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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 3: Bis zur Juli-Revolution. Leipzig, 1885.

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Sinkende Macht des Staatsraths.
(8. März 1827). Er schilderte das unfreundliche Verhältniß zwischen den
beiden obersten Behörden und verlangte, keine von beiden dürfe ein Ueber-
gewicht erlangen; dann wies er nach, daß im letzten Jahre von dreißig
neuen Gesetzen nur vier durch den Staatsrath gegangen seien, und schloß:
"Wird diesen Uebeln nicht abgeholfen, so existirt der Staatsrath nur dem
Namen nach, und dann wäre es besser ihn gänzlich aufzuheben."*)

Welche Zumuthung an den Monarchen! Wie konnte er den Staat
fest und sicher leiten, wenn seine Regierung durch die so weit aus ein-
ander strebenden Rathschläge von acht Landtagen beengt wurde und zu-
gleich durch die Opposition eines Staatsraths, der den Anspruch erhob, alle
Gesetzentwürfe zu prüfen, dem Ministerium das Gleichgewicht zu halten?
Friedrich Wilhelm hatte den Streit seiner höchsten Räthe schon längst mit
Unmuth betrachtet und eben deshalb seinem Schwager den erbetenen Sitz
im Ministerrathe so entschieden verweigert, weil er verhindern wollte, daß
der Zweispalt auch noch in das Ministerium selber eindränge. Nun be-
schloß er ein Ende zu machen und ließ dem Herzog durch Graf Lottum
eröffnen: er behalte sich selber vor, nach freiem Ermessen zu bestimmen,
welche Gesetze dem Staatsrathe zur Berathung überwiesen werden sollten.**)
Damit wurde dem Staatsrathe die Wirksamkeit, die ihm die Verordnung
von 1817 zugewiesen, erheblich beschränkt: er hatte nicht mehr über alle
neuen Gesetzentwürfe zu berathen, sondern konnte fortan nach dem Be-
lieben des Königs auch unbefragt bleiben. Die Aenderung lag unbestreit-
bar in den Befugnissen der absoluten Krone, nur geschah sie leider in
anfechtbarer Form, durch einfachen mündlichen Befehl. Allen unerwartet,
aber ganz unvermeidlich ergab sich also aus der Berufung der Provinzial-
stände das sinkende Ansehen des Staatsraths. Er wurde zwar nicht, wie
Herzog Karl befürchtete, zu einem leeren Namen, seine Verhandlungen
blieben auch noch in den dreißiger Jahren gehaltreich und fruchtbar; doch
der Höhepunkt seiner Macht war überschritten, ein abschüssiger Weg war
betreten, der schließlich in der constitutionellen Epoche dahin führte, daß
die einst so einflußreiche Behörde ihre Thätigkeit fast ganz einstellte.

Von allen diesen Händeln ward im Volke wenig ruchbar. Nur wer
den Geschäften näher stand, mußte einsehen, daß die preußische Krone
durch ihre altdeutschen Stände kaum weniger belästigt wurde als die
süddeutschen Höfe durch ihre modernen Volksvertretungen. Die Provin-
zialstände brachten der Monarchie manche Plagen des constitutionellen
Systems, aber keinen seiner Vortheile. Sie brachten ihr ein gut Theil
von dem Unfrieden, den Reibungen und Verzögerungen, die mit jeder
Form der Repräsentation unzertrennlich verbunden sind, doch sie ver-

*) Herzog Karl v. M., Denkschrift über den Staatsrath, 8. März; Schreiben an
Herzog Karl: von Friese 19. Febr., von Müffling 19. März, von Kamptz 7. Oct. 1827.
**) Lottum an Herzog Karl, 28. Oct. 1827.

Sinkende Macht des Staatsraths.
(8. März 1827). Er ſchilderte das unfreundliche Verhältniß zwiſchen den
beiden oberſten Behörden und verlangte, keine von beiden dürfe ein Ueber-
gewicht erlangen; dann wies er nach, daß im letzten Jahre von dreißig
neuen Geſetzen nur vier durch den Staatsrath gegangen ſeien, und ſchloß:
„Wird dieſen Uebeln nicht abgeholfen, ſo exiſtirt der Staatsrath nur dem
Namen nach, und dann wäre es beſſer ihn gänzlich aufzuheben.“*)

Welche Zumuthung an den Monarchen! Wie konnte er den Staat
feſt und ſicher leiten, wenn ſeine Regierung durch die ſo weit aus ein-
ander ſtrebenden Rathſchläge von acht Landtagen beengt wurde und zu-
gleich durch die Oppoſition eines Staatsraths, der den Anſpruch erhob, alle
Geſetzentwürfe zu prüfen, dem Miniſterium das Gleichgewicht zu halten?
Friedrich Wilhelm hatte den Streit ſeiner höchſten Räthe ſchon längſt mit
Unmuth betrachtet und eben deshalb ſeinem Schwager den erbetenen Sitz
im Miniſterrathe ſo entſchieden verweigert, weil er verhindern wollte, daß
der Zweiſpalt auch noch in das Miniſterium ſelber eindränge. Nun be-
ſchloß er ein Ende zu machen und ließ dem Herzog durch Graf Lottum
eröffnen: er behalte ſich ſelber vor, nach freiem Ermeſſen zu beſtimmen,
welche Geſetze dem Staatsrathe zur Berathung überwieſen werden ſollten.**)
Damit wurde dem Staatsrathe die Wirkſamkeit, die ihm die Verordnung
von 1817 zugewieſen, erheblich beſchränkt: er hatte nicht mehr über alle
neuen Geſetzentwürfe zu berathen, ſondern konnte fortan nach dem Be-
lieben des Königs auch unbefragt bleiben. Die Aenderung lag unbeſtreit-
bar in den Befugniſſen der abſoluten Krone, nur geſchah ſie leider in
anfechtbarer Form, durch einfachen mündlichen Befehl. Allen unerwartet,
aber ganz unvermeidlich ergab ſich alſo aus der Berufung der Provinzial-
ſtände das ſinkende Anſehen des Staatsraths. Er wurde zwar nicht, wie
Herzog Karl befürchtete, zu einem leeren Namen, ſeine Verhandlungen
blieben auch noch in den dreißiger Jahren gehaltreich und fruchtbar; doch
der Höhepunkt ſeiner Macht war überſchritten, ein abſchüſſiger Weg war
betreten, der ſchließlich in der conſtitutionellen Epoche dahin führte, daß
die einſt ſo einflußreiche Behörde ihre Thätigkeit faſt ganz einſtellte.

Von allen dieſen Händeln ward im Volke wenig ruchbar. Nur wer
den Geſchäften näher ſtand, mußte einſehen, daß die preußiſche Krone
durch ihre altdeutſchen Stände kaum weniger beläſtigt wurde als die
ſüddeutſchen Höfe durch ihre modernen Volksvertretungen. Die Provin-
zialſtände brachten der Monarchie manche Plagen des conſtitutionellen
Syſtems, aber keinen ſeiner Vortheile. Sie brachten ihr ein gut Theil
von dem Unfrieden, den Reibungen und Verzögerungen, die mit jeder
Form der Repräſentation unzertrennlich verbunden ſind, doch ſie ver-

*) Herzog Karl v. M., Denkſchrift über den Staatsrath, 8. März; Schreiben an
Herzog Karl: von Frieſe 19. Febr., von Müffling 19. März, von Kamptz 7. Oct. 1827.
**) Lottum an Herzog Karl, 28. Oct. 1827.
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[389/0405] Sinkende Macht des Staatsraths. (8. März 1827). Er ſchilderte das unfreundliche Verhältniß zwiſchen den beiden oberſten Behörden und verlangte, keine von beiden dürfe ein Ueber- gewicht erlangen; dann wies er nach, daß im letzten Jahre von dreißig neuen Geſetzen nur vier durch den Staatsrath gegangen ſeien, und ſchloß: „Wird dieſen Uebeln nicht abgeholfen, ſo exiſtirt der Staatsrath nur dem Namen nach, und dann wäre es beſſer ihn gänzlich aufzuheben.“ *) Welche Zumuthung an den Monarchen! Wie konnte er den Staat feſt und ſicher leiten, wenn ſeine Regierung durch die ſo weit aus ein- ander ſtrebenden Rathſchläge von acht Landtagen beengt wurde und zu- gleich durch die Oppoſition eines Staatsraths, der den Anſpruch erhob, alle Geſetzentwürfe zu prüfen, dem Miniſterium das Gleichgewicht zu halten? Friedrich Wilhelm hatte den Streit ſeiner höchſten Räthe ſchon längſt mit Unmuth betrachtet und eben deshalb ſeinem Schwager den erbetenen Sitz im Miniſterrathe ſo entſchieden verweigert, weil er verhindern wollte, daß der Zweiſpalt auch noch in das Miniſterium ſelber eindränge. Nun be- ſchloß er ein Ende zu machen und ließ dem Herzog durch Graf Lottum eröffnen: er behalte ſich ſelber vor, nach freiem Ermeſſen zu beſtimmen, welche Geſetze dem Staatsrathe zur Berathung überwieſen werden ſollten. **) Damit wurde dem Staatsrathe die Wirkſamkeit, die ihm die Verordnung von 1817 zugewieſen, erheblich beſchränkt: er hatte nicht mehr über alle neuen Geſetzentwürfe zu berathen, ſondern konnte fortan nach dem Be- lieben des Königs auch unbefragt bleiben. Die Aenderung lag unbeſtreit- bar in den Befugniſſen der abſoluten Krone, nur geſchah ſie leider in anfechtbarer Form, durch einfachen mündlichen Befehl. Allen unerwartet, aber ganz unvermeidlich ergab ſich alſo aus der Berufung der Provinzial- ſtände das ſinkende Anſehen des Staatsraths. Er wurde zwar nicht, wie Herzog Karl befürchtete, zu einem leeren Namen, ſeine Verhandlungen blieben auch noch in den dreißiger Jahren gehaltreich und fruchtbar; doch der Höhepunkt ſeiner Macht war überſchritten, ein abſchüſſiger Weg war betreten, der ſchließlich in der conſtitutionellen Epoche dahin führte, daß die einſt ſo einflußreiche Behörde ihre Thätigkeit faſt ganz einſtellte. Von allen dieſen Händeln ward im Volke wenig ruchbar. Nur wer den Geſchäften näher ſtand, mußte einſehen, daß die preußiſche Krone durch ihre altdeutſchen Stände kaum weniger beläſtigt wurde als die ſüddeutſchen Höfe durch ihre modernen Volksvertretungen. Die Provin- zialſtände brachten der Monarchie manche Plagen des conſtitutionellen Syſtems, aber keinen ſeiner Vortheile. Sie brachten ihr ein gut Theil von dem Unfrieden, den Reibungen und Verzögerungen, die mit jeder Form der Repräſentation unzertrennlich verbunden ſind, doch ſie ver- *) Herzog Karl v. M., Denkſchrift über den Staatsrath, 8. März; Schreiben an Herzog Karl: von Frieſe 19. Febr., von Müffling 19. März, von Kamptz 7. Oct. 1827. **) Lottum an Herzog Karl, 28. Oct. 1827.

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Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 3: Bis zur Juli-Revolution. Leipzig, 1885, S. 389. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte03_1885/405>, abgerufen am 28.11.2024.