Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 3: Bis zur Juli-Revolution. Leipzig, 1885.

Bild:
<< vorherige Seite
III. 5. Die Großmächte und die Trias.

Auch außerhalb des Bundestags entfaltete der Württemberger eine
rastlose Betriebsamkeit. Die Frankfurter Conferenz der Staaten der
oberrheinischen Kirchenprovinz tagte noch immer von Zeit zu Zeit unter
seiner Leitung, und obwohl die Verhandlungen jetzt nur noch einen sehr
unschuldigen Gegenstand, die Einrichtung einer kleinen Erzdiöcese betrafen,
so hoffte Wangenheim doch zuversichtlich, aus diesen Conferenzen werde
ein neues aufgeklärtes nationales Kirchenrecht, zunächst eine Generalsynode
für ganz Deutschland hervorgehen. In überschwänglichen Reden feierte
er die Erfolge dieser rein deutschen Höfe, die "das Episcopalsystem in
seiner ganzen Fülle und Würde hergestellt" hätten. "So ist eine Leuchte
aufgesteckt worden, rief er entzückt, welche sich durch die giftigen Dünste,
die sich hie und da gespenstisch zu Schattenbildern aufthürmen, schwer-
lich verdunkeln lassen wird."

In Wahrheit hatten die oberrheinischen Staaten außer der Feststel-
lung ihrer neuen Diöcesangrenzen bisher noch gar nichts erreicht, nicht
einmal eine bündige Vorschrift über die Bischofswahlen; und als sie jetzt
versuchten ihren künftigen Landesbischöfen eine streng bureaukratische Kir-
chenpragmatik napoleonischen Stils aufzuerlegen, da begegneten sie dem
entschiedenen Widerspruche des Vaticans. Auch die Candidaten, welche
sie der Curie, nach Vorschlägen ihrer Landesgeistlichkeit, für die erste Be-
setzung der neuen Bischofssitze nannten, mißfielen dem Papste durchweg.
Er antwortete durch eine Gegenliste von vierzehn Namen -- der junge
Räß, der Herausgeber des Mainzer Katholiken war auch mit darunter
-- aber diese vierzehn heiligen Nothhelfer, wie man sie in Karlsruhe
nannte, schienen wieder den Cabinetten unerträglich. In Baden hatten
alle Dekanate des Landes ihren Bisthumsverweser Wessenberg als den
Würdigsten für das erzbischöfliche Amt bezeichnet, die Regierung aber
fürchtete sich vor ihm und versuchte umsonst ihn zu freiwilligem Verzicht
zu bewegen; Blittersdorff rieth sogar seinem Gönner Berstett, man möge
den unbequemen Mann in Wien als einen Ultraliberalen verdächtigen,
damit er nicht etwa in Rottenburg, wo er ebenfalls im Vorschlage war,
zum Bischof ernannt würde.*) Die Einrichtung der neuen Kirchenprovinz
gerieth einige Jahre lang ganz ins Stocken. Erst lange nach Wangen-
heim's Sturz kamen die Dinge wieder in Fluß, als Berstett (1824), durch
Metternich unterstützt, eine geheime Verhandlung in Rom begann. Da
endlich, nach langen und peinlichen Unterhandlungen, erließ der Papst
am 11. April die Bulle Ad dominici gregis custodiam, zur Ergänzung
der Oberrheinischen Circumscriptionsbulle. Sie wurde von den Regie-
rungen nur mit Vorbehalt veröffentlicht, weil sie über die Priesterseminare
und die bischöfliche Gerichtsbarkeit einige ganz unannehmbare Vorschriften
enthielt. Doch mindestens die Frage der Bischofswahlen kam jetzt zum

*) Blittersdorff an Berstett, 27. April 1822.
III. 5. Die Großmächte und die Trias.

Auch außerhalb des Bundestags entfaltete der Württemberger eine
raſtloſe Betriebſamkeit. Die Frankfurter Conferenz der Staaten der
oberrheiniſchen Kirchenprovinz tagte noch immer von Zeit zu Zeit unter
ſeiner Leitung, und obwohl die Verhandlungen jetzt nur noch einen ſehr
unſchuldigen Gegenſtand, die Einrichtung einer kleinen Erzdiöceſe betrafen,
ſo hoffte Wangenheim doch zuverſichtlich, aus dieſen Conferenzen werde
ein neues aufgeklärtes nationales Kirchenrecht, zunächſt eine Generalſynode
für ganz Deutſchland hervorgehen. In überſchwänglichen Reden feierte
er die Erfolge dieſer rein deutſchen Höfe, die „das Epiſcopalſyſtem in
ſeiner ganzen Fülle und Würde hergeſtellt“ hätten. „So iſt eine Leuchte
aufgeſteckt worden, rief er entzückt, welche ſich durch die giftigen Dünſte,
die ſich hie und da geſpenſtiſch zu Schattenbildern aufthürmen, ſchwer-
lich verdunkeln laſſen wird.“

In Wahrheit hatten die oberrheiniſchen Staaten außer der Feſtſtel-
lung ihrer neuen Diöceſangrenzen bisher noch gar nichts erreicht, nicht
einmal eine bündige Vorſchrift über die Biſchofswahlen; und als ſie jetzt
verſuchten ihren künftigen Landesbiſchöfen eine ſtreng bureaukratiſche Kir-
chenpragmatik napoleoniſchen Stils aufzuerlegen, da begegneten ſie dem
entſchiedenen Widerſpruche des Vaticans. Auch die Candidaten, welche
ſie der Curie, nach Vorſchlägen ihrer Landesgeiſtlichkeit, für die erſte Be-
ſetzung der neuen Biſchofsſitze nannten, mißfielen dem Papſte durchweg.
Er antwortete durch eine Gegenliſte von vierzehn Namen — der junge
Räß, der Herausgeber des Mainzer Katholiken war auch mit darunter
— aber dieſe vierzehn heiligen Nothhelfer, wie man ſie in Karlsruhe
nannte, ſchienen wieder den Cabinetten unerträglich. In Baden hatten
alle Dekanate des Landes ihren Bisthumsverweſer Weſſenberg als den
Würdigſten für das erzbiſchöfliche Amt bezeichnet, die Regierung aber
fürchtete ſich vor ihm und verſuchte umſonſt ihn zu freiwilligem Verzicht
zu bewegen; Blittersdorff rieth ſogar ſeinem Gönner Berſtett, man möge
den unbequemen Mann in Wien als einen Ultraliberalen verdächtigen,
damit er nicht etwa in Rottenburg, wo er ebenfalls im Vorſchlage war,
zum Biſchof ernannt würde.*) Die Einrichtung der neuen Kirchenprovinz
gerieth einige Jahre lang ganz ins Stocken. Erſt lange nach Wangen-
heim’s Sturz kamen die Dinge wieder in Fluß, als Berſtett (1824), durch
Metternich unterſtützt, eine geheime Verhandlung in Rom begann. Da
endlich, nach langen und peinlichen Unterhandlungen, erließ der Papſt
am 11. April die Bulle Ad dominici gregis custodiam, zur Ergänzung
der Oberrheiniſchen Circumſcriptionsbulle. Sie wurde von den Regie-
rungen nur mit Vorbehalt veröffentlicht, weil ſie über die Prieſterſeminare
und die biſchöfliche Gerichtsbarkeit einige ganz unannehmbare Vorſchriften
enthielt. Doch mindeſtens die Frage der Biſchofswahlen kam jetzt zum

*) Blittersdorff an Berſtett, 27. April 1822.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <pb facs="#f0316" n="300"/>
          <fw place="top" type="header"><hi rendition="#aq">III.</hi> 5. Die Großmächte und die Trias.</fw><lb/>
          <p>Auch außerhalb des Bundestags entfaltete der Württemberger eine<lb/>
ra&#x017F;tlo&#x017F;e Betrieb&#x017F;amkeit. Die Frankfurter Conferenz der Staaten der<lb/>
oberrheini&#x017F;chen Kirchenprovinz tagte noch immer von Zeit zu Zeit unter<lb/>
&#x017F;einer Leitung, und obwohl die Verhandlungen jetzt nur noch einen &#x017F;ehr<lb/>
un&#x017F;chuldigen Gegen&#x017F;tand, die Einrichtung einer kleinen Erzdiöce&#x017F;e betrafen,<lb/>
&#x017F;o hoffte Wangenheim doch zuver&#x017F;ichtlich, aus die&#x017F;en Conferenzen werde<lb/>
ein neues aufgeklärtes nationales Kirchenrecht, zunäch&#x017F;t eine General&#x017F;ynode<lb/>
für ganz Deut&#x017F;chland hervorgehen. In über&#x017F;chwänglichen Reden feierte<lb/>
er die Erfolge die&#x017F;er rein deut&#x017F;chen Höfe, die &#x201E;das Epi&#x017F;copal&#x017F;y&#x017F;tem in<lb/>
&#x017F;einer ganzen Fülle und Würde herge&#x017F;tellt&#x201C; hätten. &#x201E;So i&#x017F;t eine Leuchte<lb/>
aufge&#x017F;teckt worden, rief er entzückt, welche &#x017F;ich durch die giftigen Dün&#x017F;te,<lb/>
die &#x017F;ich hie und da ge&#x017F;pen&#x017F;ti&#x017F;ch zu Schattenbildern aufthürmen, &#x017F;chwer-<lb/>
lich verdunkeln la&#x017F;&#x017F;en wird.&#x201C;</p><lb/>
          <p>In Wahrheit hatten die oberrheini&#x017F;chen Staaten außer der Fe&#x017F;t&#x017F;tel-<lb/>
lung ihrer neuen Diöce&#x017F;angrenzen bisher noch gar nichts erreicht, nicht<lb/>
einmal eine bündige Vor&#x017F;chrift über die Bi&#x017F;chofswahlen; und als &#x017F;ie jetzt<lb/>
ver&#x017F;uchten ihren künftigen Landesbi&#x017F;chöfen eine &#x017F;treng bureaukrati&#x017F;che Kir-<lb/>
chenpragmatik napoleoni&#x017F;chen Stils aufzuerlegen, da begegneten &#x017F;ie dem<lb/>
ent&#x017F;chiedenen Wider&#x017F;pruche des Vaticans. Auch die Candidaten, welche<lb/>
&#x017F;ie der Curie, nach Vor&#x017F;chlägen ihrer Landesgei&#x017F;tlichkeit, für die er&#x017F;te Be-<lb/>
&#x017F;etzung der neuen Bi&#x017F;chofs&#x017F;itze nannten, mißfielen dem Pap&#x017F;te durchweg.<lb/>
Er antwortete durch eine Gegenli&#x017F;te von vierzehn Namen &#x2014; der junge<lb/>
Räß, der Herausgeber des Mainzer Katholiken war auch mit darunter<lb/>
&#x2014; aber die&#x017F;e vierzehn heiligen Nothhelfer, wie man &#x017F;ie in Karlsruhe<lb/>
nannte, &#x017F;chienen wieder den Cabinetten unerträglich. In Baden hatten<lb/>
alle Dekanate des Landes ihren Bisthumsverwe&#x017F;er We&#x017F;&#x017F;enberg als den<lb/>
Würdig&#x017F;ten für das erzbi&#x017F;chöfliche Amt bezeichnet, die Regierung aber<lb/>
fürchtete &#x017F;ich vor ihm und ver&#x017F;uchte um&#x017F;on&#x017F;t ihn zu freiwilligem Verzicht<lb/>
zu bewegen; Blittersdorff rieth &#x017F;ogar &#x017F;einem Gönner Ber&#x017F;tett, man möge<lb/>
den unbequemen Mann in Wien als einen Ultraliberalen verdächtigen,<lb/>
damit er nicht etwa in Rottenburg, wo er ebenfalls im Vor&#x017F;chlage war,<lb/>
zum Bi&#x017F;chof ernannt würde.<note place="foot" n="*)">Blittersdorff an Ber&#x017F;tett, 27. April 1822.</note> Die Einrichtung der neuen Kirchenprovinz<lb/>
gerieth einige Jahre lang ganz ins Stocken. Er&#x017F;t lange nach Wangen-<lb/>
heim&#x2019;s Sturz kamen die Dinge wieder in Fluß, als Ber&#x017F;tett (1824), durch<lb/>
Metternich unter&#x017F;tützt, eine geheime Verhandlung in Rom begann. Da<lb/>
endlich, nach langen und peinlichen Unterhandlungen, erließ der Pap&#x017F;t<lb/>
am 11. April die Bulle <hi rendition="#aq">Ad dominici gregis custodiam,</hi> zur Ergänzung<lb/>
der Oberrheini&#x017F;chen Circum&#x017F;criptionsbulle. Sie wurde von den Regie-<lb/>
rungen nur mit Vorbehalt veröffentlicht, weil &#x017F;ie über die Prie&#x017F;ter&#x017F;eminare<lb/>
und die bi&#x017F;chöfliche Gerichtsbarkeit einige ganz unannehmbare Vor&#x017F;chriften<lb/>
enthielt. Doch minde&#x017F;tens die Frage der Bi&#x017F;chofswahlen kam jetzt zum<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[300/0316] III. 5. Die Großmächte und die Trias. Auch außerhalb des Bundestags entfaltete der Württemberger eine raſtloſe Betriebſamkeit. Die Frankfurter Conferenz der Staaten der oberrheiniſchen Kirchenprovinz tagte noch immer von Zeit zu Zeit unter ſeiner Leitung, und obwohl die Verhandlungen jetzt nur noch einen ſehr unſchuldigen Gegenſtand, die Einrichtung einer kleinen Erzdiöceſe betrafen, ſo hoffte Wangenheim doch zuverſichtlich, aus dieſen Conferenzen werde ein neues aufgeklärtes nationales Kirchenrecht, zunächſt eine Generalſynode für ganz Deutſchland hervorgehen. In überſchwänglichen Reden feierte er die Erfolge dieſer rein deutſchen Höfe, die „das Epiſcopalſyſtem in ſeiner ganzen Fülle und Würde hergeſtellt“ hätten. „So iſt eine Leuchte aufgeſteckt worden, rief er entzückt, welche ſich durch die giftigen Dünſte, die ſich hie und da geſpenſtiſch zu Schattenbildern aufthürmen, ſchwer- lich verdunkeln laſſen wird.“ In Wahrheit hatten die oberrheiniſchen Staaten außer der Feſtſtel- lung ihrer neuen Diöceſangrenzen bisher noch gar nichts erreicht, nicht einmal eine bündige Vorſchrift über die Biſchofswahlen; und als ſie jetzt verſuchten ihren künftigen Landesbiſchöfen eine ſtreng bureaukratiſche Kir- chenpragmatik napoleoniſchen Stils aufzuerlegen, da begegneten ſie dem entſchiedenen Widerſpruche des Vaticans. Auch die Candidaten, welche ſie der Curie, nach Vorſchlägen ihrer Landesgeiſtlichkeit, für die erſte Be- ſetzung der neuen Biſchofsſitze nannten, mißfielen dem Papſte durchweg. Er antwortete durch eine Gegenliſte von vierzehn Namen — der junge Räß, der Herausgeber des Mainzer Katholiken war auch mit darunter — aber dieſe vierzehn heiligen Nothhelfer, wie man ſie in Karlsruhe nannte, ſchienen wieder den Cabinetten unerträglich. In Baden hatten alle Dekanate des Landes ihren Bisthumsverweſer Weſſenberg als den Würdigſten für das erzbiſchöfliche Amt bezeichnet, die Regierung aber fürchtete ſich vor ihm und verſuchte umſonſt ihn zu freiwilligem Verzicht zu bewegen; Blittersdorff rieth ſogar ſeinem Gönner Berſtett, man möge den unbequemen Mann in Wien als einen Ultraliberalen verdächtigen, damit er nicht etwa in Rottenburg, wo er ebenfalls im Vorſchlage war, zum Biſchof ernannt würde. *) Die Einrichtung der neuen Kirchenprovinz gerieth einige Jahre lang ganz ins Stocken. Erſt lange nach Wangen- heim’s Sturz kamen die Dinge wieder in Fluß, als Berſtett (1824), durch Metternich unterſtützt, eine geheime Verhandlung in Rom begann. Da endlich, nach langen und peinlichen Unterhandlungen, erließ der Papſt am 11. April die Bulle Ad dominici gregis custodiam, zur Ergänzung der Oberrheiniſchen Circumſcriptionsbulle. Sie wurde von den Regie- rungen nur mit Vorbehalt veröffentlicht, weil ſie über die Prieſterſeminare und die biſchöfliche Gerichtsbarkeit einige ganz unannehmbare Vorſchriften enthielt. Doch mindeſtens die Frage der Biſchofswahlen kam jetzt zum *) Blittersdorff an Berſtett, 27. April 1822.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte03_1885
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte03_1885/316
Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 3: Bis zur Juli-Revolution. Leipzig, 1885, S. 300. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte03_1885/316>, abgerufen am 12.05.2024.