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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 3: Bis zur Juli-Revolution. Leipzig, 1885.

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III. 6. Preußische Zustände nach Hardenberg's Tod.
mochten weder im Volke das kräftige Selbstgefühl eines bewußten Gemein-
sinns zu erwecken, noch die Verwaltung jener beständigen, schonungslosen
öffentlichen Kritik zu unterwerfen, welche in lebenskräftigen Monarchien
die wichtigste und segensreichste Aufgabe des Parlamentarismus bildet, weil
sie den Staat nöthigt alle seine Kräfte rüstig zusammenzunehmen. Ohne
diese Ueberwachung mußte selbst der wohlgeordnete preußische Beamtenstaat,
wie jede unbeschränkte politische Gewalt, schließlich in selbstgenügsame Er-
starrung verfallen. --


Für jetzt schienen solche Gefahren noch in weiter Ferne zu liegen.
Die Masse des Volks war trotz so mancher wirthschaftlichen Nöthe unver-
kennbar zufrieden mit der sorgsamen Verwaltung; sie lebte ihrer Arbeit,
noch fast unberührt von politischen Gedanken, und hing mit kindlicher
Treue an dem königlichen Hause. Allgemein war die Theilnahme, als
der König im Jahre 1824 mit der Gräfin Auguste Harrach, die er zur
Fürstin v. Liegnitz erhob, eine morganatische zweite Ehe einging; seit auch
seine beiden jüngsten Töchter das väterliche Haus verlassen hatten, war ihm
die Einsamkeit seines Wittwerlebens zur Qual geworden. "Nun wird das
Richten angehen," sagte er zum Bischof Eylert, als er ihm den gänzlich
unerwarteten Entschluß mittheilte, und Varnhagen allerdings fand kaum
jemals eine so reiche Ernte für seine Tagebücher einzuheimsen wie in
diesen ersten Tagen, da alle Welt den böhmischen Edelstein in Preußens
Krone bespöttelte. Aber das Gerede der bösen Zungen verstummte, sobald
der König selbst in einer veröffentlichten Urkunde seinem Volke treuherzig
erzählte, wie einfach menschlich Alles zugegangen war. Die junge Fürstin
blieb der Politik ganz fern, sie verstand mit feinem Takte sich in ihrer
schwierigen Stellung unter den stolzen Hohenzollern zu behaupten, und
als sie dann ihren Gemahl nach einem gefährlichen Beinbruch monate-
lang mit aufopfernder Hingebung pflegte, da war Jedermann ihres Lobes
voll; man fühlte, wie die edle Frau dem Vielgeprüften den Abend seines
Lebens verschönte. Damals schloß Friedrich Wilhelm mit dem Leben ab,
auf dem Krankenlager schrieb er sein Testament; jeden Tag der dreizehn
Jahre, die ihm noch beschieden wurden, nahm er demüthig hin wie eine be-
sondere Gnade Gottes. Der Mißmuth, der ihm vordem so oft die Tage
verdorben, war von ihm gewichen; in der stillen Heiterkeit seines frommen
Alters erschien er noch gütiger als sonst, freilich auch schwer zugänglich
für neue Gedanken. Einige Zeit nach der Vermählung trat die Fürstin
v. Liegnitz zur evangelischen Kirche über und erfüllte damit einen Herzens-
wunsch ihres Gemahls, der auf die Dauer in einer gemischten Ehe sein
Glück nicht hätte finden können; er betrachtete sich als Haupt und Schirm-
herrn des deutschen Protestantismus und hielt für Fürstenpflicht, der pro-

III. 6. Preußiſche Zuſtände nach Hardenberg’s Tod.
mochten weder im Volke das kräftige Selbſtgefühl eines bewußten Gemein-
ſinns zu erwecken, noch die Verwaltung jener beſtändigen, ſchonungsloſen
öffentlichen Kritik zu unterwerfen, welche in lebenskräftigen Monarchien
die wichtigſte und ſegensreichſte Aufgabe des Parlamentarismus bildet, weil
ſie den Staat nöthigt alle ſeine Kräfte rüſtig zuſammenzunehmen. Ohne
dieſe Ueberwachung mußte ſelbſt der wohlgeordnete preußiſche Beamtenſtaat,
wie jede unbeſchränkte politiſche Gewalt, ſchließlich in ſelbſtgenügſame Er-
ſtarrung verfallen. —


Für jetzt ſchienen ſolche Gefahren noch in weiter Ferne zu liegen.
Die Maſſe des Volks war trotz ſo mancher wirthſchaftlichen Nöthe unver-
kennbar zufrieden mit der ſorgſamen Verwaltung; ſie lebte ihrer Arbeit,
noch faſt unberührt von politiſchen Gedanken, und hing mit kindlicher
Treue an dem königlichen Hauſe. Allgemein war die Theilnahme, als
der König im Jahre 1824 mit der Gräfin Auguſte Harrach, die er zur
Fürſtin v. Liegnitz erhob, eine morganatiſche zweite Ehe einging; ſeit auch
ſeine beiden jüngſten Töchter das väterliche Haus verlaſſen hatten, war ihm
die Einſamkeit ſeines Wittwerlebens zur Qual geworden. „Nun wird das
Richten angehen,“ ſagte er zum Biſchof Eylert, als er ihm den gänzlich
unerwarteten Entſchluß mittheilte, und Varnhagen allerdings fand kaum
jemals eine ſo reiche Ernte für ſeine Tagebücher einzuheimſen wie in
dieſen erſten Tagen, da alle Welt den böhmiſchen Edelſtein in Preußens
Krone beſpöttelte. Aber das Gerede der böſen Zungen verſtummte, ſobald
der König ſelbſt in einer veröffentlichten Urkunde ſeinem Volke treuherzig
erzählte, wie einfach menſchlich Alles zugegangen war. Die junge Fürſtin
blieb der Politik ganz fern, ſie verſtand mit feinem Takte ſich in ihrer
ſchwierigen Stellung unter den ſtolzen Hohenzollern zu behaupten, und
als ſie dann ihren Gemahl nach einem gefährlichen Beinbruch monate-
lang mit aufopfernder Hingebung pflegte, da war Jedermann ihres Lobes
voll; man fühlte, wie die edle Frau dem Vielgeprüften den Abend ſeines
Lebens verſchönte. Damals ſchloß Friedrich Wilhelm mit dem Leben ab,
auf dem Krankenlager ſchrieb er ſein Teſtament; jeden Tag der dreizehn
Jahre, die ihm noch beſchieden wurden, nahm er demüthig hin wie eine be-
ſondere Gnade Gottes. Der Mißmuth, der ihm vordem ſo oft die Tage
verdorben, war von ihm gewichen; in der ſtillen Heiterkeit ſeines frommen
Alters erſchien er noch gütiger als ſonſt, freilich auch ſchwer zugänglich
für neue Gedanken. Einige Zeit nach der Vermählung trat die Fürſtin
v. Liegnitz zur evangeliſchen Kirche über und erfüllte damit einen Herzens-
wunſch ihres Gemahls, der auf die Dauer in einer gemiſchten Ehe ſein
Glück nicht hätte finden können; er betrachtete ſich als Haupt und Schirm-
herrn des deutſchen Proteſtantismus und hielt für Fürſtenpflicht, der pro-

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[390/0406] III. 6. Preußiſche Zuſtände nach Hardenberg’s Tod. mochten weder im Volke das kräftige Selbſtgefühl eines bewußten Gemein- ſinns zu erwecken, noch die Verwaltung jener beſtändigen, ſchonungsloſen öffentlichen Kritik zu unterwerfen, welche in lebenskräftigen Monarchien die wichtigſte und ſegensreichſte Aufgabe des Parlamentarismus bildet, weil ſie den Staat nöthigt alle ſeine Kräfte rüſtig zuſammenzunehmen. Ohne dieſe Ueberwachung mußte ſelbſt der wohlgeordnete preußiſche Beamtenſtaat, wie jede unbeſchränkte politiſche Gewalt, ſchließlich in ſelbſtgenügſame Er- ſtarrung verfallen. — Für jetzt ſchienen ſolche Gefahren noch in weiter Ferne zu liegen. Die Maſſe des Volks war trotz ſo mancher wirthſchaftlichen Nöthe unver- kennbar zufrieden mit der ſorgſamen Verwaltung; ſie lebte ihrer Arbeit, noch faſt unberührt von politiſchen Gedanken, und hing mit kindlicher Treue an dem königlichen Hauſe. Allgemein war die Theilnahme, als der König im Jahre 1824 mit der Gräfin Auguſte Harrach, die er zur Fürſtin v. Liegnitz erhob, eine morganatiſche zweite Ehe einging; ſeit auch ſeine beiden jüngſten Töchter das väterliche Haus verlaſſen hatten, war ihm die Einſamkeit ſeines Wittwerlebens zur Qual geworden. „Nun wird das Richten angehen,“ ſagte er zum Biſchof Eylert, als er ihm den gänzlich unerwarteten Entſchluß mittheilte, und Varnhagen allerdings fand kaum jemals eine ſo reiche Ernte für ſeine Tagebücher einzuheimſen wie in dieſen erſten Tagen, da alle Welt den böhmiſchen Edelſtein in Preußens Krone beſpöttelte. Aber das Gerede der böſen Zungen verſtummte, ſobald der König ſelbſt in einer veröffentlichten Urkunde ſeinem Volke treuherzig erzählte, wie einfach menſchlich Alles zugegangen war. Die junge Fürſtin blieb der Politik ganz fern, ſie verſtand mit feinem Takte ſich in ihrer ſchwierigen Stellung unter den ſtolzen Hohenzollern zu behaupten, und als ſie dann ihren Gemahl nach einem gefährlichen Beinbruch monate- lang mit aufopfernder Hingebung pflegte, da war Jedermann ihres Lobes voll; man fühlte, wie die edle Frau dem Vielgeprüften den Abend ſeines Lebens verſchönte. Damals ſchloß Friedrich Wilhelm mit dem Leben ab, auf dem Krankenlager ſchrieb er ſein Teſtament; jeden Tag der dreizehn Jahre, die ihm noch beſchieden wurden, nahm er demüthig hin wie eine be- ſondere Gnade Gottes. Der Mißmuth, der ihm vordem ſo oft die Tage verdorben, war von ihm gewichen; in der ſtillen Heiterkeit ſeines frommen Alters erſchien er noch gütiger als ſonſt, freilich auch ſchwer zugänglich für neue Gedanken. Einige Zeit nach der Vermählung trat die Fürſtin v. Liegnitz zur evangeliſchen Kirche über und erfüllte damit einen Herzens- wunſch ihres Gemahls, der auf die Dauer in einer gemiſchten Ehe ſein Glück nicht hätte finden können; er betrachtete ſich als Haupt und Schirm- herrn des deutſchen Proteſtantismus und hielt für Fürſtenpflicht, der pro-

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Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 3: Bis zur Juli-Revolution. Leipzig, 1885, S. 390. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte03_1885/406>, abgerufen am 24.11.2024.