lichen Agitator versicherte, seine Regierung werde gern das Wohl des deutschen Vaterlandes fördern, da wähnte er sich schon fast am Ziele: "Aller Augen sind nunmehr auf die kaiserlich österreichische Regierung ge- richtet. Wie würde sich nicht Oesterreichs edelmüthiger menschenfreund- licher Kaiser die Völker deutscher Zunge aufs Neue verbinden, wenn ihnen so große Wohlthat von seinen Händen käme!" Als auch diese Täuschung schwand, warf er seine Hoffnungen auf die süddeutschen Höfe und meinte, seine Sache habe durch die Verzögerung nur gewonnen.*) So klammerte sich der edle Patriot an jeden Strohhalm; nur das preußische Zollgesetz, das dereinst der Eckstein unserer wirthschaftlichen Einheit werden sollte, erschien ihm, wie fast der gesammten Nation, als der Quell des Verderbens.
In der Conferenz eröffnete Marschall den Kampf durch eine Denk- schrift vom 8. Januar, welche den preußischen Staat mit so grobem Un- glimpf überhäufte, daß Berstorff sie dem Verfasser zurückgab. Durch die neuen Zolleinrichtungen, hieß es da, würden die Eigenthumsrechte von Hunderttausenden angegriffen, das Eigenthum und der Besitz vermindert. Dann forderte der Nassauer getrost: Aufhebung aller seit dem Jahre 1814 neu eingeführten Mauthen und sofortige Vollziehung der Beschlüsse des Wiener Congresses über die Flußschifffahrt; im Uebrigen volle Frei- heit für jeden deutschen Staat, die Zölle gegen das Ausland willkürlich festzusetzen, wenn er nur keine Binnenmauthen errichte. Daß der letz- tere Vorschlag einen plumpen Widerspruch enthielt, daß kein Einzelstaat sich gegen das Ausland schützen konnte, wenn seine deutschen Binnen- grenzen unbewacht blieben -- diese handgreifliche Wahrheit war dem nassauischen Staatsmanne ganz entgangen; er sprach wie der Blinde von den Farben, da sein Ländchen gar keine Grenzzölle besaß.
Dann wiederholte Berstett seine alten Klagen gegen die Binnen- mauthen und vertheilte unter den Genossen jene gedankenreiche Denk- schrift von Nebenius über die Bundeszölle; bei ruhiger Prüfung mußten jedoch Alle die Unmöglichkeit einer Bundeszollverwaltung zugestehen, und der badische Minister selbst ließ den Plan seines geistvollen Untergebenen fallen.**) Darauf neue wüthende Ausfälle Marschall's, so grob und un- geschlacht, daß Bernstorff beim Schluß der Conferenzen dem Bundes- gesandten schrieb: "es würde unter der Würde unseres höchsten Hofes sein, diesem in keiner Hinsicht achtungswerthen Manne irgend eine gegen seine Person gerichtete Empfindlichkeit zu äußern," Goltz möge sich also dem nassauischen Collegen gleichgiltig fern halten. Nunmehr protestirte auch Fritsch im Namen der Thüringer wider Preußens Enclavensystem und verlangte, jedem Producenten müsse gestattet werden, seine Erzeug- nisse überall in Deutschland frei abzusetzen, jedem Consumenten, seinen
lichen Agitator verſicherte, ſeine Regierung werde gern das Wohl des deutſchen Vaterlandes fördern, da wähnte er ſich ſchon faſt am Ziele: „Aller Augen ſind nunmehr auf die kaiſerlich öſterreichiſche Regierung ge- richtet. Wie würde ſich nicht Oeſterreichs edelmüthiger menſchenfreund- licher Kaiſer die Völker deutſcher Zunge aufs Neue verbinden, wenn ihnen ſo große Wohlthat von ſeinen Händen käme!“ Als auch dieſe Täuſchung ſchwand, warf er ſeine Hoffnungen auf die ſüddeutſchen Höfe und meinte, ſeine Sache habe durch die Verzögerung nur gewonnen.*) So klammerte ſich der edle Patriot an jeden Strohhalm; nur das preußiſche Zollgeſetz, das dereinſt der Eckſtein unſerer wirthſchaftlichen Einheit werden ſollte, erſchien ihm, wie faſt der geſammten Nation, als der Quell des Verderbens.
In der Conferenz eröffnete Marſchall den Kampf durch eine Denk- ſchrift vom 8. Januar, welche den preußiſchen Staat mit ſo grobem Un- glimpf überhäufte, daß Berſtorff ſie dem Verfaſſer zurückgab. Durch die neuen Zolleinrichtungen, hieß es da, würden die Eigenthumsrechte von Hunderttauſenden angegriffen, das Eigenthum und der Beſitz vermindert. Dann forderte der Naſſauer getroſt: Aufhebung aller ſeit dem Jahre 1814 neu eingeführten Mauthen und ſofortige Vollziehung der Beſchlüſſe des Wiener Congreſſes über die Flußſchifffahrt; im Uebrigen volle Frei- heit für jeden deutſchen Staat, die Zölle gegen das Ausland willkürlich feſtzuſetzen, wenn er nur keine Binnenmauthen errichte. Daß der letz- tere Vorſchlag einen plumpen Widerſpruch enthielt, daß kein Einzelſtaat ſich gegen das Ausland ſchützen konnte, wenn ſeine deutſchen Binnen- grenzen unbewacht blieben — dieſe handgreifliche Wahrheit war dem naſſauiſchen Staatsmanne ganz entgangen; er ſprach wie der Blinde von den Farben, da ſein Ländchen gar keine Grenzzölle beſaß.
Dann wiederholte Berſtett ſeine alten Klagen gegen die Binnen- mauthen und vertheilte unter den Genoſſen jene gedankenreiche Denk- ſchrift von Nebenius über die Bundeszölle; bei ruhiger Prüfung mußten jedoch Alle die Unmöglichkeit einer Bundeszollverwaltung zugeſtehen, und der badiſche Miniſter ſelbſt ließ den Plan ſeines geiſtvollen Untergebenen fallen.**) Darauf neue wüthende Ausfälle Marſchall’s, ſo grob und un- geſchlacht, daß Bernſtorff beim Schluß der Conferenzen dem Bundes- geſandten ſchrieb: „es würde unter der Würde unſeres höchſten Hofes ſein, dieſem in keiner Hinſicht achtungswerthen Manne irgend eine gegen ſeine Perſon gerichtete Empfindlichkeit zu äußern,“ Goltz möge ſich alſo dem naſſauiſchen Collegen gleichgiltig fern halten. Nunmehr proteſtirte auch Fritſch im Namen der Thüringer wider Preußens Enclavenſyſtem und verlangte, jedem Producenten müſſe geſtattet werden, ſeine Erzeug- niſſe überall in Deutſchland frei abzuſetzen, jedem Conſumenten, ſeinen
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F. Liſt in Wien.
lichen Agitator verſicherte, ſeine Regierung werde gern das Wohl des
deutſchen Vaterlandes fördern, da wähnte er ſich ſchon faſt am Ziele:
„Aller Augen ſind nunmehr auf die kaiſerlich öſterreichiſche Regierung ge-
richtet. Wie würde ſich nicht Oeſterreichs edelmüthiger menſchenfreund-
licher Kaiſer die Völker deutſcher Zunge aufs Neue verbinden, wenn ihnen
ſo große Wohlthat von ſeinen Händen käme!“ Als auch dieſe Täuſchung
ſchwand, warf er ſeine Hoffnungen auf die ſüddeutſchen Höfe und meinte,
ſeine Sache habe durch die Verzögerung nur gewonnen. *) So klammerte
ſich der edle Patriot an jeden Strohhalm; nur das preußiſche Zollgeſetz,
das dereinſt der Eckſtein unſerer wirthſchaftlichen Einheit werden ſollte,
erſchien ihm, wie faſt der geſammten Nation, als der Quell des Verderbens.
In der Conferenz eröffnete Marſchall den Kampf durch eine Denk-
ſchrift vom 8. Januar, welche den preußiſchen Staat mit ſo grobem Un-
glimpf überhäufte, daß Berſtorff ſie dem Verfaſſer zurückgab. Durch die
neuen Zolleinrichtungen, hieß es da, würden die Eigenthumsrechte von
Hunderttauſenden angegriffen, das Eigenthum und der Beſitz vermindert.
Dann forderte der Naſſauer getroſt: Aufhebung aller ſeit dem Jahre
1814 neu eingeführten Mauthen und ſofortige Vollziehung der Beſchlüſſe
des Wiener Congreſſes über die Flußſchifffahrt; im Uebrigen volle Frei-
heit für jeden deutſchen Staat, die Zölle gegen das Ausland willkürlich
feſtzuſetzen, wenn er nur keine Binnenmauthen errichte. Daß der letz-
tere Vorſchlag einen plumpen Widerſpruch enthielt, daß kein Einzelſtaat
ſich gegen das Ausland ſchützen konnte, wenn ſeine deutſchen Binnen-
grenzen unbewacht blieben — dieſe handgreifliche Wahrheit war dem
naſſauiſchen Staatsmanne ganz entgangen; er ſprach wie der Blinde
von den Farben, da ſein Ländchen gar keine Grenzzölle beſaß.
Dann wiederholte Berſtett ſeine alten Klagen gegen die Binnen-
mauthen und vertheilte unter den Genoſſen jene gedankenreiche Denk-
ſchrift von Nebenius über die Bundeszölle; bei ruhiger Prüfung mußten
jedoch Alle die Unmöglichkeit einer Bundeszollverwaltung zugeſtehen, und
der badiſche Miniſter ſelbſt ließ den Plan ſeines geiſtvollen Untergebenen
fallen. **) Darauf neue wüthende Ausfälle Marſchall’s, ſo grob und un-
geſchlacht, daß Bernſtorff beim Schluß der Conferenzen dem Bundes-
geſandten ſchrieb: „es würde unter der Würde unſeres höchſten Hofes
ſein, dieſem in keiner Hinſicht achtungswerthen Manne irgend eine gegen
ſeine Perſon gerichtete Empfindlichkeit zu äußern,“ Goltz möge ſich alſo
dem naſſauiſchen Collegen gleichgiltig fern halten. Nunmehr proteſtirte
auch Fritſch im Namen der Thüringer wider Preußens Enclavenſyſtem
und verlangte, jedem Producenten müſſe geſtattet werden, ſeine Erzeug-
niſſe überall in Deutſchland frei abzuſetzen, jedem Conſumenten, ſeinen
*) Liſt an ſeine Gattin, 15. März 1820.
**) Bernſtorff’s Berichte, 16. Jan.,
6. Febr. 1820.
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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 3: Bis zur Juli-Revolution. Leipzig, 1885, S. 35. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte03_1885/51>, abgerufen am 24.11.2024.
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