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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 3: Bis zur Juli-Revolution. Leipzig, 1885.

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III. 5. Die Großmächte und die Trias.
Bevollmächtigte Musset, Marschall's würdiges Werkzeug, hinter dem Rücken
der Collegen seinem Hofe einen geheimen Bericht, der im Verdächtigen und
Verdrehen das Unmögliche leistete. Zum Antritt des Bonner Lehramts
hatte einst Nicolovius seinem Freunde Arndt Gottes Kraft und Segen
gewünscht, "damit die Jugend treu dem Recht und der Wahrheit huldige
und Gottes auserwähltes Rüstzeug werde." Auf Grund dieses Briefes
schrieb der Nassauer schadenfroh: "Nicht Alle hielten also das Treiben der
Studenten für unbedeutend, wofür man es jetzt gern gehalten haben möchte;
sondern es gab auch Männer, die da glaubten, die Jugend könne bei
guter Lehre Gottes auserwähltes Rüstzeug werden!" Ueber das Turnen
bemerkte er ebenso scharfsinnig: "das Gefühl der körperlichen Kraft, das
es verleiht, und der schnellere Umlauf des Blutes während der Uebungen
erweckt natürlich das Verlangen nach einem Gegenstande des Ringens,
und so bereitet das Turnen solchen Ideen eine vollkommene Aufnahme,
deren Verwirklichung eine Anstrengung des Leibes und der Seele er-
fordert."*) Umsonst versuchte der wackere preußische Präsident v. Kaisen-
berg, ruhiger als seine eigene Regierung, die Mainzer Septemvirn einiger-
maßen in den Schranken des Menschenverstandes zu halten. Seine maß-
volle Haltung bewirkte nur, daß der Karlsruher Hof beharrlich über "die
liberalisirende Tendenz" der Mainzer klagte und Metternich in Berlin
-- diesmal ohne Erfolg -- die diplomatische Anfrage stellte, ob nicht "die
Kränklichkeit des gegenwärtigen k. preußischen Bevollmächtigten vielleicht
eine Aenderung in der Person zur Folge haben werde?"**)

Der Baier Hörmann wurde mit der Anfertigung des Hauptberichts
beauftragt, und sein Machwerk fiel so ungeheuerlich aus, daß selbst Blit-
tersdorff in Entsetzen gerieth. Wie hatte sich der Badener gefreut, als
ihm der Bundestag (1826) den ehrenvollen Auftrag ertheilte, aus Hör-
mann's Arbeit einen kurzen, eindringlichen Bericht für das Publicum aus-
zuziehen: die Nation sollte erfahren, an welchem Abgrunde sie gestanden,
vor welchen Feinden die Weisheit des Bundes sie gerettet hatte. Aber
wie ward ihm zu Muthe, als er die Leistung des Septemvirats betrachtete!
"In anderen Ländern -- schrieb er ganz außer sich -- würde man mit
Fingern auf uns deuten, wenn wir nach einer so langen Reihe von
Jahren dem Publicum aufs Neue solche alte Geschichten auftischen wollten.
Läßt sich aus solchen Materialien irgend ein imposanter Bericht entwerfen?
Wie ist dies vollends alsdann möglich, wenn man sich auf einer gewissen
Höhe der Betrachtung halten soll?" Und dann abermals, als er in den
Geist der Mainzer Arbeit noch tiefer eingedrungen war: "In dem ganzen

*) Musset, Bericht über die Arbeiten der Central-Untersuchungscommission, Mainz,
2. Sept. 1820.
**) Berstett-Blittersdorff, Denkschrift über die C. U. Commission, 6. April; Blitters-
dorff's Berichte, 6. Febr., 21. März; Metternich an Hatzfeld, 24. Juni 1825.

III. 5. Die Großmächte und die Trias.
Bevollmächtigte Muſſet, Marſchall’s würdiges Werkzeug, hinter dem Rücken
der Collegen ſeinem Hofe einen geheimen Bericht, der im Verdächtigen und
Verdrehen das Unmögliche leiſtete. Zum Antritt des Bonner Lehramts
hatte einſt Nicolovius ſeinem Freunde Arndt Gottes Kraft und Segen
gewünſcht, „damit die Jugend treu dem Recht und der Wahrheit huldige
und Gottes auserwähltes Rüſtzeug werde.“ Auf Grund dieſes Briefes
ſchrieb der Naſſauer ſchadenfroh: „Nicht Alle hielten alſo das Treiben der
Studenten für unbedeutend, wofür man es jetzt gern gehalten haben möchte;
ſondern es gab auch Männer, die da glaubten, die Jugend könne bei
guter Lehre Gottes auserwähltes Rüſtzeug werden!“ Ueber das Turnen
bemerkte er ebenſo ſcharfſinnig: „das Gefühl der körperlichen Kraft, das
es verleiht, und der ſchnellere Umlauf des Blutes während der Uebungen
erweckt natürlich das Verlangen nach einem Gegenſtande des Ringens,
und ſo bereitet das Turnen ſolchen Ideen eine vollkommene Aufnahme,
deren Verwirklichung eine Anſtrengung des Leibes und der Seele er-
fordert.“*) Umſonſt verſuchte der wackere preußiſche Präſident v. Kaiſen-
berg, ruhiger als ſeine eigene Regierung, die Mainzer Septemvirn einiger-
maßen in den Schranken des Menſchenverſtandes zu halten. Seine maß-
volle Haltung bewirkte nur, daß der Karlsruher Hof beharrlich über „die
liberaliſirende Tendenz“ der Mainzer klagte und Metternich in Berlin
— diesmal ohne Erfolg — die diplomatiſche Anfrage ſtellte, ob nicht „die
Kränklichkeit des gegenwärtigen k. preußiſchen Bevollmächtigten vielleicht
eine Aenderung in der Perſon zur Folge haben werde?“**)

Der Baier Hörmann wurde mit der Anfertigung des Hauptberichts
beauftragt, und ſein Machwerk fiel ſo ungeheuerlich aus, daß ſelbſt Blit-
tersdorff in Entſetzen gerieth. Wie hatte ſich der Badener gefreut, als
ihm der Bundestag (1826) den ehrenvollen Auftrag ertheilte, aus Hör-
mann’s Arbeit einen kurzen, eindringlichen Bericht für das Publicum aus-
zuziehen: die Nation ſollte erfahren, an welchem Abgrunde ſie geſtanden,
vor welchen Feinden die Weisheit des Bundes ſie gerettet hatte. Aber
wie ward ihm zu Muthe, als er die Leiſtung des Septemvirats betrachtete!
„In anderen Ländern — ſchrieb er ganz außer ſich — würde man mit
Fingern auf uns deuten, wenn wir nach einer ſo langen Reihe von
Jahren dem Publicum aufs Neue ſolche alte Geſchichten auftiſchen wollten.
Läßt ſich aus ſolchen Materialien irgend ein impoſanter Bericht entwerfen?
Wie iſt dies vollends alsdann möglich, wenn man ſich auf einer gewiſſen
Höhe der Betrachtung halten ſoll?“ Und dann abermals, als er in den
Geiſt der Mainzer Arbeit noch tiefer eingedrungen war: „In dem ganzen

*) Muſſet, Bericht über die Arbeiten der Central-Unterſuchungscommiſſion, Mainz,
2. Sept. 1820.
**) Berſtett-Blittersdorff, Denkſchrift über die C. U. Commiſſion, 6. April; Blitters-
dorff’s Berichte, 6. Febr., 21. März; Metternich an Hatzfeld, 24. Juni 1825.
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[344/0360] III. 5. Die Großmächte und die Trias. Bevollmächtigte Muſſet, Marſchall’s würdiges Werkzeug, hinter dem Rücken der Collegen ſeinem Hofe einen geheimen Bericht, der im Verdächtigen und Verdrehen das Unmögliche leiſtete. Zum Antritt des Bonner Lehramts hatte einſt Nicolovius ſeinem Freunde Arndt Gottes Kraft und Segen gewünſcht, „damit die Jugend treu dem Recht und der Wahrheit huldige und Gottes auserwähltes Rüſtzeug werde.“ Auf Grund dieſes Briefes ſchrieb der Naſſauer ſchadenfroh: „Nicht Alle hielten alſo das Treiben der Studenten für unbedeutend, wofür man es jetzt gern gehalten haben möchte; ſondern es gab auch Männer, die da glaubten, die Jugend könne bei guter Lehre Gottes auserwähltes Rüſtzeug werden!“ Ueber das Turnen bemerkte er ebenſo ſcharfſinnig: „das Gefühl der körperlichen Kraft, das es verleiht, und der ſchnellere Umlauf des Blutes während der Uebungen erweckt natürlich das Verlangen nach einem Gegenſtande des Ringens, und ſo bereitet das Turnen ſolchen Ideen eine vollkommene Aufnahme, deren Verwirklichung eine Anſtrengung des Leibes und der Seele er- fordert.“ *) Umſonſt verſuchte der wackere preußiſche Präſident v. Kaiſen- berg, ruhiger als ſeine eigene Regierung, die Mainzer Septemvirn einiger- maßen in den Schranken des Menſchenverſtandes zu halten. Seine maß- volle Haltung bewirkte nur, daß der Karlsruher Hof beharrlich über „die liberaliſirende Tendenz“ der Mainzer klagte und Metternich in Berlin — diesmal ohne Erfolg — die diplomatiſche Anfrage ſtellte, ob nicht „die Kränklichkeit des gegenwärtigen k. preußiſchen Bevollmächtigten vielleicht eine Aenderung in der Perſon zur Folge haben werde?“ **) Der Baier Hörmann wurde mit der Anfertigung des Hauptberichts beauftragt, und ſein Machwerk fiel ſo ungeheuerlich aus, daß ſelbſt Blit- tersdorff in Entſetzen gerieth. Wie hatte ſich der Badener gefreut, als ihm der Bundestag (1826) den ehrenvollen Auftrag ertheilte, aus Hör- mann’s Arbeit einen kurzen, eindringlichen Bericht für das Publicum aus- zuziehen: die Nation ſollte erfahren, an welchem Abgrunde ſie geſtanden, vor welchen Feinden die Weisheit des Bundes ſie gerettet hatte. Aber wie ward ihm zu Muthe, als er die Leiſtung des Septemvirats betrachtete! „In anderen Ländern — ſchrieb er ganz außer ſich — würde man mit Fingern auf uns deuten, wenn wir nach einer ſo langen Reihe von Jahren dem Publicum aufs Neue ſolche alte Geſchichten auftiſchen wollten. Läßt ſich aus ſolchen Materialien irgend ein impoſanter Bericht entwerfen? Wie iſt dies vollends alsdann möglich, wenn man ſich auf einer gewiſſen Höhe der Betrachtung halten ſoll?“ Und dann abermals, als er in den Geiſt der Mainzer Arbeit noch tiefer eingedrungen war: „In dem ganzen *) Muſſet, Bericht über die Arbeiten der Central-Unterſuchungscommiſſion, Mainz, 2. Sept. 1820. **) Berſtett-Blittersdorff, Denkſchrift über die C. U. Commiſſion, 6. April; Blitters- dorff’s Berichte, 6. Febr., 21. März; Metternich an Hatzfeld, 24. Juni 1825.

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Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 3: Bis zur Juli-Revolution. Leipzig, 1885, S. 344. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte03_1885/360>, abgerufen am 24.11.2024.