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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 3: Bis zur Juli-Revolution. Leipzig, 1885.

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III. 5. Die Großmächte und die Trias.
reden, daß Lindner und sein Freund Le Bret mit Trott und dem alten
Bonapartisten Malchus ein Württembergisches Comite directeur bildeten,
das wieder mit den Brüdern Murhard und mit Lafayette's französischer
Venta zusammenhänge. In der That stand dieser neue Liberalismus in
scharfem Gegensatz zu der teutonischen Begeisterung der alten Burschen-
schaft; er konnte seinen rheinbündischen Ursprung nicht verleugnen und
schwelgte in französischen Ideen. Es war der Fluch unserer verschrobenen
politischen Verhältnisse, daß in diesem urgermanischen Schwabenlande der
Napoleonscultus verschollener Tage wieder manche Anhänger fand. Lindner
und Le Bret bekannten sich offen als Bonapartisten und errichteten in
ihrem Garten dem Imperator ein Denkmal mit der Inschrift: Au grand
homme. L'Europe le deplore, l'Asie l'adore, l'Afrique le regrette.

So stark war diese Zeitströmung, daß sogar der ganz unpolitische liebens-
würdige Dichter Wilhelm Hauff sich ihr nicht entziehen konnte; seine an-
muthige Novelle "das Bild des Kaisers", die in jenen Tagen entstand,
trieb die Verehrung des Imperators bis zum Götzendienste und behandelte
die preußischen Sieger mit spöttischer Verachtung.

Unterdessen war auf das Manuscript aus Süddeutschland schon ein
zweites ebenso geheimnißvolles Stuttgarter Manifest gefolgt: ein diplo-
matischer Bericht "über die gegenwärtige Lage von Europa" (1822), an-
geblich herausgegeben von Kollmanner, unverkennbar wieder ein Werk
Lindner's. Die Schrift bekämpfte in der alten Weise das "Stabilitäts-
system" der großen Mächte, aber sie gab auch "dem Repräsentativsystem,
unter dessen Schutze die Redekünstler nach Brod gehen" förmlich den
Laufpaß und fertigte "die zahmen, fast seelenlosen Stände" Württembergs,
die Unfruchtbarkeit der übrigen süddeutschen Landtage mit der äußersten
Geringschätzung ab. Nachdem also die beiden entgegengesetzten Systeme
sich vernutzt hätten -- so fuhr der Bericht fort -- müsse das Naturgesetz
wieder in Kraft treten, "welches den höheren Genius zum Regenerator
der Gesellschaft beruft. Männer werden wieder auf dem Schauplatz auf-
treten und verstanden werden;" sie werden die Bundespolitik mit einem
neuen Geiste erfüllen, die Mindermächtigen zum Gefühle ihrer Kraft er-
heben -- und was der orakelhaften Andeutungen mehr war. Bignon, der
schreibselige Anwalt der Rheinbundsfürsten beeilte sich, in einem Buche
"die Kabinette und die Völker" die Welt auf die unermeßliche Bedeutung
dieses Stuttgarter Manifestes aufmerksam zu machen.

Daß König Wilhelm von der neuen Schrift seines literarischen Ver-
trauten nichts gewußt haben sollte, ließ sich schwer glauben; unzweifelhaft
aber war jeder Satz des Berichtes, der nach seiner ganzen Fassung dem
großen Publikum völlig unverständlich bleiben mußte, auf die persönlichen
Leidenschaften des ehrgeizigen Fürsten berechnet. Die diplomatische Welt
sollte vorbereitet werden auf irgend eine rettende That des Stuttgarter
Hofes. Worin diese Großthat eigentlich bestehen würde -- das wußten freilich

III. 5. Die Großmächte und die Trias.
reden, daß Lindner und ſein Freund Le Bret mit Trott und dem alten
Bonapartiſten Malchus ein Württembergiſches Comité directeur bildeten,
das wieder mit den Brüdern Murhard und mit Lafayette’s franzöſiſcher
Venta zuſammenhänge. In der That ſtand dieſer neue Liberalismus in
ſcharfem Gegenſatz zu der teutoniſchen Begeiſterung der alten Burſchen-
ſchaft; er konnte ſeinen rheinbündiſchen Urſprung nicht verleugnen und
ſchwelgte in franzöſiſchen Ideen. Es war der Fluch unſerer verſchrobenen
politiſchen Verhältniſſe, daß in dieſem urgermaniſchen Schwabenlande der
Napoleonscultus verſchollener Tage wieder manche Anhänger fand. Lindner
und Le Bret bekannten ſich offen als Bonapartiſten und errichteten in
ihrem Garten dem Imperator ein Denkmal mit der Inſchrift: Au grand
homme. L’Europe le déplore, l’Asie l’adore, l’Afrique le regrette.

So ſtark war dieſe Zeitſtrömung, daß ſogar der ganz unpolitiſche liebens-
würdige Dichter Wilhelm Hauff ſich ihr nicht entziehen konnte; ſeine an-
muthige Novelle „das Bild des Kaiſers“, die in jenen Tagen entſtand,
trieb die Verehrung des Imperators bis zum Götzendienſte und behandelte
die preußiſchen Sieger mit ſpöttiſcher Verachtung.

Unterdeſſen war auf das Manuſcript aus Süddeutſchland ſchon ein
zweites ebenſo geheimnißvolles Stuttgarter Manifeſt gefolgt: ein diplo-
matiſcher Bericht „über die gegenwärtige Lage von Europa“ (1822), an-
geblich herausgegeben von Kollmanner, unverkennbar wieder ein Werk
Lindner’s. Die Schrift bekämpfte in der alten Weiſe das „Stabilitäts-
ſyſtem“ der großen Mächte, aber ſie gab auch „dem Repräſentativſyſtem,
unter deſſen Schutze die Redekünſtler nach Brod gehen“ förmlich den
Laufpaß und fertigte „die zahmen, faſt ſeelenloſen Stände“ Württembergs,
die Unfruchtbarkeit der übrigen ſüddeutſchen Landtage mit der äußerſten
Geringſchätzung ab. Nachdem alſo die beiden entgegengeſetzten Syſteme
ſich vernutzt hätten — ſo fuhr der Bericht fort — müſſe das Naturgeſetz
wieder in Kraft treten, „welches den höheren Genius zum Regenerator
der Geſellſchaft beruft. Männer werden wieder auf dem Schauplatz auf-
treten und verſtanden werden;“ ſie werden die Bundespolitik mit einem
neuen Geiſte erfüllen, die Mindermächtigen zum Gefühle ihrer Kraft er-
heben — und was der orakelhaften Andeutungen mehr war. Bignon, der
ſchreibſelige Anwalt der Rheinbundsfürſten beeilte ſich, in einem Buche
„die Kabinette und die Völker“ die Welt auf die unermeßliche Bedeutung
dieſes Stuttgarter Manifeſtes aufmerkſam zu machen.

Daß König Wilhelm von der neuen Schrift ſeines literariſchen Ver-
trauten nichts gewußt haben ſollte, ließ ſich ſchwer glauben; unzweifelhaft
aber war jeder Satz des Berichtes, der nach ſeiner ganzen Faſſung dem
großen Publikum völlig unverſtändlich bleiben mußte, auf die perſönlichen
Leidenſchaften des ehrgeizigen Fürſten berechnet. Die diplomatiſche Welt
ſollte vorbereitet werden auf irgend eine rettende That des Stuttgarter
Hofes. Worin dieſe Großthat eigentlich beſtehen würde — das wußten freilich

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[310/0326] III. 5. Die Großmächte und die Trias. reden, daß Lindner und ſein Freund Le Bret mit Trott und dem alten Bonapartiſten Malchus ein Württembergiſches Comité directeur bildeten, das wieder mit den Brüdern Murhard und mit Lafayette’s franzöſiſcher Venta zuſammenhänge. In der That ſtand dieſer neue Liberalismus in ſcharfem Gegenſatz zu der teutoniſchen Begeiſterung der alten Burſchen- ſchaft; er konnte ſeinen rheinbündiſchen Urſprung nicht verleugnen und ſchwelgte in franzöſiſchen Ideen. Es war der Fluch unſerer verſchrobenen politiſchen Verhältniſſe, daß in dieſem urgermaniſchen Schwabenlande der Napoleonscultus verſchollener Tage wieder manche Anhänger fand. Lindner und Le Bret bekannten ſich offen als Bonapartiſten und errichteten in ihrem Garten dem Imperator ein Denkmal mit der Inſchrift: Au grand homme. L’Europe le déplore, l’Asie l’adore, l’Afrique le regrette. So ſtark war dieſe Zeitſtrömung, daß ſogar der ganz unpolitiſche liebens- würdige Dichter Wilhelm Hauff ſich ihr nicht entziehen konnte; ſeine an- muthige Novelle „das Bild des Kaiſers“, die in jenen Tagen entſtand, trieb die Verehrung des Imperators bis zum Götzendienſte und behandelte die preußiſchen Sieger mit ſpöttiſcher Verachtung. Unterdeſſen war auf das Manuſcript aus Süddeutſchland ſchon ein zweites ebenſo geheimnißvolles Stuttgarter Manifeſt gefolgt: ein diplo- matiſcher Bericht „über die gegenwärtige Lage von Europa“ (1822), an- geblich herausgegeben von Kollmanner, unverkennbar wieder ein Werk Lindner’s. Die Schrift bekämpfte in der alten Weiſe das „Stabilitäts- ſyſtem“ der großen Mächte, aber ſie gab auch „dem Repräſentativſyſtem, unter deſſen Schutze die Redekünſtler nach Brod gehen“ förmlich den Laufpaß und fertigte „die zahmen, faſt ſeelenloſen Stände“ Württembergs, die Unfruchtbarkeit der übrigen ſüddeutſchen Landtage mit der äußerſten Geringſchätzung ab. Nachdem alſo die beiden entgegengeſetzten Syſteme ſich vernutzt hätten — ſo fuhr der Bericht fort — müſſe das Naturgeſetz wieder in Kraft treten, „welches den höheren Genius zum Regenerator der Geſellſchaft beruft. Männer werden wieder auf dem Schauplatz auf- treten und verſtanden werden;“ ſie werden die Bundespolitik mit einem neuen Geiſte erfüllen, die Mindermächtigen zum Gefühle ihrer Kraft er- heben — und was der orakelhaften Andeutungen mehr war. Bignon, der ſchreibſelige Anwalt der Rheinbundsfürſten beeilte ſich, in einem Buche „die Kabinette und die Völker“ die Welt auf die unermeßliche Bedeutung dieſes Stuttgarter Manifeſtes aufmerkſam zu machen. Daß König Wilhelm von der neuen Schrift ſeines literariſchen Ver- trauten nichts gewußt haben ſollte, ließ ſich ſchwer glauben; unzweifelhaft aber war jeder Satz des Berichtes, der nach ſeiner ganzen Faſſung dem großen Publikum völlig unverſtändlich bleiben mußte, auf die perſönlichen Leidenſchaften des ehrgeizigen Fürſten berechnet. Die diplomatiſche Welt ſollte vorbereitet werden auf irgend eine rettende That des Stuttgarter Hofes. Worin dieſe Großthat eigentlich beſtehen würde — das wußten freilich

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Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 3: Bis zur Juli-Revolution. Leipzig, 1885, S. 310. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte03_1885/326>, abgerufen am 25.11.2024.