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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 3: Bis zur Juli-Revolution. Leipzig, 1885.

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Wangenheim gegen die Mainzer Commission.
hebliches entdeckt habe: es werde hohe Zeit die erschreckten Gemüther end-
lich zu beruhigen, auch besitze jeder Bundesstaat genügende Mittel um die
demagogischen Umtriebe selber zu bestrafen. Daß Württemberg selber einst
der Einsetzung der Commission zugestimmt hatte, wurde freilich wohl-
weislich verschwiegen. Und seltsam, diese kecke Kriegserklärung gegen die
Karlsbader Politik fand die Mehrheit im Bundestage. Acht Stimmen
des Engeren Rathes, lauter Kleinstaaten von Baden abwärts, schlossen
sich dem württembergischen Antrage an; die beiden Großmächte und die
drei größten Königreiche wurden von den Kleinen überstimmt. Mehrere
der kleinen Souveräne handelten allerdings lediglich aus gekränktem Selbst-
gefühl, und dem geizigen Kurfürsten von Hessen war an der Mainzer
Commission nur das Eine anstößig, daß sie Geld kostete; auch mögen
einige Gesandte der Mehrheit, fortgerissen durch Wangenheim's Bered-
samkeit, auf eigene Faust gehandelt haben. Blittersdorff vollends schloß
sich nur darum an, weil die Mainzer dem reaktionären Feuereifer des
Karlsruher Hofes noch nicht thatkräftig genug erschienen.*) Gleichviel, es
blieb doch aller Ehren werth, es war die beste That dieser so seltsam ge-
mischten Opposition, daß sie das arge Nest der politischen Verdächtigung
und Verfolgung auszunehmen versuchte.

Graf Buol, der mit dem Präsidenten der Untersuchungscommission
geheimen Briefwechsel unterhielt, war um so peinlicher überrascht, da sogar
zwei in Mainz vertretene Höfe, Baden und Darmstadt, mit der Mehr-
heit gestimmt hatten. Um Schlimmeres zu verhüten gab er den Mainzer
Getreuen einen Wink, und am 30. Mai lag endlich der verlangte Rechen-
schaftsbericht nebst zweiunddreißig Beilagen, Alles wohl versiegelt, auf
dem Tische der Bundesversammlung. In einem Begleitschreiben erklärte
die Mainzer Commission, über die noch schwebenden Untersuchungen ent-
halte sie sich jeder Mittheilung, weil sie eine vorzeitige Veröffentlichung
befürchte -- ein boshafter Hieb auf Wangenheim, der schon mehrmals
unvorsichtig aus der Schule geplaudert hatte. Der Württemberger und
seine Genossen hofften nunmehr endlich das lichtscheue Treiben genau
kennen zu lernen, aber die österreichische Gemüthlichkeit wußte sich zu
helfen. Buol schlug vor, die versiegelten Papiere zunächst einem Aus-
schusse zu überweisen, der aus den sieben bereits in Mainz vertretenen
Staaten gebildet werden sollte. So geschah es, und Wangenheim nebst
seinen Freunden erfuhr von den Mainzer Vorgängen nichts weiter als
was der Ausschuß der sieben Eingeweihten dem Bundestage mitzutheilen
für gut fand. An die Auflösung der unheimlichen Behörde war vollends
noch gar nicht zu denken; denn ihr Rechenschaftsbericht reichte nur bis
zum Jahre 1821; Jahre vergingen bis die Ergänzungen einliefen, und so
blieb den Mainzer Demagogenverfolgern noch eine lange Frist fröhlichen
Wirkens gesichert. --

*) Berstett an Marschall, 26. Juli 1822.

Wangenheim gegen die Mainzer Commiſſion.
hebliches entdeckt habe: es werde hohe Zeit die erſchreckten Gemüther end-
lich zu beruhigen, auch beſitze jeder Bundesſtaat genügende Mittel um die
demagogiſchen Umtriebe ſelber zu beſtrafen. Daß Württemberg ſelber einſt
der Einſetzung der Commiſſion zugeſtimmt hatte, wurde freilich wohl-
weislich verſchwiegen. Und ſeltſam, dieſe kecke Kriegserklärung gegen die
Karlsbader Politik fand die Mehrheit im Bundestage. Acht Stimmen
des Engeren Rathes, lauter Kleinſtaaten von Baden abwärts, ſchloſſen
ſich dem württembergiſchen Antrage an; die beiden Großmächte und die
drei größten Königreiche wurden von den Kleinen überſtimmt. Mehrere
der kleinen Souveräne handelten allerdings lediglich aus gekränktem Selbſt-
gefühl, und dem geizigen Kurfürſten von Heſſen war an der Mainzer
Commiſſion nur das Eine anſtößig, daß ſie Geld koſtete; auch mögen
einige Geſandte der Mehrheit, fortgeriſſen durch Wangenheim’s Bered-
ſamkeit, auf eigene Fauſt gehandelt haben. Blittersdorff vollends ſchloß
ſich nur darum an, weil die Mainzer dem reaktionären Feuereifer des
Karlsruher Hofes noch nicht thatkräftig genug erſchienen.*) Gleichviel, es
blieb doch aller Ehren werth, es war die beſte That dieſer ſo ſeltſam ge-
miſchten Oppoſition, daß ſie das arge Neſt der politiſchen Verdächtigung
und Verfolgung auszunehmen verſuchte.

Graf Buol, der mit dem Präſidenten der Unterſuchungscommiſſion
geheimen Briefwechſel unterhielt, war um ſo peinlicher überraſcht, da ſogar
zwei in Mainz vertretene Höfe, Baden und Darmſtadt, mit der Mehr-
heit geſtimmt hatten. Um Schlimmeres zu verhüten gab er den Mainzer
Getreuen einen Wink, und am 30. Mai lag endlich der verlangte Rechen-
ſchaftsbericht nebſt zweiunddreißig Beilagen, Alles wohl verſiegelt, auf
dem Tiſche der Bundesverſammlung. In einem Begleitſchreiben erklärte
die Mainzer Commiſſion, über die noch ſchwebenden Unterſuchungen ent-
halte ſie ſich jeder Mittheilung, weil ſie eine vorzeitige Veröffentlichung
befürchte — ein boshafter Hieb auf Wangenheim, der ſchon mehrmals
unvorſichtig aus der Schule geplaudert hatte. Der Württemberger und
ſeine Genoſſen hofften nunmehr endlich das lichtſcheue Treiben genau
kennen zu lernen, aber die öſterreichiſche Gemüthlichkeit wußte ſich zu
helfen. Buol ſchlug vor, die verſiegelten Papiere zunächſt einem Aus-
ſchuſſe zu überweiſen, der aus den ſieben bereits in Mainz vertretenen
Staaten gebildet werden ſollte. So geſchah es, und Wangenheim nebſt
ſeinen Freunden erfuhr von den Mainzer Vorgängen nichts weiter als
was der Ausſchuß der ſieben Eingeweihten dem Bundestage mitzutheilen
für gut fand. An die Auflöſung der unheimlichen Behörde war vollends
noch gar nicht zu denken; denn ihr Rechenſchaftsbericht reichte nur bis
zum Jahre 1821; Jahre vergingen bis die Ergänzungen einliefen, und ſo
blieb den Mainzer Demagogenverfolgern noch eine lange Friſt fröhlichen
Wirkens geſichert. —

*) Berſtett an Marſchall, 26. Juli 1822.
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[299/0315] Wangenheim gegen die Mainzer Commiſſion. hebliches entdeckt habe: es werde hohe Zeit die erſchreckten Gemüther end- lich zu beruhigen, auch beſitze jeder Bundesſtaat genügende Mittel um die demagogiſchen Umtriebe ſelber zu beſtrafen. Daß Württemberg ſelber einſt der Einſetzung der Commiſſion zugeſtimmt hatte, wurde freilich wohl- weislich verſchwiegen. Und ſeltſam, dieſe kecke Kriegserklärung gegen die Karlsbader Politik fand die Mehrheit im Bundestage. Acht Stimmen des Engeren Rathes, lauter Kleinſtaaten von Baden abwärts, ſchloſſen ſich dem württembergiſchen Antrage an; die beiden Großmächte und die drei größten Königreiche wurden von den Kleinen überſtimmt. Mehrere der kleinen Souveräne handelten allerdings lediglich aus gekränktem Selbſt- gefühl, und dem geizigen Kurfürſten von Heſſen war an der Mainzer Commiſſion nur das Eine anſtößig, daß ſie Geld koſtete; auch mögen einige Geſandte der Mehrheit, fortgeriſſen durch Wangenheim’s Bered- ſamkeit, auf eigene Fauſt gehandelt haben. Blittersdorff vollends ſchloß ſich nur darum an, weil die Mainzer dem reaktionären Feuereifer des Karlsruher Hofes noch nicht thatkräftig genug erſchienen. *) Gleichviel, es blieb doch aller Ehren werth, es war die beſte That dieſer ſo ſeltſam ge- miſchten Oppoſition, daß ſie das arge Neſt der politiſchen Verdächtigung und Verfolgung auszunehmen verſuchte. Graf Buol, der mit dem Präſidenten der Unterſuchungscommiſſion geheimen Briefwechſel unterhielt, war um ſo peinlicher überraſcht, da ſogar zwei in Mainz vertretene Höfe, Baden und Darmſtadt, mit der Mehr- heit geſtimmt hatten. Um Schlimmeres zu verhüten gab er den Mainzer Getreuen einen Wink, und am 30. Mai lag endlich der verlangte Rechen- ſchaftsbericht nebſt zweiunddreißig Beilagen, Alles wohl verſiegelt, auf dem Tiſche der Bundesverſammlung. In einem Begleitſchreiben erklärte die Mainzer Commiſſion, über die noch ſchwebenden Unterſuchungen ent- halte ſie ſich jeder Mittheilung, weil ſie eine vorzeitige Veröffentlichung befürchte — ein boshafter Hieb auf Wangenheim, der ſchon mehrmals unvorſichtig aus der Schule geplaudert hatte. Der Württemberger und ſeine Genoſſen hofften nunmehr endlich das lichtſcheue Treiben genau kennen zu lernen, aber die öſterreichiſche Gemüthlichkeit wußte ſich zu helfen. Buol ſchlug vor, die verſiegelten Papiere zunächſt einem Aus- ſchuſſe zu überweiſen, der aus den ſieben bereits in Mainz vertretenen Staaten gebildet werden ſollte. So geſchah es, und Wangenheim nebſt ſeinen Freunden erfuhr von den Mainzer Vorgängen nichts weiter als was der Ausſchuß der ſieben Eingeweihten dem Bundestage mitzutheilen für gut fand. An die Auflöſung der unheimlichen Behörde war vollends noch gar nicht zu denken; denn ihr Rechenſchaftsbericht reichte nur bis zum Jahre 1821; Jahre vergingen bis die Ergänzungen einliefen, und ſo blieb den Mainzer Demagogenverfolgern noch eine lange Friſt fröhlichen Wirkens geſichert. — *) Berſtett an Marſchall, 26. Juli 1822.

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Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 3: Bis zur Juli-Revolution. Leipzig, 1885, S. 299. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte03_1885/315>, abgerufen am 22.11.2024.