III. 6. Preußische Zustände nach Hardenberg's Tod.
er auch in den alten Krummstabslanden der Erzdiöcese eingeführt werden dürfe, darüber gab das Breve keine Vorschrift. Die schwierige Frage blieb ungelöst, und da sie irgendwie gelöst werden mußte, so stand ein verhängniß- volles kirchenpolitisches Zerwürfniß fast unvermeidlich bevor. --
Altenstein fuhr indessen fort, die katholische Kirche mit rücksichtsvoller Schonung zu behandeln. Noch niemals hatte Preußens Krone das Recht des Placet so nachsichtig gehandhabt. Die älteren noch an die gestrenge fridericianische Kirchenpolitik gewöhnten Beamten konnten sich in diese Zart- heit gar nicht finden. Als einer von Altenstein's obersten Räthen, Becken- dorff zur römischen Kirche übertrat, erhob sich sofort das Gerücht, der Minister sei in der Hand der Papisten, und es verstummte auch nicht als der Convertit unverzüglich entlassen wurde. Schön, der überall clericale Umtriebe witterte, wagte sogar seinen alten Freund, den treuen Prote- stanten Nicolovius zu beschuldigen, auch er sei insgeheim katholisch ge- worden, und erregte dadurch einen langen gehässigen Zwist, den der König durch einen scharfen Verweis an den leidenschaftlichen Oberpräsi- denten beendigte.*)
Freilich kam das Wohlwollen des Ministers zumeist den Bischöfen zu gute. Denn nach seiner territorialistischen Ansicht war der Staat ver- pflichtet, jede Kirche nach dem Geiste ihrer eigenen Verfassung zu regieren, mithin die katholischen Priester ebenso zum Gehorsam gegen ihre Bischöfe anzuhalten, wie die evangelischen Geistlichen zur Unterwerfung unter die oberstbischöfliche Gewalt des Königs. Und wie die protestantische Geistlichkeit in diesen Tagen des Agendestreites durch die nachdrücklichen Vermahnungen des landesherrlichen Kirchenregiments bedrängt wurde, so hatte auch der niedere Clerus der katholischen Kirche Schlesiens unter dem Bevormundungseifer des Ministers zu leiden. In Schlesien begann sich die ultramontane Partei mit Macht zu regen, seit der Fürstbischof Schimonsky, ein noch im alten Germanicum erzogener strenger Clericaler, den Hirtenstab führte. Wie wurde der Breslauer Jurist Regenbrecht miß- handelt und angeschwärzt, weil er in einer Dissertation über den Ursprung des Kirchenregiments den Satz erwies, daß Christus der Kirche eine Form für ihre Verfassung nicht vorgeschrieben habe -- eine Wahrheit, welche der protestantischen Welt schon seit dreihundert Jahren geläufig war. Der Mainzer Katholik und die gesammte clericale Presse riefen Wehe, und er- schreckt durch dies Geschrei meinte Gentz, es sei unglaublich, was man der preußischen Regierung auf ihren Kathedern heute Alles bieten dürfe. Selbst der ehrwürdige Domherr Dereser, ein alter Kämpe des gemäßigten Katho- licismus, galt schon für verdächtig, sein weitverbreitetes Deutsches Brevier
*) Altenstein's Bericht an den König, 18. Mai; Cabinetsordre an Altenstein, 11. Juni; Altenstein an Lottum, 16. Juli; Lottum an Albrecht, 23. Juli 1827. Die übrigen Aktenstücke in Schön's Papieren, V. 156 f.
III. 6. Preußiſche Zuſtände nach Hardenberg’s Tod.
er auch in den alten Krummſtabslanden der Erzdiöceſe eingeführt werden dürfe, darüber gab das Breve keine Vorſchrift. Die ſchwierige Frage blieb ungelöſt, und da ſie irgendwie gelöſt werden mußte, ſo ſtand ein verhängniß- volles kirchenpolitiſches Zerwürfniß faſt unvermeidlich bevor. —
Altenſtein fuhr indeſſen fort, die katholiſche Kirche mit rückſichtsvoller Schonung zu behandeln. Noch niemals hatte Preußens Krone das Recht des Placet ſo nachſichtig gehandhabt. Die älteren noch an die geſtrenge fridericianiſche Kirchenpolitik gewöhnten Beamten konnten ſich in dieſe Zart- heit gar nicht finden. Als einer von Altenſtein’s oberſten Räthen, Becken- dorff zur römiſchen Kirche übertrat, erhob ſich ſofort das Gerücht, der Miniſter ſei in der Hand der Papiſten, und es verſtummte auch nicht als der Convertit unverzüglich entlaſſen wurde. Schön, der überall clericale Umtriebe witterte, wagte ſogar ſeinen alten Freund, den treuen Prote- ſtanten Nicolovius zu beſchuldigen, auch er ſei insgeheim katholiſch ge- worden, und erregte dadurch einen langen gehäſſigen Zwiſt, den der König durch einen ſcharfen Verweis an den leidenſchaftlichen Oberpräſi- denten beendigte.*)
Freilich kam das Wohlwollen des Miniſters zumeiſt den Biſchöfen zu gute. Denn nach ſeiner territorialiſtiſchen Anſicht war der Staat ver- pflichtet, jede Kirche nach dem Geiſte ihrer eigenen Verfaſſung zu regieren, mithin die katholiſchen Prieſter ebenſo zum Gehorſam gegen ihre Biſchöfe anzuhalten, wie die evangeliſchen Geiſtlichen zur Unterwerfung unter die oberſtbiſchöfliche Gewalt des Königs. Und wie die proteſtantiſche Geiſtlichkeit in dieſen Tagen des Agendeſtreites durch die nachdrücklichen Vermahnungen des landesherrlichen Kirchenregiments bedrängt wurde, ſo hatte auch der niedere Clerus der katholiſchen Kirche Schleſiens unter dem Bevormundungseifer des Miniſters zu leiden. In Schleſien begann ſich die ultramontane Partei mit Macht zu regen, ſeit der Fürſtbiſchof Schimonsky, ein noch im alten Germanicum erzogener ſtrenger Clericaler, den Hirtenſtab führte. Wie wurde der Breslauer Juriſt Regenbrecht miß- handelt und angeſchwärzt, weil er in einer Diſſertation über den Urſprung des Kirchenregiments den Satz erwies, daß Chriſtus der Kirche eine Form für ihre Verfaſſung nicht vorgeſchrieben habe — eine Wahrheit, welche der proteſtantiſchen Welt ſchon ſeit dreihundert Jahren geläufig war. Der Mainzer Katholik und die geſammte clericale Preſſe riefen Wehe, und er- ſchreckt durch dies Geſchrei meinte Gentz, es ſei unglaublich, was man der preußiſchen Regierung auf ihren Kathedern heute Alles bieten dürfe. Selbſt der ehrwürdige Domherr Dereſer, ein alter Kämpe des gemäßigten Katho- licismus, galt ſchon für verdächtig, ſein weitverbreitetes Deutſches Brevier
*) Altenſtein’s Bericht an den König, 18. Mai; Cabinetsordre an Altenſtein, 11. Juni; Altenſtein an Lottum, 16. Juli; Lottum an Albrecht, 23. Juli 1827. Die übrigen Aktenſtücke in Schön’s Papieren, V. 156 f.
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III. 6. Preußiſche Zuſtände nach Hardenberg’s Tod.
er auch in den alten Krummſtabslanden der Erzdiöceſe eingeführt werden
dürfe, darüber gab das Breve keine Vorſchrift. Die ſchwierige Frage blieb
ungelöſt, und da ſie irgendwie gelöſt werden mußte, ſo ſtand ein verhängniß-
volles kirchenpolitiſches Zerwürfniß faſt unvermeidlich bevor. —
Altenſtein fuhr indeſſen fort, die katholiſche Kirche mit rückſichtsvoller
Schonung zu behandeln. Noch niemals hatte Preußens Krone das Recht
des Placet ſo nachſichtig gehandhabt. Die älteren noch an die geſtrenge
fridericianiſche Kirchenpolitik gewöhnten Beamten konnten ſich in dieſe Zart-
heit gar nicht finden. Als einer von Altenſtein’s oberſten Räthen, Becken-
dorff zur römiſchen Kirche übertrat, erhob ſich ſofort das Gerücht, der
Miniſter ſei in der Hand der Papiſten, und es verſtummte auch nicht als
der Convertit unverzüglich entlaſſen wurde. Schön, der überall clericale
Umtriebe witterte, wagte ſogar ſeinen alten Freund, den treuen Prote-
ſtanten Nicolovius zu beſchuldigen, auch er ſei insgeheim katholiſch ge-
worden, und erregte dadurch einen langen gehäſſigen Zwiſt, den der
König durch einen ſcharfen Verweis an den leidenſchaftlichen Oberpräſi-
denten beendigte. *)
Freilich kam das Wohlwollen des Miniſters zumeiſt den Biſchöfen
zu gute. Denn nach ſeiner territorialiſtiſchen Anſicht war der Staat ver-
pflichtet, jede Kirche nach dem Geiſte ihrer eigenen Verfaſſung zu regieren,
mithin die katholiſchen Prieſter ebenſo zum Gehorſam gegen ihre Biſchöfe
anzuhalten, wie die evangeliſchen Geiſtlichen zur Unterwerfung unter
die oberſtbiſchöfliche Gewalt des Königs. Und wie die proteſtantiſche
Geiſtlichkeit in dieſen Tagen des Agendeſtreites durch die nachdrücklichen
Vermahnungen des landesherrlichen Kirchenregiments bedrängt wurde,
ſo hatte auch der niedere Clerus der katholiſchen Kirche Schleſiens unter
dem Bevormundungseifer des Miniſters zu leiden. In Schleſien begann
ſich die ultramontane Partei mit Macht zu regen, ſeit der Fürſtbiſchof
Schimonsky, ein noch im alten Germanicum erzogener ſtrenger Clericaler,
den Hirtenſtab führte. Wie wurde der Breslauer Juriſt Regenbrecht miß-
handelt und angeſchwärzt, weil er in einer Diſſertation über den Urſprung
des Kirchenregiments den Satz erwies, daß Chriſtus der Kirche eine Form
für ihre Verfaſſung nicht vorgeſchrieben habe — eine Wahrheit, welche
der proteſtantiſchen Welt ſchon ſeit dreihundert Jahren geläufig war. Der
Mainzer Katholik und die geſammte clericale Preſſe riefen Wehe, und er-
ſchreckt durch dies Geſchrei meinte Gentz, es ſei unglaublich, was man der
preußiſchen Regierung auf ihren Kathedern heute Alles bieten dürfe. Selbſt
der ehrwürdige Domherr Dereſer, ein alter Kämpe des gemäßigten Katho-
licismus, galt ſchon für verdächtig, ſein weitverbreitetes Deutſches Brevier
*) Altenſtein’s Bericht an den König, 18. Mai; Cabinetsordre an Altenſtein,
11. Juni; Altenſtein an Lottum, 16. Juli; Lottum an Albrecht, 23. Juli 1827. Die
übrigen Aktenſtücke in Schön’s Papieren, V. 156 f.
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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 3: Bis zur Juli-Revolution. Leipzig, 1885, S. 416. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte03_1885/432>, abgerufen am 24.11.2024.
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