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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 3: Bis zur Juli-Revolution. Leipzig, 1885.

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A. Theiner und der schlesische Clerus.
für ein Lehrbuch des Unglaubens; und er hatte doch einst in Straßburg
während der Revolution seine priesterliche Treue mit Gefahr seines Lebens
bewährt.

Welches Aufsehen vollends, als ein Schüler Dereser's, der junge
Theolog Anton Theiner alle die unklaren reformatorischen Gedanken,
welche im schlesischen Clerus seit Langem gährten, öffentlich auszusprechen
wagte. In seiner Schrift über die katholische Kirche Schlesiens (1826)
kündigte Theiner den Ultramontanen, "die von Mainz aus das bleierne
Scepter der Superstition über Deutschland schwingen", offene Fehde an;
er verlangte Aufhebung des Cölibats, Einführung der deutschen Messe
und des Gemeindegesanges und meinte harmlos, das Alles lasse sich er-
reichen ohne die Einheit der katholischen Kirche zu gefährden. Das phra-
senreiche, weder durch neue Gedanken noch durch religiösen Ernst ausge-
zeichnete Buch rief eine Unzahl von Streitschriften hervor, die allesammt
vorsichtig außerhalb des Machtbereiches der preußischen Censur erschienen.
Um dieselbe Zeit wurde dem württembergischen und dem badischen Land-
tage in mehreren Petitionen die Abschaffung des Cölibats empfohlen, doch
weder die Landstände noch die Regierungen wollten darauf eingehen, da
die Masse des katholischen Volkes der Bewegung fern blieb. Auch die
Schlesier versuchten die Staatsgewalt für ihre Reformgedanken zu ge-
winnen; elf Geistliche und einige Grundbesitzer baten den König um Besse-
rung der Kirchenzucht und des Cultus, vor Allem um die Zulassung der
Muttersprache.

Der Fürstbischof fuhr sogleich mit Vermahnungen und Strafen da-
zwischen. Altenstein aber ertheilte den Bittstellern eine scharfe Zurecht-
weisung, weil er die Disciplin in der Kirche aufrecht erhalten wollte und
nebenbei auch demagogische Umtriebe befürchtete. Erst als der Oberprä-
sident Merckel sich der verfolgten Geistlichen annahm und Bunsen, dies-
mal mit Erfolg, als Vermittler auftrat, da erst entschloß sich die Regie-
rung zu einem milderen Verfahren. Der König untersagte dem Fürst-
bischof die verhängten Strafen zu vollstrecken, aber auch der Opposition
legte der Minister Stillschweigen auf, denn die Einführung deutschen
Gottesdienstes berühre das Allerheiligste der Kirche, das Meßopfer, und
sei demnach unzulässig ohne Genehmigung der kirchlichen Oberen. Also
ward der Friede nothdürftig hergestellt; jedoch das Feuer glimmte unter
der Asche fort. Diese geringfügigen schlesischen Kirchenhändel ließen einen
Groll zurück, der zwanzig Jahre später, in der ungleich radikaleren deutsch-
katholischen Bewegung sich entladen sollte. Dem wohlmeinenden Minister
zürnten beide Parteien. Nicht ohne Grund; denn das erstarkende kirch-
liche Selbstgefühl konnte nicht mehr dulden, daß dieser Cultusminister sich
berechtigt hielt, bald evangelische Geistliche über den Geist der lutherischen
Agende, bald katholische Priester über das Meßopfer amtlich zu belehren.
Das alte System des landesherrlichen Kirchenregiments hatte sich über-

Treitschke, Deutsche Geschichte. III. 27

A. Theiner und der ſchleſiſche Clerus.
für ein Lehrbuch des Unglaubens; und er hatte doch einſt in Straßburg
während der Revolution ſeine prieſterliche Treue mit Gefahr ſeines Lebens
bewährt.

Welches Aufſehen vollends, als ein Schüler Dereſer’s, der junge
Theolog Anton Theiner alle die unklaren reformatoriſchen Gedanken,
welche im ſchleſiſchen Clerus ſeit Langem gährten, öffentlich auszuſprechen
wagte. In ſeiner Schrift über die katholiſche Kirche Schleſiens (1826)
kündigte Theiner den Ultramontanen, „die von Mainz aus das bleierne
Scepter der Superſtition über Deutſchland ſchwingen“, offene Fehde an;
er verlangte Aufhebung des Cölibats, Einführung der deutſchen Meſſe
und des Gemeindegeſanges und meinte harmlos, das Alles laſſe ſich er-
reichen ohne die Einheit der katholiſchen Kirche zu gefährden. Das phra-
ſenreiche, weder durch neue Gedanken noch durch religiöſen Ernſt ausge-
zeichnete Buch rief eine Unzahl von Streitſchriften hervor, die alleſammt
vorſichtig außerhalb des Machtbereiches der preußiſchen Cenſur erſchienen.
Um dieſelbe Zeit wurde dem württembergiſchen und dem badiſchen Land-
tage in mehreren Petitionen die Abſchaffung des Cölibats empfohlen, doch
weder die Landſtände noch die Regierungen wollten darauf eingehen, da
die Maſſe des katholiſchen Volkes der Bewegung fern blieb. Auch die
Schleſier verſuchten die Staatsgewalt für ihre Reformgedanken zu ge-
winnen; elf Geiſtliche und einige Grundbeſitzer baten den König um Beſſe-
rung der Kirchenzucht und des Cultus, vor Allem um die Zulaſſung der
Mutterſprache.

Der Fürſtbiſchof fuhr ſogleich mit Vermahnungen und Strafen da-
zwiſchen. Altenſtein aber ertheilte den Bittſtellern eine ſcharfe Zurecht-
weiſung, weil er die Disciplin in der Kirche aufrecht erhalten wollte und
nebenbei auch demagogiſche Umtriebe befürchtete. Erſt als der Oberprä-
ſident Merckel ſich der verfolgten Geiſtlichen annahm und Bunſen, dies-
mal mit Erfolg, als Vermittler auftrat, da erſt entſchloß ſich die Regie-
rung zu einem milderen Verfahren. Der König unterſagte dem Fürſt-
biſchof die verhängten Strafen zu vollſtrecken, aber auch der Oppoſition
legte der Miniſter Stillſchweigen auf, denn die Einführung deutſchen
Gottesdienſtes berühre das Allerheiligſte der Kirche, das Meßopfer, und
ſei demnach unzuläſſig ohne Genehmigung der kirchlichen Oberen. Alſo
ward der Friede nothdürftig hergeſtellt; jedoch das Feuer glimmte unter
der Aſche fort. Dieſe geringfügigen ſchleſiſchen Kirchenhändel ließen einen
Groll zurück, der zwanzig Jahre ſpäter, in der ungleich radikaleren deutſch-
katholiſchen Bewegung ſich entladen ſollte. Dem wohlmeinenden Miniſter
zürnten beide Parteien. Nicht ohne Grund; denn das erſtarkende kirch-
liche Selbſtgefühl konnte nicht mehr dulden, daß dieſer Cultusminiſter ſich
berechtigt hielt, bald evangeliſche Geiſtliche über den Geiſt der lutheriſchen
Agende, bald katholiſche Prieſter über das Meßopfer amtlich zu belehren.
Das alte Syſtem des landesherrlichen Kirchenregiments hatte ſich über-

Treitſchke, Deutſche Geſchichte. III. 27
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[417/0433] A. Theiner und der ſchleſiſche Clerus. für ein Lehrbuch des Unglaubens; und er hatte doch einſt in Straßburg während der Revolution ſeine prieſterliche Treue mit Gefahr ſeines Lebens bewährt. Welches Aufſehen vollends, als ein Schüler Dereſer’s, der junge Theolog Anton Theiner alle die unklaren reformatoriſchen Gedanken, welche im ſchleſiſchen Clerus ſeit Langem gährten, öffentlich auszuſprechen wagte. In ſeiner Schrift über die katholiſche Kirche Schleſiens (1826) kündigte Theiner den Ultramontanen, „die von Mainz aus das bleierne Scepter der Superſtition über Deutſchland ſchwingen“, offene Fehde an; er verlangte Aufhebung des Cölibats, Einführung der deutſchen Meſſe und des Gemeindegeſanges und meinte harmlos, das Alles laſſe ſich er- reichen ohne die Einheit der katholiſchen Kirche zu gefährden. Das phra- ſenreiche, weder durch neue Gedanken noch durch religiöſen Ernſt ausge- zeichnete Buch rief eine Unzahl von Streitſchriften hervor, die alleſammt vorſichtig außerhalb des Machtbereiches der preußiſchen Cenſur erſchienen. Um dieſelbe Zeit wurde dem württembergiſchen und dem badiſchen Land- tage in mehreren Petitionen die Abſchaffung des Cölibats empfohlen, doch weder die Landſtände noch die Regierungen wollten darauf eingehen, da die Maſſe des katholiſchen Volkes der Bewegung fern blieb. Auch die Schleſier verſuchten die Staatsgewalt für ihre Reformgedanken zu ge- winnen; elf Geiſtliche und einige Grundbeſitzer baten den König um Beſſe- rung der Kirchenzucht und des Cultus, vor Allem um die Zulaſſung der Mutterſprache. Der Fürſtbiſchof fuhr ſogleich mit Vermahnungen und Strafen da- zwiſchen. Altenſtein aber ertheilte den Bittſtellern eine ſcharfe Zurecht- weiſung, weil er die Disciplin in der Kirche aufrecht erhalten wollte und nebenbei auch demagogiſche Umtriebe befürchtete. Erſt als der Oberprä- ſident Merckel ſich der verfolgten Geiſtlichen annahm und Bunſen, dies- mal mit Erfolg, als Vermittler auftrat, da erſt entſchloß ſich die Regie- rung zu einem milderen Verfahren. Der König unterſagte dem Fürſt- biſchof die verhängten Strafen zu vollſtrecken, aber auch der Oppoſition legte der Miniſter Stillſchweigen auf, denn die Einführung deutſchen Gottesdienſtes berühre das Allerheiligſte der Kirche, das Meßopfer, und ſei demnach unzuläſſig ohne Genehmigung der kirchlichen Oberen. Alſo ward der Friede nothdürftig hergeſtellt; jedoch das Feuer glimmte unter der Aſche fort. Dieſe geringfügigen ſchleſiſchen Kirchenhändel ließen einen Groll zurück, der zwanzig Jahre ſpäter, in der ungleich radikaleren deutſch- katholiſchen Bewegung ſich entladen ſollte. Dem wohlmeinenden Miniſter zürnten beide Parteien. Nicht ohne Grund; denn das erſtarkende kirch- liche Selbſtgefühl konnte nicht mehr dulden, daß dieſer Cultusminiſter ſich berechtigt hielt, bald evangeliſche Geiſtliche über den Geiſt der lutheriſchen Agende, bald katholiſche Prieſter über das Meßopfer amtlich zu belehren. Das alte Syſtem des landesherrlichen Kirchenregiments hatte ſich über- Treitſchke, Deutſche Geſchichte. III. 27

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Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 3: Bis zur Juli-Revolution. Leipzig, 1885, S. 417. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte03_1885/433>, abgerufen am 28.11.2024.