Berichte ist nur eine durchgreifende und leitende Idee aufzufinden, und diese besteht darin, daß alle späteren Umtriebe und geheimen Verbindun- gen aus jenen hervorgegangen seien, welche gegen die französische Herr- schaft und gegen den Rheinbund gerichtet waren!"*)
So stand es in der That. Der alte Herausgeber der Münchener Alemannia hatte sich nicht entblödet, seine ungebrochene Rheinbundsgesin- nung, seinen Todhaß gegen Preußen und den Befreiungskrieg in dem Com- missionsberichte auszusprechen; er hatte die Denunciationen von Schmalz zugleich benutzt und überboten. Durch seine Arbeit ging, wie Blittersdorff wehklagte, "die schlecht verhüllte Tendenz, Preußen und die Mächte als die Urheber des Geistes zu bezeichnen, den sie später nicht mehr bändigen konnten." Es ist nicht anders, die Erhebung gegen Napoleon wurde hier von Bundeswegen dem preußischen Volke als ein Verbrechen angerechnet. Der erste demagogische "Umtrieb", womit Hörmann's Erzählung begann, war ein Brief Schleiermacher's an Reimer, geschrieben nach der Schlacht von Jena, der mit den Worten schloß: "Eine allgemeine Regeneration ist nothwendig und wird sich aus diesen Begebenheiten entwickeln. Wie, das kann man jetzt noch nicht sehen; aber wir wollen dabei sein und mit angreifen, so- bald der Gang der Dinge uns aufruft oder mit sich fortreißt." Darauf folgten Fichte's Reden an die deutsche Nation, der Tugendbund, Arndt's Katechismus für den deutschen Landwehrmann, alle die patriotischen Ver- eine, die sich in der Zeit der schweren Noth gegen die Franzosen zu- sammengethan. Stein und Gneisenau waren mehrmals als verdächtig erwähnt und fast auf jeder Seite prangte der Name Hardenberg's, des großen Gönners der Verschwörer. Aus diesen Umtrieben gegen die legi- time Herrschaft Napoleon's waren sodann durch natürliche Fortpflanzung die Burschenschaft, die Turnplätze, die Unbedingten, die beiden Mordthaten von 1819 hervorgegangen. Aus späterer Zeit wußte Hörmann nicht viel mehr anzuführen, als einen Jünglingsbund und einen räthselhaften Män- nerbund, über dessen Zwecke sich die Commission mit Wendungen wie "es ist gedenkbar" hinweghelfen mußte.
War der Grundgedanke des Berichts schändlich, beleidigend für die Ehre der Nation, so zeigte die Ausführung im Einzelnen eine gewissenlose Willkür, die sich freilich aus dem seltsamen Zwittercharakter der Mainzer Behörde fast nothwendig ergab. Ein förmlicher Staatsgerichtshof, wie ihn Preußen in Karlsbad vergeblich vorgeschlagen, hätte sich streng an er- wiesene Thatsachen halten müssen. Diese Untersuchungscommission aber meinte sich verpflichtet, "aus einigen tausend, ihrem wahren Sinne nach größtentheils nicht hinlänglich erklärten Papieren, dann aus einigen hun- dert zum Theil noch unvollständigen Vernehmungen die Geschichte eines mehr als zehnjährigen, weniger in bestimmten Thathandlungen als in
*) Blittersdorff an Münch, 25. Nov., 7. Dec., an Berstett, 26. Nov. 1826.
Hauptbericht der Mainzer Commiſſion.
Berichte iſt nur eine durchgreifende und leitende Idee aufzufinden, und dieſe beſteht darin, daß alle ſpäteren Umtriebe und geheimen Verbindun- gen aus jenen hervorgegangen ſeien, welche gegen die franzöſiſche Herr- ſchaft und gegen den Rheinbund gerichtet waren!“*)
So ſtand es in der That. Der alte Herausgeber der Münchener Alemannia hatte ſich nicht entblödet, ſeine ungebrochene Rheinbundsgeſin- nung, ſeinen Todhaß gegen Preußen und den Befreiungskrieg in dem Com- miſſionsberichte auszuſprechen; er hatte die Denunciationen von Schmalz zugleich benutzt und überboten. Durch ſeine Arbeit ging, wie Blittersdorff wehklagte, „die ſchlecht verhüllte Tendenz, Preußen und die Mächte als die Urheber des Geiſtes zu bezeichnen, den ſie ſpäter nicht mehr bändigen konnten.“ Es iſt nicht anders, die Erhebung gegen Napoleon wurde hier von Bundeswegen dem preußiſchen Volke als ein Verbrechen angerechnet. Der erſte demagogiſche „Umtrieb“, womit Hörmann’s Erzählung begann, war ein Brief Schleiermacher’s an Reimer, geſchrieben nach der Schlacht von Jena, der mit den Worten ſchloß: „Eine allgemeine Regeneration iſt nothwendig und wird ſich aus dieſen Begebenheiten entwickeln. Wie, das kann man jetzt noch nicht ſehen; aber wir wollen dabei ſein und mit angreifen, ſo- bald der Gang der Dinge uns aufruft oder mit ſich fortreißt.“ Darauf folgten Fichte’s Reden an die deutſche Nation, der Tugendbund, Arndt’s Katechismus für den deutſchen Landwehrmann, alle die patriotiſchen Ver- eine, die ſich in der Zeit der ſchweren Noth gegen die Franzoſen zu- ſammengethan. Stein und Gneiſenau waren mehrmals als verdächtig erwähnt und faſt auf jeder Seite prangte der Name Hardenberg’s, des großen Gönners der Verſchwörer. Aus dieſen Umtrieben gegen die legi- time Herrſchaft Napoleon’s waren ſodann durch natürliche Fortpflanzung die Burſchenſchaft, die Turnplätze, die Unbedingten, die beiden Mordthaten von 1819 hervorgegangen. Aus ſpäterer Zeit wußte Hörmann nicht viel mehr anzuführen, als einen Jünglingsbund und einen räthſelhaften Män- nerbund, über deſſen Zwecke ſich die Commiſſion mit Wendungen wie „es iſt gedenkbar“ hinweghelfen mußte.
War der Grundgedanke des Berichts ſchändlich, beleidigend für die Ehre der Nation, ſo zeigte die Ausführung im Einzelnen eine gewiſſenloſe Willkür, die ſich freilich aus dem ſeltſamen Zwittercharakter der Mainzer Behörde faſt nothwendig ergab. Ein förmlicher Staatsgerichtshof, wie ihn Preußen in Karlsbad vergeblich vorgeſchlagen, hätte ſich ſtreng an er- wieſene Thatſachen halten müſſen. Dieſe Unterſuchungscommiſſion aber meinte ſich verpflichtet, „aus einigen tauſend, ihrem wahren Sinne nach größtentheils nicht hinlänglich erklärten Papieren, dann aus einigen hun- dert zum Theil noch unvollſtändigen Vernehmungen die Geſchichte eines mehr als zehnjährigen, weniger in beſtimmten Thathandlungen als in
*) Blittersdorff an Münch, 25. Nov., 7. Dec., an Berſtett, 26. Nov. 1826.
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[345/0361]
Hauptbericht der Mainzer Commiſſion.
Berichte iſt nur eine durchgreifende und leitende Idee aufzufinden, und
dieſe beſteht darin, daß alle ſpäteren Umtriebe und geheimen Verbindun-
gen aus jenen hervorgegangen ſeien, welche gegen die franzöſiſche Herr-
ſchaft und gegen den Rheinbund gerichtet waren!“ *)
So ſtand es in der That. Der alte Herausgeber der Münchener
Alemannia hatte ſich nicht entblödet, ſeine ungebrochene Rheinbundsgeſin-
nung, ſeinen Todhaß gegen Preußen und den Befreiungskrieg in dem Com-
miſſionsberichte auszuſprechen; er hatte die Denunciationen von Schmalz
zugleich benutzt und überboten. Durch ſeine Arbeit ging, wie Blittersdorff
wehklagte, „die ſchlecht verhüllte Tendenz, Preußen und die Mächte als
die Urheber des Geiſtes zu bezeichnen, den ſie ſpäter nicht mehr bändigen
konnten.“ Es iſt nicht anders, die Erhebung gegen Napoleon wurde hier von
Bundeswegen dem preußiſchen Volke als ein Verbrechen angerechnet. Der
erſte demagogiſche „Umtrieb“, womit Hörmann’s Erzählung begann, war ein
Brief Schleiermacher’s an Reimer, geſchrieben nach der Schlacht von Jena,
der mit den Worten ſchloß: „Eine allgemeine Regeneration iſt nothwendig
und wird ſich aus dieſen Begebenheiten entwickeln. Wie, das kann man
jetzt noch nicht ſehen; aber wir wollen dabei ſein und mit angreifen, ſo-
bald der Gang der Dinge uns aufruft oder mit ſich fortreißt.“ Darauf
folgten Fichte’s Reden an die deutſche Nation, der Tugendbund, Arndt’s
Katechismus für den deutſchen Landwehrmann, alle die patriotiſchen Ver-
eine, die ſich in der Zeit der ſchweren Noth gegen die Franzoſen zu-
ſammengethan. Stein und Gneiſenau waren mehrmals als verdächtig
erwähnt und faſt auf jeder Seite prangte der Name Hardenberg’s, des
großen Gönners der Verſchwörer. Aus dieſen Umtrieben gegen die legi-
time Herrſchaft Napoleon’s waren ſodann durch natürliche Fortpflanzung
die Burſchenſchaft, die Turnplätze, die Unbedingten, die beiden Mordthaten
von 1819 hervorgegangen. Aus ſpäterer Zeit wußte Hörmann nicht viel
mehr anzuführen, als einen Jünglingsbund und einen räthſelhaften Män-
nerbund, über deſſen Zwecke ſich die Commiſſion mit Wendungen wie „es
iſt gedenkbar“ hinweghelfen mußte.
War der Grundgedanke des Berichts ſchändlich, beleidigend für die
Ehre der Nation, ſo zeigte die Ausführung im Einzelnen eine gewiſſenloſe
Willkür, die ſich freilich aus dem ſeltſamen Zwittercharakter der Mainzer
Behörde faſt nothwendig ergab. Ein förmlicher Staatsgerichtshof, wie ihn
Preußen in Karlsbad vergeblich vorgeſchlagen, hätte ſich ſtreng an er-
wieſene Thatſachen halten müſſen. Dieſe Unterſuchungscommiſſion aber
meinte ſich verpflichtet, „aus einigen tauſend, ihrem wahren Sinne nach
größtentheils nicht hinlänglich erklärten Papieren, dann aus einigen hun-
dert zum Theil noch unvollſtändigen Vernehmungen die Geſchichte eines
mehr als zehnjährigen, weniger in beſtimmten Thathandlungen als in
*) Blittersdorff an Münch, 25. Nov., 7. Dec., an Berſtett, 26. Nov. 1826.
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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 3: Bis zur Juli-Revolution. Leipzig, 1885, S. 345. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte03_1885/361>, abgerufen am 24.11.2024.
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