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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 3: Bis zur Juli-Revolution. Leipzig, 1885.

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III. 1. Die Wiener Conferenzen.
Bedarf auf dem nächsten Wege zu beziehen. Dazwischen hinein fuhr
der Köthener Herzog, dessen anmaßendes Benehmen Bernstorff nicht grell
genug schildern konnte, mit wiederholten geharnischten Verwahrungen.*)
Er klagte, man lasse ihn alle Lasten des preußischen Zollwesens tragen,
nicht die Vortheile, während es doch lediglich an ihm lag, auf Preußens
Anerbietungen einzugehen und auch der Vortheile theilhaftig zu werden. Er
drohte die auswärtigen Garanten der Bundesakte anzurufen zum Schutze
der "über allem Angriff erhabenen Sache" des uralten Hauses Anhalt.
Schließlich verweigerte er geradezu der Schlußakte seine Unterschrift, wenn
ihm der Bund nicht die "freie Communikation mit Europa" sicherstelle: "so
lange die Herzöge von Anhalt sich in einer drückenden unfreiwilligen Zins-
barkeit gegen einen mächtigen Nachbarstaat befinden, kann für dieses alte
Fürstenhaus keine Bundesakte und also auch keine Schlußakte existiren."

Inmitten dieses Gezänks bewahrte Graf Bernstorff vornehme Ruhe
und aufrichtigen Freimuth. Er beklagte laut, daß die Bundesakte durch
ihre allgemeinen Versprechungen unerfüllbare Erwartungen geweckt habe.
Fest und stolz wies der preußische Minister jede ehrenrührige Zumuthung
zurück: von der Aufhebung des neuen Gesetzes könne gar nicht die Rede
sein. Zugleich wiederholte er unermüdlich in immer neuen Umschreibungen
die in der Staatszeitung veröffentlichten Gedanken. Es sei "unmöglich,
eine solche Einigung anders als durch allmähliche Vorbereitung und die
mühsamste Ausgleichung streitender Interessen bewirkt zu sehen". Nur
Verträge zwischen den Einzelstaaten könnten dem wirthschaftlichen Elend
steuern. "Geschieht dieses im Süden wie im Norden von Deutschland,
und werden diese Versuche unter der Mitwirkung und Pflege des Bundes
gemacht, so läßt es sich wohl denken, daß man auf diesem freilich lang-
samen, aber vielleicht einzig möglichen Wege dahin gelangen werde, die
jetzt bestehenden Scheidewände aus dem Wege zu räumen und in Be-
ziehung auf Handel und Verkehr diejenige Einheit der Gesetzgebung
und Verwaltung hervorzubringen, welche ein Verein neben einander be-
stehender freier und besonderer Staaten, wie ihn der Deutsche Bund bil-
det, irgend zulassen kann." Auf die Schmähungen des Kötheners bemerkte
er trocken, daß in Dresden bereits seit mehreren Monaten eine Conferenz
der Elbuferstaaten tage; dort allein sei der Ort, die Frage der freien Elb-
schifffahrt zum Austrage zu bringen.

Wahrlich, ein historischer Augenblick! Der große Kampf zweier Jahr-
hunderte, der alte unversöhnliche Gegensatz österreichischer und preußisch-deut-
scher Politik erneuerte sich in diesen unscheinbaren Händeln, noch ohne daß
die Kämpfer den tiefen Sinn des Streites begriffen. Wem sollte sich hier
nicht die Erinnerung aufdrängen an den Frankfurter Fürstentag von
1863? Dort das Haus Oesterreich mit der dichten Schaar der Enthu-
siasten und der Partikularisten, jubelnder Beifall der liberalen Welt, tö-

*) Bernstorff's Berichte, 22. April, 7. Mai 1820.

III. 1. Die Wiener Conferenzen.
Bedarf auf dem nächſten Wege zu beziehen. Dazwiſchen hinein fuhr
der Köthener Herzog, deſſen anmaßendes Benehmen Bernſtorff nicht grell
genug ſchildern konnte, mit wiederholten geharniſchten Verwahrungen.*)
Er klagte, man laſſe ihn alle Laſten des preußiſchen Zollweſens tragen,
nicht die Vortheile, während es doch lediglich an ihm lag, auf Preußens
Anerbietungen einzugehen und auch der Vortheile theilhaftig zu werden. Er
drohte die auswärtigen Garanten der Bundesakte anzurufen zum Schutze
der „über allem Angriff erhabenen Sache“ des uralten Hauſes Anhalt.
Schließlich verweigerte er geradezu der Schlußakte ſeine Unterſchrift, wenn
ihm der Bund nicht die „freie Communikation mit Europa“ ſicherſtelle: „ſo
lange die Herzöge von Anhalt ſich in einer drückenden unfreiwilligen Zins-
barkeit gegen einen mächtigen Nachbarſtaat befinden, kann für dieſes alte
Fürſtenhaus keine Bundesakte und alſo auch keine Schlußakte exiſtiren.“

Inmitten dieſes Gezänks bewahrte Graf Bernſtorff vornehme Ruhe
und aufrichtigen Freimuth. Er beklagte laut, daß die Bundesakte durch
ihre allgemeinen Verſprechungen unerfüllbare Erwartungen geweckt habe.
Feſt und ſtolz wies der preußiſche Miniſter jede ehrenrührige Zumuthung
zurück: von der Aufhebung des neuen Geſetzes könne gar nicht die Rede
ſein. Zugleich wiederholte er unermüdlich in immer neuen Umſchreibungen
die in der Staatszeitung veröffentlichten Gedanken. Es ſei „unmöglich,
eine ſolche Einigung anders als durch allmähliche Vorbereitung und die
mühſamſte Ausgleichung ſtreitender Intereſſen bewirkt zu ſehen“. Nur
Verträge zwiſchen den Einzelſtaaten könnten dem wirthſchaftlichen Elend
ſteuern. „Geſchieht dieſes im Süden wie im Norden von Deutſchland,
und werden dieſe Verſuche unter der Mitwirkung und Pflege des Bundes
gemacht, ſo läßt es ſich wohl denken, daß man auf dieſem freilich lang-
ſamen, aber vielleicht einzig möglichen Wege dahin gelangen werde, die
jetzt beſtehenden Scheidewände aus dem Wege zu räumen und in Be-
ziehung auf Handel und Verkehr diejenige Einheit der Geſetzgebung
und Verwaltung hervorzubringen, welche ein Verein neben einander be-
ſtehender freier und beſonderer Staaten, wie ihn der Deutſche Bund bil-
det, irgend zulaſſen kann.“ Auf die Schmähungen des Kötheners bemerkte
er trocken, daß in Dresden bereits ſeit mehreren Monaten eine Conferenz
der Elbuferſtaaten tage; dort allein ſei der Ort, die Frage der freien Elb-
ſchifffahrt zum Austrage zu bringen.

Wahrlich, ein hiſtoriſcher Augenblick! Der große Kampf zweier Jahr-
hunderte, der alte unverſöhnliche Gegenſatz öſterreichiſcher und preußiſch-deut-
ſcher Politik erneuerte ſich in dieſen unſcheinbaren Händeln, noch ohne daß
die Kämpfer den tiefen Sinn des Streites begriffen. Wem ſollte ſich hier
nicht die Erinnerung aufdrängen an den Frankfurter Fürſtentag von
1863? Dort das Haus Oeſterreich mit der dichten Schaar der Enthu-
ſiaſten und der Partikulariſten, jubelnder Beifall der liberalen Welt, tö-

*) Bernſtorff’s Berichte, 22. April, 7. Mai 1820.
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[36/0052] III. 1. Die Wiener Conferenzen. Bedarf auf dem nächſten Wege zu beziehen. Dazwiſchen hinein fuhr der Köthener Herzog, deſſen anmaßendes Benehmen Bernſtorff nicht grell genug ſchildern konnte, mit wiederholten geharniſchten Verwahrungen. *) Er klagte, man laſſe ihn alle Laſten des preußiſchen Zollweſens tragen, nicht die Vortheile, während es doch lediglich an ihm lag, auf Preußens Anerbietungen einzugehen und auch der Vortheile theilhaftig zu werden. Er drohte die auswärtigen Garanten der Bundesakte anzurufen zum Schutze der „über allem Angriff erhabenen Sache“ des uralten Hauſes Anhalt. Schließlich verweigerte er geradezu der Schlußakte ſeine Unterſchrift, wenn ihm der Bund nicht die „freie Communikation mit Europa“ ſicherſtelle: „ſo lange die Herzöge von Anhalt ſich in einer drückenden unfreiwilligen Zins- barkeit gegen einen mächtigen Nachbarſtaat befinden, kann für dieſes alte Fürſtenhaus keine Bundesakte und alſo auch keine Schlußakte exiſtiren.“ Inmitten dieſes Gezänks bewahrte Graf Bernſtorff vornehme Ruhe und aufrichtigen Freimuth. Er beklagte laut, daß die Bundesakte durch ihre allgemeinen Verſprechungen unerfüllbare Erwartungen geweckt habe. Feſt und ſtolz wies der preußiſche Miniſter jede ehrenrührige Zumuthung zurück: von der Aufhebung des neuen Geſetzes könne gar nicht die Rede ſein. Zugleich wiederholte er unermüdlich in immer neuen Umſchreibungen die in der Staatszeitung veröffentlichten Gedanken. Es ſei „unmöglich, eine ſolche Einigung anders als durch allmähliche Vorbereitung und die mühſamſte Ausgleichung ſtreitender Intereſſen bewirkt zu ſehen“. Nur Verträge zwiſchen den Einzelſtaaten könnten dem wirthſchaftlichen Elend ſteuern. „Geſchieht dieſes im Süden wie im Norden von Deutſchland, und werden dieſe Verſuche unter der Mitwirkung und Pflege des Bundes gemacht, ſo läßt es ſich wohl denken, daß man auf dieſem freilich lang- ſamen, aber vielleicht einzig möglichen Wege dahin gelangen werde, die jetzt beſtehenden Scheidewände aus dem Wege zu räumen und in Be- ziehung auf Handel und Verkehr diejenige Einheit der Geſetzgebung und Verwaltung hervorzubringen, welche ein Verein neben einander be- ſtehender freier und beſonderer Staaten, wie ihn der Deutſche Bund bil- det, irgend zulaſſen kann.“ Auf die Schmähungen des Kötheners bemerkte er trocken, daß in Dresden bereits ſeit mehreren Monaten eine Conferenz der Elbuferſtaaten tage; dort allein ſei der Ort, die Frage der freien Elb- ſchifffahrt zum Austrage zu bringen. Wahrlich, ein hiſtoriſcher Augenblick! Der große Kampf zweier Jahr- hunderte, der alte unverſöhnliche Gegenſatz öſterreichiſcher und preußiſch-deut- ſcher Politik erneuerte ſich in dieſen unſcheinbaren Händeln, noch ohne daß die Kämpfer den tiefen Sinn des Streites begriffen. Wem ſollte ſich hier nicht die Erinnerung aufdrängen an den Frankfurter Fürſtentag von 1863? Dort das Haus Oeſterreich mit der dichten Schaar der Enthu- ſiaſten und der Partikulariſten, jubelnder Beifall der liberalen Welt, tö- *) Bernſtorff’s Berichte, 22. April, 7. Mai 1820.

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Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 3: Bis zur Juli-Revolution. Leipzig, 1885, S. 36. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte03_1885/52>, abgerufen am 06.05.2024.