm vor, die abge- brochenen Verhandlungen wieder aufzunehmen und zunächſt einen bairiſch- württembergiſchen Verein zu ſtiften. König Ludwig ging darauf ein. Da die beiden Staaten ſchon in Darmſtadt und Stuttgart zuſammengehalten hatten und ihre Zollgeſetze nur geringe Unterſchiede aufwieſen, ſo nahmen die im folgenden Monat zu München begonnenen Verhandlungen günſtigen, wenngleich ſehr langſamen Fortgang. Am 12. April 1827 wurde ein Präli- minarvertrag unterzeichnet. Man beſchloß, „die angrenzenden Staaten“ zum Beitritt aufzufordern und ihnen zugleich die politiſche Bedeutung dieſes rein deutſchen Bundes ans Herz zu legen. Der werdende Verein war nicht gradezu gegen Preußen gerichtet; er wurde in Berlin mit ge- laſſener Ruhe angeſehen. Freilich ging aus dem Wortlaut jener Verab- redung wie aus dem ganzen Verhalten der Bundesgenoſſen unzweifelhaft hervor, daß an Preußens Beitritt nicht entfernt gedacht wurde. Man hoffte Macht gegen Macht mit Preußen über Handelserleichterungen zu verhandeln und wollte im Nothfall ſelbſt Retorſionen gegen die preußiſchen Zölle anwenden. Der Verein ſollte den Kern des „reinen Deutſchlands“ bilden, „ein immer engeres gegenſeitiges Anſchließen in allen politiſchen Beziehungen zur unmittelbaren heilſamen Folge haben“, wie das bairiſche Cabinet nach Stuttgart ſchrieb.*)
Indeß die angrenzenden Staaten hatten längſt verlernt auf einen ſüddeutſchen Verein zu hoffen, und ſie fürchteten Baierns Führung. Am 15. Mai 1827 beſprachen ſich Berſtett und du Thil nochmals in Heidel- berg; gleich darauf ſendeten die drei oberrheiniſchen Höfe ablehnende Ant- worten nach München. Berſtett erwiderte ſchroff, Baden wolle nicht eine künſtliche Induſtrie durch Schutzzölle groß ziehen. Der Naſſauer Hof ließ in Stuttgart ſeine Verwunderung ausſprechen, wie nur Württem- berg ein ſolches „Mercantilſyſtem“ annehmen und einem größeren Hofe ſich unterwerfen könne.**) Heſſen-Darmſtadt aber, außer Stande ſein drücken- des und doch unergiebiges Mauthweſen länger zu halten, verfeindet mit Kurheſſen, voll Mißtrauens gegen die ſüddeutſchen Nachbarn, richtete end- lich beſtimmte Anträge nach Berlin. Dergeſtalt haben jene Münchener Verhandlungen die entſcheidende Wendung in der Geſchichte deutſcher Han- delspolitik herbeigeführt — einen heilſamen Umſchwung, den weder König Ludwig noch König Wilhelm beabſichtigte.
Miniſter du Thil, der jetzt die Finanzen und die auswärtigen Angelegen- heiten ſeines Großherzogthums zugleich leitete, befand ſich, wie er ſelbſt
*) Bairiſches Miniſterialſchreiben v. 22. März 1827.
**) Berichte Maltzan’s, 23. Mai, Blittersdorff’s, 11. Mai 1827.
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Verſtändigung zwiſchen Baiern und Württemberg.
einen Brief an ſeinen erlauchten Nachbarn, ſchlug ihm vor, die abge-
brochenen Verhandlungen wieder aufzunehmen und zunächſt einen bairiſch-
württembergiſchen Verein zu ſtiften. König Ludwig ging darauf ein. Da
die beiden Staaten ſchon in Darmſtadt und Stuttgart zuſammengehalten
hatten und ihre Zollgeſetze nur geringe Unterſchiede aufwieſen, ſo nahmen
die im folgenden Monat zu München begonnenen Verhandlungen günſtigen,
wenngleich ſehr langſamen Fortgang. Am 12. April 1827 wurde ein Präli-
minarvertrag unterzeichnet. Man beſchloß, „die angrenzenden Staaten“
zum Beitritt aufzufordern und ihnen zugleich die politiſche Bedeutung
dieſes rein deutſchen Bundes ans Herz zu legen. Der werdende Verein
war nicht gradezu gegen Preußen gerichtet; er wurde in Berlin mit ge-
laſſener Ruhe angeſehen. Freilich ging aus dem Wortlaut jener Verab-
redung wie aus dem ganzen Verhalten der Bundesgenoſſen unzweifelhaft
hervor, daß an Preußens Beitritt nicht entfernt gedacht wurde. Man
hoffte Macht gegen Macht mit Preußen über Handelserleichterungen zu
verhandeln und wollte im Nothfall ſelbſt Retorſionen gegen die preußiſchen
Zölle anwenden. Der Verein ſollte den Kern des „reinen Deutſchlands“
bilden, „ein immer engeres gegenſeitiges Anſchließen in allen politiſchen
Beziehungen zur unmittelbaren heilſamen Folge haben“, wie das bairiſche
Cabinet nach Stuttgart ſchrieb. *)
Indeß die angrenzenden Staaten hatten längſt verlernt auf einen
ſüddeutſchen Verein zu hoffen, und ſie fürchteten Baierns Führung. Am
15. Mai 1827 beſprachen ſich Berſtett und du Thil nochmals in Heidel-
berg; gleich darauf ſendeten die drei oberrheiniſchen Höfe ablehnende Ant-
worten nach München. Berſtett erwiderte ſchroff, Baden wolle nicht eine
künſtliche Induſtrie durch Schutzzölle groß ziehen. Der Naſſauer Hof
ließ in Stuttgart ſeine Verwunderung ausſprechen, wie nur Württem-
berg ein ſolches „Mercantilſyſtem“ annehmen und einem größeren Hofe ſich
unterwerfen könne. **) Heſſen-Darmſtadt aber, außer Stande ſein drücken-
des und doch unergiebiges Mauthweſen länger zu halten, verfeindet mit
Kurheſſen, voll Mißtrauens gegen die ſüddeutſchen Nachbarn, richtete end-
lich beſtimmte Anträge nach Berlin. Dergeſtalt haben jene Münchener
Verhandlungen die entſcheidende Wendung in der Geſchichte deutſcher Han-
delspolitik herbeigeführt — einen heilſamen Umſchwung, den weder König
Ludwig noch König Wilhelm beabſichtigte.
Miniſter du Thil, der jetzt die Finanzen und die auswärtigen Angelegen-
heiten ſeines Großherzogthums zugleich leitete, befand ſich, wie er ſelbſt
*) Bairiſches Miniſterialſchreiben v. 22. März 1827.
**) Berichte Maltzan’s, 23. Mai, Blittersdorff’s, 11. Mai 1827.
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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 3: Bis zur Juli-Revolution. Leipzig, 1885, S. 629. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte03_1885/645>, abgerufen am 16.07.2024.
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